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Das Kriterium ãMinderheitenschutzÒ im Beitrittsprozess

4. Die Minderheitenpolitik der EuropŠischen Union

4.2. Die EU-Minderheitenpolitik im Rahmen der Osterweiterung

4.2.2. Das Kriterium ãMinderheitenschutzÒ im Beitrittsprozess

Auf dem Kopenhagener Gipfel wurde mit der Entscheidung zur Osterweiterung das politische Ziel klar benannt. Die EU stand nun vor der Aufgabe, die Beitrittskriterien zu konkretisieren.

Auch bei deren Ausgestaltung orientierte sich der EuropŠische Rat an den politischen Bekenntnissen der europŠischen Staaten, die diese bereits 1990 im politischen Rahmen der

234 Der Begriff des ãgemeinschaftlichen BesitzstandesÒ ist im Vertragswerk nicht verbindlich definiert, wurde aber in Art 2 EUV erwŠhnt. Er umfasst Inhalt, GrundsŠtze und politische Ziele der VertrŠge einschlie§lich des Vertrages von Maastricht, das SekundŠrrecht und die Rechtssprechung des Gerichtshofes; die ErklŠrungen und Entschlie§ungen der Union, die Rechtsakte der Gemeinsamen Au§en- und Sicherheitspolitik, die in den Bereichen Justiz und Inneres vereinbarten Rechtsakte sowie die von der Gemeinschaft geschlossenen

internationalen Abkommen und die Abkommen, die die Mitgliedstaaten untereinander in Bereichen schlie§en, die unter die TŠtigkeit der Union fallen.

235 In solchen Aktualisierungs-Screenings erlŠutert die Kommission in bi- oder auch multilateralen Sitzungen mit den BewerberlŠndern Anforderungen bei der †bernahme und Anwendung des aktuellen acquis, und gibt Hilfestellung in solchen Feldern, in denen eine †bernahme zum Zeitpunkt des Beitritts als schwierig einzuschŠtzen ist; vgl. Lippert, 2006:123.

236 Opitz, 2007:198.

KSZE abgegeben und in minderheitenrelevanter Form im Kopenhagener Dokument der KSZE niedergelegt hatten.237

Neben der AufnahmefŠhigkeit der EU bestimmten die Kopenhagener Kriterien politische, wirtschaftliche und administrative Beitrittskriterien. Die politischen Kriterien stellen dabei einen engen Zusammenhang zwischen Demokratie und Menschenrechten beziehungsweise dem Minderheitenschutz her. Allerdings wurden die einzelnen Anforderungen des politischen Kriteriums sehr vage formuliert, so dass sie der EU, insbesondere der Kommission, einen gro§en Auslegungs- und Ermessensspielraum belie§en.

4.2.2.1. Rechtliche und politische Bedeutung

Durch den Amsterdamer Vertrag wurden 1999 nahezu alle politischen Beitrittskriterien in das PrimŠrrecht ŸberfŸhrt Ð allerdings wurde der Minderheitenschutz gerade nicht ausdrŸcklich in Art. 6 Abs. 1 EUV Ÿbernommen.238 Fraglich blieb, ob der Minderheitenschutz in Form der Kopenhagener Kriterien trotz dieses Widerspruchs ein rechtlich bindendes Kriterium oder stattdessen ein politisch dehn- und interpretierbares Kriterium fŸr die Beitrittsstaaten war.239 Diese Frage wurde zusŠtzlich erschwert, da sich auch im acquis communautaire kaum rechtlichen Regelungen zum Minderheitenschutz fanden. Da das Minderheitenschutzkriterium ausschlie§lich in den Schlussfolgerungen des EuropŠischen Rates und den Stellungnahmen der Kommission auftauchte, hŠngt seine rechtliche QualitŠt von der Rechtsverbindlichkeit dieser Dokumente ab; der EuropŠische Rat ist aber weder ein (Rechtssetzungs-)Organ der Gemeinschaft noch der Union und kann kein verbindliches Gemeinschaftsrecht schaffen.

Seine Funktion besteht vielmehr darin, die ãerforderlichen ImpulseÒ fŸr die Entwicklung der Union zu geben und ãallgemeine politische ZielvorstellungenÒ festzulegen (Art. 4 Abs. 1 EUV).

Trotz dieser Ausgangslage machte der weitere Beitrittsprozess deutlich, dass - unabhŠngig vom rechtlichen Gehalt - der Minderheitenschutz als politisches Beitrittskriterium eine besondere Rolle eingenommen hatte. Die Staats- und Regierungschefs der EU bestŠtigten die

237 Vgl. de Witte, 2000:4.

238 Die ãAchtung und der Schutz von MinderheitenÒ wurde nur von den BeitrittslŠndern eingefordert, die Verpflichtung der bestehenden Mitglieder sollte offenbar vermieden werden. Durch Art. 6 Abs. 1 EUV wŸrden die Verfassungsprinzipien nŠmlich sowohl fŸr die bisherigen als auch Ÿber Art. 49 Abs. 1 EUV fŸr die

zukŸnftigen Mitgliedsstaaten rechtlich verbindlich; vgl. Kaiser, 2005:263

239 Vgl. Opitz, 2007:202.

Beitrittsbedingungen auf nachfolgenden Gipfeln und bezeichneten die ErfŸllung der politischen Kriterien als eine unabdingbare Voraussetzung fŸr die Eršffnung von Beitrittsverhandlungen. Bei den Beitrittsverhandlungen wurden auch die nicht im acquis kodifizierten Kopenhagener Kriterien streng Ÿberwacht.240 Die Kommission hat ebenfalls nach dem Amsterdamer Vertrag die weitere GŸltigkeit der ãungeschriebenenÒ Bedingungen unterstrichen; eine befriedigende Eingliederung der Minderheiten in die Gesellschaften der MOEL sei eine wesentliche Voraussetzung fŸr die ErfŸllung des politischen Kriteriums, mithin der demokratischen StabilitŠt.241

Die faktische Wirkung des Minderheitenkriteriums wurde auch dadurch verstŠrkt, dass sŠmtliche Kopenhagener Kriterien spŠter in verschiedene au§enpolitische Vereinbarungen Ð wie etwa die Assoziierungsabkommen oder den StabilitŠtspakt fŸr SŸdosteuropa Ð aufgenommen wurden. Au§erdem sollen nach diversen €u§erungen der EU-Institutionen die Kopenhagener Kriterien Ÿber die Osterweiterung hinaus langfristig bei weiteren Beitritten eine wichtige Rolle als Beurteilungsma§stŠbe fŸr die Beitrittsreife einnehmen.242

Im Laufe des monitoring wurden Ÿberdies immer neue KonditionalitŠten aufgestellt, die weder in den Kopenhagener Kriterien explizit ErwŠhnung fanden noch in den Europa-Abkommen vereinbart waren. Die stŠndig aktualisierten Forderungen erhielten ihre Rechtsverbindlichkeit durch die von der Kommission ab 1998 mit jedem Land individuell abgeschlossenen Beitrittspartnerschaften, welche kurz- und mittelfristige PrioritŠten fŸr die ErfŸllung der Beitrittskriterien festlegten. Wenn der Kandidatenstaat diese Beitrittspartnerschaft annahm, akzeptierte er die darin enthalten KonditionalitŠtsklausel.243

4.2.2.2. Inhaltliche Bedeutung

Mit den Kopenhagener-Kriterien wurden die inhaltlichen Beitrittsvoraussetzungen festgelegt.

Die Formulierung ãdie Achtung und den Schutz von MinderheitenÒ deutete semantisch auf einen kollektivrechtlichen Ansatz hin, entgegen dem sonst Ÿblichen individualrechtlichen

240 Unzureichende Regelungen zum Minderheitenschutz fŸhrten etwa dazu, dass auf dem Luxemburger Rat von 1997 die Slowakei von der ersten Beitrittsgruppe (zunŠchst) ausgeschlossen wurde. Im Jahr 1999 wurde dann die ErfŸllung des politischen Kopenhagener Kriteriums fŸr alle zehn MOEL festgestellt; vgl. Toggenburg, 2004:41

241 Vgl. EuropŠische Kommission, 1997(c):42.

242 Vgl. Kaiser, 2005:265.

243 Vgl. Riedel, 2001(a):1264.

Terminus ãAngehšrige von MinderheitenÒ auf internationaler Ebene.244 Zudem ist aus der Formulierung herauszulesen, dass nach einem aktiven Engagement verlangt wird und dass die EU von den KandidatenlŠndern mehr erwarte als blo§e Nichtdiskriminierung. Au§erdem wurde mit dem Minderheitenschutz die ãinstitutionelle StabilitŠtÒ vorausgesetzt, was auf einen sicherheitsorientierten Ansatz der EU hindeutet.

Wie der Minderheitenschutz konkret ausgestaltet werden soll, lie§en die Kopenhagener Kriterien offen; auch wurden keine Verweise auf EU-interne oder internationale Dokumente oder Abkommen gemacht. Da die EU selbst weder Ÿber eine homogene Position noch Ÿber einen rechtlichen Standard im Minderheitenschutz verfŸgte, konnte sie das Minderheitenkriterium auch nicht mit EU-Normen belegen. Deshalb war der Minderheitenschutz auch das schwŠchste (politische) Beitrittskriterium, da es sich nicht auf klare Vorgaben und Richtlinien aus dem Unionsrecht beziehen konnte: ãof all the âCopenhagen criteriaÕ, minority rights protection is the most weakly defined by the EU as it lacks a clear foundation in law, and there are no established EU benchmarks.Ò245

Die inhaltliche Ausgestaltung dieser Vorgaben erfolgte erst im Beitrittsprozess. Die EntscheidungstrŠger im Osterweiterungsprozess der EU hatten die schwierige Aufgabe, das Kriterium ãMinderheitenschutzÒ fŸr die Beitrittsverhandlungen zu operationalisieren. Da sich der EuropŠische Rat nicht nŠher dazu Šu§erte, wie das Minderheitenkriterium zu erfŸllen sei, blieb die Auslegung und AusfŸllung des Kriteriums im Verlauf der Beitrittsverhandlungen weitgehend der Kommission Ÿberlassen, der in der Vorbereitungsphase der Osterweiterung die Rolle einer Art ãMonitoring-InstanzÒ zukam.

Die Kommission ging beim Monitoring-Verfahren pragmatisch vor und wŠhlte inhaltlich wie auch prozessual einen breiten Ansatz. Neben den Regelungen des Gemeinschaftsrechts bezog sie prinzipiell auch internationale Dokumente und všlkerrechtliche VertrŠge, etwa des Europarats, zum Minderheitenschutz ein.246 Besonders das RahmenŸbereinkommen ist hier hervorzuheben, welches der Kommission als Bewertungsma§stab diente und einseitig von allen Beitrittsstaaten ratifiziert werden sollte. Im Strategiepapier der Kommission von 2002 hei§t es etwa: ãIn Bezug auf die Achtung der Minderheitenrechte und den Schutz der

244 Siehe Hughes/Sasse, 2003:8.

245 Hughes/Sasse, 2003:12.

246 Vgl. hierzu Heidbreder/Carrasco, 2003:30.

Minderheiten untersucht die Kommission insbesondere die Einhaltung der GrundsŠtze des RahmenŸbereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten.Ò247

Inhaltlich lŠsst sich also zusammenfassen, dass die Mischung aus všlkerrechtlichen Vorgaben und gemeinschaftsrechtlichen BesitzstŠnden vor allem auf die Bereiche Nichtdiskriminierung und Integration von Minderheiten abstellten. Dabei verfolgte die EU anfangs auch kollektivrechtliche ZugŠnge gegenŸber den MOEL, wovon sie im Verlauf des Beitrittsprozesses jedoch immer mehr zugunsten eines individualrechtlichen Ansatzes ablie§:

ãThe main nodal-points of EU priorities formulated in the annual Regular Reports and in the Accession Partnerships reflect a more individualistic conception, articulating minority rights in the framework of individual human rights, thus focusing on the social integration of minorities (especially the Roma) and on the reinforcement of anti-discrimination legislation and policies in candidate states.Ò248