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Entwicklungen nach dem EU-Beitritt (dritte Phase)

5. LŠnderstudien

5.1. Ungarn

5.1.5. Entwicklungen nach dem EU-Beitritt (dritte Phase)

5.1.5.1. Innenpolitische Entwicklungen

Im Binnenbereich trieb die ungarische Regierung auch nach dem EU-Beitritt den Minderheitenschutz weiter voran und novellierte das ungarische Minderheitengesetz von 1993. Das Parlament verabschiedete im Oktober 2005 das Gesetz CXIV bezŸglich der Wahl der Vertreter in den Minderheitenselbstverwaltungen. Zu dessen wesentlichen Neuerungen

329 Vgl. Dieringer, 2002:107f.

330 Vgl. KŸpper, 2006:7f; zur všlkerrechtlichen Analyse des (modifizierten) Statusgesetzes siehe Voigt, 2005:

293-386.

331 Vgl. von Ahn, 2004.

gehšren die freiwillige Registrierung der WŠhlerschaft, die EinfŸhrung einer regionalen Komitatsebene der Minderheitenselbstverwaltungen sowie die Trennung von šrtlicher Minderheitenselbstverwaltung und Gemeinderat.332 Die Anzahl der eingerichteten Minderheitenselbstverwaltungen stieg von 1.811 im Jahr 2002 auf 2.045 nach den Wahlen im Jahr 2006 um 12,9 Prozent an. Dabei stellten die Roma mit 1118 eingerichteten Minderheitenselbstverwaltungen wie in der vorgegangenen Wahlperiode wieder mehr als die HŠlfte.333

Das Antidiskriminierungsgesetz wurde entsprechend der EU-Vorgaben aus den Richtlinien RL/2000/43/EG und RL/2000/78/EG modifiziert. Mit der Regierungsverordnung 362/2004 (XII. 26) wurde eine nationale Gleichbehandlungsbehšrde (Egyenlo B‡n‡sm—d Hat—s‡g) eingerichtet, die Anfang 2005 die Arbeit aufnahm und Anfang 2007 dem Arbeitsministerium unterstellt wurde.334 Neben einigen anderen Modifikationen wie etwa der EinfŸhrung der Verbandsklage, der Definition von unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung und der Umkehrung der Beweislast ist die Gleichbehandlungsbehšrde das KernstŸck der novellierten Gesetzgebung:

ãWith the establishment of the Equal Treatment Authority in February 2005, the Government, besides satisfying one of its EU obligations, created the legislative and institutional framework that is capable of enforcing the fundamental human rights of equality before the law, human dignity, and non-discrimination.Ò335

Die Regierung unter dem MSZP-Politiker Gyurcs‡ny (2004-2009) setze diesen Kurs fort und weitere institutionelle Reformen durch: zunŠchst wurde die Ungarische StŠndige Konferenz (Magyar çlland— ƒrtekezlet, MçƒRT), ein von der Orb‡n-Regierung 1999 eingerichtetes Forum fŸr die ungarischen und auslandsungarischen Parteien, im Jahr 2006 abgeschafft.336 Das Amt fŸr ethnische und nationale Minderheiten (NEKH) wurde Anfang 2007 nach 16

332 vgl. Vizi, 2009:124ff, Die erste Ma§nahme sollte dazu dienen, durch eine optionale Registrierung und eines unausgesprochenen Bekenntnisses zu einer Minderheit den Missbrauch des passiven und aktiven Wahlrechts durch ãethnische TrittbrettfahrerÒ zu unterbinden; der Grundsatz der Nach-Wende-Zeit, dass niemand zu einem Minderheitenbekenntnis gezwungen werden soll, blieb jedoch wirksam; KŸpper, 2009:396; zum PhŠnomen des ãEthnobusinessÒ siehe auch Eiler, 2001:88ff.

333 Die Ungarndeutschen errichteten 378 Minderheitenselbstverwaltungen, die Slowaken 116, die Kroaten 115, die Polen 47, die RumŠnen 46, die Serben 40, die Ruthenen 52, die Bulgaren 38, Griechen 34, die Armenier 31, die Ukrainer 19 und die Slowenen 11; vgl. Hungary 3rd Report, 2009:106.

334 Die Anzahl der bei der Behšrde eingereichten Gesuche stieg von Jahr zu Jahr an; 2005 waren es 491, 2006:

591, 2007: 729, 2008: 1.153. Die meisten FŠlle betrafen Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere von Roma und Frauen Ÿber 50 Jahren; vgl. Hungary 3rd Report, 2009:59.

335 Hungary 3rd Report, 2009:57.

336 Vgl. von Ahn, 2007.

Jahren reorganisiert. Fortan lag die Kompetenz in der Minderheitenpolitik primŠr im Amt des MinisterprŠsidenten (Miniszterelnški Hivatal Ð MEH), in welchem eine Abteilung fŸr Minderheiten- und Nationspolitik eingerichtet wurde, das die Nachfolge des NEKH antrat.337

Die Roma-Politik wurde ebenso €nderungen unterzogen. Unter Mitwirkung diverser zivilgesellschaftlicher Akteure wurde das mittelfristige Regierungsprogramm im Jahr 2004 neu aufgelegt, um den Lebensstandard und die soziale Position der Roma-Bevšlkerung zu verbessern.338 Kurz nach dem Regierungswechsel 2005 wurde ein StaatssekretŠr im Arbeits- und Sozialministerium mit der Roma-Politik beauftragt. Das Ministerium richtete eine Abteilung fŸr Roma-Integration ein und spielte eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt, koordinierte die Stipendienvergabe fŸr junge Roma und kooperierte mit den Interessensorganisationen der Roma.339

Im Jahr 2007 nahm die Regierung einen Strategieplan im Rahmen des Decade of Roma Inclusion Programme auf, welcher vier prioritŠre Bereiche (Bildung, BeschŠftigung, Wohnung und Gesundheit) behandelt.340 Ferner wurde im Jahr 2008 die bereits 1995 ratifizierte Sprachencharta auf die Sprache der Roma (Romanes) ausgeweitet, was die Roma-Minderheit mit bestimmten Rechten ausstattet, etwa die Benutzung der Roma-Minderheitensprache in den Bereichen Bildung, Justizwesen, šffentliche Verwaltung und Massenmedien.341 Auf Grundlage des Regierungsbeschlusses 2058/2008 ernannte der Premierminister im Mai 2008 einen Regierungsbeauftragten, um die AktivitŠten der Roma-Politik zu koordinieren.342

Auch die Vertretung der Minderheiten im Parlament verschwand nach der EU-Erweiterung nicht von der politischen Agenda. Artikel 68 Abs. 3 der ungarischen Verfassung garantiert den Minderheiten demokratische Teilhabe am ungarischen Staatsganzen. Der

337 Zu den Aufgaben des neu eingerichteten Departments zŠhlten die Entwicklung von Konzepten in der Minderheitenpolitik, die kontinuierliche Evaluation der Situation der Minderheiten, die Koordinierung der DurchfŸhrung der Regierungsprogramme und das monitoring von šffentlichen Stellen im Bereich des

Minderheitenschutzes. Auch …ffentlichkeitsarbeit, Dokumentation und Kommunikation mit den Minderheiten, der Kontakt zu den MutterlŠndern der in Ungarn lebenden Minderheiten sowie zu den im Minderheitenschutz tŠtigen internationalen Institutionen gehšrten zu den TŠtigkeiten der Behšrde; vgl. Webseite Amt des MinisterprŠsidenten, online abrufbar unter www.nek.gov.hu/data/files/85437917.doc (Stand: 04.04.2011).

338 Siehe dazu McGarry, 2010:110.

339 Vgl. Hungary 3rd Report, 2009:11.

340 Das Programm Decade of Roma Inclusion (2005-2015) ist eine Initiative von 12 europŠischen LŠndern (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Tschechische Republik, Ungarn, Mazedonien,

Montenegro, RumŠnien, Serbien, Slowakei und Spanien) zur Verbesserung der sozioškonomischen Situation der Roma, vgl. offizielle Website, online abrufbar unter http://www.romadecade.org/ (Stand: 04.04.2011).

341 Vgl. Hungary 3rd Report, 2009:87f.

342 Vgl. Hungary 3rd Report, 2009:11.

StaatssekretŠr richtete im Jahr 2007 eine eigene Arbeitsgruppe zur legislativen Ausarbeitung der verfassungsmŠ§igen ReprŠsentation der Minderheiten ein.Im September 2007 wurde, auf Initiative des Minderheiten-Ombudsmannes, ein Rundtisch der PrŠsidenten der nationalen Minderheitenselbstverwaltungen (II. KisŽbbsegi Kerekasztal) einberufen, der sich auch mit dieser Frage beschŠftigte.343 Gleichwohl konnten trotz dieser AnsŠtze zur Politikreform bis zum Ende des Untersuchungszeitraums keine wesentlichen Fortschritte auf diesem Gebiet beobachtet werden.

5.1.5.2. Bi- und multilaterale Ebene

Nach dem EU-Beitritt Ungarns im Mai 2004 gewann die Frage um die Auslandsungarn wieder an AktualitŠt. ZunŠchst versuchte die von Viktor Orb‡n angefŸhrte nationalkonservative Opposition, zusammen mit dem Weltbund der Ungarn (Magyar Vil‡gszšvetsŽge, MVSZ), durch eine Volksinitiative und Volksabstimmung die €nderung des Staatsangehšrigkeitsrechts zu erreichen. Ziel der Initiative war es, Auslandsungarn in den NachbarlŠndern den Erwerb der ungarischen StaatsbŸrgerschaft zu ermšglichen - eine Wohnsitznahme in Ungarn sollte dazu nicht nštig sein (FerneinbŸrgerung).344 †ber die mšgliche Ausgestaltung eines solchen Anspruchs auf die ungarische Staatsangehšrigkeit fŸr Auslandsungarn wurde im Jahr 2004 heftig debattiert - neben všlkerrechtlichen Bedenken gab es Zweifel am konkreten Nutzen fŸr die Angehšrigen der ungarischen Minderheiten in den NachbarlŠndern.345 Anfang Dezember 2004 stimmten dann zwar knapp mehr als die HŠlfte der Personen, die sich an dem Referendum beteiligten, fŸr die EinbŸrgerung der Auslandsungarn.346 Da aber mit nur 37,48 Prozent der wahlberechtigten BŸrger nicht die

343 Vgl. K‡llai, 2009:91. Mit dem Minderheiten-Rundtisch wurde eine Institution wiederbelebt, welche an der Ausarbeitung des Minderheitengesetztes von 1993 beteiligt war und nach der ersten Wahl der

Minderheitenselbstverwaltungen 1995 wieder aufgelšst wurde; vgl. Hungary 3rd Report, 2009:21.

344 Vgl. KŸpper, 2006:14.

345 Mit der UnterstŸtzung der Volksinitiative versuchte FIDESZ, sein konservatives WŠhlerlager zu erweitern und setzte seinen unilateralen und nationszentrierten Kurs in der Frage der Auslandsungarn fort, den es bereits als Regierungspartei praktiziert hatte. Die sozial-liberale Regierung dagegen warnte vor den Kosten, die auf das ungarische Sozialwesen zukommen wŸrden, und empfahl den Abstimmungsberechtigten, mit Nein zu stimmen;

vgl. von Ahn, 2007:192; zur juristischen Diskussion um das Volksbegehren vgl. KŸpper, 2006:11ff.

346 Im politischen Diskurs wurde die Volksinitiative und ihr politisches Ziel als ãdoppelte StaatsbŸrgerschaftÒ (kettšs ‡llampolg‡rs‡g) bezeichnet. Dabei wurde von den Initiatoren bewusst verschwiegen, dass die bisherigen Angehšrigkeitsstaaten durch den Entzug ihrer eigenen Staatsangehšrigkeit wŸrden reagieren kšnnen und die Betroffenen so statt zu Doppelstaatlern erneut zu Einstaatler (nun alleine mit ungarischer StaatsbŸrgerschaft) werden kšnnten; vgl. KŸpper, 2006:18.

Mehrheit der Abstimmungsberechtigten teilnahm, scheiterte das Begehren bereits am Quorum.347

Auch nach dem gescheiterten Referendum verschwand das Thema ãdoppelte StaatsbŸrgerschaftÒ nicht von der innenpolitischen Tagesordnung. Schlie§lich erkannte auch die sozial-liberale Regierung (zunŠchst unter Premier Medgyessy, im Jahr 2004 fraktionsintern abgelšst durch Ferenc Gyurcs‡ny), das Mobilisierungspotential von WŠhlern in dieser Angelegenheit. Auch deshalb entschloss sie sich fŸr eine Reformierung und Erleichterung der EinbŸrgerung von ethnischen Ungarn, die ihren Wohnsitz in Ungarn nehmen. So wurde etwa mit dem Heimatfondsgesetz (Gesetz 2005:XLVI) die Ausweitung der materiellen Zuwendungen an die Auslandsungarn beschlossen.348 Das populistische Potential der Auslandsungarn-Frage zeigte sich auch, als die regierende MSZP vor den anstehenden Parlamentswahlen eine €nderung der Verfassung vorschlug. Das Kabinett beschloss auf seiner Sitzung Ende November 2005 PlŠne zur €nderung der ãAuslandsungarn-KlauselÒ in Art. 6 Abs 3 Verf. Die au§erhalb der Landesgrenzen lebenden Ungarn sollten ausdrŸcklich als Teil der sprachlichen, kulturellen und historischen Nation erwŠhnt werden.349 Vieles deutete darauf hin, dass im Vorfeld der Parlamentswahlen von 2006 die BerŸhrungsŠngste der Sozialisten mit dem Begriff ãNationalpolitikÒ verloren gingen - gleichwohl in Abgrenzung zur konservativen ãnationalpolitischenÒ Strategie.350

Auf bi- und multilateraler Ebene in dieser Phase ist noch auf eine weitere Entwicklung hinzuweisen: Bei den Verhandlungen um einen neuen EU-Vertrag setzte sich die ungarische Regierung fŸr die Aufnahme des Minderheitenschutzes in das PrimŠrrecht ein. Der auf dem Verfassungskonvent eingereichte ungarische Vorschlag, nach dem Vorbild der schon existierenden beratenden Organe einen Ausschuss fŸr nationale und ethnische Minderheiten einzurichten, stie§ jedoch auf wenig Resonanz. Dennoch ist es als Erfolg zu werten, dass auf ungarisches DrŠngen hin der Minderheitenschutz Teil der Grundwerte des Verfassungsvertrages (spŠter Vertrag von Lissabon) wurde.351

347 Vgl. Homepage des Landeswahlausschusses, online abrufbar unter

http://www.valasztas.hu/hu/ovb/45/45_0.html (Stand: 04.04.2011); siehe dazu auch Kiss, 2008:401.

348 Aufgrund dieses Gesetzes kšnnen Projekte, die den Auslandsungarn ihr kulturelles Leben in ihren Siedlungsgebieten erleichtern sollen, aus dem Staatshaushalt finanziert werden; vgl. dazu KŸpper, 2006:21f

349 Vgl. Von Ahn, 2007:193; KŸpper, 2006:22f.

350 Vgl. Kiss, 2008:403.

351 Vgl. Kapitel 7.3.