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Einleitung

In document Der Familie (Pldal 12-17)

Ein Jahrzehnt von Krisen haben wir hinter uns gelassen. Finanzielle Proble-me in der Währungsunion, der Sprung in der Anzahl der Asylbewerber die Europa erreicht haben und der Brexit werden sicher auch in einem späte-ren Rückblick noch zu den Schlüsselereignissen der Union gehöspäte-ren. Das Jahr 2015 gilt als Wendepunkt im öffentlichen Diskurs, denn nie zuvor war hier das Thema der Migration so omnipräsent wie heute. Kaum ein Tag vergeht seitdem ohne Medienberichte über die Flüchtlingssituation in der Welt und besonders vor den Toren Europas. Die Migrationspolitik, ein-schließlich der Asylpolitik wird von der Bevölkerung der Union als zentrale Zukunftsfrage betrachtet.1

In solch einem politischen Klima und angesichts der wahrhaftig großen Zahl an Geflüchteten, die in der zweiten Hälfte dieser Dekade in der EU Auf-nahme gefunden haben, stellt sich die Frage, wie wir die Bleibenden am besten in unsere Gesellschaft integrieren können. Die seit 2015 vergangene Zeit hat es gezeigt, dass dies die wahre historische Bewährungsprobe des europäischen Asylsystems bedeutet, und nicht lediglich die Beherbergung und Versorgung von Asylbewerbern. Zunächst musste natürlich deren menschenwürdige Aufnahme erfolgen, die viele Mitgliedstaaten in ehren-werter Weise erfüllt haben. Integration lässt sich jedoch nicht innerhalb weniger Jahre bewerkstelligen. In mehreren Unionsrechtsakten bekennen sich die Mitgliedstaaten dazu, dass das Leben in einer Familie dazu bei-trägt, soziokulturelle Stabilität zu schaffen, die die Integration von Dritt-staatsangehörigen in der Union erleichtert.2 Diese Inklusion ist nicht nur aus humaner Ansicht wünschenswert, um Vertriebenen ein neues Leben (mit der Familie) anzubieten, es steht auch im Eigeninteresse der Mitglied-staaten, denn erst dadurch kann ein Mensch zur wirtschaftlichen und sozia-len Zusammenhalt der Gesellschaft und so auch der Union beitragen.3

1 Daniel Thym: Viel Lärm um Nichts? – Das Potential des UN-Migrationsrechts zur dynami-schen Fortentwicklung der Mendynami-schenrechte, IN: ZAR 2019, Heft 4, S. 131-137, S. 131.

2 RL 2003/86/EG, Erwägungsgrund 4, RL 2011/51/EU Erwägungsgründe 2 und 6.

3 So auch Erwägungsgrund 4 der RL 2003/86/EG.

Nach dem Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration wird Familienzusammenführung als eine Situ-ation beschrieben, in der eine Person, die sich in einem Mitgliedstaat rechtmäßig aufhält, beantragt, dass bei der Einwanderung zurückgelassene Familienangehörige ihr folgen dürfen.4 Im Falle von Flüchtlingen und sub-sidiär Geschützten unterscheidet sich diese Sachlage darin, dass die Ein-wanderung keine geplante Tat, sondern das Ergebnis einer Flucht ist. Für diese Menschen bedeutet die Wiederaufnahme eines normalen Familien-lebens meistens die Zusammenführung mit der zurückgelassenen Familie.

Die Regierungen Europas sind sich bewusst, dass die Bedingungen, unter denen ein Familiennachzug ausgeübt werden kann, die Integration behin-dern oder förbehin-dern können.5 In Anbetracht des Vorstehenden liege es auf der Hand, dass Personen, die in der EU internationalen Schutz gefunden haben und wegen der weltweit anhaltenden Konflikten diesen Schutz auch langfristig genießen werden, die Möglichkeit, sich zu integrieren unter günstigen Regelungen angeboten werden muss. Dies erfolgt am besten in dem eigenen Familienkreis. Man muss jedoch nicht weit schauen um ge-genläufige Tendenzen zu merken. Auf der einen Seite erkennen Mitglied-staaten in mehreren völkerrechtlichen Dokumenten den Grundsatz des Familiennachzugs und die Relevanz von dessen Förderung, auf der anderen Seite sind sie konkreteren Verpflichtungen bewusst ausgewichen, die aus einem echten Menschenrecht auf Familienzusammenführung entstanden wären.

Die Europäische Union hat gleichwohl ein Recht auf Familienzusammen-führung von Flüchtlingen schon früh anerkannt. Ferner wurde das Gemein-same Europäische Asylsystem so ausgestaltet, dass die Rechtsakte fami-lienschützende Vorschriften enthalten und im idealen Fall die Einheit der Familie garantieren. Der anscheinend privilegierte Zugang von Flüchtlingen

4 Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration Ausgabe 2014, Hrsg: Agentur der Europäischen Union für Grundrechte & Europarat, S.

144.

5 Tineke Strik, Betty de Hart, Ellen Nissen: Family Reunification: A Barrier or Facilitator of Integration? A Comparative Study. S. 107.

zum Familiennachzug kann jedoch oft nicht wirksam ausgeübt werden. Die vielen Hürden können zur langen Trennung oder gar keiner realistischen Erwartung auf Wiedervereinigung führen. In der jüngeren Vergangenheit wurden viele neue Einschränkungen eingeführt, die die Grundlagen der Richtlinie 2003/86/EG6 restriktiver gestalteten. Dieses Verhalten kann als eine Kurzschlussreaktion seitens der Mitgliedstaaten wegen der hohen Anzahl von Asylbewerbern gedeutet werden. Solche Praktiken wurden als Abschreckung angewandt, und zusammen mit anderen Faktoren sorgten sie sicher für den starken Rückgang in der Zahl von neuangekommenen Asylbewerbern in den Jahren 2016-2019. Vor allem betreffen die Be-schränkungen die bereits anwesenden Personen, welche internationalen Schutz genießen und versuchen ein neues Leben innerhalb der EU anzu-fangen. Für diese besonders verletzliche Gruppe wäre eine schnelle Famili-enzusammenführung erforderlich, um ihre Integration zu fördern und ihre Familien zu schützen.

Ausschlaggebend für die Wahl des behandelten Themas waren meine ei-genen Erfahrungen während der ehrenamtlichen Arbeit in der Flüchtlings-aufnahmestation in Bicske von 2015 bis zu ihrer Schließung. Ich habe das Schicksal von Familien, die wiedervereint werden konnten, und die Aus-sichtslosigkeit von anderen, die keine solche Möglichkeit bekommen und deshalb weitergewandert haben, persönlich begleiten können. Diese Ge-schichten werden nicht explizit in meiner Forschung aufgearbeitet, sie wa-ren aber ein Antrieb. Zugleich haben sie mir stets das menschliche Gesicht während meiner Arbeit am Schreibtisch vergegenwärtigt. Ein weiterer As-pekt bot meine französisch-polnisch-ungarische Großfamilie und die Ge-burt meiner eigenen zwei Kinder während der Forschungsjahre. Meine Empathie mit Familien, die mit Kleinkindern oder hochschwangeren Frauen auf der Flucht sind oder jahrelang getrennt leben müssen, ist leicht ver-ständlich. Zugleich ist die Arbeit nicht auf die utopische Erwartung begrün-det, dass in einer grenzenlosen Welt jeder dem es in Europa besser gehen

6 Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Fa-milienzusammenführung, ABl 2003 L 251. (Familienzusammenführungsrichtlinie).

würde, hier auch Aufnahme und Familienglück finden kann. Die Forschung bewegt sich auf dem Boden der politischen Realität. Ich setze mich jedoch stark dafür ein, dass wir die bestehenden völker- und europarechtlichen Verpflichtungen mit bestem Gewissen nachkommen und dadurch mög-lichst vielen Menschen helfen müssen. Diese Arbeit wurde in der Hoffnung erstellt, dass die vorhandenen unionsrechtlichen Rahmenbedingungen mit dem eigentlich gebotenen gerechteren Inhalt und humaner Auslegungs-praxis in den Dienst der Einheit von Flüchtlingsfamilien handhabt werden.

Als wissenschaftliche Methode wurde auf den Vergleich und die Beschrei-bung der rechtlichen Grundlagen, der Judikatur und der akademischen Li-teratur zurückgegriffen. Die Arbeit konturiert die geltenden internationalen und regionalen Rahmenbedingungen, welche für die Achtung des Rechts auf Familienleben und der Familieneinheit von international geschützten Personen von elementarer Bedeutung sind. Die völkerrechtlichen Ver-pflichtungen bedeuten einerseits eine Vogelperspektive, andererseits den größeren Kontext des Asylrechts, ohne den die aktuellen europarechtlichen Vorschriften vielleicht einen ganz anderen Ansatz folgen würden. Die uni-onsrechtlichen Rahmen des Asylrechts sind aber nicht losgelöst von völker-rechtlichen Vorgaben, sondern bilden mittlerweile einen organischen Teil davon. Regelungen über Familienleben und Asylrecht bewegen sich in ei-nem grundrechtssensiblen Bereich. So werden heute auch auf der Ebene der Union die Grundrechte gewährt. Für eine vorrangige, einheitliche und effektive Anwendung der Sekundärrechtsvorschriften erschien die Ausei-nandersetzung mit diesen Grundrechtsgarantien ebenfalls notwendig. Fer-ner müssen die Umrisse des gemeinsamen Europäischen Asylraums vorge-stellt werden, sowie die unionsrechtlich geregelten Schutzstatus bespro-chen werden.

Der Solidaritätsgrundsatz, der angeblich im Raum der Freiheit, der Sicher-heit und des Rechts herrscht, wird in einer Exkurs kritisch untersucht, be-vor die eigentlichen Regeln betreffend der Einheit der Familie im Asylrecht der Union ausgewertet werden. Ferner werden einzelne

familienschützen-de Bestimmungen familienschützen-des im weiteren Sinne genommenen europäischen Asyl-raums systematisch behandelt. Im Zentrum der Dissertation steht das Thema, unter welchen Voraussetzungen Begünstigte internationalen Schutzes einen Anspruch auf Familienzusammenführung in der EU haben.

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt einerseits auf den völkerrechtli-chen Pflichten der Mitgliedstaaten aus der EMRK, andererseits auf den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2003/86/EG. Insbesondere wird der Nachzug von Verwandten von Geflüchteten, die sich zum Zeitpunkt der Antragsstellung im Drittstaat befinden, geprüft. Die Untersuchung wird mit dem aktuellen Stand des Familiennachzugs von Begünstigten internationa-len Schutzes abgerundet. Probleme der Umsetzung und der Praxis werden kritisch gesammelt. Um eine kohärente und angemessene Rechtsanwen-dung zu unterstützen, werden Verbesserungsvorschläge anhand von Ge-richtsentscheidungen und Empfehlungen von UNHCR sowie Flüchtlings-hilfsorganisationen systematisiert.

Die vorliegende Dissertation konnte Gesetzesänderungen, Rechtsprechung und politische Geschehen bis zur Arbeitsaufnahme der Kommission von der Leyen am 01. Dezember 2019. berücksichtigen. Für eine bessere Lesbarkeit wird in der Arbeit überwiegend die männliche Variante der Wörter be-nutzt, die besprochenen Prämissen gelten aber selbstverständlich für sämt-liche Geschlechter.

In document Der Familie (Pldal 12-17)