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3. Minderheitenschutz in Europa

3.4. Das europŠische Minderheitenschutzregime

3.4.2. Europarat

Zu den Hauptaufgaben des Europarats gehšrt die Erarbeitung multilateraler všlkerrechtlicher VertrŠge. Mit der EuropŠischen Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 1950 (EMRK) und dem dazugehšrigen †berwachungsmechanismus des EuropŠischen Gerichtshofs fŸr Menschenrechte (EGMR) hat er beachtliche Ma§stŠbe gesetzt. Die EMRK enthŠlt jedoch nur vage Vorschriften zum Schutz von Minderheiten. Direkte ErwŠhnung finden Minderheitenrechte nur im Diskriminierungsverbot des Art. 14 und in einigen EntwŸrfen fŸr ein Zusatzprotokoll zur EMRK.157 Im Bereich des Minderheitenschutzes verdienen zwei VertrŠge des Europarats besondere Aufmerksamkeit, die EuropŠische Charta der Regional- und Minderheitensprachen und das RahmenŸbereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten.

Die EuropŠische Charta der Regional- und Minderheitensprachen ist als Ergebnis langjŠhriger BemŸhungen am 5. November 1992 zustande gekommen und seit dem 1. MŠrz

156 Vgl. Kaiser, 2005:54.

157Ein allgemeines Diskriminierungsverbot bietet das 12. Zusatzprotokoll, das im April 2005 in Kraft getreten ist und von 17 Staaten ratifiziert worden ist (Stand: 11.08.2009); verwiesen sei auch noch einmal auf den Entwurf eines Zusatzprotokolls zur EMRK in der Empfehlung 1201 (1993) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Dieser Entwurf, insbesondere die in Art. 1 enthaltene und auch von anderen internationalen Akteuren zitierte Begriffsdefinition von ãnationaler MinderheitÒ diente als bindender Ma§stab fŸr zukŸnftige Entscheidungen der Parlamentarischen Versammlung. Au§erdem wurde die Empfehlung 1201 in den bilateralen VertrŠgen zwischen Ungarn einerseits und zwischen RumŠnien, der Slowakei und Moldawien andererseits einbezogen und damit als unter den Vertragsparteien rechtsverbindlich anerkannt; die Slowakei und RumŠnien legten aber jeweils einen Vorbehalt gegen Art. 11 ein, erkannten also gerade die Selbstverwaltungsrechte nicht an; vgl. Kaiser, 2005:62.

1998 in Kraft.158 Die ãSprachenchartaÒ stellt in der chronologischen Abfolge das erste rechtlich verbindliche regionale Minderheitenschutzabkommen dar, auf das sich die Europaratsmitglieder verstŠndigen konnten.159

Die Sprachencharta behandelt mit dem sprachlich-kulturellen Bereich einen wichtigen Teil des Minderheitenschutzes, insofern Sprachen zu den wesentlichen IdentitŠtsmerkmalen vieler nationaler Minderheiten zŠhlen. Wie sich aus der PrŠambel ergibt, sollen durch die Charta die europŠischen Regional- und Minderheitensprachen geschŸtzt und gefšrdert werden, da diese Teil des kulturellen Reichtums Europas sind. Die Sprachencharta besitzt eine au§ergewšhnliche Struktur, da sie detaillierte Definitionen und Minderheitenbestimmungen mit einer gro§en Auswahlfreiheit der Teilnehmerstaaten hinsichtlich ihrer Verpflichtungen kombiniert: Bei der Ratifikation kšnnen die Staaten jene Sprachen auswŠhlen, fŸr die die Sprachencharta gelten soll. ZusŠtzlich mŸssen sie sich fŸr die Anwendung von mindesten 35 aus dem abgestuften Katalog von etwa 90 vorgeschlagenen Ma§nahmen aus den Bereichen Erziehung, Justizbehšrden, Verwaltungsbehšrden, Medien, kulturelle TŠtigkeiten, wirtschaftliches und soziales Leben und grenzŸberschreitender Austausch entscheiden (Art. 2 Abs. 2).

Dabei geht sie Ÿber den blo§en Schutz von Regional- und Minderheitensprachen hinaus und fordert auch deren aktive Fšrderung. Diese UnterstŸtzungsma§nahmen schlie§en Regeln zur positiven Diskriminierung von Sprachminderheiten mit ein. In Art. 7 Abs. 2 (Satz 2) hei§t es:

ãDas Ergreifen besonderer Ma§nahmen zugunsten der Regional- oder Minderheitensprachen, welche die Gleichstellung zwischen den Sprechern dieser Sprachen und der Ÿbrigen Bevšlkerung fšrdern sollen oder welche ihre besondere Lage gebŸhrend berŸcksichtigen, gilt nicht als diskriminierende Handlung gegenŸber den Sprechern weiter verbreiteter Sprachen.Ò

Gleichwohl haben die Vertragsstaaten hier die Mšglichkeit, einen Vorbehalt einzulegen (vgl.

Art. 21 Abs. 1). Die Sprachencharta konstituiert weder individuelle noch kollektive Minderheitenrechte, sondern stellt nur Verpflichtungen der Vertragsstaaten auf. Sie bietet damit einen Ansatz zur Fšrderung der Minderheitensprachen, die ausdrŸcklich keine

158 Vgl. Europarat (1992), EuropŠische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, ETS-No. 148, Zeichnung 5. November 1992, Inkrafttreten 01. MŠrz 1998, Text online abrufbar unter

http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/148.htm (Stand: 04.04.2011).

159 Vgl. Kaiser, 2005:63.

Diskriminierung der Mehrheit darstellt.160 Zur Kontrolle der Umsetzung ist die Sprachencharta mit einem ausgefeilten, aber relativ schwachen Berichtssystem ausgestattet - ein entsprechendes Sanktionssystem fehl allerdings.

Im Ergebnis ist die Sprachencharta ein wichtiger Baustein des europŠischen Minderheitenschutzsystems, da sie mit dem sprachlichen Bereich einen wesentlichen Teil der kulturellen IdentitŠt von Minderheiten anspricht. Zu ihren Defiziten gehšren dagegen der gro§e Spielraum der Vertragsstaaten und die geringe Kontrolle der Umsetzung. Die ErmessenspielrŠume der Staaten bei der Auswahl der Sprachen und der zu ergreifenden Ma§nahmen erlauben es den Unterzeichnerstaaten, nur ein Minimum an Verpflichtungen auszuwŠhlen, ohne damit den sprachlichen Minderheitenschutz nachhaltig zu verbessern.161 Hinzu kommt noch, dass der Ratifikationsprozess eher schleppend verlŠuft: Von den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates haben bislang erst 25 Staaten die Charta ratifiziert, acht Staaten haben sie lediglich unterschrieben, 14 Mitgliedsstaaten (darunter auch die EU-Mitglieder Belgien, Bulgarien, Estland, Griechenland, Irland, Lettland, Litauen und Portugal) haben sie nicht einmal unterzeichnet.162

Aufgrund der oben genannten Nachteile fŠllt die Beurteilung der Sprachencharta eher negativ aus: ãWeder scheint die Sprachencharta bislang in der Lage, die Sprachenvielfalt effizient zu schŸtzen, noch hat sie es bisher vermocht, eine gro§e Zahl an Staaten in den sprachlichen Minderheitenschutz einzubeziehen.Ò163 Die Ratifikation gestaltete sich auch im EU-Beitrittsprozess schwierig. Ende Februar 2004 hatten sie nur drei der MOEL (Ungarn, Slowakei und Slowenien) ratifiziert. In den Fortschrittberichten der EU wurde der Stand der Ratifikation zwar erwŠhnt, spielte aber im Vergleich zum RahmenŸbereinkommen eine weniger wichtige Rolle.164

Das RahmenŸbereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (R†), welches ab Februar 1995 zur Zeichnung (auch fŸr Nichtmitgliedsstaaten des Europarats) auslag, trat im Februar

160 Vgl. Streinz, 1996:24.

161 Vgl. Hofmann, 2006:389.

162 †bersicht der Unterzeichnungen/ Ratifikationen online abrufbar unter:

http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=148&CM=8&DF=26/11/2010&CL=GER (Stand: 26.11.2010).

163 Opitz, 2007:85.

164 Die Sprachencharta dienten im Gegensatz zur R† nur selten als Bezugspunkt fŸr die Fortschrittberichte der EU-Kommission; vgl. Sasse, 2004:72.

1998 und damit noch vor der Sprachencharta in Kraft.165 Sein Schwerpunkt liegt im grundsatzpolitischen Bereich bezŸglich des Minderheitenschutzes. Das R† verfolgte offiziell das Ziel, die politischen Verpflichtungen aus den Dokumenten der KSZE in všlkerrechtliche VertrŠge umzuwandeln. In der Ausarbeitungsphase wurden eine verbesserte Koordination der europŠischen Organisationen angestrebt und Vertreter der KSZE/OSZE und der Kommission der EG/EU miteinbezogen.

Das R† ordnet den Minderheitenschutz als Bestandteil des internationalen Menschenrechtsschutzes ein (Art. 1). Es enthŠlt nur andeutungsweise eine Definition von ãnationaler MinderheitÒ (PrŠambel, Art. 3) und auch keine direkt anwendbaren Bestimmungen. Vielmehr beschrŠnkt es sich darauf, GrundsŠtze und Prinzipien zum Minderheitenschutz aufzustellen. Die Vertragsparteien verpflichten sich zur DurchfŸhrung der Ziele, haben aber einen breiten Ermessenspielraum bei der Wahl der Mittel zur konkreten Durchsetzung. Die im Abschnitt 2 des R† genannten Prinzipien betreffen das Diskriminierungsverbot, die Versammlungs-, Vereinigungs-. Meinungs- und Religionsfreiheit. Das R† untersagt den Mitgliedsstaaten eine Assimilierungspolitik (Art. 5 Abs. 2, Art 6 R†) und enthŠlt GrundsŠtze fŸr das Bildungs- und Erziehungswesen (Art. 13f) sowie den Gebrauch von Minderheitensprachen (Art. 10f). Dabei orientiert es sich an individualrechtlichen, nicht an kollektivrechtlichen ZugŠngen zum Minderheitenschutz.166 Ma§nahmen positiver Diskriminierung werden grundsŠtzlich fŸr zulŠssig und wŸnschenswert gehalten, solange sie angemessen und verhŠltnismŠ§ig sind (Art. 4 Abs. 2 und 3). Die nationalen Minderheiten werden ihrerseits verpflichtet, die internationalen Rechtsvorschriften und die Rechte anderer Bevšlkerungsteile zu achten (Art. 20). DarŸber hinaus wird die Bedeutung der grenzŸberschreitenden Kontakte fŸr den Minderheitenschutz hervorgehoben (Art. 17, 18).

Zur Kontrolle der DurchfŸhrung des R† wurde wie schon bei der Sprachencharta bewusst kein gerichtsfšrmiges Verfahren, sondern ein System regelmŠ§iger Staatenberichte gewŠhlt.

Anhand dieser Staatenberichte sollen die beiden †berwachungsgremien, das Ministerkomitee und ein Beratender Ausschuss, die Umsetzung des R† kontrollieren (Art. 24ff).

165 Europarat (1995): RahmenŸbereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, ETS-No 157, Zeichnung 1.

Februar 1995, Inkrafttreten 03. September 1998; online abrufbar unter

http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/157.htm (Stand: 04.04.2011).

166 So fehlt etwa im Gegensatz zum Kopenhagener Schlussdokument der KSZE oder der Empfehlung 1201 (1993) der Versammlung des Europarats ein Hinweis auf ein Recht der Minderheitenangehšrigen auf eigene kommunale oder autonome Verwaltungseinrichtungen, vgl. Kaiser, 2005:68, siehe auch Hofmann, 1999:28.

Das R† hat sich politisch wie rechtlich zum wichtigsten Bezugspunkt im europŠischen Minderheitenschutzregime entwickelt. Auch im Monitoring-Prozess der EU-Erweiterung hat es als wichtiger Referenzpunkt gedient.167 Insgesamt ist das R† durchaus als deutlicher Fortschritt fŸr den regionalen Minderheitenschutzstandard zu bewerten, da es zu einer Ð wenn auch relativ schwachen Ð rechtlichen Bindung seiner Vertragspartner fŸhrt. Die Mitgliedsstaaten wurden durch den Durchsetzungsmechanismus des R† erstmals einer gewissen Kontrolle hinsichtlich ihrer Minderheitenpolitik unterworfen. Die EffektivitŠt des R† hŠngt jedoch von der Bereitschaft der Vertragsstaaten zur ErfŸllung der eingegangenen Verpflichtungen, von der sorgfŠltigen Kontrolle der †berwachungsorgane sowie von der Anzahl der Vertragsstaaten ab. Besonders in der gro§en Beteiligung der europŠischen Staaten hebt sich die R† von der Sprachencharta ab. Bisher haben 39 Staaten das R† ratifiziert, wenngleich wichtige Staaten, wie Frankreich, Griechenland, Belgien und die TŸrkei noch fehlen.168