• Nem Talált Eredményt

Interpretation der „deutschen Abstammung” – Selbstdefinition und Zuschreibung Zuschreibung

3. Aspekte der Untersuchung

3.4 Interpretation der „deutschen Abstammung” – Selbstdefinition und Zuschreibung Zuschreibung

Die Interpretation der Kategorie „deutscher Abstammung” diente als Kriterium für die Deportationsmaßnahmen. Dabei sind wesentliche Unterschiede zwischen den Regionen zu beobachten, manchmal auch innerhalb der Regionen in verschiedenen Bezirken und Gemeinden. Der Grund dafür ist, dass eine „deutsche Abstammung” in der Tat nur schwer zu definieren ist. Die Feststellung der Abstammung durch andere Personen war bereits damals problematisch; auch heute wäre sie aufgrund unserer moralischen Normen kaum möglich.

Ob es bei der Formulierung des Beschlusses Nr. 7161. eine bewusste Entscheidung war, diese unscharfe Kategorie zu wählen, ist nicht bekannt. Ebenso sind aus den anderen betroffenen Ländern keine Forschungsergebnisse bekannt, die darauf hinweisen, dass die Auswahl der Betroffenen dort ebenso große Schwierigkeiten bereitet hätte. Auch in der ungarischen Forschung wurde diese Frage bisher ausgeblendet, obwohl die Behauptung, dass der Großteil der Deportierten „keine Deutschen, sondern Ungarn waren”, bzw. dass die sowjetischen Soldaten Menschen ohne Selektion verschleppten, seit längerem ein Bestandteil der „Malenkij Robot”-Narrative sind.372

Während der Durchführung der Deportation konnte die „deutsche Abstammung” von drei Akteuren festgestellt werden. In den wenigsten Fällen waren es die betroffenen Zivilisten selbst, die sich auf Befehl als Personen „deutscher Abstammung” meldeten.

Ein anderes Beispiel stellen die Fälle von Denunziationen dar, als die Betroffenen den Sowjets zusätzliche Personen auslieferten.373 Es sind zu beiden Varianten Beispiele zu finden, als typisch können sie jedoch nicht betrachtet werden.

372 Vgl. dazu FÜZES, Modern, 1990, 12, 15, 22.

373 Solche Fälle kommen in manchen Erzählungen vor, sie konnten mit anderen Quellen weder bestätigt noch dementiert werden. In Csikóstöttös stellte der evangelische Priester die Liste über die 70

„Volksbundisten” zusammen, weswegen ihre Angehörigen den Sowjets verrieten, dass der Priester selber auch ein „Deutscher” war. Seine Tochter wurde unter diesen Umständen auch in die Sowjetunion deportiert. Siehe HAVASI, János: Örök tél. Palatia, Budapest, 2017, 14. Über einen ähnlichen Fall berichtet das Tagebuch von János Guth aus Nagymányok, wo den Sowjets zuerst auch die Volksbund-Mitglieder ausgeliefert wurden, diese übergaben aber als Rache eine weitere Liste mit den Namen von Personen, die „sich zum Ungarntum bekannten”. Siehe: GAÁL, Attila – HADIKFALVINÉ MÁNYOKI, Elza (Hg.): „Embersorsok a viharban.” Nagymányokiak az 1026-os lágerben. 2. Aufl. Kerényi, Nagymányok, 2016, 12.

114

In den meisten Fällen war die Feststellung der deutschen Abstammung ein Ergebnis der Fremdwahrnehmung. Eine Akteurengruppe dabei waren die sowjetischen Befehlshaber.

Sie interpretierten die „deutsche Abstammung” als rassisch-genealogische Kategorie.

Darauf lässt der bereits zitierte Bericht aus Elek schließen, dem zufolge der sowjetische Offizier alle Personen mitnehmen wollte, in deren Adern „nur ein Tropfen deutschen Blutes fließt”374. Die sowjetischen Akteure erweiterten also den Deportationsbefehl nicht nur auf Personen, die sich zum Deutschtum bekannten und sich als „Deutsche”

identifizierten, sondern auf alle, die aufgrund ihrer Herkunft etwas mit Deutschtum zu tun hatten. Die Betroffenen hätten sich unter den gegebenen Umständen kaum zur deutschen Abstammung bekannt, weswegen zu beobachten ist, dass die sowjetischen Akteuren nach äußeren Merkmalen einer deutschen Abstammung suchten: deutsch klingende Personennamen, deutsche Namen der Eltern, deutsche Muttersprache. In einigen Fällen forderten sie die Geburtsmatrikel der Gemeinden an, um in diesen zu überprüfen, welche Personen in den Gemeinden deutschstämmig waren.

Die dritte Akteurengruppe waren die ungarischen Behörden. Sie versuchten anhand anderer Kriterien als die Sowjets festzustellen, welche Einwohner deutschstämmig waren. In solchen Fällen spielte die statistisch festgestellte Selbstdefinition eine größere Rolle. Sie hoben die Personen aus, die sich bei der letzten Volkszählung von 1941 zur deutschen Muttersprache und/oder Nationalität bekannten, ferner solche, die sich „wie Deutsche benahmen” oder Mitglieder „faschistischer und deutscher” Organisationen und Truppen waren. Diese Vorgehensweise nahm schon damals das Kriteriensystem der ab Frühling 1945 begonnenen weiteren Maßnahmen gegen die deutsche Bevölkerung vorweg.

Die Interpretation der ungarischen Seite ist enorm wichtig, weil die sowjetischen Soldaten wegen ihrer Unkenntnis der lokalen Verhältnisse oft die ungarischen Behörden mit der Feststellung der „deutschen Abstammung” oder mit der Erstellung einer Liste beauftragten. Ungarische Behördenvertreter mussten in den meisten Fällen den Deportationsbefehl in den Gemeinden verkünden, der dann bereits die Kategorie

„deutsche Abstammung” nicht mehr beinhaltete, stattdessen stand in der Verordnung deutsche Nationalität, Muttersprache oder eine sonstige Kategorie.

374 MNL BéML IV. 435. 78/1945. Publiziert von ERDMANN, Deportálás, 1990, 42.

115

Ob die ungarischen Behörden die sowjetische Intention nicht verstehen wollten oder sie für ihre Ziele auszunutzen versuchten, ist im Nachhinein schwer zu überprüfen.

Besonders bei den Ansuchen zur Entlastung und Freistellung bestimmter Personen versuchten sie oft deren Deutschtum durch weitere Kategorisierungs- und Differenzierungsmaßnahmen zu relativieren. Diese Versuche waren damit verbunden, die tatsächlich Deportierten (zumeist die Volksbund-Mitglieder und Personen deutscher Nationalität) als „schuldig” zu erklären, so dass diese zu Recht deportiert worden wären.

So entstanden die Kategorien „gute” und „schlechte Deutsche”. Die „Guten” versuchten die Behörden auf unterschiedlichste Art und Weise zu entlasten, sie relativierten deren Deutschtum mit der Begründung, dass sie nicht für gewisse Merkmale (Sprache, Name) ihres Deutschseins verantwortlich waren, und ihr Verbleiben angesichts ihrer politischen Zuverlässigkeit, ihrer demokratischen Einstellung und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung unentbehrlich war. Diese Argumentation konnte gegen die Sowjets nur selten durchgesetzt werden, weil diese die Deportation mit einer anderen Interpretation der „deutschen Abstammung” durchführten und eine möglichst große Anzahl von Arbeitskräften gewinnen wollten. Aus sowjetischer Perspektive war das Maß „des Deutschtums” der Deportierten (also ihre Nationalität, Muttersprache, Identität und politische Tätigkeit) irrelevant oder zweitrangig, weil die Deportation vor allem auf die Beschaffung von Arbeitskräften abzielte.

Hätten die sowjetischen Soldaten die Nationalität, Muttersprache, Identität und das politisches Verhalten dieser Personen bei der Deportation berücksichtigt, dann würde die Theorie zutreffen, die in der ungarischen Fachliteratur oft auftaucht, nämlich, dass die Deportation eine Vergeltungsmaßnahme der Sowjets war. Das war aber nicht der Fall. Im Gegensatz dazu wurde diesen Kriterien von den ungarischen Behörden eine entsprechende Rolle beigemessen, sowohl bei Freistellungen als auch bei den späteren Sozialhilfen. So kann nicht über Vergeltung als Motivation seitens der sowjetischen Akteure gesprochen werden, jedoch aber seitens der Ungarn.

116