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Art. 7 - Achtung des Privat- und Familienlebens

In document Der Familie (Pldal 59-62)

C. Grundrechtsschutz von Geflüchteten und deren Familienleben in der EU

III. Grundrechtsschutz von Geflüchteten und deren Familienleben in den einzelnen

1. Art. 7 - Achtung des Privat- und Familienlebens

Die unverbindlichen Erläuterungen des Präsidiums zu der Grund-rechtecharta benennen die Grundrechte die mit den EMRK-Normen iden-tisch sind. Danach entsprechen die in Art. 7 GRCh garantierten Rechte die-jenigen des Art. 8 EMRK. Gemäß Art. 52 III GRCh ist Art. 7 GRCh grundsätz-lich in enger Anlehnung an Art. 8 EMRK auszulegen.163

Der sachliche Schutzbereich betrifft die Familie,164 die für die sozialen Ver-bindungen von Menschen steht. Sie ist kein rein formaljuristischer, sondern ebenso soziologischer Begriff. Die tatsächlich gelebten Beziehungen geben der Familiendefinition ein breites Spektrum. So bilden Eltern und ihre Kin-der (leibliche, adoptierte oKin-der PflegekinKin-der) jedenfalls eine Familie, die sog.

160 Kingreen, Art. 53 GRC, Rn. 7, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV.

161 Daniel Thym: Die Reichweite der EU-Grundrechte-Charta – Zu viel Grundrechtsschutz?

IN: NVwZ 2013, Heft 14, 889-896, S. 892.

162 Kingreen, Art. 53 GRC, Rn. 7, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV.

163 Kingreen, Art. 7 GRC, Rn. 2, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV.

164 Weitere Schutzgüter sind Privatleben, Wohnung und Kommunikation, die in der Arbeit nicht untersucht werden.

Kernfamilie. Die Beziehung zwischen Eltern muss keine eheliche sein, viel-mehr muss sie eine gelebte Gemeinschaft sein. Gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern sind unter den Begriff der Familie zu subsumieren, während eine gleichgeschlechtliche Beziehung ohne Kind traditionell eher unter dem Schutzbereich des Privatlebens steht.165 Der weit zu verstehende Familien-begriff umfasst nach der Rechtsprechung von EGMR und EuGH daher die Beziehung zwischen nahen Verwandten wie bspw. Geschwistern, Großel-tern, Enkeln, Onkeln, Tanten, Neffen und Nichten. Es wird stets vorausge-setzt, dass die Beziehung eine gelebte Beistandsgemeinschaft ist.166 Alle natürlichen Personen können Grundrechtsträger werden, es handelt sich hier nicht um ein Unionsbürgergrundrecht.

Ferner spricht die Norm über die Achtung des Familienlebens. Die Ach-tungspflicht deutet darauf hin, dass die mitgliedstaatliche Gestaltungsmög-lichkeit sowie der Ermessensspielraum erhalten bleiben. Eine Ausweitung der EU-Kompetenzen gestützt auf diese Vorschrift wäre problematisch.167 In erster Linie funktioniert Art. 7 GRCh (wie eben Art. 8 EMRK auch) als Abwehrrecht gegen willkürliche Eingriffe durch den Staat in das Familienle-ben.168 Inwiefern die Norm auch einen leistungsrechtlichen Charakter be-sitzt und aufenthaltsrechtliche Wirkung entfalten kann, ist umstritten. Ei-nerseits wird diesbezüglich auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK verwiesen,169 andererseits auf die leges speciales des Sekundär-rechts der Union.170 Als grundrechtliches Schutzgut hat die Achtung des Familienlebens nach Art. 7 GRCh bislang keine führende Rolle in der Recht-sprechung des EuGH gespielt.171 Im Falle der räumlichen Trennung der Fa-milie, in denen Familiennachzug geboten werden könnte, nimmt das Ge-richt an, dass Art. 7 GRCh kein subjektives Recht auf Aufnahme in das

165 Jarass, Art. 7 GRC, Rn. 21, in: Jarass: Charta der Grundrechte; Augsberg, Art. 7 GRC, Rn.

6, in: Von der Groeben / Schwarze / Hatje: EU-Kommentar.

166 Kingreen, Art. 9 GRC, Rn. 6, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV.

167 Augsberg, Art. 7 GRC, Rn. 4, in: Von der Groeben / Schwarze / Hatje: EU-Kommentar.

168 Ebenda, Rn. 11.

169 Siehe unter Punkt G.

170 Solche sind bspw. die Einheit der Familie betreffenden Regelungen der Dublin-III-VO, oder die FZRL.

171 Kingreen, Art. 9 GRC, Rn. 6, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV.

heitsgebiet eines Mitgliedstaates beinhaltet.172 Dennoch prüft der EuGH grundsätzlich immer, ob die Verweigerung der Familienzusammenführung gerechtfertigt ist.173 Aufenthaltsrechtliche Folgen wie ein subjektives Recht auf Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen oder Flüchtlingen gehen über die grundrechtliche Gewährleistung von Art. 7 GRCh hinaus. Solch eine Pflicht ergibt sich aus den vorhandenen Vorschriften der Richtlinie 2003/86/EG. Der EuGH war dementsprechend nicht gezwungen ein solches Recht auf Familiennachzug direkt aus Art. 7 GRCh abzuleiten, sondern konnte sich mit der Auslegung dieses Sekundärrechtsakts auseinandersetz-ten. Anders verhält es sich mit dem EGMR, der das Recht auf Familiennach-zug nach Art. 8 EMRK freilich durch seine richterliche Rechtsfortbildung erfunden hat.174

Der EGMR hat die Frage ob es sich bei Familienzusammenführung um eine Unterlassungs- oder eine positive Plicht des Staates handelt, nicht beant-wortet: seines Erachtens nach lässt sich die Abgrenzung zwischen positiven und negativen Verpflichtungen nicht genau definieren, und die anwendba-re Grundsätze sind ohnehin ähnlich.175 Wegen der vorhandenen konkrete-ren Vorschriften der Sekundärrechtsnormen untersucht der EuGH diesen Aspekt von Art. 7 GRCh nicht. Dogmatisch betrachtet unterscheidet sich aber die Prüfung eines Grundrechtseingriffs von einer Verletzung von Handlungspflichten. Hätte ein Staat handeln müssen und bleibt untätig, müssen Art. 8 I EMRK, beziehungsweise Art. 7 GRCh bereits verletzt sein.

Die Prüfung der Rechtfertigungsgründe nach Art. 8 II EMRK (oder Art. 52 GRCh) wäre gar nicht mehr möglich.

172 Kingreen, Art. 7 GRC, Rn. 13, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV.

173 EuGH, Urteil vom vom 23. September 2003., Rs. C-109/01 (Akrich vs. Vereinigtes König-reich), Rn. 59.

174 Eine solche Entwicklung ist zu beobachten in den Rechtsprechungen von EGMR Ahmut/Niederlande, 28.11.1996, Nr. 21702/93 bis hin zu EGMR, Tanda-Muzinga/Frankreich, 10.07.2014., Nr. 2260/10; ähnlich:

Philipp Czech: Das Recht auf Familienzusammenführung nach Art. 8 EMRK in der Recht-sprechung des EGMR, IN: EuGRZ 2017/Seiten 229-240, S. 230.

175 „…the boundaries between the State’s positive and negative obligations under this provision (Art. 8) do not lend themselves to precise definition. The applicable principles are, nonetheless, similar.” IN: EGMR Gül/Schweiz, 19.02.1996, Nr. 23218/94, Ziff. 38.

Art. 7 GRCh, anders als Art. 8 EMRK enthält keine eigene Rechtfertigungs-anforderung, und so gelten die allgemeinen Regeln nach Art. 52 I GRCh.

Demnach muss der Eingriff in den Schutzbereich eine gesetzliche Grundla-ge haben und verhältnismäßig sein. Nach h. M. sind aber Grundla-gemäß Art. 52 III GRCh die spezielle Rechtfertigungsgründe des Art. 8 II EMRK auch bei dem Eingriff in Art. 7 GRCh zu beachten.176 So wird die Einschränkung dann als legitim angesehen, wenn sie notwendig für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer ist.177 Die Grundrechtecharta enthält weitere, spezielle Rechte im Bereich des allgemeinen Familienschutzes. Diese sind das Recht eine Familie zu grün-den (Art. 9 GRCh), das Recht von Kindern auf persönliche Beziehungen zu beiden Elternteilen (Art. 24 III GRCh), sowie ein soziales Grundrecht auf die Vereinbarkeit von Berufsleben und Familienleben gemäß Art. 33 GRCh. Art.

9 und Art. 33 GRCh sind in einem asylrechtlichen Kontext in Bezug auf ein Recht auf Familienzusammenführung nicht relevant und werden im Rah-men dieser Arbeit nicht näher behandelt.

In document Der Familie (Pldal 59-62)