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5. Die Region Nordostungarn

5.3 Ethnische Struktur und Konflikte

Nordostungarn ist traditionell kein ungarndeutsches Siedlungsgebiet, obwohl der Landesteil im 18. Jahrhundert mehrere Einwanderungswellen erlebte. Ähnlich wie in Békés-Csanád, gerieten Siedler aus dem deutschen Sprachgebiet hierher im Rahmen von privaten Ansiedlungsaktionen seitens der Magnaten. In das Komitat Zemplén kamen deutsche Siedler nach Rátka, Károlyfalva und Hercegkút547 im Jahre 1754, die sich auf den Gütern von Graf bzw. Herzog Johann Leopold Donat von Trautson niederließen.548

547 Die Gemeinde wurde lange Trauczonfalva genannt, der deutsche Name ist bis heute Trautsondorf.

548 SEEWANN, Die Geschichte, Band 1., 2013, 163.

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Im Komitat Szabolcs organisierte die Familie Kállay von Nagykálló Ansiedlungen, so kamen Deutsche im 18. Jahrhundert nach Napkor, Pócspetri und Rakamaz.549 Deutsche Einwohner wurden in den damaligen Konskriptionen auch in Újvencsellő registriert;

diese Gemeinde war während des Rákóczi Aufstands entvölkert und danach von der Dessewfy Familie erworben worden, die 1785 deutsche Siedler in die Gemeinde rief.550 Die Sathmarer Schwaben wurden von der Familie Károlyi angesiedelt, damit begann Graf Sándor Károlyi 1712. Seine Nachfahren siedelten bis Mitte des 19. Jahrhunderts Deutsche an.551 In der heutigen Karpato-Ukraine organisierte die Familie Schönborn die Ansiedlung von Deutschen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus der Umgebung von Frankfurt-Main, denen später Siedler aus Niederösterreich, ferner Slowaken und Tschechen folgten.552

Der Ansiedlung folgten Binnenmigrationen, deshalb wohnten in vielen weiteren Gemeinden Personen deutscher Abstammung. Ein zusammenhängendes deutsches Siedlungsgebiet enstand in der Region jedoch nicht, weswegen im 20. Jahrhundert Assimilation und Magyarisierung weit fortgeschritten waren.

Bei der Untersuchung der Statistiken (siehe Tabelle 3. und 4. im Anhang), besonders der Angaben zur Muttersprache im 20. Jahrhundert, ist der Mangel an Bevölkerung mit deutschem Bekenntnis auffällig. In den Statistiken taucht in mehreren Gemeinden eine kleine Gruppe deutscher Muttersprachler auf, der Anteil solcher Personen überschritt jedoch nirgendwo 5% der Gesamtbevölkerung. Die einzige Ausnahme war Károlyfalva im Jahr 1920, wo sich 392 Personen (82%) zur deutschen Muttersprache bekannten.

Bereits 1930 jedoch verschwand die Bereitschaft, sich zu dieser Sprache zu bekennen, lediglich 92 Personen (17%) waren damals statistisch gesehen deutsche Muttersprachler. Ähnliche Tendenzen lassen sich im Vergleich mehrerer Volkszählungen auch in anderen Gemeinden beobachten. In Mérk lebten 1920 noch 124 deutsche Muttersprachler (4%), 1930 bekannte sich niemand mehr zu dieser Sprache.

Im Nachbardorf Vállaj gab es bereits 1920 keine deutschen Muttersprachler. Das hängt in diesen zwei Fällen wahrscheinlich mit dem generellen Phänomen bei den Sathmarer

549 SEEWANN, Die Geschichte, Band 1., 2013, 163.

550 Siehe dazu die Homepage der Gemeinde: http://www.gavavencsello.hu/gavavencsello/tortenelem (Abruf: 13. 5. 2018)

551 SEEWANN, Die Geschichte, Band 1., 2013, 163.

552 SEEWANN, Die Geschichte, Band 1., 2013, 163–164.

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Schwaben zusammen, die im Vergleich mit anderen deutschen Siedlungsgebieten schon früh assimiliert waren.553

Eine beträchtliche Anzahl von Deutschen lebte in der Umgebung von Miskolc, die in der Metallindustrie tätig waren. In den Angaben der Volkszählung von 1920 waren in Diósgyőr 495 Personen deutschsprachig, 1930 sank diese Zahl auf 323, 1941 auf 135 Personen,554 während die Bevölkerungsanzahl der Gemeinde stätig wuchs.

Interessant ist in den Statistiken, dass die traditionellen „schwäbischen” Gemeinden, die auch in zeitgenössischen Quellen als solche dargestellt wurden, statistisch gesehen jedoch keine „Schwabendörfer” waren. In Hercegkút, Rakamaz oder Rátka bekannten sich nur einige Personen zur deutschen Muttersprache, laut den Statistiken waren diese jedoch von Ungarn bewohnte Gemeinden, wie alle andere Ortschaften in der Umgebung. Einige Elemente der deutschen Identität blieben jedoch auch in diesen Gemeinden erhalten (Bräuche, Familiennamen). Das zeigt, welche unterschiedliche Formen des „Deutsch-Seins” in Ungarn nebeneinander existierten – die jedoch im Verlauf der Deportation allesamt nicht berücksichtigt wurden.

Ein bemerkenswertes Beispiel dafür war Balmazújváros.555 Laut den Statistiken lebte in der Gemeinde keine deutsche Bevölkerung. Auch die Identität und das Selbstbewusstsein der Einwohnerschaft war stark den Ungarn in der Hajdúság angepasst, obwohl die Einwohner von Balmazújváros über ihre deutsche Abstammung Bescheid wussten.556

Interessant ist auch, dass ein großer Teil der Bevölkerung, der wahrscheinlich doch deutschsprachig war, diesen Umstand nur bei der amtlichen Volkszählung nicht zugab.

In Hercegkút z. B. bekannte sich keine Person 1941 offiziell zur deutschen Muttersprache, im Rahmen dieser Erhebung wurde jedoch nach Sprachkenntnisse

553 Siehe dazu: ROŞU, Răzvan: Zur Identität der Sathmarer Schwaben. In: Zeitschrift für Balkanologie.

Bd. 51. Nr. 2. (2015). 236–253.; SZILÁGYI, Levente: A deportálások emlékezete és a múlt feldolgozásának alakzatai a szatmári sváboknál. In: CSIKÓS, Gábor – KISS, Réka – Ö. KOVÁCS, József (Hg.) Váltóállítás. Diktatúrák a vidéki Magyarországon. MTA – NEB, Budapest, 2017, 323–342, hier 326–327.

554 KUNT, A málenkij, 2017, 47.

555 Aktuell ist in Balmazújváros ein Zuwachs von Personen zu beobachten, die sich als Deutschen bekannten. Siehe dazu: TÓTH, Ágnes – VÉKÁS, János: A magyarországi németek disszimilációjának területi jellemzői. In: Demográfia, 2016. Jg. 59. Nr. 1. 89–119.

556 Siehe dazu ein Brief aus Balmazújváros, in dem eine Frau aus der Gemeinde die Rote Armee um die Freilassung der Deportierten bat. Sie argumentierte auch, dass die Einwohner seit 200–300 Jahren in Ungarn lebten, also nicht als Deutschen zu betrachten wären. Publiziert von: STARK, Akkor, 2017, 96.

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ebenso gefragt, und 855 Personen von den 1.123 Einwohner der Gemeinde teilten in dieser Form mit, dass sie der deutschen Sprache mächtig waren.557

In der Region lebten auch andere ethnische Minderheiten, die sich ebenso wie die Deutschen, in den Statistiken nicht zu solchen bekannten. In den Gemeinden an der Grenze tauchen in den Statistiken nur einige Personen slowakischer Muttersprache auf, Slowaken gab es außerdem in Ózd und unter der Arbeiterschaft der Eisenindustrie in Diósgyőr. Ferner waren in einigen Gemeinden Personen in der Kategorie „Sonstige” (z.

B. Makkoshotyka) zu finden, die wahrscheinlich Zigeuner waren, die aber statistisch gesehen trotz ihrer ziemlich hohen Anzahl keine eigene Kategorie darstellten.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich in der nordöstlichen Region Ungarns die absolute Mehrheit der Bevölkerung zum Ungarntum bekannte. Statistisch gesehen sind hier unter den Gemeinden, die von der Deportation betroffen waren, keine

„Schwabengemeinden” zu finden.

In Anbetracht dieser Tatsachen ist nicht überraschend, dass deutsche kulturell-politische Bewegungen und Organisationen in dieser Region kaum zu finden waren. Der Ungarländische Deutsche Volksbildungsverein hatte in diesem Gebiet gar keine Ortsgruppen. Im Zusammenhang mit der Gemeinde Nádudvar taucht ein Fall einer Ortsgruppengründung auf, wahrscheinlich handelte es sich jedoch nicht um diese Gemeinde im Komitat Hajdú, sondern um die von Deutschen bewohnte Gemeinde ähnlichen Namens (Nemesnádudvar) im Komitat Pest-Pilis-Solt-Kiskun.558

Der Volksbund der Deutschen in Ungarn erzielte in Nordostungarn ebenso nur bescheidene Ergebnisse: Er hatte in den größeren Städten, in Miskolc und in Debrecen je eine Ortsgruppe, ferner in Rátka und in den beiden Gemeinden der Sathmarer Schwaben. In Mérk und Vállaj kamen diese Gründungen wahrscheinlich durch den Zweiten Wiener Schiedsspruch zustande. Als das Siedlungsgebiet dadurch wieder vereinigt wurde, waren die Deutschen in Ungarn damit konfrontiert, dass die deutsche Volksgruppe in Rumänien viel organisierter und selbstbewusster war als sie. Mit den Ortsgruppengründungen schlossen sich Mérk und Vállaj der großen Gemeinschaft an.

Im Fall der Sathmarer Schwaben war nach dem Wiener Schiedsspruch das Phänomen

557 Vgl. dazu DÁNYI, Dezső: Az 1941. évi népszámlálás. Band 3/a. Anyanyelv, nemzetiség, nyelvismeret. KSH, Budapest, 1983, 64.

558 Vgl. dazu SPANNENBERGER, A magyarországi, 2008, 139. Der deutsche Name der Gemeinde Nemesnádudvar ist Nadwar, wahrscheinlich wurde dieser nicht richtig übersetzt.

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zu beobachten, dass sie die Bestrebungen zum Schutz ihrer deutschen Identität intensivierten, weil ihr Anschluss an Ungarn die Gefahr heraufbeschwor, dass die ungarische politische Elite den Magyarisierungsdruck der Dualismuszeit wieder verstärken würde.559

Die Volksbund-Gründung in Vállaj fiel damals der Einwohnerschaft auf, darauf weist der Bericht des katholischen Dekans der Gemeinde, Pál Róth, vom 17. Juli 1945 hin.

Denn er wandte sich an den Gemeindevorstand und protestierte dagegen, dass

„unbesonnene Personen die Vállajer für nicht gleichrangige und gleichwertige Ungarn halten”.560 Er relativierte die Tatsache, dass einige Personen Volksbund-Mitglieder waren und ihre Kinder die Volksbund-Schule besuchten damit, weil sie das nur

„aufgrund finanzieller und anderer Versprechen” und „nach lebensgefährlichen Drohungen der Volksbund-Leiter” taten, die Einwohnerschaft jedoch zäh an ihrem Ungarntum festhielte und sich gegen die Volksbundgruppe der Deutschen wenden würde. Der Gemeindevorstand griff die Proteste auf, und beschloss einstimmig, die Einwohner von Vállaj in Schutz zu nehmen, „damit die ungarische Gesinnung vom Großteil der Vállajer Einwohnerschaft von niemandem in Frage gestellt wird”.

Geografisch deckte das „Gebiet Sathmar und Oberungarn” der Deutschen Jugend sich mit den Komitaten der Deportationsregion Nordostungarn, Ortsgruppen wurden jedoch ausschließlich in Rátka und in Miskolc gegründet,561 die anderen befanden sich in Gemeinden, die nach 1945 nicht mehr zu Ungarn gehörten.562

Über die Tätigkeit des Volksbundes und den daraus entstandenen Konflikte sind keine Dokumente erhalten – es ist wahrscheinlich mehr als eine vage Vermutung, dass es in dieser Region nichts zu dokumentieren gab. Auf Konfliktfälle wurde weder in der Fachliteratur noch in den kirchlichen Quellen oder in den Ortsmonographien hingewiesen. Das konfliktlose Zusammenleben wirkte sich positiv auch auf das Verhältnis zwischen ungarischen Behörden und lokaler Bevölkerung aus.

Angesichts der Tatsache, dass es kaum Personen in der Region gab, die sich als Deutsche bekannten, lässt sich ihre Deportation als „deutschstämmige Zivilisten” nur

559 SPANNENBERGER, Der Volksbund, 2005, 258–259.

560 MNL SZSZBML V. B. 235. Band. 6. Protokolle der Gemeindeversammlungen von Vállaj 1945–1949.

Protokoll der Sitzung vom 17. Juli 1945. 17/1945.

561 VITÁRI, Volksbund, 2015, 138.

562 VITÁRI, Volksbund, 2015, 149–150.

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schwer erklären. Umso interessanter ist, dass während und nach ihrer Deportation, z. B.

in den Anträgen auf Rückführung der Deportierten die ungarischen Behörden jedoch einige Personen als „Deutsche”, als „Personen, die deutsch gesinnt waren”

bezeichneten, und diese Personen als politisch unzuverlässige Elemente einstuften, die der Rückführung nicht würdig wären. Es handelte sich jedoch um Personen, die sich in den meisten Fällen nicht als Deutsche identifizierten, sie wurden also durch Zuschreibung von anderen Personen diskriminiert und deportiert.

5.4 Die Durchführung der Deportation

Die Aktenlage zur Deportation in der Region ist leider quantitativ recht unterschiedlich.

Von der Region Békés-Csanád ausgehend kommt die Frage auf, woher die sowjetischen Akteure wussten, in welchen Gemeinden „deutschstämmige” Personen lebten und wo eine Deportation durchgeführt werden konnte und sollte. In Nordostungarn ist keine Spur von einer allgemeinen Konskription für die Sowjets zu finden. Eine solche fand höchstwahrscheinlich nicht statt, weil sich die Kämpfe und die sowjetische Eroberung der Region verzögerten und eine gründliche Vorbereitung der Deportation unter diesen Umständen in den meisten Komitaten hier nicht möglich war. Konskriptionen konnten nur auf den unteren Ebenen erfolgen.

Da aus mehreren Gemeinden der Region Menschen als „Deutsche” in die Sowjetunion deportiert wurden, die keiner möglichen Definition einer „deutschen Abstammung”

entsprachen, ist die Vermutung naheliegend, dass bei der Deportation überhaupt nicht selektiert wurde. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass den sowjetischen Akteuren gleichgültig war, wen sie als „Deutsche” mitnahmen. Wäre es so gewesen, dann hätten sie in allen Gemeinden und Regionen Ungarns eine Deportation durchführen können, was jedoch nicht der Fall war. Warum hier die Deportation unterschiedlicher ablief als in anderen Landesteilen, kann nur durch die Analyse der regionalen bzw. örtlichen Verhältnisse beantwortet werden.

Eine gewisse Selektion lässt sich dahingehend beobachten, dass die Deportation außer in Károlyfalva in allen Gemeinden (Mérk, Vállaj, Rátka, Hercegkút) durchgeführt

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wurde, in denen äußere Merkmale einer deutschen Identität (deutscher Sprachgebrauch und zahlreiche deutsche Familiennahmen) wahrnehmbar waren. Die sowjetischen Kommandanten hatten also gewisse Informationen darüber, welche Gemeinden als

„Schwabendörfer” in der Region galten. Solche Auskünfte konnten nur von ungarischer Seite stammen.

Besonders interessant ist unter diesem Aspekt der Fall von Balmazújváros, wo solche äußere Merkmale (oder auf jeden Fall ein deutscher Sprachgebrauch) überwiegend nicht greifbar waren. Die Sowjets erfassten jedoch auch diese Gemeinde und deportierten eine außergewöhnlich hohe Anzahl von Zivilisten, während die meisten Gemeinden der Region unversehrt blieben. Jemand betrachtete die Einwohner von Balmazújváros also doch als Deutsche und informierte darüber die sowjetischen Akteure, wo sie

„deutschstämmige” Zivilisten in dieser Region zu suchen hatten. Diese Information war plausibel für die Rotarmisten, die in Balmazújváros tatsächlich Hunderte von Personen mit deutsch klingendem Namen fanden. Dieser Fall wirft die Frage auf, wie sowjetischerseits die anderen betroffenen Gemeinden, wie Nádudvar ausgewählt und erfasst wurden und ob es nicht eine Denunziation war, die zur Deportation führte.

Ein weiterer wichtiger Faktor war, dass in der Region mehrere, mindestens zwei größere Wellen der Deportation aufeinander folgten.

1. Die erste Aktion begann Anfang Januar 1945, als die sowjetischen Akteure in einigen Gemeinden Zivilisten auswählten und diese noch in der ersten Hälfte des Monats abtransportierten. Deportationen geschahen im Rahmen dieser Welle in Gemeinden der Komitaten Hajdú, Bihar, Zemplén und Szatmár.

So war das in Balmazújváros, in Hajdúnánás und Nádudvar, wo die Deportierten zuerst im Schloss Semsey in Balmazújváros interniert wurden und von dieser Sammelstation später über Debrecen in die Sowjetunion abtransportiert wurden. Parallel dazu wurde in Hercegkút am 2. Januar verkündet, dass sich die Einwohner zur Arbeit melden sollten.

Sie wurden zu Fuß über Sárospatak, Tokaj und Nyíregyháza nach Szaniszló begleitet, wo sie zusammen mit den Sathmarer Schwaben einwaggoniert und in die Sowjetunion transportiert wurden.563 Obwohl die Methoden der Selektion bei dieser ersten Deportationswelle bereits fraglich waren, ist jedoch unumstritten, dass eine Selektion

563 NAÁR, Szülőfalunk, 2015, 33–38.

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sowjetischerseits stattfand – ihre Befehlshaber suchten strikt nach Personen deutscher Abstammung.

Diese erste Welle der Deportation Anfang Januar 1945 ist mangelhafter dokumentiert als die zweite. In den Akten der Komitate Hajdú und Bihar sind fast alle Unterlagen nachträglich angelegt worden. Die Frage lässt sich deswegen nur schwer beantworten, ob die Auswahl der betroffenen Gemeinden anhand einer Konskription erfolgte wie in Békés-Csanád.

Auskunft dazu gibt die Dokumentation einer Ortschaft, in der keine Deportation stattfand. Am 9. Januar 1945 wies der Bürgermeister von Hajdúszoboszló den Vorstand der Großgemeinde Tetétlen an, ein Verzeichnis über die Personen zu erstellen, die deutschstämmig waren. In die Liste sollten „alle deutschstämmigen Männer von 18 bis 45 Jahren und alle Frauen von 18 bis 30 Jahren, unter deren Vorfahren deutschstämmige Ahnen sind”564 eingetragen werden. Die Frist war am Abend des gleichen Tages, deshalb antwortete die Gemeindeleitung von Tetétlen noch am selben Tag dem Bürgermeister, dass es „in Tetétlen keine deutschstämmige Personen (in den genannten Jahrgängen) gibt”. Der sowjetische Kommandant nahm anscheinend diesen negativen Bericht zur Kenntnis, aus Tetétlen wurde daher niemand als

„deutschstämmig” deportiert. Der Fall zeigt zugleich, dass die Sowjets die Angaben ungarischer Behörden berücksichtigten.

Ähnlich begann die Deportation in der Gemeinde Nádudvar, worüber die Eingabe des Gemeindevorstands an den Außenminister berichtet. In Oktober 1945 bat er zusammen mit der kommunistischen Partei um Rückführung der Betroffenen. Nach diesem Bericht erteilte am 2. Januar 1945 der sowjetische Befehlshaber die Anweisung über „die Vorführung von 200 Personen, die deutschstämmig sind”.565 Nach einer gewissenhaften Untersuchung erstattete der Gemeindevorstand ebenfalls einen derartigen Bericht, dass

„es in Nádudvar keine deutschsprachigen oder deutschstämmigen Personen gibt, da gerade die Hajdúság sich auf ihr reines Ungarntum berufen kann”.

Was dann genau passierte, geht aus dem Bericht nicht klar hervor: Die Sowjets akzeptierten diese Meldung wahrscheinlich nicht – sie mussten also bereits über andere Auskünfte über die Abstammung der Nádudvarer verfügen. Deshalb übten sie Druck

564 MNL HBML V. 671. C. 8/1945.

565 MNL HBML V. 656. C. 2678/1946.

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auf die Gemeindeleitung von Nádudvar aus, wie sie dabei vorgingen ist jedoch nicht bekannt. Bekannt sind nur die Folgen. „Die Durchführung des Befehls erfolgte also, infolgedessen waren mehrere Personen betroffen”. Laut dem Bericht versuchten die ungarischen Behörden öfter zu intervenieren, um diese Personen entlasten zu können,

„68 Personen wurden jedoch mitgenommen, und soweit wir wissen, nach Russland zu Aufbauarbeiten gebracht, obwohl sie nie deutschstämmig waren”. In den weiteren Teilen des Berichtes rechtfertigte sich die Gemeindeleitung von Nádudvar wegen der Auslieferung dieser Personen, die sie mit der damaligen schwierigen Kriegslage begründeten. Ihres Erachtens „hätten, egal, von wem die Gemeinde geleitet worden wäre, alle so gehandelt, weil den Befehl der kämpfenden Truppen kein normal Sterblicher kritisieren durfte”. Diese Argumentation übernahmen auch die Kommunisten und diese Selbstrechtfertigung blieb ein Bestandteil aller späteren Eingaben des Gemeindevorstands von Nádudvar.

Sie verschwiegen jedoch, auf welcher Grundlage sie genau diese 68 „Urungarn”

(ősmagyarok) ausgewählt hatten, die letztendlich von den Sowjets deportiert wurden, sofern diese keine Deutsche waren, wie die restlichen Einwohner der Gemeinde. Die Behauptung, dass „sie nie deutschstämmig waren” ist ebenfalls interessant, weil sie darauf schließen lässt, dass für die Gemeindeleitung von Nádudvar die Abstammung keine objektive Kategorie bedeutete, sondern ein veränderlicher Faktor, ein Verhaltensmuster. Die Abstammung kann jedoch kein solches sein, nur der Umgang mit dieser, was die ungarischen Behörden anscheinend nicht begreifen wollten.

In der Angelegenheit der Rückführung der Deportierten taucht das Argument auf, dass

„seit damals das demokratische Ungarn seine wahren Feinde fand”. So baten sie den Außenminister zu intervenieren, dass „die weiblichen und männlichen Gefangenen, die während des Kriegszustands zur Arbeit ausgeliefert wurden, jetzt mit staatsfeindlichen Faschisten ausgetauscht werden sollten”. Die ungarischen Behörden suchten hier eine Möglichkeit, die Deportation durch die Rote Armee zur Beseitigung und Bestrafung politischer Gegner auszunutzen.

In der Region berichteten die Zeitzeugen auch darüber, dass sie anhand irgendwelcher Listen persönlich gesucht und über ihre Meldepflicht informiert worden waren. So wurden Margit Hajzer und ihre Brüder in Berettyóújfalu von einem sowjetischen Akteur und einem Dolmetscher am 3. Januar 1945 persönlich zur Sammelstelle bestellt, um

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sich dort zu melden, um danach ins Lager in Balmazújváros begleitet zu werden.566 Dort wurde ihnen mitgeteilt, dass sie in die Sowjetunion gebracht werden sollten.

Zeitzeugen von Balmazújváros berichteten auch über eine Konskriptionsaktion, sie beschrieben aber unterschiedlich, wer diese durchführte. Einige Personen erzählten von

„lokalen Polizaren”, die von Haus zu Haus gehend Listen erstellten,567 andere beschuldigten die „lokalen, selbsternannten, provisorischen Gemeindeleiter”,568 wieder andere wurden von „russischen Soldaten und ungarischen Polizisten mit Armbinden”

abgeholt,569 die sie und ihre Familienmitglieder im festgesetzten Alter namentlich gesucht hatten. Dies macht deutlich, dass die Sowjets von dritter Seite über die deutsche Abstammung der Einwohner informiert wurden, und jemand eine Liste über die

„Deutschen” erstellte. Eine Selektion fand also statt, auch wenn die Kriterien dabei sehr fraglich waren.

Im Sammellager von Balmazújváros hielten die sowjetischen Akteure wahrscheinlich nicht mehr geheim, welches Schicksal die Gefangenen erwartete. Darauf lassen die Protokolle schließen, die am 9. Januar 1945 mit Personen aufgenommen wurden, die später deportiert wurden.570 In diesen beauftragten die „schwäbisch stämmigen Einwohner von Balmazújváros” ihre Bekannten und Verwandten mit der Betreuung ihrer Mobilien und Immobilien. Das wäre kaum notwendig gewesen, wenn sie angenommen hätten, dass sie nur zu einer „kleinen Arbeit” abgeordnet werden sollten.

Über eine Deportation Anfang Januar wurde auch aus der Gemeinde Hercegkút im Komitat Zemplén berichtet. Der dortige Vorgang wurde anhand von Zeitzeugenberichten rekonstruiert, denn Archivmaterialien stehen über die Gemeinde dazu nicht zur Verfügung.571 Laut dieser Schilderung ließen die sowjetischen Akteure um Weihnachten 1944 eine Konskription von den ungarischen Behörden durchführen, in das Verzeichnis wurden alle „arbeitsfähigen Einwohner” aufgenommen. Am 2.

Januar umzingelten Soldaten das Dorf und der Kleinrichter musste austrommeln, dass

Januar umzingelten Soldaten das Dorf und der Kleinrichter musste austrommeln, dass