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4. Die Region Békés-Csanád

4.3 Ethnische Struktur, Konflikte

Zur ethnischen Struktur der Region sind die Angaben der Volkszählungen die naheliegenden Quellen, die das Ungarische Statistische Zentralamt mit einigen Abweichungen im Zehn-Jahres-Takt durchführte. Die Verwendungsmöglichkeiten dieser Statistiken sind jedoch dadurch begrenzt, weil die Volkszählungen nie frei von politischen Manipulationen waren. Den Auftrag zum Zensus gab der Staat, der eine möglichst homogene ethnische Struktur anstrebte – auch in den Statistiken. Es war kein Ausnahmefall, wenn ein Zähler die Befragten zu überzeugen versuchte, dass sie sich als Ungarn bekennen sollten. Obwohl der offizielle Standpunkt immer betonte, dass sich jeder ungarische Staatsbürger zu seiner Muttersprache (und Nationalität) bekennen darf, hielten viele lokale ungarische Amtsträger nicht geheim, dass sie die Personen fremder Muttersprache nicht als loyale Staatsbürger betrachteten.

Die Auswertung der Volkszählungsergebnisse wird auch dadurch erschwert, dass die Erhebung keinem einheitlichen Fragenkatalog folgte. Zur Vermessung der ethnischen Zugehörigkeit diente bis zum 1941 die Frage nach der Muttersprache. Bei dem Zensus im Jahre 1941 wurde dann die stark umstrittene Kategorie „Nationalität” neu eingeführt,397 ohne die Befragten darüber zu informieren, wie sie diesen Begriff verstehen sollten, welche Bedeutung dieser Frage beigemessen wurde und zu welchen Folgen das führen konnte, wenn sie sich zur nicht-ungarischen Nationalität bekannten.

Obwohl die ungarische politische Führung offiziell erst nach 1945 darüber entschied, dass die ungarischen Staatsbürger, die sich zur deutschen Nationalität und/oder Muttersprache bekannten, stigmatisiert, enteignet und nach Deutschland vertrieben werden sollten, waren solche Erwägungen bereits während der Vorbereitung der Volkszählung wirksam.

1939 setzte Adolf Hitler die Forderung „Heim ins Reich” in die Praxis um, als er die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus den baltischen und anderen Ländern ins

„Dritte Reich” verordnete. Die Idee einer ähnlichen Umsiedlung im Falle der deutschen

397 SPANNENBERGER, Der Volksbund, 2005, 272–273. Siehe mehr zu den Kontroversen um die Volkszählung im Jahre 1941 und zu ihrer Nachgeschichte: HEINZ, Ervin – LAKATOS, Miklós: A központi Statisztikai Hivatal szerepe a német lakosság kitelepítésében. In: CZIBULKA, Zoltán (Hg.): A magyarországi németek kitelepítése és az 1941. évi népszámlálás. KSH, Budapest, 2004, 9–202.; BANK, Barbara – ŐZE, Sándor (Hg.): A „német ügy” 1945–1953. A Volksbundtól Tiszalökig. LDU, Backnang–

Budapest–München, 2005.

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Minderheit Ungarns wurde von Berlin ebenso aufgegriffen, die die ungarische politische Elite mit Reichsverweser Miklós Horthy persönlich begrüßte. Hitler wollte die Entscheidung dieser Frage jedoch bis zum Kriegsende aufschieben.398 In diesem Geist wollte der damalige ungarische Ministerpräsident Ungarns, Pál Teleki, im Rahmen der Volkszählung im Jahr 1941 Angaben zur Nationalität der Bevölkerung erheben, um zu erfahren, mit wie vielen Personen im Fall einer eventuellen Umsiedlung zu rechnen war. Bereits damals verbreitete sich die Idee Hitlers über die Umsiedlung der Deutschen in der ungarischen Gesellschaft, auch die betroffene deutsche Minderheit erfuhr davon, deren Angehörige jedoch größtenteils nichts davon hören wollten. Die Gerüchte von der Umsiedlung führten dazu, dass der Volksbund viel von seiner Beliebtheit verlor und während der Volkszählung sank die Bereitschaft der Betroffenen, sich in irgendwelcher Form zum Deutschtum zu bekennen.

Sowohl diese Tatsachen sind wichtig bei der Analyse der Statistiken, als auch die Faktoren, die sich in umgekehrter Richtung auswirkten. Der Volksbund übte eine intensive Propagandatätigkeit aus, um möglichst alle „deutsche Volkszugehörige” dazu zu bringen, sich zur deutschen Muttersprache und Nationalität zu bekennen. Die Befragten wurden durch mehrere Akteure in unterschiedliche Richtungen beeinflusst.

So ist die Zuverlässigkeit der statistischen Angaben äußerst fraglich. Meiner Meinung nach jedoch sind diese dennoch dazu geeignet, zu signalisieren, in welchen Gemeinden damals eine selbstbewusste, sich auch unter diesen Umständen zum Deutschtum bekennende Bevölkerung lebte.

Die Tabellen 1–2. im Anhang enthalten die Angaben der unter dem Aspekt der Deportation wichtigen Bezirke und Ortschaften zu Muttersprache und Nationalität. Die Ergebnisse der Volkszählungen von 1930 und 1941 zeigen auch Tendenzen und die Entwicklung des Anteils der deutschen Muttersprachler im Verhältnis zu den ungarischen Muttersprachlern. Die Angaben lassen auch darauf schließen, dass in der Region außer den ungarisch- und deutschsprachigen Gruppen der Anteil anderer Ethnien gleichfalls hoch war. Geprägt von der geographischen Lage der Region waren dies einerseits die Rumänen im Komitat Békés (im Jahr 1930 4.382 Personen, 1,5%),

398 SEEWANN, Geschichte, Bd. 2., 2012, 284–286.; SPANNENBERGER, Der Volksbund, 2005, 202–

206.

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darüber hinaus lebte im Komitat eine zahlenmäßig bedeutende slowakische Minderheit (im Jahr 1930 42.760 Personen, 15%).399

Außer den Statistiken ist die Zahl der deutschen kulturellen und politischen Organisationen in der Region ein wichtiger Indikator für das Selbstbewusstsein der deutschen Bevölkerung, obwohl die Gründung von Filialen und Ortsgruppen nicht eindeutig darauf schließen lässt, wie aktiv diese danach waren und ob deren Tätigkeit nicht bald eingestellt wurde. Filialen des Ungarländischen Deutschen Volksbildungvereins wurden nur in Elek, Kübekháza und Újszentiván gegründet,400 im Komitat Békés gab es gar keine. Die Volksbund-Ortsgruppen verbreiteten sich etwas besser, im Komitat Csanád, Arad und Torontál k. e. e. wurden sie in Almáskamarás, Elek, Kübekháza und Újszentiván gegründet,401 im Komitat Békés in den Städten Békéscsaba und Gyula und in den Gemeinden Békés, Gyoma, Mezőberény, bzw. in einer Ortschaft, die als Annahausen bezeichnet wurde, die aber nicht identifiziert werden konnte. Weitere Quellen aus verschiedenen Dokumentarbänden geben Auskunft über Ortsgruppen des Volksbundes und der Deutschen Jugend in Almáskamarás, Elek, Mezőberény, Gyoma, Békés,402 Kübekháza und Újszentiván.403 In den bekannten Quellen sind jedoch keine Spuren von den sonst üblichen Konflikten der Deutschen Jugend mit den örtlichen ungarischen Behörden zu finden.

Über die Aktivität der verschiedenen Organisationen sind wenige Quellen vorhanden, darüber berichten weder die Zeitzeugen noch die (Fach)Literatur und die Archivquellen.

Die deutschen Einwohner der „Deutschstadt” von Gyula werden zumeist als bürgerliche, gut assimilierte Gruppe dargestellt, die die deutsche Sprache kaum mehr benutzten –dank der Tätigkeit des Pfarrers Vilmos Apor.404 Gyula Erdmann behauptete sogar, dass kein Volksbund in Gyula existierte, was den Angaben von Paul Flach widerspricht.

399 1930. évi népszámlálás, 1932, 153.; TILKOVSZKY, Loránt: Nationalitätenpolitik in Ungarn 1918/1919–1944/1945. In: GLATZ, Ferenc (Hg.): Études historiques hongroises 1990: publiées à l'occasion du XVIIe Congrès International des Sciences Historiques par le Comité National des Historiens Hongrois. MTA, Budapest, 1990, 357–379, hier 363.

400 FLACH, Ortsgruppengründungen, 1968, 4.

401 FLACH, Ortsgruppengründungen, 1968, 15.

402 VITÁRI, Volksbund, 2015, 138.; BANK – ŐZE, Német, 2005, 55.

403 VITÁRI, Volksbund, 2015, 146.; BANK – ŐZE, Német, 2005, 60.

404 ERDMANN, Deportálás, 1990, 6.; ERDMANN, Schuldlos, 2016, 23.

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In Mezőberény war die Aktivität des Volksbunds intensiv, die Ortgruppe wurde 1940 gegründet und die Mitgliedszahl wuchs rasch auf über 500 Personen an. Sie unterhielt einen eigenen Kindergarten und ab 1943 eine Schule. Diese Fakten können jedoch damit relativiert werden, dass die „Bundisten” vor dem sowjetischen Einmarsch flüchteten, andererseits in der Gemeinde auch die Treubewegung aktiv war, ihre Mitgliedszahl von etwa 2.000 Personen überschritt mehrfach die des Volksbundes. 405 Über den Volksbund in Gyoma sagte die örtliche Kommunistische Partei auf einer Sitzung des Nationalkomitees 1945 folgendes: „In Gyoma leben cca 1070 deutschstämmige Personen, davon konnten mit der Großglocke nur 43 Personen für den Volksbund gewonnen werden”. 406 Obwohl dieser Äußerung – ohne den Kontext zu kennen – nur begrenzt Bedeutung beizumessen ist, hat sie dennoch Aussagekraft, da die Kommunistische Partei 1945 die Deutschen von Gyoma verteidigte. Die Äußerung erfolgte im Zusammenhang mit der Rückführung der in die Sowjetunion Deportierten.

Aktiv war der Volksbund ferner in Elek, die Eleker stellten die lokalen Behörden oft als Gegenpol zu den assimilierten Deutschen von Gyula dar. Die Gemeinde war aber ebenso eine Hochburg der Treuebewegung.407 Weitere Filialen und Ortsgruppen aus anderen Ortschaften sind nicht bekannt.

Der Mangel an größeren dokumentierten Konflikten408 kann natürlich bedeuten, dass die bisherigen diesbezüglichen Forschungen nicht gründlich genug waren.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Tätigkeit der hiesigen deutschen Organisationen geringer ausfiel als in anderen Regionen. Als ein weiterer Faktor ist anzuführen, dass die ungarischen Behörden hier toleranter und nachsichtiger waren als in anderen Teilen Ungarns. Der Grund dafür war die ethnische Heterogenität des südöstlichen Landesteils.

An der „neuen” rumänischen Grenze beobachteten die ungarischen Behörden die Tätigkeit der rumänischen Minderheit, deren „Illoyalität” sich nach dem Ersten Weltkrieg bereits „bestätigte”, kritischer als die der Deutschen. Genauso nahmen sie die

405 Vgl. dazu KÖRÖSI, Mit vétettem, 2016, 26–27.

406 MNL BéML XVII. 18. Dossier 1. Ohne Datum.

407 Vgl. dazu FEHÉR, A bonyhádi, 1983, 26.; SEEWANN, Geschichte, Band 2., 2012, 292.;

SPANNENBERGER, Magyarországi, 2005, 357.

408 Außer der Gemeinde Elek, wo 1937 die Deutschfeindlichkeit der ungarischen Behörden zu einem Vorfall führte. In der Nacht riss ein Betrunkener die ungarische Fahne von einem Gebäude. Am nächsten Tag verhörte die Gendarmerie 150 Schwaben, die auch brutal verprügelt wurden. Ferner wurden sie damit beschuldigt, dass sie die Internationale sangen und kommunistisch gesinnt waren. Siehe dazu:

SEEWANN, Geschichte, Band 2., 2012, 270.

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Gruppe der Slowaken wahr, die wegen des ungarischen Widerstands während der ganzen Zwischenkriegszeit es nicht geschafft hatten, eine kulturell-politische Organisation in Békéscsaba zu gründen.409

Das Beziehungssystem zwischen den ungarischen Behörden und der deutschen Minderheit wirkte sich sowohl auf den Verlauf der Deportation als auch auf die betreffenden ungarischen Maßnahmen aus.