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Academic year: 2022

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FORTMIT DENFRIEDENSVERTRAGEN W. Radoslawoff& H.B.v. Rosen

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Fort mit den Friedensverträgen

(vonVersailles,Trianon,Neuilly,StGennain,Sevres)

Von

Geza Lukäcs

unter Mitarbeit von

Dr. W. Radoslawoff

und

H. Baron

v.

Rosen

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Verlag Hana Robert Engelmann Be'rlinW

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'ort mit den Friedensverträgen

(vonVersailles,Trianon,Neuilly, StGermain, Sevfes)

Von

Geza JLa_ k äcs

unterMitarbeit von

Dr. W. Radoslawoff

und

H. Baron

v.

Rosen

ehern,bulgarischen Ministerpräsidenten

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Verlag

Hans Robert Engelmann BerlinW15

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Copyright1922 byHansRobertEngelmannBerlin.

Ohleorothsche Buchdruckerei Georg Richters

Erfurt

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Inhaltsverzeichnis.

Seite

Vorwort desVerfassers S

DieWirkungendesVersaillerFriedensvertrages aufDeutschland 29

Der Friedensvertragvon Trianon 60

Der FriedensvertragvonNeuilly 7S

DieFolgen der FriedensverträgefürdieRandstaaten 98 Die Folgen der FriedensvertragefürdieWelt 110

Benutzte Literatur 12;

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Vorwort des Verfassers

Wirdürfenden Charakter unsererZeitnichtverkennen;esisteineZeit gewaltiger Gärung, gefahrvollerAufgaben, schwindelnderÜbergänge,rast- losenWirkensundGegenwirkens.

Sicheristes,daßgroße ErschütterungenundrapideÜbergänge verderb- licherseinkönnen,alsalleohnmächtigenBemühungen,welcheeinegewalt- same Verspätungzum Zweckhaben.Sie zerreißen indemSturme der Leiden- schaften,dersiebegleitet,das schönsteGewebehöhererMenschenbildungund feinererSittlichkeit.

Die Veranlassung zu dergleichen verwegenen Operationenistzuweilenein ungeduldigerTriebder Völker,odereinBlendwerk,womitunweiseund schwärmerischeReformatorensietäuschen. Esistganz einleuchtend,daß dieFehler derjenigen Staatsmänner,die sich in Versailles,Trianon,St.Ger- main, NeuillyundSdvres,wosiealsDiktatorenauftraten,aufeinmalganz naheamletztenfernenZielderMenschheit glaubten,diedringendstenBedürf- nissederZeitausdenAugenverlorenundganz vergaßen, daßdieverderb- lichen Fehler, die sie verrichten,zuentsetzlichenKatastrophen führen werden.

AlleAufmerksamkeit,alleBesorgnisse,alleWarnungenderdenkenden KöpfeundderfühlendenHerzenmüssenjetztdahingerichtet sein,daßdie schwereLast,welchedieeinzelnenNationen tragen müssen,erleichtertwerde, daßdieschwer leidenden Völker wiederzum Lebenerwachen könnten. Jedes absichtlicheBestreben derEntente-Regierungen,den großenGangderNatur inderimmersteigendenVerbesserung des menschlichen Geschlechtsundseines Zustandes zuhemmen,istniphtbloßeinfrevelhaftesundfruchtlosesBe- streben,sondern erwecktauch unfehlbar den WiderwillenunddenHaßderer, gegen welcheesgerichtetist,unddieNeigung, Gewalt durch Gewalt abzu- wehren.

DiejenigenStaatsmänner der Entente-Staaten,die beiderKonstruierung derPariserFriedensverträgemitgewirkthaben, scheinendieIdee derimmer- währendenPerfektibilitätderMenschengattungnichtanerkennen zuwollen.

Diese Ideeisteineebensonotwendige Vernunftidee, alsjenederewigen Fortdauer der Substanzen,undhat,solangemansiesogebraucht,wiesie

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alleingebrauchtwerdenmuß,ihrenhohen Wert. Siewirdnurdanntrüglich undgefahrvoll,wennmansieineineandereSphäre hinüberziehen,wenn mandamitinden Weltlauf pfuschenwill,wennmandas Gesetz der Natur, nach welchemnichts plötzlichbewirktwerden kann, verkennt,wennman sich einbildet,daßdieseoder jeneOperation auf einmal dasIdeal realisieren, oderdaßsieauch nurvoneinerStufederVollkommenheitsogleichaufeine weit höhere,ohnedaßdieMittelstufenbetretenwürden, führen werde.

DenPariserFriedenskonferenzensahen wirnatürlich nichtmit der Ein- bildung entgegen,wonachdurchdiedortzu treffendenAbmachungenjenes Idealverwirklichtwerden kann, welchesso oftvonden führenden Teilnehmern derKonferenz verkündet wurde. Nachdergewaltsamen Erpressung der ver- schiedenen Waffenstillstandsersuchen,ahnten wir schon,daßdieVerträge, welche solchenAntezedentienfolgen,niemalsden Frieden bringen würden, denEuropaalsBasis derWeiterentwicklungbenötigt. Nachdemersten Waffenstillstandsvertragwußtenwir,daßdieWegesämtlicherFriedens- delegationenLeidenswegeseinwerden, wirwußtengenau,schon aufGrund derFormalitäten,daßinVersailles,Trianon, Neuilly usw. keine Verträge geschlossen,sondern Diktateentgegengenommenwerden.

Fälle,die dieWeltgeschichte nicht kennt!!

Esgibt in allenmenschlichen Verhältnissenund Unternehmungeneinen PunktderReife,dendieNatur der Dinge bezeichnethat,undden wir un- gestraftweder vorrücken noch zurückdrängen können. Bis aufeinegewisse WeiteisteinsolchesBestrebenüberhauptnurmöglich:denn absolute Gewalt überdienatürlichenFolgenseinereigenenTatenistdemMenschen nichtgegeben; aber auch, so weitesmöglichist,wirdesimmerverderblich sein,undfrüheroder spätermußdieFruchtlosigkeitdiesesBestrebensdurch- ausin ihrerganzen Blößeerscheinen.

Dasduldende Vertrauen künstlich lahmgelegter Kräfte darfnicht dieQuelle desSystems der Machtvolleren werden. Alleswasbeiden Entente-Staaten darauf berechnetist,erscheint alsgeeignetdiesemduldenden Vertrauenein Endezubereiten.

DerWegzur besseren Existenz derdurchdiePariserVerträge bisaufs äußerstegeschwächten Staaten,mußdurchkraftvolleEntschlüsseundziel- bewußteUnternehmungengefunden werden. DurchenergischeMittelmuß erprobt werden,ob das Prinzip des Lebens, oder dasjenige des Todes den Siegdavontragen wird.

IndieserArbeit wollen wir aufGrundderUntersuchung der wichtigeren Bestimmungender einzelnen Friedensdiktate, deren UnhaltbarkeitundUn- möglichkeit beweisen. WirwollendiefurchtbarenWirkungendieserUnheil

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verkündenden Instrumente derbreiten Öffentlichkeitzeigenundauchim Auslande bekannt machen.

Schöneundgroße Staaten, mit ruhmreicher Vergangenheitundvielver- sprechenderZukunftdürfennicht,könnennichtzuewigenFesselnver- dammtsein!

Die Vergangenheit gehört der Geschichte; unserZiel,das eigentümliche Erbteil allermenschlichen Weisheit

istdieZukunft! Wirwollenihr,wir müssenihrmitMut undHoffnungen entgegentreten! Dasalles,waswirals Übelfühlen, solluns zurErhöhungunserer Bestrebungen, daswaswirfür möglichhalten,zumLeitsternauf der künftigenBahndienen.

Wirhaben beweisen können,daßdieVerträgevonVersailles,Trianon usw.

nichtnurfür dieehemals verbündeten mitteleuropäischenStaaten,sondern fürganz Europa, sogarfürdieganze Welt kranke Verhältnissezeitigten.

Mögensichnoch sovielKonferenzen mit der Möglichkeit der Weltgenesung befassen,solangediebesprochenen VerträgeGeltung haben, seheichkeine Entwirrungsmöglichkeit ausdemChaos,inwelchem wir unsalleinfolgeder KurzsichtigkeitundBöswilligkeit jenerHerrenbefinden,dieunsden Sieg des Rechts verkündeten.

UnsereWaffenwerdenstärker sein,denn wir werdensieimZeichen der Gerechtigkeitso langenichtniederlegen,bisdieGrundlagengerechterer, reiferer,menschlichererundden natürlichen Verhältnissen entsprechenderer Verträge geschaffenwerden.

Berlin,imMai1922. DerVerfasser.

DenillustrenMitarbeiternan derArbeit,demHerrn Ministerpräsidenten Exz. Dr.RadoslawoffundHerrn Baronv.Rosen,dieden Löwenanteilan dem Werkehaben, sageichmeinenherzlichen,warmenDank,für die weit- gehende Unterstützung,die siemirzuteilwerdenließen.

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„HerrClemenceau hatca erreicht,daß das Antlitz des Friedenswesentlichhäß- licher istalsderKriegselbst..

(Ukens Revy,Christiania.27. 6. 19.)

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nterden fünf Friedensverträgen,dievon den fünfalliiertenGroßmächten nebstihren22kleineren,nach Möglichkeit an der allgemeinen Ausplün- derungsichbeteiligendenVerbündeten aus der AltenundNeuenWelt,den Vierbundmächtenim Laufe des Jahres 1920 aufgezwungen wurden,nimmtder VertragvonVersaillesdie erste Stelle einundistfür dieZukunft Europas wie für dieganze Weltpolitikvon ausschlaggebenderundschwerwiegendsterBedeu- tung.Die beiden Verträge vonSt.GermainundTrianon stehen mit diesem furchtbaren,inderGeschichteallergroßenNationenbeispiellosdastehenden FriedensdiktatininneremZusammenhängeundzeigen gleichihmdasdeutliche Bestreben,daspolitischeundmilitärischeRückgrat Mitteleuropasvölligzu brechen.AllenfünfFriedensdiktatenliegtdieunverhüllteTendenz zugrunde, dieVierbundmächtevollständigzuzerstückeln,und, soweitdiesnichtmöglich erscheint, sie jedenfallsaufabsehbareZeitzuvölligerpolitischerundwirtschaft- licherOhnmachtzuverurteilen.InpolitischerBeziehungsind diese böswilligen Bestrebungen,wiedieunterZerreißungdesVertragesvon SÄvreserfolgte Bildung des Türkischen NationalstaatesinAnatolienzeigt,zumTeilbereits jetzt alsmißglückt,vomweltwirtschaftlichenStandpunkt aberalseinwahn- witzigesUnterfangen zubezeichnen. Denn imVersaillerVertragesind, ebenso wieinden übrigen Friedensverträgenvon1920, die wirtschaftlichen Gesichtspunkteüberallzu kurzgekommen,

nicht weil es inden Ländern der Ententean erfahrenenundweitsichtigen Wirtschaftspolitikern fehlte,sondern weilmansienichthörenwollte, siebeiseiteschobundihreernstenWar- nungen unbeachtetließ.So sindindemganzen Gewirrvon Paragraphen,die sichaufwirtschaftlicheVerhältnissebeziehen, diemit tausendFäden mitein- ander verknüpftenInteressendesweltwirtschaftlichenVerkehrsin kurzsich- tigsterWeisevernachlässigtundübersehenworden,weilmanganzeinseitig daraufausging, die wirtschaftlichenInteressenMitteleuropasnach Möglichkeit zu schädigen. SokamnachlangerundangestrengterArbeitschließlichein Elaborat zustande,dasvomreinvolkswirtschaftlichenStandpunkt betrach- tet,selbstdemLaienalseinausdem Köpfen unwissenderDilettanten hervorgegangenes Erzeugnis erscheinenmuß.

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WieDeutschlandbeiVerteidigungeinerFrontvon ungeheurerAusdehnung dieHauptlast desentsetzlichenKriegeszu tragenhatte,wieesvonGalizien undVenetienbisTranskaukasienundMesopotamien,indendreiletzten Kriegsjahren seinen Bundesgenossen helfend beisprang, so ist auch derVersaillerVertrag inseinen weltpolitischen Gesamtwirkungenwohl als der eigentliche Markstein, derWendepunkt inder Geschichte der VölkerEuropas zu bezeichnen,für die er vielleichtfür vieleJahrzehntedie entscheidenden Richtlinienabgeben kann. Denn wennauch der Vertragbis heute nurzumallergeringsten Teil erfülltwordenistund,trotzallemkrampf- haften Erfüllungswillen der deutschenRegierungseitdemLondoner Ultima- tum,niemalsinseinemvollenUmfangeerfülltwerden kann,sowären doch selbstbeisehrweitgehenden Streichungenund Änderungenseine für dieganze zivilisierteWeltverhängnisvollenund schonjetztweitüberdieGrenzen MitteleuropashinauswahrnehmbarenAuswirkungenkaum mehrganz aus derWelt zuschaffen.

Die Frage,obesvon deutscherSeite richtigwar,diesesungeheuerliche Dokumentzu unterschreiben,eineFrage,die beider durchparteipolitische KontroversenundGegensätze hervorgerufenenErregungvielleichtseinerzeit nichtmit dererforderlichenKaltblütigkeitundEntschlossenheiterwogen wordenist,sollhiernicht erörtertwerden.Jedenfallswurdevon Deutschland durch roheGewaltdieUnterschrift unter einen Vertragerpreßt, der, selbst wennseine restloseErfüllung praktisch möglich wäre, dochdemSelbstmorde derNation unddemUntergange der europäischen Kulturwelt gleichkäme.

DerFranzosePaulReboux,ein Schriftsteller,derdiegerade unterFranzosen soselteneTugendder „Zivilcourage“jedenfallsinreichemMaßebesitzt, äußertsichzudieserFrageinseinemkürzlicherschienenen,zeitgeschichtlichen

Roman„Les drapeaux“ mit den folgenden freimütigen Worten:

„Die deutsche Heucheleiistbeiunsgenau soeinDogmawie derHaßgegen Deutschland.

Wo

hatsichdennihre Treulosigkeitsodeutlich gezeigtf Bei derErfüllung des Vertrages,denmansiemitdemRevolver an der Schläfe unterzeichnenließ?... HeuteschreienunsereUnterhändler,alssollte unsdieHautabgezogen werden.EsistdieFolgeihresUnverstandes.Warum habensiezuvielverlangt!Warumhabensienichts erreicht! Siehaben einen RachevertragstatteinesFriedensvertragesgeschlossen...“

Diesevon einem FranzosenhierausgesprocheneWahrheitistbekanntlich vondemenglischen VolkswirtschaftlerKeynes,einem Gelehrtenvon großer Bedeutung, einem Menschen, derKopf undHerz aufdemrechtenFleck hat, inseinennamentlichinderganzen angelsächsischen Welt weitverbreiteten BüchernineingehenderWeisewissenschaftlichbegründet, dabeidieganze

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Unsinnigkeit desVertragesmit vernichtenderIronie gegeißeltworden. Der Umstand,daßeinesogewichtigeStimme vomOberstenRateunddenlei- tendenbritischenPolitikern

von den Clemenceau, Poincare, Briand usw.

kann man hierbei wohl absehen

niemals beachtet wurde, hat geradefürdasmitvieleninneren SchwierigkeitenkämpfendeEnglandbis heute schonsehrübleFolgengezeitigt,worauf weiter unten noch zurück- zukommenseinwird.

Anohnmächtigen, wirkungslosen ProtestenvonseitenderDeutschenRe- gierunghates indenletzten dreiJahren bekanntlich niemalsgefehlt. Auch dieerzwungene Unterschrift unterdenVertragwar bekanntlichvon einem solchen Protestbegleitet,dendievonihrem ganz unerwartetenTriumphberauschten FranzosenalsvölligbelangloseRhetorik mit einem Achselzucken der Nicht- achtungabtun konnten.Aberesistimmerhin bemerkenswertundhätteden Ententepolitikernzudenken gebensollen,daßeinitalienischesBlatt, die

„Perseveranza“(v.25.Juni 1919)bei einerBesprechung des bevorstehenden Friedensschlussesu.a.bemerkte:„...Unddoch wirddieserProtestinZu- kunfterheblichmehrGewicht habenalsdieUnterschrift.“

In den neutralen Ländern,inHolland,inder Schweiz,inSchweden, Nor- wegen,Dänemark,Spanienundder südafrikanischenRepublikistindenletzten Jahreninzahlreichen PressestimmeninschonungsloserundschärfsterWeise dieArt des Friedensschlussesgebrandmarkt worden.InallendiesenLändern, aberauchin vielen,namentlichoppositionellen,englischen,französischenund italienischenBlätternwurde übereinstimmenddieEmpörunglautüber diesenvomGefühl„niedrigsterRachsuchtundRaubgier“diktierten,„in jedem Worteunsittlichen“Friedensvertrag. Mit Rechtwurdeer alsein„elendes Machwerk“,als„eineKriegserklärung andieMenschlichkeit“(Nya Dagligt Allehanda),alseine„Verewigung des Kriegszustandes“bezeichnet, dienur zu sehr geeigneterscheint,dasfastvölligbalkanisierteEuropaauf Jahrzehnte hinausin einPulverfaß zu verwandeln.DieinneutralenLändern ziemlichallgemeinaufflammende Entrüstunginterpretiertewohlamzu- treffendesten eineholländischeZeitung(Algemeen Handelsblad,8.5.19), wennsiemeint, der Friedensvertrag müsseals„eineErniedrigung empfunden werden,nichtnurfür dieVölkerundRegierungen,dieanihmmitschuldig sind,sondern alseineErniedrigungfür dieganze Menschheit.“Und

diepsychologischeGrundlage,von derdie inParismit der Abfassung des Friedensentwurfs beschäftigten Ententepolitiker ausgingen, kennzeichnet die englische Zeitschrift„Economist“(2.6.19)wohlamzutreffendstenmit den Worten: „Dieser Friedeistvon Leuten gemacht,dieandenNachwehen derKriegshysterieleiden.“

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Kurzvor deram28.Juni 1919erfolgtenUnterzeichnung verkündetedie französische Presse der Welt triumphierend,dieserFriedewerdeeinfranzö- sischer Friedesein.ImHinblick auf Englandundbesonders aufAmerika, daserst dieEntscheidungimWeltkriege herbeigeführthatte,konntemanzu- nächstgeneigt sein,diesestolzeÄußerungfüreinedurchdiegewohnte AnmaßungdesstetssehrlautkrähendengallischenHahneserzeugteRedeblüte zuhalten. Aberder weitereVerlaufhatgezeigt,daßdie französischePresse mitdieserBehauptung vollkommenRecht behaltenhat.EsistinderTatein französischer„Friede“geworden,1

französischschoninsofern,alsernach englischemUrteil(Economists.o.)voneinemQuartett verrücktge- machterPolitiker zustande gebracht wurde, vor allem aberdeshalb, weil eraufdem Kontinent fastausschließlichnachdenberühmten Mustern LudwigsXIV. undNapoleons,dieInteresseneinesanmaßendenundufer- losenfranzösischenImperialismusvertritt. Die FehlerundUnterlassungs- sündenderenglischen undamerikanischenPolitik,durchwelchediein Mitteleuropaein politischesundwirtschaftlichesChaosanrichtendefran- zösischeGroßmannssuchtsichso insUngemessenesteigernkonnte,werden nur sehr schwer,vielleichtniemalsmehrganz wieder gutzumachensein.

Dadiegesamte Kulturwelt,einschließlichallerweitsichtigenEngländer undFranzosen,von AnfanganeinsovernichtendesUrteilüberden Vertrag gefällthat,soistes klar,wie das endgültigeUrteilderWeltgeschichteüber diesesDocumentuminsaniae lauten wird.Derauf derLondoner Konferenz im Mai 1921 von deutscherSeitegemachte Hinweis auf dasUrteilderWelt- geschichtewurdevon Lloyd George mit der ironischen Gegenfrage unter- brochen:„WannfängtdenndieWeltgeschichtean?“Diese Fragestellungist nicht richtig.Die Fragehätte,im Hinblick aufdievorliegende Situationund ehrlichausgesprochen,doch nur lauten können:„Wanntrittdenn derZeit- punktein,andemwirdiesesUrteilzu fürchten haben?“EinesolcheFrage wäreumsomehrberechtigtgewesen,alsArthurPonsonbyim„Labour Leader“ schonimMärz1919schrieb:„Bilden wir unsjanicht ein,daß der Mangel anRitterlichkeit,Großmut undMenschlichkeit,dieaußerordentliche TorheitundKurzsichtigkeitunddiekühle,grausame, berechnende Barbarei dervon den großenMännerninParisbetriebenenPolitikunbeachtetbleibt!“

DasUrteilderWeltgeschichtealsAusdruck deröffentlichenMeinungder gesamten Kulturweltkannsichim allgemeinenerstdanngeltendmachen, wenndiedurchdieKriegspsychosewildaufloderndenFlammennationaler Leidenschaften wieder erloschensind,wenndiean einemkriegerischenZu- sammenstoßbeteiligtenNationenwiederzur kühlenSelbstbesinnungzu- rückkehrenunddieabsichtlichoderunabsichtlichirregeleiteteöffentliche

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MeinungwiederdenWegzur Wahrheit zurückfindet. InunseremFalle voll- zieht sichjedoch derAnmarschderWahrheitineinem sehr beschleunigten Tempo,

derWahrheit namentlich auchinbezug aufdie inDeutschland amAnfänge so unglücklich behandelteSchuldfrage. Denninneutralen Ländern sind schonseitlängererZeit eineReihevon namhaften Juristenund Historikerndamitbeschäftigt,dieSchuldfrageindiesem Weltkriege durch einegewissenhafte,eingehendeundunparteiischeUntersuchungineinwand- freierWeisefestzustellen. Ihrem,vonderEntente so sehr gefürchteten Ver- dikt,werdenalleamWeltkriegebeteiligtenVölkersichwiderspruchslosbeugen müssen;ungeschickteLügen und Verleumdungen im Stileder„Agence Havas“,raffiniertgeschicktenach Art desReuterschen Bureaus,wie siewährenddesganzen KriegesihreunheilvolleWirksamkeitentfalteten, werdendannderEntrüstung oderdemSpotte der ganzen Welt preisgegeben sein.

Inbezug aufdieseüberaus wichtigeFragemüssenwir,etwasvorgreifend, schonandieser StelleaufdenArtikel231 des Friedensvertrages näherein- gehen,weil dieseraneineunauffällige Stelle in dieMitte der 440 Paragraphen gerückteArtikeldas Leitmotiv,deneigentlichenKernpunktdesganzen Ver- trages bildet.DemunbefangenenundunparteiischenKritiker,dersichganz aufdenBodenderhistorischenTatsachenstellt,kanner freilichnuralsdas völligbrüchigeFundamenterscheinen,dasbeimeinwandfreienNachweis seinerHaltlosigkeitdieganzeraffiniertaufgebautePyramidevonPara- graphen zuFallebringenmuß,da der gesamte Vertragdannjeder juristischen undmoralischenGrundlage entbehrt. Der Art. 231lautet;

„DiealliiertenundassoziiertenRegierungenerklären,undDeutsch- land erkenntan,daßDeutschlandundseineVerbündetenalsUrheber für alleVerlusteundSchäden verantwortlichsind,diedie alliiertenund assoziiertenRegierungenundihreStaatsangehörigeninfolgedesKrieges, derihnendurch den Angriff DeutschlandsundseinerVerbündeten aufgezwungen wurde,erlittenhaben.“

DiesesvonDeutschland erpreßteSchuldbekenntnissolldiemoralische undrechtlicheBasisfür diezuleistendenZahlungenvonunbestimmterHöhe abgeben,von denenimfolgendenArtikelmit seinen 6 AbsätzendieRedeist.

Danach würdez.B.die injedemFalleganz widerrechtlichgeforderteSumme

für diePensioneninFrankreichalleinmehrals4MilliardenFrancsbe- tragen!

Sehen wirnununs zunächst diesenimArt.231behaupteten „Angriff“

Deutschlands aufseine29 Gegner etwas genaueran,denndiesevonoffizieller deutscherSeitebishervernachlässigteFrageisthiervonderallergrößtenund

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entscheidendenBedeutung.Nichtnur der HistorikerundzünftigeDiplomat, sondernüberhaupt jeder unparteiischegebildeteEuropäer, derdie politische Entwicklung der internationalen Beziehungen in den letzten beiden Dezennienauch nurleidlichkennt,kannaufGrundderbisherigenEnthüllungen undVeröffentlichungeninder Zeitgeschichtebereitsheuteklargenug sehen, umzur SchuldfragedierichtigeStellungeinzunehmen.Die Einzelheiten beim Kriegsausbruch, vor allem der nervöse diplomatische NotenwechselimJuli 1914,habenfür dieEntstehung der furchtbaren Katastropheeinenur unter- geordnete, episodischeBedeutung,dadieeigentlichenUrsachen sehrviel tieferliegen. Als weit zurückliegende, völkerpsychologische Ursachen des Weltkriegesmuß manden machthungrigen russischenPanslavismus,den Revanchedurst der FranzosenunddenihrerpolitischenMentalität eigenen

„Espritperturbateur“,sowieden brutalenweltumspannendenbritischen Imperialismus bezeichnen.Aufdieserallgemeinen politisch-psychologischen GrundlageentwickeltensichindenletztenJahrzehntendieFeindschaft unddasMißtrauen gegendiegewaltigepolitischeundwirtschaftlicheMacht- entfaltung derBismarck’schenStaatsschöpfung,sodaß der Weltkrieg vor allemgegendiezu hoher Blütegelangte,vonallenNachbarstaaten beneidete und durchdiedeutscheWehrmachtgeschütztedeutsche Arbeit

gerichtetwar.

Nachder kurzen,von 1898 (Faschoda)bis1904 währendenPeriode,als dieFeindschaft Frankreichsgegen Englandsichstarkzugespitzt hatte,kam

eszunächstzueinerenglisch-französischenVerständigung. Soweitdabei EnglandinFragekam,magmanan einen defensiven Charakterdiesesengen Einvernehmens noch glauben. AlsaberEnglandimAugust 1907sichmit seinem gefürchtetenGegnerinAsien,mitRußlandüber Persienverständigte, wobei das Zarenreichden Löwenanteilerhielt,wurdees klar,daß Englandes darauf abgesehenhatte,Mitteleuropazuisolieren. DerTrägerdieserhart- näckigen EinkreisungspolitikwarbekanntlichKönigEduardVII.in eigener Person,derimgleichen Jahrezuerstden König ViktorEmanuelIII.,und dann auch den Kaiserund KönigFranz JosephzumAbfallvomDreibunde zu be- wegensuchte.DerbelgischeGesandteBaronGreindl,demwirso vielewert- volleEnthüllungen überdiePolitikderEntente verdanken, kennzeichnet den königlichen Lebemann sehr zutreffend, alserim Februar 1919unter anderemschrieb: es kanneinem nichtentgehen,daßder Welt- friedenniemalsernstlicherbedroht war,alsseitdem derKönig von England sichdamitbefaßt,ihnzubefestigen.“

Mangehtdeshalbwohlkaumzu weit,wennmanKönigEduardin letzterLiniealsdengeistigenUrheber der Weltkatastrophebezeichnet,wennerauch ihren AusbruchundihrenUmfang

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nichtgenügend vorhergesehenhat.

SeitdieserZeitwarRußlandunab- lässigbemüht,seineArmee,zumTeilmitfranzösischerHilfe,zureorgani- sieren,währenddie russischeAußenpolitikeineemsigeagitatorischeTätigkeit impanslavistischen Sinne auf der Balkanhalbinselundin Galizien entfaltete.

ImBeginn des Jahres 1913 war Rußland, das auchdiedreijährigeDienstzeit inFrankreicherzwungenhatte,jedenfallsschonfestentschlossen,beider erstengünstigenGelegenheitgegen Österreich-Ungarn bezw.dieMittelmächte loszuschlagen.DerZarerklärteim Februar1913ineinemkleinerenKreise vonOffizieren,Rußland werdeimBundemitFrankreichnichtspäterals 1915zumAngriffgegendieMittelmächte Vorgehen. ImgleichenSinnearbei- tetendieVertreterRußlandsimAuslande,HartwiginBelgrad,Schebeko inWien undnamentlichIswolskyin Paris, dieaufeigeneFaustundnur imlosenZusammenhängemitdemAuswärtigen MinisteriuminPetersburg, eineausgesprochenpanslavistischeunddeutschfeindlicheAgitationbetrieben.

Der zumKriegsbeginnIswolskyin Paris entschlüpfte,unvorsichtigeAusruf:

„C’estmaguerre!“istdeshalbsichernichtunbegründet.

HeutedarfesbereitsalshistorischfestgestellteTatsachegelten,daß RußlanddieHauptschuldamWeltkriegeträgt. Festgestelltistdiese nichtmehranzuzweifelndeTatsachezumTeildurchdiesorgfältigenundsehr wertvollenUntersuchungen überdie russischeMobilisationvonProf.Robert Höniger1

,derdie inWarschau,WilnaundRiga Vorgefundenenrussischen MobilisationsakteneinereingehendenPrüfung unterzogenhat,vor allem aber durchdievon den Bolschewisten, namentlich durch den Historiker Pokrowski, miteinerrücksichtslosen,fürEnglandundFrankreich höchstpeinlichen OffenheitvollzogenePublikationderPetersburgerdiplomatischenAkten- stückeausdemJahre 1914.

Bereitsam3.März 1914 hateingeheimerMinisterrat inPetersburgstatt- gefunden,nachwelchemineinem Immediatberichtan den ZarenalleVorbe- reitungenfürden Kriegerörtertwurden. Undschonam13.Märzerschien unterderÜberschrift„Rußlandistkriegsbereit“jeneraufsehenerregende Artikeldes Kriegsministersinden „Birschewyja Wjedomosti“,indemder Passusvorkam,dierussischeArmeevon2Millionen330000Mannwerde nichtsmit derDefensivezu tun haben. Schon imFebruar hattendie(gegen Österreich-Ungarngerichteten)sogenannten „Probemobilisationen“ begonnen, dievonvielenAugenzeugen,u. a.auchvomserbischenGesandteninBerlin Bogitschewitschbestätigtwordensind.DierussischeAktionspartei verlangte schonjetztden Kriegfür1914,dernichtspäteralsimHerbstinAngriff genommenwerdensollte.Schonjetzt,vor derErmordungdesösterreichisch-

1Robert Höniger. Rußland« VorbereitungzumWeltkriege. Berlin1919.

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ungarischen Thronfolgers, lagendieDingeso,daß derZusammenstoßzwischen RußlandundderDonaumonarchieganz unvermeidlicherschien. Nachher, nachdem Ultimatuman Serbienvom23. Julikonnte keineMachtderErde undkeineKonferenzRußlandmehrvon seinem Angriff zurückhalten,da esgenau wußte,daßesnichtalleinblieb,undauchdieenglischePolitik sichaufdie russisch-serbischeSeite stellte.

Lloyd GeorgeließimSommer1921imUnterhause einmaldieÄußerung fallen,alleStaatsmännerEuropas hätten 19 14 den Kriegnicht gewollt, sie seienunversehensinihnhineingestolpert. DieWorteeinesMannes, derpoli- tischsooft stolpertundhäufigganzumfällt,haben wohl keinallzugroßes Gewicht;siebezeichnenwohlkaumzutreffend denWeltkriegalseinelemen- taresNaturereignis,fürdasniemanddiepersönlicheVerantwortung tragen soll. DerfrühereitalienischeMinisterpräsidentNitti, derinseinem kürzlich erschienenenBuche„DasfriedloseEuropa“Rußlandfür die Zeitvordem Kriegeals„diegrößteGefahrund BedrohungfürEuropa“bezeichnet,schürft etwastiefer alsLloyd George,wenner erklärt

:

„EineaufrichtigeundgenauePrüfungallerdiplomatischen Zeugnisse,aller Vereinbarungen,allerAbmachungenvordemKriegezwingt mich,feierlich zuerklären,daßfürden KriegnichtnurdieBesiegten verantwortlichsind, sonderndaßinverschiedenemUmfangeallekriegführendenLänder ihrenTeilandieserVerantwortungtragen.“

Dieinden verhängnisvollen Juiitagen gewechselten diplomatischenNoten habenzumgrößtenTeilschonwegenihrerUnaufrichtigkeitnureineunter- geordneteBedeutung.Nicht vergessen aber darfdieWeltdieNote,dieBeth- mann-Hollwegnocham29.Juli aufWunschSirEdwardGreys nachWien sandte,inderer Österreich-Ungarndringend aufforderte, den Vorschlag einerLondonerKonferenz anzunehmen. Undeswird empfohlenauchdieHaltung des ungarischen MinisterpräsidentenTiszanicht zu vergessen, dergegenden Kriegdieganze KraftseinerPersönlichkeit einsetzte.SowohldieNoteBethmanns,alsauchdieHaltungUngarnsliefern unsden Beweis,daßesbarerUnsinnist,voneinerSchuld der Mittelmächte amWeltkriegezu reden. WennderenglischeNachrichtendienstüberallin derWeltverbreitete,derKriegseivomKaiser Wilhelmundeinerdeutschen Militärpartei angezetteltworden,somachtdas der Schlauheit derbritischen PolitikalleEhre, gereichtaber denzahllosen Flachköpfen,diespäter diese englischeLügegläubignachplapperten,dauernd zur Schande. Esistda- her sehrverständlich,wennJ.Morel, der Vorsitzende der„UnionofDemo- craticControl“sichvomBunde „NeuesVaterland“, der mitihmVerbindung suchte, kürzlichmit Entrüstungabgewandt hat, weil er als Eng-

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länder deutsche Selbstbezichtigungen,dienoch dazuvölligfalsch sind, nichtverstehen kann.

Daßübrigensdasalte,vornehme, durchvielekonservative Traditionen mit Preußen verknüpfte PetersburgerRußlandbiszuletztgegenden Krieg mit Deutschland war,mußhierumsomehrnachdrücklich betont werden,als gegenwärtigdiesesAltrußlandzumgrößtenTeilseinenWohnsitzinBerlin aufgeschlagenhat. Vergebens erhob der SenatorBaron Rosenschonim Februar 1914imReichsratseinewarnendeStimmegegen einen Krieg; auch dieklugen MinisterKokowzoff und Kriwoschein,von denen dererstere entferntwerden mußte,umden Krieg führen zu können,warenfriedlich gesinnt,ebensoDurnowoin seinerDenkschriftan den Zaren, der General Kuropatkin,derdieBalkanfragenbehandelndeFürstTrubetzkoi und Graf Witte. DenKrieg,alsdessenEndzieldieEroberung Konstantinopels undder Meerengengalt,betriebvielmehr dasneueRußland,dieunter englisch-französischemEinflußstehendeliberaleDemokratie,inder Handel undIndustrievorwiegend vertreten waren. Diesespolitisch erst seit1906 hochgekommeneElement schloßsichjetztdermilitärischenAktionspartei unterdemGroßfürsten Nikolai Nikolajewitschan,vonderschließlichauch der anfangseinesehrschwankende Haltung einnehmendeMinisterSasonoff undderganzwillenloseZarvölligumgarnt wurden.

Esistheutefüreinen Historikervielleichtnochschwierig, dieGröße der Kriegsschuld zwischen demoffener undbrutalervorgehendenRußland undseinembiszuletzt offiziell rechtvorsichtigzuWerkegehenden französischen Bundesgenossen richtigabzuschätzen. Besonders deshalb,weil dieKriegsparteieninbeiden Ländernseit1912sichabwechselndgegenseitigaufhetzten,sobald der andere Teilschlappzuwerdenschien. SoschriebIswolsky1913, als inFrankreich dasfriedfertigeKabinettDoumergue-CaillauxamRuderwar,nach Petersburg, manmüsse „der französischenPolitik einegrößere Aktivitäteinflößen“,während andrerseitswiederDelcasslundPoincar£inPetersburgeineAufstachelung derKriegslust fürnötighielten. WennFrankreichundEnglandihreArchive mit den aufdenKriegsausbruchsichbeziehendenGeheimaktenängstlich verschlossenhalten,sohabensiegewißreichlichGrunddazu,doch wirddieser Umstanddieexakt-wissenschaftlichenUntersuchungenneutralerHistoriker zwar vorübergehend behindern können, dasUrteilderöffentlichenMeinung derWelt nurumso schnellerauf denrichtigenWegleiten. Esistübrigens auch sehr bezeichnend, daß Ferdinand Buisson, der Vorsitzende der„Liga für

M

enschenrechte“in Paris,dieden französischen Chauvinismusunddie imperialistischeRichtung der französischenPolitikgrundsätzlich bekämpft, esdoch zurückgewiesenhat, sichaneinerstreng sachlichenUntersuchung der

Lukäcs,FortmitdenFriedensverträgen. 2

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Schuldfrage zubeteiligen. WenigervoreingenommenstehenzudieserFrage dieinOppositiongegendieFriedensverträgebefindlichenEngländer, unter FührungvonMorel undPonsonby,die für eine solcheUntersuchung mit dankenswerter Energieeintreten1.

ImallgemeinenundingroßenZügenstehtdas Bild derEntstehung des Weltkriegesalsoheute schonklargenug vor unseren Augen: Der durchden serbisch-österreichischenKonfliktentstandeneBrandherd, derunternor- malen Verhältnissen auf den westlichenTeilder Balkanhalbinselhättelokali- siertwerden können,wurdedurchRußlandimBundemitFrankreich zueinem großen Zweifrontenkriege gegendieMittelmächte,durchEngland aberzueinemWeltkriegevon ungeahntenundnochniedagewesenen Dimensionenentfacht. England, das sowohldenrussischenPanslawismus wieden französischen ChauvinismusinihrerRichtung gegen Deutschland indenletztenJahren vordemKriege zu fördernsuchte,mußaußerdemals dergeistigeUrheberjenerunheilschwangerenAtmosphäregelten,ausder diefurchtbareWeltkatastrophe hervorgegangenist. Wenndietraditionelle britischePolitik stetsdaraufgerichtetwar, unter denMächten des europäischen Kontinents Unfriedenzusäen,bezw. dasvon BernhardShawals„Brutofen europäischerKriege“bezeichnete, labileGleichgewicht derMächte zupflegen, sowarvomStandpunkt des nationalen Egoismuseinesolche Politikgewiß sehrklugund vollkommenberechtigt.DenndieStärke der englischenWelt- machtstellung beruhte zuallenZeitenauf der UneinigkeitundSchwäche der Kontinentalmächte.Wirwerden,trotz allenVölkerbundsphantasien,deshalb auchinZukunft gewiß miteinersolchen EinstellungderAußenpolitikEnglands zurechnen haben.Auchdie dreiFriedensverträgevonVersailles, St.Germain undTrianon entsprecheninihren territorialenBestimmungen, mit der völligen BalkanisierungEuropas,seinerZersplitterunginzahllosekleineundohn- mächtigestaatlich-nationaleEinheiten,durchaus diesem Geiste des„Divide etimpera“ derbritischenPolitik. Imbesonderenfranzösischistdas in diesenVerträgenzutagetretendeBestreben,vor allemdasgefürchtete Deutsche ReichdurcheineReihekleinerdeutschfeindlicher Staatsgebilde zu umzingeln,dieFrankreich durcheinenichtungeschickteundkonsequente Politikdurcheinmöglichst engesBundesverhältnisansichzu kettensucht.

Dievon neutralen Fachgelehrtenbereitsbegonnene,auchvonderdeutschen Delegationin VersaillesinderMantelnotevom29.Mai 1919 geforderte Unter- suchung überdieVerantwortlichkeitfürden Krieg wird gewißmanchein- 1DengleichenmoraliachenMuthatnach der Konferenz vonGenuaauch der Vorsitzende der„Liga fürMenschenrechte“inLyon,LouisGuitantbewiesen, wieseinbekanntet offene»

SchreibenanBarthou gezeigthat.

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teressante Einzelheitergeben,imallgemeinen aber andemoben kurzskiz- ziertenBildederEntstehungsgeschichtedesKriegeskaumetwasändern können. Die angebliche Schuld Österreich-Ungarns, dassichgegendiegroß- serbischen,von der ungeheurenMachtdes Zarenreichesoffenunterstützten undgegenden Bestandunddie IntegritätderDonaumonarchiegerichteten Pläne wohl oder übel zurWehrsetzenmußte, habeichhiernichtberührt, da an andererStelleausführlicheraufsieeingegangen werdensoll. Wir wissenalso

unddieganzeWelt

soweitsieüberhaupteinesunparteiischen Urteilsfähigist,sollteeslängstwissen

,daß derArtikel231in seinerganzen Fassungeine Lügedarstellt. EineLüge,diealssolcheallenausden Artikeln 231und232gefolgerten,dabeizumgrößtenTeilwiderrechtlichen, finanziellenundwirtschaftlichenForderungen, sowieden berüchtigtenStraf- bestimmungen, jede wirkliche Rechtsgrundlageentzieht.

Ganzabgesehenvon der inneren Unwahrhaftigkeitundmoralischen Ver- werflichkeit dieserGrundlage, erscheinen aberdie VersaillerFriedensbedin- gungen,ganz ebenso wiedievonSt.GermainundTiianon,alseingrober Vertrags-und Vertrauensbruch,alseinBruchdesAbkommens,indem von beiden vertragschließenden Parteiendiebekannten 14 Punkte Wilsons ausdrücklichalsunabänderlicheGrundlage anerkannt wurden. Die schreiende Dissonanz zwischendemFriedensvertrage,wieeram28.Juni 1919 unter- zeichnetwurde,unddenam11.November1918 vereinbarten Rechtsgrund- lagen,mußalseineflagranteVerletzung elementarer Völkerrechtsgrundsätze angesehen werden.DennderunsaufgezwungenefranzösischeFriedeClemen- ceausistnichtetwaeinverschärfterWilsonfrieden, dernachdemvölker- rechtlichbindendenÜbereinkommenvomri.November 1918dieinden 14 Punkten enthaltenen allgemeinen Grundsätze zur Richtschnur zunehmen undnurdieEinzelheitenzuregeln hatte,sondernvertritt fast in allenseinen Teileneinengrundsätzlichganzneuen Standpunkt.WennalsoderVersailler VertrageineLüge undeineVergewaltigungvölkerrechtlicherGrundsätze zur Voraussetzunghat,somüssen wir uns derWorteerinnern, dieLloyd George in einerseinerunverbindlichenRedenimUnterhauseam22.Oktober 1917 geäußerthat.Er sagte damals:„Wirdürfen DeutschlandkeineWaffein dieHandgeben,dadurch,daßwirihmeinwirklichesUnrechtzufügen.“

Essollhiernicht erörtertwerden,inwelcherWeise Deutschlandseitdem 23.Juni1919,alsesinWeimardieUnterzeichnungdiesesungeheuerlichen Vertragesbeschloß, diese einzigeihmverbliebenemoralischeWaffe vor der Welt geführthat.

Vonden 14 Punkten Wilsons war derletztefürihnselbstwohl der wich- tigsteundammeistenamHerzliegende,dennerenthält in allerKürzedie 2*

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GrundlageseinerVolkerbundsideen, der erträumten „VereinigungallerNatio- nen“,dieuntergegenseitigerGarantieleistungdieUnverletzlichkeitallerBe- teiligtenwahrensollte.ImübrigenhabenalleWilsonschenPunkte einenso allgemein gehaltenen,theoretisch-prinzipiellenundin allenEinzelheitenun- bestimmten Charakter,daßesden französischenundenglischenAutorendes Friedensdiktatsnichtallzuschwerfallenkonnte,diedortproklamierten menschenfreundlichen Grundsätzein allenEinzelheitenbiszur Unkenntlich- keitumzuredigieren.DieVertrauensseligkeit,mit derman1918inDeutsch- land das hohle Wortgeklingel WilsonsfürbareMünzenahm undes alsGrund- lage für dieKapitulationakzeptierte, erklärt sichwohl hauptsächlich ausdem Umstande, daßmanüberdiePersönlichkeitundden CharakterWoodrow Wilsons garnicht orientiertwar,daßmannichtahnte,daßdieserPräsident alsTrägereinesLichtesparadierte,vondemer selbstnicht erleuchtet war, alsHeroldeinerRechtsordnung,die er selbst betrog. DerNorwegerHarris Aall sagt vonihminseinem 1917 erschienenen Buche: „Nordens Skjaebne“

(DasSchicksaldesNordens) sehrzutreffend,„daseinzigeBemerkenswerte an diesemMannesei,daßseineTatenund Worteniemalsübereinstimmten.“

UndzweihervorragendeAmerikaner, der frühereStaatssekretärdesAus- wärtigenRobertLansing undderfeinsinnige JuristundTheologeWilliam BayardHaie,derbiszum EndedesKriegesinAmerikaeingekerkertwar, haben Wilsons Charakter mit genügender DeutlichkeitundSchärfegekenn- zeichnet. Daßerden erhabenenIdealen, die ermit sogroßemrhetorischen Gepränge vordemamerikanischenKongreß undderganzen Welt zurSchau trug, inseinem innerstenWesenvölligfernstand,haterdurchden radikalen WechselseinerAnschauungenund Handlungen genugsamgezeigt. Das ersehen wirauch ausdemsehrsachlichgeschriebenenBucheLansings„Die VersaillerFriedensverhandlungen“(1921). IneinerNotevom10.Juni 1917 erklärteWilson unter anderem:„Phrasenwerden zu keinem Ergeb- nisseführen.“Damithatergewiß Recht,undauchfür seineeigenePerson Rechtbehalten.Dennsang-undklanglos,ohne jedetragischeGrößeund ohne dieAchtungderWelt,istervon derpolitischenWeltbühnemitsamt seinen 14Punkteninder Versenkungverschwunden.ÜberseinePersönlichkeitwird mansowohlinEuropa wieinAmerikadenSchleierdesVergessensbreiten, aberdieFolgenseinerunheilvollenTätigkeit, inderer alsVerkörperer der größtenEnttäuschung derWeltdasteht,werdeninEuropajedenfallsnoch jahrzehntelangsichinverderblichsterWeise geltend machen. Aufdiesen MenschenundseinepolitischenAktionen passenjedenfallsdieüberausharten Worte, mit denen Harris Aallinseinemoben angeführtenBuchedas Kapitel über Wilsonschließt:„Esscheint schwierig, eineso niedrigeUntat zu nennen,

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daßanglo-amerikanischeGoldanbetungsienichtbegehen könnte

oderein so hohesIdeal,daßnichtdieselbe Politik es alsFeigenblattfür dieBlöße ihrerUntat benutzen könnte.“

Esistheutewohlinweiten KreisenschoninVergessenheit geraten,daß indemkritischenJahre1917,alssovielübertatsächlicheoder angebliche Friedensmöglichkeitendiskutiertwurde,dierussischenArbeiter-undSoldaten- räteunter derRegierung Kerenskys einen Friedensentwurf ausarbeiteten, der sichvordenverschwommenen14 Punkten Wilsons durch einenmehrreal- politischenCharakterundeineweitklarereundpräzisereFassunginden Einzelheiten auszeichnet.Der grundlegende Unterschied von WilsonsPunkten bestand aberdarin,daß vonder russischen ArbeiterweltdashumanitäreIdeal, dieunbedingte VerurteilungjederimperalistischenMachtpolitik,auch wirk- lichehrlichempfundenundaufrichtig erstrebtwurde. Aufeinem Kongreß allerrussischen Arbeiter-undSoldatenräte, deram15.April 1917inMoskau stattfand, wurdezunächst derprogrammatische Beschlußeinessolchen

„Friedensohne AnnexionenundKontributionen“gefaßt, einesFriedens,der dieGrundlage zurfreienEntwicklungallerVölker bildensollte. ImOktober 1917 gab das Exekutivkomitee der Arbeiter-undSoldatenrätedemArbeits- minister SkobeleffeineInstruktionfür dieKonferenz derAlliierteninParis mit. Diese Instruktionenthielt in15Punkten den Entwurf zu einem zu- künftigenWeltfriedenohneEroberungenundEntschädigungen. Danach solltedieWiederherstellungBelgiens,SerbiensundMontenegros auseinem internationalen Fondserfolgen,Polen, Litauen,Lettlandund Armenien solltenAutonomieerhalten,dieelsaßlothringischeFragedurcheine völlig freieVolksabstimmunggelöstwerden. Weitere wichtigePunkte waren dieWiederherstellungRumäniensinseinenaltenGrenzen,dieAutonomieder italienischenProvinzen Österreich-UngarnsbiszueinerVolksabstimmung,und dieRückgäbeallergeraubtenKolonien an Deutschland.Es verstehtsich vonselbst,daßdiesesProgrammzujener Zeit bei allen sozialistischenPar- teienDeutschlandsundÖsterreichsohne jeden Vorbehalt Billigungfand.Der scharfeUnterschied zwischendemEntwurf derrussischenArbeiterunddem Wilsonprogrammzeigtsichnamentlichbeieinem Vergleich derimersteren so klarundbestimmt ausgesprochenen Forderungeninbezug aufdiedeut- schenKolonienundElsaß-Lothringeneinerseits,unddemfünftenundachten Punkte Wilsonsandererseits,mit ihrenverschwommenen, gewundenen und historischunwahrenRichtlinien.Wennauch derininternationalen Arbeiter- kreisen vielfach erörterte russischeFriedensentwurfkeinerleipositiveErgeb- nissezurFolgehatte,sohatmitihmdervomWesteuropäersogeringschätzig beurteilte russische„Muschik“ doch weitmehrGerechtigkeitsgefühlundge-

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sunden Menschenverstand bewiesen,alsdieAutoren desVersaillerVertrages mitihrermehralsfragwürdigenArbeit.

DerersteTeildesVersaillerVertragesenthältbekanntlichdieVölker- bundsaktein26Artikeln. Die heuchlerisch-humanenRedewendungen von den zukünftigen internationalen Beziehungen,die„auf der Gerechtigkeitund aufder Ehre“ beruhensollen,machendurchihreZusammenstellungundVer- koppelung mit denvomGeisteder brutalstenimperialistischenMachtpolitik erfülltenFriedensbedingungenden ganzen Vertrag zu einem besonders wider- wärtigenDokument.

WelcheStellungmanzururalten, bereitsim13.Jahrhundert auftretenden Idee des Völkerbundesauch einnehmen mag,jedenfallswaresauchfürdiesen GedankeneinVerhängnis,daßsicheine Persönlichkeitwie Wilsonseinerso ausschließlichbemächtigte. InAmerikawarbereitsseit1693 derQuäker WilliamPennfürsolcheBestrebungeneingetreten, inganz ähnlicherFormwie Wilson, aber

imGegensatzzu diesem

voneinemwahrhaftchrist- lichenStandpunkte ausgehend.WährenddesWeltkriegesistzuerst inEng- landLord Greymitdem Gedankeneinesinternationalen Bundes zurWah- rung des Friedens hervorgetreten, miteineram23.Oktober 1916 gehaltenen Rede,dieam9.NovemberdesgleichenJahresbeiBethmann-Hollwegein lebhaftesundsympathischesEchofand.

Am

18.Dezember1916 hatdann Wilsondieseenglisch-deutschenAnregungenaufgegriffenundzuerstda- vongesprochen,daßdieBildungeinerLiga derNationeninErwägungzu ziehensei. NachdemAmerikainden Weltkriegeingetretenwar,seitdem

31.Januar1917,verändertesich beiWilson der Völkerbundgedankeimmer mehrzueinerWaffe,mitderdaskaiserlicheDeutschland zerschmettert werdensollte. WilsonswenigglücklicheArbeitin Parisan seinemgeistigen Lieblingskinde,istvondemberufenstenKritiker,demzweitenamerikanischen Delegiertenzur Friedenskonferenz, Robert Lansing,inseinemobenerwähnten Buchesehrklarundeingehend gekennzeichnet worden.Lansing,derinParis diemühevolleAufgabehatte,imVereinmitdemOberstenHouse,beider schwierigenGeburt des Wilsonschen Wechselbalges zuassistieren,schreibt über Wilsons Völkerbundsentwurfwörtlich:

„ErverräteineUnerfahrenheitinderKunstdesEntwerfensundeine Mangelhaftigkeit desAusdrucksdieentweder auf unzulängliches Verständnis fürdenWeitderExaktheit oder auf großeEile beiden vorbereitenden Arbeiten zurückzuführensind.“

Lansingfügthinzu,daßalleBemühungen,durch welchevonihmunddem OberstenHousedieFehlerundUnzulänglichkeiten dererstenWilsonschen Fassungverbessertwerdensollten, esnichtverhindern konnten, daß „die Ver-

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schwommenheitundZweideutigkeit“ deserstenEntwurfesauchindemend- gültigenText übergingen. Soistdersogenannte Völkerbund entstanden, der sichanmaßt,eineKontrolleüberdieauswärtigePolitikallerzivilisierten Staaten der Weltausüben zu wollen!Eine betrübendeIllustrationzu jenem berühmtenWortdesschwedischen Kanzlers Oxenstjerna darüber, mit wie wenig VerstanddieWeltregiertwerde. DiemehrjuristischeBetonungder Völkerbundsfrage, die Gründung einer internationalen Rechtsorgani- sation, wiesienamentlichvon den kleinen neutralen Staaten gewünscht wurde, wiesieindemjuristisch alleinernstzunehmendendeutschenVölker- bundsprojekt zutagetritt,undwiesieauchvonLansingvertretenwurde, konnteinParisgegenüber den englischenundfranzösischenMitarbeitern, undauchdemeigensinnigenWilson gegenüber,nichtzur Geltungkommen.

Daspraktische,daher echtbritische„Ideal“einesVölkerbundes,wieesvon Lord RobertCecilinseinemEntwürfe vertreten wurde, kehrtausschließ- lichdiepolitischeSeitederFrage hervorund machtden Völkerbund zu einem Kompagniegeschäft der fünfGroßmächtederEntente,zueiner inter- nationalenOligarchie, derdieKontrolleallerinternationalenBeziehungen unddieLeitung der auswärtigenPolitikallerNationenindieHandgegebenwird.

EinederartigeFormhat der heute bestehende Völkerbundtatsächlichan- genommen,nurdaß durchdieIroniedesSchicksals dieVereinigten Staaten, alsunumgänglich notwendiger Teilhaber aneinerWeltpolitikindiesemBunde zurzeitnochfehlen.Einwirklicherundwahrer Völkerbund, wie ihnallean der Illusionvon „der gebesserten Menschheit“ festhaltendenIdealistenerträumt haben, widersprichtvonallemallzusehrdemGeistederbritischenPolitik dennfür dieEngländer habensichzuallenZeitendieAnschauungenvom

„Völkerrecht“ mitdemWahlspruch: „Rightorwrong,mycountry“ gedeckt.

Alsz.B.Dänemark imJahre 1808vonEngland vergewaltigt wurde,erklärte CanningimUnterhause,ohne auf irgendeinerSeiteWiderspruch zufinden:

„Wirdirgendjemandbehauptenwollen,daß wir...auf Maßregeln,diedurch KlugheitundPolitikgeboten waren,hätten verzichtensollen, um nach unserem Niedersinken den Trost zu heben,daßwirdieAutorität des HerrnvonPufendorf, das heißt das Völkerrecht,füruns anrufen könnten.“

NachderFassung desersten ArtikelsderVölkerbundsakte, derbesagt,daß alleStaatenMitgliederdesBundes werden können, „vorausgesetzt, daßsie tatsächlichGewährfür ihreAbsicht geben, ihreinternationalenVer- pflichtungen einzuhalten“, undnachallenVerletzungenvölkerrecht- licherAbmachungendurchdieEntente,diewirvon1919bis1922erlebt haben,müßtenlogischerWeiseEnglandundFrankreicheigentlichschon aus demVölkerbunde ausgeschlossen werden.UndtatsächlichistderVölkerbund

Die

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dasgeworden,wasernach den IntentionenseinereuropäischenSchöpfernach BeiseiteschiebungWilsonswerdensollte

einbequemesHilfsmittelzur Durchführungeinesbrutalen Gewaltfriedens. Der Optimismusder

„Deutschen LigafürVölkerbund“,die sichschonwährenddesKrieges,im Beginn des Jahres1918,zubildenbegannundimDezember1918insLeben trat,istdurchdieganze Fassung des Friedensvertrages wie durchdieTätig- keit desbestehenden Völkerbundes adabsurdumgeführtworden.Undselbst denvertrauensseligstenundfeurigstenVerfechtern derVölkerbundsideein DeutschlandmußtendieAugengeöffnetwerden,alsderVölkerbundmit seiner erstenernsthaftenAktion,beiderEntscheidung deroberschlesischen Frage,eineVerletzung des Völkerrechts, einen Bruch desVersaillerVertrages selbst vollführte, als er allerWeltzeigte,daßer sichvomOberstenRateals einInstrument zur rohen Vergewaltigung wehrloser Völker mißbrauchenließ.

EinemsolchenVölkerbundemußjederStaat,deretwas aufseinenationale Ehreund Würdehält,denRückenkehren,wieesdiesüdamerikanischen Republiken ArgentinienundChile innachahmenswerterWeise getan haben.

WennindernichtweitzurückliegendenZeit, alsdiegroßen Staatenund NationenZusammenschlußundEinigung anstrebten,dieGründungeines wahrhaften,aufinternationalerRechtsgrundlage beruhenden Völkerbundes wenigstenstheoretischdenkbarerschien,somußsieheute,auch abgesehen vonder phrasenbekleideten Despotie,wiesieebenvoneinerimperialistischen Mächtekoalition ausgeübt wird,dochalsganzaussichtslosbezeichnetwerden.

Dennheute sindMittel-undOsteuropadurchdieFriedensverträgeineine Mengegrößererundkleinerer,zumTeilnurhalbkultivierterundsichgegen- seitiganChauvinismusundunruhiger Begehrlichkeit überbietender Staats- wesenzersplittert.Außerdemistsehrzu beachten,daß nach den ArtikelnII und12derVölkerbundsakte der KriegalsAuseinandersetzung zwischenden Staatenkeineswegsausgeschlossenist,undfernerder Artikel 16diebe- waffneteExekutive gegen widerspenstigeMitgliederdesBundesausdrücklich vorsieht.DerfranzösischeSenat sagt deshalbinseinem Generalbericht über den Friedensvertragwörtlich:„DasVölkerbundsstatutverbietetden Krieg grundsätzlichnicht.“Abermit Recht hoben deshalbvonden Amerikanern, dieimallgemeinendieMonroedoktrin durch den Völkerbundsentwurf bedroht sahen, besondersderSenatorLodgeundderfrühere Präsidentschafts- kandidat CharlesEvans HughesAmerikasBeitrittzumVölkerbundschroff abgelehnt,weilderBundinseinerheutigen Gestaltnur geeignetsei,fort- währende neue Kriegehervorzurufen. Deutschland hatinseinenGegen- vorschlägenvomMai 1919 bekanntlich vor allemdieFrage derGleichbe- rechtigungallerStaaten stark betont.

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Eine weltumfassendeRechtsordnungmit einem ständigen europäischen Schiedsgerichtshof,wieerschonimJahre 1305vomfranzösischen Juristen PiferreDubois vorgeschlagen wurde, könnte,wenneinsolchesSchiedsgericht, von allenpolitischenEinflüssenunberührt, aufstrengjuristischerBasis arbeitet, inZukunft gewißvon großer Bedeutung werden. DieHaagerKon- ferenzenvon1899und1907, die

wieLansing meint„wegendesWider- standes gewisser Mächte“

nichtbesondersglücklich debattierten,konnten ein befriedigendes,wirklichpositivesErgebnisnichthaben,weil einewirklich sichereGrundlagefür internationaleRechtsgrundsätzebisheutenochfehlt.

SolangedieAnsichtKeynes’Geltunghat,daß„in derWelt,wiesiewirklich ist, füreinenVölkerbundnicht vielRaumist“,solangewerden auchdieIdeale des WeltfriedensundeinerweltumfassendenRechtsordnungFahnenbleiben, dieüber Luftschlössernflattern.Daranwirdauch derjetztimHaag zusammen- tretende Weltschiedsgerichtshofnichtsändern können. NurdieSchiedsge- richtsverträgezwischen zwei Staaten,diemitdemVölkerbunde ansichnichts zu tun haben, wie der soeben zur Verhandlung stehendeSchiedsgerichts- vertragzwischen DeutschlandundderSchweiz,könneninabsehbarerZukunft vonnutzbringenderBedeutungsein.AbermitRecht bemerkt der vorhin schon zitiertenorwegische RechtsphilosophHarrisAall1:„Eine Weltrechtsordnung, dienichtjedervölkerrechtlichen,imperialistischen,wirtschaftlichenoder staatsrechtlichenDespotieSchrankensetzt,wird eher einWeltfluchals einSegensein.“DaßAallmitdieser bereits1917 ausgesprochenen Prophe- zeiungvollkommenrechthat,dashaben wirbereitsimvorigen Jahre durch dieVölkerbundsentscheidunginder oberschlesischenFragemit erschreckender Deutlichkeiterfahren.

DasWort Treitschkes,daß „WeltgeschichtenichtvonVölkern,sondern vonMännerngemacht wird“,von einzelnenPersönlichkeiten, diedurch ihren CharakterunddieMachtihresWillensdieRichtlinienderhistorischenEnt- wicklung mitunter aufJahrhunderte hinaus bestimmen, hatsichauchin diesemKriege,ganz besonders aberbeiden Friedensverträgen,in einersehr verhängnisvollenWeisegezeigt.Dererste,dieVölkerbundsakte enthaltende Abschnitt desVersaillerVertragesistimGrundenurdieKonzessionandie IdeologiedeseitlenundeigensinnigenDoktrinärs Wilson,

gemachtvon zweipolitischenZynikern,die,alsAugurenuntersich,allepazifistischen VölkerbundsphantasienfürSchwindelhalten,aberdieneue, sehrunheilige Allianzdazumißbrauchenwollen,um

nach denWortenKeynes

»den wirtschaftlichenRuinihrerFeindeunddasGleichgewicht derMächtein ihrem eigenenInteressezu verewigen.“

Der ganze übrige Vertrag mitseinen

1DasSchidual des Nordest.S.219.

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neuenterritorialenAbgrenzungen,denpolitischenKlauselnfürEuropa,den Strafbestimmungen,den ForderungenderEntwaffnung undWiedergut- machung, denfinanziellenundwirtschaftlichenBestimmungenusw., ist fast ausschließlich,wennauchnicht in allentechnischenEinzelheiten,sodoch inallengrundlegendenRichtlinien,dasWerkeinesMannes,des„Tigers“

Clemenceau, deralsVerkörperung derimperialistischenRevancheideeFrank- reichs auftratundungeachtetseineshohenAlters dieübrigen GliederimRate der Vieran Charakter, Willensstärkeund Temperamentweit überragte. Sein rigorosesVorgehen wurzelteinderPsychologieeinesGreises,dessenBlick ausschließlichindieVergangenheitbis1870gerichtetwar undvon einer neuenZeitundihrenEntwicklungsmöglichkeitennichtswußte. Unterstützt wurdeerdabeidurch denenglischenMinisterpräsidentenLloydGeorge, diesenüberaus schlauenundtaktischgewandten Augenblickspolitiker, dessen auffälligeNachgiebigkeitgegenüber der französischen Maßlosigkeitdurch die ängstlicheRücksichtnahme auf chauvinistisch gestimmteundunverständige WählermasseninEngland bedingt war. SeinefrivoleStellungnahme zur Friedensfrage, die nicht allein für dieMittelmächte, sondern auchfürEngland

dieschwerwiegendsten Folgenhat,istvonJohn Maynard Keynesinseinem amEndedes Jahres 1919 geschriebenenBuche„DiewirtschaftlichenFolgen desFriedensvertrages’“schonungslosbloßgestelltworden. Deritalienische AußenministerOrlandoundvor allem dereinesehrkläglicheFigurmachende WilsonspieltenimerstenAktdiesesweltgeschichtlichenDramas vonParis wohl wenigmehrals dieRolle vonStatisten.

ImenglischenUnterhauseerklärteineinerRedeam17.Februar1922 Chamberlainineinerganzanderen Veranlassung(Irland),zwischendem Standpunkt,eineinmal gegebenesVersprechen zuhalten,unddemStandpunkt, es einfachzu brechen,gäbeeskeineMittelstraße. Auchin Parisgabes 1919 keineMittelstraße,denn wie schon oben erwähnt wurde, hatmandort dieam11.November1918übernommenenfeierlichenVerpflichtungenfast durchweggebrochen. DiesesVerhaltenwirdvonKeynes, derseinAmtals sachverständiger BeiratinParisam7.Juni1919 deshalbniederlegte,mit Rechtalsunehrenhaftbezeichnet,undweiteKreise derenglischenBe- völkerung,Kapitalistensowohl wieArbeiter,empfindenundurteilengenau ebenso.

DainDeutschlandgewisse,ziemlichverbreiteteGesellschafts- kreisebisheutenochvoneinerVerständigung zwischenFrankreichund Deutschland aufdem Bodendernach Möglichkeit zuerfüllendenFriedens- bedingungen sprechen, soistesunbedingt notwendig, daß jedermannsich vollkommendarüberklarwird,wasClemenceau mit diesem Vertrage be- zweckthat,dernachseinerAuffassungnatürlichnichteineinfacherAkt

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ausgleichender GerechtigkeitmitZahlungeinerhohen Kriegsentschädigung und Rückgabeder„geraubten“ Provinzensein sollte. Selbst einenicht sehr eingehende PrüfungdesVertrageszeigt,welchesZieldemstarrsinnigenund rücksichtslosen GreiseinParis vorgeschwebthat. Dennnahezualleseine ArtikelmitihrenAnlagenundParagraphen,diesoviele,inanscheinend harmlosen Fassungen versteckte FallenundFußangelnenthalten,sindaugen- scheinlichdaraufgerichtet,den ErbfeindimOstendauerndunschädlich zu machen,ihnmilitärisch,politischundwirtschaftlichzuvernichten. So erschienenClemenceau,demjederGedankeandie wirtschaftlicheZukunft Europasvölligfernlag,auchdieganzmaßlosenfinanziellenundwirt- schaftlichenForderungen nuralsein MittelzurErreichung desfanatischund konsequent verfolgtenEndzweckes. Bei der sehr üblenfinanziellenLage Frankreichsistesnatürlich,daß der größteTeildes Volkesmitdem Wahl- spruch„Lebochepayera“sichausschließlichan Zahlenberauscht, hinterdenen keinerealisierbarenMöglichkeitenstehen,und imübrigenauchnichtdaran denkt,Deutschlandvernichten,oderauch nurschwächenunddemütigen zu wollen.AberdiesergrößteTeilderNationkommtpolitischnicht inBetracht, maßgebendfürunsistdeshalbzurzeitnur derinFrankreichfastunum- schränkt regierendeChauvinismus,derdaspolitischeErbeClemenceaus angetretenhat. Wirbrauchen jedochnichtanzunehmen, daßbeidiesen ChauvinistendieGefühle desunersättlichenHassesundRachedursteseine besonders hervorragende Rollespielen;vorherrschendistjedenfallsdas Gefühl derFurcht, unddiesegrenzenloseAngstdes Siegers vordemnochnicht völligtotenBesiegten,dessen furchtbare KraftmanvierJahre lang so schwer zu fühlen bekam,istwohl derwesentlichstepsychologische Faktor, der diesem Vertrage des BetrugesundderVergewaltigungseinso verhängnisvollesund tragischesPathosverleiht. Undnur aufdieserpsychologischenGrundlage konnte durchden WilleneineseinzigenFanatikerseinVertragentstehe*, überdenderamerikanischeProfessorGeorgeD.Herron,derfrühere politischeRatgeber Wilsons,inseinem 1920inBerlinerschienenenflammenden Aufrufe„DerPariserFriedenunddieJugend Europas“schreibt:„DerFrieden vonVersailles

fallsernicht revidiertwird

bedeuteteineweitschlim- mereHölle, einweithoffnungsloseres Irrenhaus,alsselbstder Krieg geschaffenhatte. SeineParagraphenstrotzenvonWildheit, Eroberungslust, GesetzesverachtungundEhrlosigkeiten, dieebensograusamalsschamlos ebensosinnloswie gemeinsind.“

DenVersaillerVertragmußheutejeder Jurist, jeder Politikerundjeder Geschäftsmann genau kennen. FüralleDiejenigen, diewederZeitnoch Lust haben,sichdurchdiesesParagraphengewirr,diesenerbarmungslosen Gesetzes-

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knäuel, hindurchzu quälen, sindallewichtigerenBestimmungendes Vertrages inihren voraussichtlichenAuswirkungen schon 1919ingemeinverständlicher Formerörtertworden, in besondersinstruktiver WeisevonProfessor P.Rfihlmannin seinerSchrift„EuropaamAbgrunde“,dieaucheine all- gemeine Übersicht über den FriedensvertragvomweltpolitischenStandpunkt vombekannten Heidelberger HistorikerHermann Onckenenthält.Nach- stehendwillichmich daher darauf beschränken,dieWirkungendesVersailler VertragesinallerKürzeundingroßenZügenzu kennzeichnen, soweitsie indemZeitraumvonderUnterzeichnung des Vertragesam28.Juni 1919bis 1922 zutage getretensind. DieWirkungenfürDeutschland,dieneuent- standenen,ehemalsrussischenRandstaaten,sowiefürdieganze übrige Welt,sollendabeian derHandderbetreffenden Artikelingesonderten Abschnitten besprochen werden.DiepolitischenundwirtschaftlichenSchick- saleÖsterreich-Ungarns,Bulgariensundder Türkei,diedurchdieVerträge vonSt.Gennain, Trianon, Neuillyund S6vres bestimmt wurden, werden eben- fallsan andererStellebehandelt.

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I.

Deutschland.

I.TerritorialeBestimmungen.

Diezuerstvon BlunschlialsvölkerrechtlichesIdeal theoretischaufge- stellteForderung desSfelbstbestimmungsrechtesder großen, kleinenund kleinstenVölker,istin den FriedensvertragenvonVersailles,Trianonund St.GermainalsbesonderszugkräftigesSchlagwortin einerWeise mißbraucht worden, dieallenBegriffenvonRechtundGerechtigkeitHohnspricht.

Denndiebeiden bedeutendsten Kulturvölker Mitteleuropas,dieDeutschen unddieUngarn, wurdenvon der BetätigungdiesesRechtes ausgeschlossen, währendesallen,zumTeil aufniedrigereKulturstufestehenden Völker- schaftenundVölkersplitternimweitestenMaßezugestanden wurde,wenn sienachihrergeographischenLage geeignetschienen,denbisherigenBestand der verbündeten Mittelmächte zubeeinträchtigen. InDeutschland wider- sprechen dabeidieterritorialen Veränderungen im einzelnen natürlich durchausden Grundsätzen,dieWilsonin seinerKongreßredevom n.Fe- bruar 1918 beim Friedensschlüsse beobachtet wissenwollte,wonach„Völker undProvinzennichtvoneinerSouveränität zur anderen verschachert werden dürfen,alsobsiebloßeGegenstände oder SteineineinemSpielewären”.

Imallgemeinen widersprechensieder Forderung,dieHolzendorffseiner- zeitaufgestellthat:„Esmußder allgemeinangenommeneGrundsatz des Völkerrechts zurAnerkennunggebrachtwerden,daßder Volksbestandeines StaatesnichtunterdemGesichtspunktseinernationalenZusammensetzung einerRevisionvon außen unterzogen werdendarf.“

ImschroffenGegen- sätzezu solchen Forderungen habendie Alliiertenganzwillkürlichbestimmt, welche Völker oderVolksteileüberihreZukunft bestimmen dürfen.Undbei derHandhabungdiesesSelbstbestimmungsrechtesdurchdie Alliiertenwaren kulturelleundethischeErwägungenvölligausgeschlossen,währendüberall nurdieFurcht vor einem etwa wiedererstarkenden Deutschlandundder Eigennutz alsRichtschnur dienten. Beider Verstümmelung Deutsch- landshatFrankreichbzw.Clemenceau, wiealleGebietsabtretungenzeigen, einendoppelten Zweck im Augegehabt.ErstenssollteDeutschland durch den VerlustvonGebieten,diean landwirtschaftlichen Produkten,Kohle, Eisen.KaliundZink besondersreich sind,wirtschaftlichmöglichstgeschwächt

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werden, zweitenssolltees,daesnachGemenceausAnsicht„20 MillionenMen- schenzuvielhat“,möglichstgroße BestandteileseinesdeutschenVolks- tumsverlieren.DurchdieAuslieferung derletzterenandie kleineren,schon früherbestehenden oder neugebildeten Staatensollteabsichtlich einedeutsche Irredentageschaffenwerden,diealledieseanDeutschlandgrenzenden Staatsgebildeumso festeranden übermächtigen Bundesgenossen Frankreich kettenmußte. Sokurzsichtig diese Politikauchseinmag,soentsprichtsie dochvorläufigdurchausden zielbewußten, aufeineHegemonieüberEuropa gerichtetenBestrebungen Frankreichs.

Bei derAbtretung Neutral-Moresnets, Preußisch-Moresnets,Eupensund Malmedys, gemäßdenBestimmungenderArtikel32bis 39,handelteessich vor allemumdenRaubeineszwarnichtgroßen, aberwirtschaftlichenGe- bietes,da der KreisEupen WaldungenimWertevon75 MillionenGoldmark und außerdemZinkerzeenthält. Weniger belangreich

vomeuropäischen Standpunkt betrachtet

erscheintdieAbtrennung der Bevölkerungvon Deutschland,die nichtganz 66000Köpfezählt.Dahierauchdie inMalmedy lebenden,etwa 9500 Wallonenbei einerProbeabstimmungfürDeutschland gestimmthatten,mußtehier,ebenso wieinElsaß-Lothringen,voneiner Volksabstimmungabgesehen werden. DiegemäßdemArtikel34vonder belgischenBehördeinEupen undMalmedy6Monatenach Inkrafttreten des Vertrages ausgelegtenListen, inwelchedieBevölkerungihreWünscheüber dieStaatsangehörigkeitschriftlicheintragensollte,warennatürlichnureine Spiegelfechterei. Imübrigen sagtemirkürzlich ein Belgier,dessenUrteil als unbedingtsachlichund unvoreingenommengeltenkann,daßdiedeutsche Bevölkerung derfraglichenGebieteinfolgeder recht bedeutenden wirtschaft- lichen Vorteile,im allgemeineninden Jahren 1920/21 keine wesentlicheUn- zufriedenheitgeäußert habe. Dasändertjedochnichtsan der Tatsache,daß hier ein Raub stattgefundenhat,derfürBelgien umsoweniger be- gründet war,alsdiesesLand

ganzimGegensatz zu derfastinder ganzen Welt noch weit verbreitetenAnschauung

durch den Kriegamwenigsten gelittenhatundbiszum EndedesJahres1918um6MilliardenMark

reichergeworden war,diesichzumBeginn des Jahres 1919inbelgischen Händenbefanden.

WasdaslinkeRheinuferbetrifft,so werdendie inden Artikeln 428bis 432 enthaltenenBestimmungenüberdiemilitärischeBesetzungbisauf 15 Jahre,sowiedie in 13Artikelnder Vereinbarung zwischen Frankreich, Belgien, Englandund AmerikaeinerseitsundDeutschlandandererseits, festgelegten Richtlinien für dieVerwaltung,vonKeynes imganzenals billigundgerecht bezeichnet.FürihrepraktischeAusführungtrifftdieseBezeichnung jedoch

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höchstensnur insoweitzu, als es sichumdievon Engländern und Ameri- kanernbesetztenTeiledesGebietes handelt.DiebelgischenTruppenhaben sichmehrfach so grobe Ausschreitungen zuschuldenkommenlassen,daßsie durch andere Truppenteileersetztwerden mußten.DasärgsteMartyrium aber habenindenletzten dreiJahrendievondenFranzosenbesetzten Landesteile zu erdulden gehabt.Wirwissen aus zahlreichenundvon der Tagespresseein- gehendgeschilderten Ereignissen,daßindiesemGebiet, fürdessenBesetzung nach dervölligenEntwaffnung DeutschlandseineNotwendigkeitüberhaupt nichtvorlag, dieFranzosenihreTräume voneinerRheinlandspolitik zu verwirk- lichensuchen.Wiesehrseit19x9bisheute das„Loch im Westen”denKreislauf deswirtschaftlichenLebensinDeutschlandgestörthat, inwelchemUmfange fast allefranzösischenOffizieresichhiermitSchmuggelundSchiebungen be- faßthaben,welcheRechtsverletzungenvonseitendermilitärischenBe- hörden,welcheAusschreitungenundVergewaltigungendurchdieweißen undfarbigenTruppenhiervorgekommensind,

dasistallessobekannt, darüberistindenletztenJahrensovielgeredetundgeschriebenworden,daß wirbereitsGesagteshierübergehen können.Wasdie vielerörterteschwarze Schmachbetrifft,so sei hiernur andieenergischeVorkämpferinfürRecht undWahrheit,dieAmerikanerinMiß Beveridge,erinnert, die inden meisten größeren StädtenDeutschlandsihreflammendenRedengegen diesenSchand- fleckunsererTagegehaltenhat. WiesehrihreunermüdlichePropaganda vonFrankreich gefürchtet wird, das zeigenihreErlebnisseinFinnland. Sie war im Sommer1921vonfinnländischenGesellschaftskreisenaufgefordert worden, aufeinerRundreisedurch dasLandihrebekannten Vorträge zu halten,wurdejedoch auf Betreiben der französischen VertretunginHelsingfors ausFinnlandausgewiesen. Ein gewaltiger Demonstrationszugvon Finn- ländern,die„Deutschland über Alles“sangen,geleitete siebeider Abreise zumDampfer.DadasbritischeWeltreich weitmehrFarbigealsWeiße umfaßt undseineHerrschaftganzausschließlichaufdemPrestigeder weißenRasse beruht, so istmannatürlich inEngland wieinAmerikaganz besonders empört überdieVerwendungschwarzerKolonialtruppenamRhein. Der Engländer CaptainE. A.Bogleynenntineinem entrüsteten Aufsatzinder„Sunday Times“dieschwarzeSchmach „einSchandmalder Zivilisationder Alliierten“, derEngländerBenC.Spoorin einerähnlichenAuslassung inden „ForeignAffairs III,6“eine„TatderVerruchtheit“.BeideAugen- zeugen der unglaublichenundzum HimmelschreiendenZuständeamRhein verlangen,dieRegierungenvonGroßbritannienund Amerikasollendie sofortigeEntfernung der schwarzenTruppendurchsetzen.Diese Protestevom EndedesJahres 1921erscheinenreichlichverspätet,unddieschlimmen

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FolgenfürEngland,diedurchdieseschwere Unterlassungssünde derbritischen undamerikanischenPolitikentstehenmüssen,werden heutenichtmehrauf- zuhaltensein.UndBenSpoor hat gewiß Recht,wennerbemerkt:„Fürdiese verbrecherischeUngerechtigkeitwird das verantwordlicheVolk oder dieverantwortlichenVölkersicherlichbiszumletztenPfennigbezahlen müssen“. Die durch dieschwarze Schmachhervorgerufene Empörung der rheinländischenBevölkerung bedeutet durchdie leidenschaftliche Steige- rung des NationalgefühlsinderSphäre der Imponderabiliensicherlicheinen Aktivposten fürdiedeutscheZukunft, während sievom Standpunkte der französischen Rheinlandsphantasiendie denkbar größte Unklugheit darstellt.

Dieinden Artikeln 45bis50festgesetzteAbtretung desSaargebiets,das mit seinensichernachgewiesenenIIMilliardenTonnenKohledieHabgier Frankreichs besondersreizenmußte,kommteinervorläufigenAnnexion gleich, dieFrankreich mitallenerlaubtenundunerlaubten Mitteln zueiner dauernden umgestaltenwill. DerVölkerbund, deralsTreuhänderdieVer- waltung des Gebietsübernahmundhier die volleRegierungsgewalt ausübt, mußbeidieserAnnexionalseineKulisse dienen,diewohlniemandenüberdie wahrenAbsichten der Franzosen täuschen kann. Die Tatsache,daßder Völkerbundhierden brutalenRaubwertvollermateriellerGüter unterseine schirmendenFittigegenommenhat,mußteseinmoralischesAnsehenschon imerstenBeginneseinerTätigkeit untergraben.Die Völkerbundskommission hatindenletzten 3Jahrenineinem überaus engherzigen, bürokratischen undganz französischem GeistediesesreindeutscheGebiet verwaltet,wobei namentlichdieInteressenderbodenständigen Arbeiterschaft wiederholt sehr schwerzuleidenhatten.AlleKlagen,diediesaarländischeArbeiterschaft an den VölkerbundinGenfgerichtethat,sindbekanntlichvomletzteren nichtimgeringsten berücksichtigtworden. DerVorsitzende des aus

5Mit- gliedernbestehenden Völkerbundsausschusses, der FranzoseRault,istein alterBürokrat, der keinWortDeutsch verstehtundfürdieBevölkerung so gutwiestetsunsichtbarundunzugänglichbleibt.Dasdeutsche,saarländische MitgliedDr.HektoristvoneinerNachgiebigkeitgegenüberallenfranzösi- schenAnsprüchen bekannt.DersehrwenighervortretendeBeigierLambertund derDäneGrafMoltke-Huitfeld sind nur französischeMitläufer,währendder Kanadier

Waugh

durchseinkorrektesVerhaltensich alleindasVertrauen derBevölkerung erworbenhat. DieBewohnerdesSaargebietshabenseit 1919bisheutevielleichtmehrnationalesRückgratgezeigt,alsdieDeut- scheninirgendeinem anderen Gebiet,undganz besondersgiltdiesvonden Industriearbeitern. Dievon den FranzoseninanderenLändern sonstmit

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