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Die Frage der Reparationen am Ende des Zweiten Weltkriegs

2. Vorgeschichte, Kontext

2.2 Die Frage der Reparationen am Ende des Zweiten Weltkriegs

Nach der Darstellung des institutionellen Rahmens der Zwangsarbeit in der Sowjetunion ist bei der weiteren Kontextualisierung darauf einzugehen, warum der Staat Stalins nach Beendigung des Krieges auf Zwangsarbeit angewiesen war und wie

137 OSTERLOH, Die Lebensbedingungen, 2007, 179.; HILGER, Deutsche, 2006, 117.; VARGA, Magyarok, 2009, 247.

138 HILGER, Deutsche, 2006, 118.; HILGER, Deutsche, 2000, 194.

139 TJURINA, Die Rolle, 1999, 275.

140 Ld. HILGER, Deutsche, 2000, 224.; KARNER, Im Archipel, 1995, 94–104.

141 HILGER, Deutsche, 2006, 127.

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er die stillschweigende Zustimmung der Alliierten dazu erhielt. Dieses Moment ist unter dem Aspekt der Verantwortung von Bedeutung.

Genaue und zuverlässige Angaben über die Verluste der Sowjetunion während der Kriegsjahre sind wenige zu finden. Sie waren aber zweifelsohne erheblicher als die der meisten besiegten Staaten. Nicht gänzlich unberechtigt wird die Sowjetunion von einigen Autoren als „arme Sieger” 142 und sogar als „Verlierer des Krieges”

bezeichnet.143 Auch wenn Stalin 1946 über sieben Millionen Tote berichtete, war diese Zahl deutlich höher, nämlich zwischen 20 und 29 Millionen Personen.144 Darunter sind nicht nur die gefallenen Soldaten, sondern auch ermordete Zivilisten, Opfer der

„Verbrannten-Erde-Taktik” und Personen, die aufgrund der inneren Säuberungen, der Epidemien und des Hungers ihr Leben verloren. All dies führte zu einem immensen Arbeitskräftemangel, der auch dadurch verstärkt wurde, dass die Rote Armee am Ende des Krieges 11 Millionen Mitglieder zählte und die Demobilisierung bis Ende 1948 andauerte.145

Die Lage wurde auch durch fehlerhafte Verwaltungstätigkeiten verschlechtert. Zum Beispiel hätten die Hungerjahre 1946/1947 vermieden werden können, die durch die Dürre im Sommer 1946 im europäischen Landesteil ausgelöst wurden. In Sibirien hingegen war die Ernte besser und durch eine angemessene Verteilung wäre die Katastrophe vermeidbar gewesen.146 Die Versorgung des europäischen Gebietes war aber durch die während der Kriegsjahre zerstörte Infrastruktur erschwert. Der deutsche Angriff war mit einer radikalen Zerstörung verbunden: 25 Millionen Personen wurden obdachlos, etwa 1.700 Städte und 70.000 Dörfer, 32.000 Industriebetriebe, 65.000 km Schienenwege waren zerstört, die Kriegsschäden betrugen ca. 679 Milliarden Rubel.147 Die Lage wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass der Industrie ein hoher Stellenwert im System beigemessen wurde. Deshalb wurden zum Wiederaufbau die Arbeitskräfte

142 PENTER, Kohle, 2010, 301.

143 FILTZER, Donals: Soviet Workers and Late Stalinism. Labour and the Restoration of the Stalinist System after World War II. Cambridge University Press, Cambridge, 2002, 13.

144 ZUBKOVA, Elena: Russia after the War. Hopes, Illusions and Disappointments 1945–1957. M. E.

Sharpe, Armonk–London–New York, 1998, 20.; KARNER, Im Archipel, 1995, 137.

145 ZUBKOVA, Russia, 1998, 22.

146 Ebenda, 39–40.

147 KARNER, Im Archipel, 1995, 137.; HARRISON, Mark: Accounting for War. Soviet production, Employment and the defence Burden 1940–1945. Cambridge University Press, Cambridge, 1996, 155.

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dem Agrarsektor entzogen, wodurch die Verpflegung der Bevölkerung mit Lebensmitteln nicht mehr gewährleistet war.148

Infolgedessen war die Sowjetunion in den Nachkriegsjahren mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert. Auch die nächsten Jahr(zehnt)e waren nicht friedlich und verschärften die Lage. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre brach Stalin mit den westlichen Siegermächten und rief den sozialistischen Ostblock ins Leben. Das Wirtschaftsleben der Sowjetunion war von Kollektivierung, Zwangsindustrialisierung und Rüstungswettlauf geprägt, obwohl dafür weder die finanziellen noch die Humanressourcen vorhanden waren. Diese Kombination führte verstärkt zum Einsatz der Zwangsarbeit.

Diese Probleme waren teils bereits vor Kriegsende vorhersehbar, deshalb begann die Sowjetführung schon früh mit der Planung des Wiederaufbaus – zu diesen Plänen gehörte der Einsatz ziviler Arbeitskräfte aus den besiegten Staaten. Die Pläne verfolgten vier Ziele: militärisch (Vermeidung von bewaffnetem Widerstand), politisch (Wiedergutmachung), juristisch (Bestrafung des Feindes und Vergeltung wegen der Verschleppung der sog. Ostarbeiter, von sowjetischen Staatsbürgern ins „Dritte Reich”) und wirtschaftlich.149 Das Staatliche Verteidigungskomitee (Gosudarstvennyij Komitet Oborony, GKO) begann 1940 mit der Planung der „Zwangserhebungs – und Internierungsmaßnahmen”, damals jedoch nur innerhalb der Sowjetunion.150

Die Idee des Einsatzes deutscher Arbeitskräfte als Reparation kam aus Großbritannien.

Der Diplomat William Mulkin entwarf ein Konzept über den Arbeitseinsatz von drei Millionen Mitgliedern der NSDAP, der Gestapo, der SS und der Wehrmacht, teils in den von ihnen zerstörten Ländern, teils im eigenen Territorium der Siegermächte.

Stattdessen wurde aber die finanzielle und materielle Reparation bevorzugt und das Konzept wurde nicht angenommen.151

148 FILTZER, Soviet, 2002, 14.

149 POLJAN, Against, 2004, 242. Zum Thema Reparationsleistungen von Ungarn für die Sowjetunion siehe noch: BORHI, László: A vasfüggöny mögött. Magyarország nagyhatalmi erőtérben. Ister, Budapest, 2000, 9–31.

150 POLJAN, Pavel: „Westarbeiter”. Internierung, Deportation und Ausbeutung deutscher Zivilisten aus Europa in der UdSSR. In: EIMERMACHER, Karl - VOLPERT, Astrid (Hg.): Verführungen der Gewalt.

Russen und Deutsche im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Fink Verlag, München, 2005. 1261–1297, hier 1267.

151 POLJAN, Westarbeiter, 2005, 1268.

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Seitens der Sowjets tauchte das Thema erst am 9. Oktober 1943 auf, in einer Notiz des stellvertretenden Volkskommissars für Äußere Angelegenheiten, Maxim M. Litwinow, die er zur Vorbereitung der Moskauer Außenministerkonferenz und des Gipfeltreffens der Alliierten im November verfasste.152 Zur Klärung der Frage der Wiedergutmachung wurde in der Sowjetunion eine Sonderkommission Anfang November 1943 eingerichtet, die von Iwan Michajlowitsch Majskij, dem stellvertretenden Volkskommissar für Äußere Angelegenheiten geleitet wurde. Majskij ging davon aus, dass die Verwendung deutscher Arbeitskräfte legitim, erwünscht und gerechtfertigt sei, weil die deutsche Seite das gleiche der Bevölkerung aus den eroberten Gebieten angetan hatte. In diesem Sinne verfasste er am 11. Januar 1944 einen Entwurf, in dem er für den Wiederaufbau den Arbeitseinsatz von mehreren Millionen Deutschen auf mindestens 10 Jahre vorschlug, um dadurch zugleich die deutsche Volkswirtschaft zu schwächen.153 Majskij zog eindeutig den Einsatz deutscher Arbeitskräfte als Reparation anderen Varianten gegenüber vor. So arbeitete er weitere, detailliertere Pläne mit konkreten Planzahlen aus und reichte diese an den Volkskommissar für Äußere Angelegenheiten, Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow weiter. Ende 1944 schlug er vor, dass alle Staaten, die vom „Dritten Reich” angegriffen und teilweise zerstört wurden, das Recht dazu haben sollten, Arbeitskräfte aus Deutschland zu beanspruchen. Im Fall der Sowjetunion rechnete er mit fünf Millionen – teils hochqualifizierten – Arbeitern für eine Dauer von 10 Jahren.154 Ihm war damals allerdings schon klar, dass Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika diese Form der Reparation ablehnten.

Sein Entwurf hätte im Rahmen der Krimkonferenz der Alliierten vom 4. und bis 11.

Februar 1945 in Jalta vorgestellt werden sollen, was letztendlich wegen unbekannter Gründe unterblieb. Stattdessen wurde nur vorsichtig auf den Anspruch der Sowjetunion auf deutsche Arbeitskräfte hingewiesen, der von den Verhandlungspartnern stillschweigend hingenommen wurde. Laut Protokoll der Sitzung vom 5. Februar warf der Präsident der Konferenz die Frage auf, welchen Plan die Sowjetunion mit den deutschen Arbeitskräften verfolgte. Stalin antwortete diplomatisch: „Wir haben einen

152 POLJAN, Westarbeiter, 2005, 1268.

153 Ebenda, 1269.

154 Ebenda, 1270.

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Plan für Reparationen in Sachleistungen, aber wir sind noch nicht so weit, um über Arbeitskräfte zu sprechen.”155

Danach befahl er Majskij, seinen Entwurf vorzustellen. Dieser thematisierte den Anspruch der Sowjetunion auf Arbeitskräfte jedoch nicht, stattdessen hob er lediglich die Notwendigkeit der Kontrolle durch die Alliierten und die Gründung einer Kommission zu Reparationsfragen hervor, ferner, dass die deutsche Schwerindustrie geschwächt werden sollte und dass die Sowjetunion schlechte Erfahrungen bezüglich der finanziellen Reparation gemacht habe.156

In das Protokoll wurde folgender neutral gehaltener Beschluss aufgenommen:

„V. Reparation

Folgendes wurde gebilligt:

1. Deutschland hat Naturalleistungen aufzubringen für die Verluste, die es im Laufe des Krieges den alliierten Ländern verursacht hat. Die Reparationen sollten in erster Linie diejenigen Länder erhalten, welche die Hauptlasten des Krieges getragen, die schwersten Verluste erlitten und den Sieg über den Feind organisiert haben.

2. Die Naturalreparation ist von Deutschland in folgenden drei Formen zu erzwingen:

a) Abtransport von Vermögenswerten aus dem nationalen Vermögen Deutschlands innerhalb und außerhalb seines Territoriums im Verlauf von 2 Jahren nach der Kapitulation Deutschlands oder der Einstellung des bewaffneten Widerstandes (Ausrüstungen, Werkzeugmaschinen, Schiffe, rollendes Material, deutsche Auslandsinvestitionen, Aktien von Industrie-, Verkehrs-, und anderen Unternehmen in Deutschland etc.). Dieser Abtransport von Vermögenswerten wird hauptsächlich zur Zerschlagung des deutschen Kriegspotentials durchgeführt.

b) Jährliche Warenlieferungen aus der laufenden Produktion für einen noch festzulegenden Zeitraum.

c) Verwendung deutscher Arbeitskräfte.”157

155 KÄMMERER, Robert (Hg.): Die Konferenzen von Malta und Jalta. Department of State USA.

Dokumente vom 17. Juli 1944 bis 3. Juni 1945. Deutsche Ausgabe. Verlag für politische Bildung, Düsseldorf, 1956, 590.

156 Ebenda, 590–592.

157 Ebenda, 901–907.

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Warum die Ausführung des Abschnitts entfiel, in dem der Anspruch auf deutsche Arbeitskräfte angemeldet wurde, ist nicht bekannt. Einerseits lehnten die Verhandlungspartner der Sowjetunion diese Form der Reparation ab. Das wurde auch dadurch bestätigt, dass auf dem nächsten Gipfeltreffen in Potsdam im Sommer 1945 das Thema nicht mehr auftauchte bzw. die amerikanische Seite die Verpflichtung zur Arbeit nur im Fall von verurteilten Kriegsverbrechern für zulässig hielt. Andererseits wurde seitens der Sowjetunion diese Frage bereits vor der Krimkonferenz entschieden: Damals arbeiteten bereits Millionen von Kriegsgefangenen in den GUPVI-Lagern. Ferner erreichten die im Rahmen der Reparationen deportierten deutschstämmigen Zivilisten aus den Ländern Mittel- und Ost-Europas Anfang Februar 1945 die sowjetischen Lager.

Stalin unterließ es absichtlich, seine Verhandlungspartner darüber zu informieren. Diese erfuhren vom Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen und von den Deportationen aus anderen Quellen. Es bleibt die Frage offen, inwieweit sie in der Frage der Arbeitsverpflichtung der Deutschen seitens der Sowjetunion die Möglichkeit gehabt hätten, Einfluss auf Stalin auszuüben, um ihn zu einem Verzicht darauf zu bewegen.

2.3 Deportationen deutscher Zivilisten aus den von der Roten Armee besetzten