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Die Folgen der Friedensverträge für die Randstaaten

In document LvSv 4 (Pldal 102-114)

Abgesehenvon denvölligunabhängigen Randstaaten Polen, Litauen, Lett-land,EstlandundFinnland,istdas ehemaligerussischeKaiserreichbekanntlich seit1918ineineganzeReihe größerer oderkleinererStaatsgebildezerfallen, dieinihrem Verhältnis zu Sowjetrußland entwederalsverbündeteoderals

autonomeStaaten bezeichnet werden. Zudenersterengehören heute die Ukraine, Taurien, Georgien, AserbeidshanundArmenien,diesämtlich eigenes Militärundeigene auswärtige Vertretung haben, aber nach längerenKämpfen undWirrensichderLeitung der Moskauer Zentralregierunghaben unterstellen müssen.ZudenautonomenStaatenohneeigenes MilitärundeigeneVertretung gehörendieRepubliken derDonkosaken, der Wolgadeutschenund kaukasi-schen Bergvölker,ferner die tatarischeundkirgisischeRepublik,Turkestan unddie sibirischenRepubliken.

Inden Artikeln 116und117 desVersaillerVertrageswerdendie1918 in Brest-Litowsk abgeschlossenen Friedensverträgeannulliertundandererseits Deutschlandverpflichtet, alle seitder bolschewistischen Revolutionvom No-vember1917 entstandenen oderinZukunftsichbildenden Staatenim ehe-maligenRußlandin ihrer,,unveräußerlichenUnabhängigkeit“ anzuerkennen.

Außerdementhält derArtikel116diehöchst sonderbareBestimmung, daß die Alliierten sichauchWiedergutmachungenDeutschlands gegenüber Ruß-land Vorbehalten. DerbetreffendeAbsatz desArtikels lautet:„Die verbün-detenundassoziiertenMächte behaltenRußlandausdrücklichdieRechte auf alleWiederherstellungenund Genugtuungenvor, dieauf den Grundsätzen des gegenwärtigen Vertragesberuhen.“ DieserKautschukparagraph entbehrt jeder rechtlichenundauch materiellen GrundlageundisteinBeispiel für die dilettan-tischeArbeit,dieinvielenTeilendesVertrageshervortritt. Dennvor allemisthierunklar,wasmanunter„Rußland“zu verstehenhat. Dasich deutscheTruppeninSowjetrußland niemals befunden haben,könntees sich beiWiedergutmachungendoch nurumdieUkraineunddieRandstaaten han-deln. ImBeginnd. Js.versuchtemaninMoskauund imAuslande durch KarlRadekdieFrage des Art.116 zurErörterung zu bringen, dochnahm

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diegesamte Sowjetpresse mit einem sehr schroffen Protest dagegenStellung.

DerArtikelwird deshalb der Entente auchinZukunftkaumirgendwelche Erpressungsmöglichkeiten bieten1).

Sowjetrußland gehörteigentlichnicht indenRahmendieses Kapitels,doch sollhierwenigstenskurzdieFrage berührt werden, inwieweiteine Rück-wirkung desVersaillerVertrages aufdas bolschewistischeRußlandsich nach-weisenläßt. DaßderBolschewismusRußlandvölligruinierthat, daß gegenwärtigdort ein grausigesElend herrscht und joMillionen MenschendemHungertode nahesind,isteinefeststehende Tat-sache. Mandarfabernichtübersehen,daßschon vor der bolschewistischen Herrschaft,imSommer1917,unterdersehrunglücklichenMißwirtschaft Kerenskys,derVerfallRußlandsinwenigenMonatenreißende Fortschritte gemachthatte.AufeinemKongreßderIndustriellenimAugust 1917wurde bereits festgestellt,daßdas ganzerussischeWirtschaftslebensich„invölliger Desorganisation“befinde. NurnochdieReste,namentlich dasBank-und Finanzwesen,konntenfür dieZerstörungsarbeit der BolschewisteninBetracht kommen. Im Jahre1919trugdanndieBlockadeRußlands durchdie AlliiertenwesentlichzurVerschlimmerung der allgemeinen Notlagebei,die durchMißernteninden Jahren 1920/21 nochverschärftwurde.Alsletzter Momentistdannnochdieallgemeine Weltkrisis anzusehen,diealsFolge des VersaillerVertragesdas unglücklicheRußlandnoch schwererin Mit-leidenschaftzogalsdieübrigenLänder Europas.

Derunmittelbarste Effekt desVersaillerVertrages,den Leninalsbarbarisch bezeichnete,aufRußland warjedenfallsdiemoralischeWirkungaufdie bol-schewistischePropaganda. Schoninseiner,diepolitischenRichtliniendes Bolschewismus enthaltenden Deklarationvom18.Januar 1918 sagte Lenin:

„DieKonstituante verlangtdenendgültigenBruchmitderbarbarischen Politikder bürgerlichenZivilisation,diedenWohlstandderAusbeuter auf der VersklavungvonMillionenvonArbeitendenin Asien, inden Kolonienund in kleinerenStaaten gründete.“ Entsprechend diesen grundlegenden sozia-listischenIdealenmußtederVersaillerVertragden Bolschewistenalsein vernichtendes Selbstzeugnis der Bourgeoisieerscheinen, als einwillkommener Agitationsstoffdurch den Nachweis der „Brutalitätdeswesteuropäischen Kapitalismus.“Diese,heuteauchinEngland,ItalienundFrankreichimmer deutlicherbemerkbareWirkungdesVertragesistinWesteuropabishernoch wenigbeachtetworden, obschon dasvonden russischenKommunistengefällte UrteilspeziellnurindiesereinzigenBeziehung nicht zuwiderlegenist.

Abgesehen von Polen, sindalleRandstaaten, sowiedieausdemehemaligen

*)Durchden VertragvonRapalloistder Artikel mittlerweilehinfälliggeworden.

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ZarenreichehervorgegangenenTeilstaaten, Erzeugnisseder Revolutionen von1917, die ihrerseitsnuralseineFolgeerscheinung desdeutschen Sieges überRußlandmöglich waren.Dienurvonden Finnländern heute nochdankbar anerkannte Tatsache,daß sämtliche Randstaaten durchdieKraftdes deut-schen Schwertes vonder russischenHerrschaftbefreitwordensind,darf dabei niemals vergessenwerden. Polenistin seinerheutigenGestalteine Schöpfung des Friedensvertrages bezw. der Franzosen,währenddieübrigen, bereits1918inihrenheutigen Grenzen gebildeten Randstaaten durchden Artikel116 nursanktioniertwurden, soweitvorläufig diegrundsätzliche An-erkennung durch DeutschlandinFragekam.

Dasübermäßig betonte NationalitätenprinzipundSelbstbestimmungsrecht der kleinenundkleinstenVölkerschaften hatbeider Aufteilung der russischen undösterreichisch-ungarischenMonarchie zueinerBalkanisierungEuropas geführt, diesowohlin politischerwieinwirtschaftlicherHinsichteingroßes Unglückfürden ganzen Kontinent bedeutet.NurgroßeKulturgemeinschaften sindimstande,diegroßen Menschheitsaufgaben zuerfüllen,nichtStaatsgebilde ohneeigene Kultur,die, wiedieGeschichtederBalkanhalbinsel zeigt, einedauernde Gefahrfürden Frieden Europasbilden.DerenglischeHistoriker Adison Philipps sagtinseinem 1914 erschienenenBuche„TheConfederation ofEurope“inbezug auf dasJahrhundertbiszumKriege,daßdasPrinzip der Nationalität das hauptsächlichste Hindernis zur Verwirklichung des dauern-den Friedauern-densgebildethabe,vomAufstandederGriechenimJahre 1821 biszu den Balkankriegenvon1912/13,ausdenenschließlichderWeltkrieg entstand.Der Grundsatz Wilsons, daßbeiOrdnungdernationalenFragen vermiedenwerdensoll,„neue Elemente des ZwistesundderGegnerschaft zu schaffen oder aberderartigeElemente zu verewigen,diewahrscheinlichmit derZeitden Frieden Europasundsomit derWeltstörenwürden,“istdurch die politischenBestimmungenderVerträgevonVersailles,St.Germainund Trianon geradezu aufdenKopfgestelltworden. Dennsiehabennicht allein inDeutschlandund UngarnzueinerIrredentageführt,sondernauch zwischen denzahlreichen,zumTeil politischundkulturellganzunreifen,wirtschaftlich aufschwachenFüßenstehendenundchauvinistisch überhitzten neuentstan-denen StaatenvieleStreitobjekteundneue Reibungsflächengeschaffen. So müssendiesepolitischenVeränderungenundNeubildungen,im Zusammenhang mit der ganz unbestimmten Entwicklung Sowjetrußlands,inZukunft einen Zustand miterhalten,beiwelchemKriegundbewaffneter Friededauernd miteinander abwechseln.

Nochschlimmer aberistdieallgemeinewirtschaftlicheSchädigung durch dievon der Entente betriebene Randstaatenpolitik;esfindetdabei eine sehr

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unrationelleVergeudungwirtschaftlicherKräftestatt,diedasdurchden Welt-krieg so sehr geschwächteEuropasicheigentlichwohlkaumleistendürfte.

Diese ganzeKleinstaatereibedingteineganz unproduktiveVergeudung be-deutenderSummenfürstehende Heere,diplomatische Vertretungen,Reisen der verschiedenstenKommissionenzuKonferenzen oder vergebliche Bettel-reisender FinanzministerdieserDuodezstaaten. Dabei unterhalten Lettland undEstlandfür jeeine MillionEinwohner einen Beamtenetat, der bedeutend größeristalsderinSchweden! Handelund Wandel wurdeninOst-und Mitteleuropa durchdiePaß-undZollplackereien, dieanden unzähligen neuen Grenzenbisheute einen unerträglichenGraderreichthaben, sehr empfindlich beeinträchtigt. Wennz.B. früherjemandvon Helsingfors nachParis reiste, so hatteerzweimaleinePaß-undGepäckrevision zu überstehen,an der deutschenundan der französischen Grenze.HeutehateinReisender aufdieser TourzunächstdieRevisionan derestnischen,lettischenundlitauischen Grenze,dannbeimEintritt indasMemelgebiet zu überstehen;die fünfte Re-vision erfolgtan der Grenze Ostpreußens,diesechste beimEintrittinden polnischen Korridor,diesiebentebeimzweitenEintrittindeutsches Gebiet, dieachtean der Grenze des besetztenGebiets, dieneunteendlichan der französischen Grenze.DiefürdieEinreise-undDurchreiseerlaubnis gezahlten Summensinddabei so hoch, daßmanwohlvoneinerwirklichen Ausplünde-rung des Reisenden durchdiesesmoderneWegelagertum sprechen kann.

DainsbesondereFrankreichan den Randstaateninteressiertist,dadiese die aufimmertrennendeMauerzwischenDeutschlandund Rußlandbilden sollen,soistdieStellungnahmeeinesnüchtern urteilendenFranzosenzur RandstaatenpolitikvonbesonderemInteresse. Derjetztzurückgezogenin Arcachonlebende frühere MinisterCaillauxhatsichkürzlich zueinem Ver-treterder„Humanit£“infolgenderWeise überdieseFrage geäußert:Er meinte zunächstimallgemeinen,daßesganzverfehltsei,wennFrankreichsichauf einenationalistischeundreaktionäre Koalition der kleinen Ententestütze, undfügtedannhinzu, das Selbstbestimmungsrechtder kleinen Völkermüsse mitden Notwendigkeiten deswirtschaftlichenLebensimEinklang gebracht werden, dadiepolitischeZerstückelungEuropas durchden übertriebenen Nationalismus aufwirtschaftlicheUnmöglichkeitenhinauslaufe. Ver-fehlt erscheint beiderheutigenpolitischenNeuordnungbesonders diegrundsätzlicheVerbindungdesSelbstbestimmungsrechtes mit derForderungderstaatlichen Selbständigkeit. Einenationale AutonomiederMinderheiteningroßenKultur-und Wirtschaftsgemein-schaften, wiesieetwaim Art.ioderösterreichischenVerfassungvom 21.Dezember1867 vorgesehen war,istfürdas europäische Wirtschaftsleben

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jedenfallssehrvielvorteilhafter. DenneineZoll-und Wirtschaftsgemein-schaft,die30 Nationalstaaten zuumfassenhätte, wiesieetwa Keynes

alsRettung ausdemwirtschaftlichenChaos vorschwebt,mußbeiden ge-gebenen völkerpsychologischenGrundlagen natürlichfürimmereinunerfüllter

Traumbleiben.

Derwirtschaftlichweitaus schwächste,politischaber wichtigste der Rand-staatenistdieRepublikPolen,die inder nächsten, vermutlichrechtunruhigen Zukunft OsteuropasinjedemFalleeinebedeutende Rollespielenwird. In seinenheutigenGrenzenistPolenimwesentlichendurchdieVerträgevon VersaillesundSt.Germaingeschaffenworden,doch hatesseinen Expansions-drang später noch sowohlinGalizienundOberschlesien,wienamentlich in WeißrußlandundderUkrainebetätigt.Diean militärischen Ereignissenund diplomatischen VerwicklungenreicheGeschichte Polensvon1914

1919 gehört nicht indenRahmendieserBesprechung.Esseihiernur daranerinnert,daß manschonden16.März1917alsden Geburtstag des neuen Polens bezeichnen kann,nachdemeinegrundsätzlicheEinigung übereinePolenproklamation schonimAugust 1916 zwischen DeutschlandundÖsterreich-Ungarn stattge-fundenhatte. Anjenem16.MärzfandendieWiener Verhandlungenstatt, beidenenBethmann-HollwegalsderGeburtshelferbeiderEntstehung desneuen Staateserscheint.DerVertreter Österreich-Ungarns,Graf Czernin, derdiePolenkannteundrichtiger einschätzte,hatdamalsdieseNeuschöpfung mitrechtgemischtenGefühlenaufgenommen. VondeutscherSeitewurde

ganz übersehen,daßdierussischenPoleninKongreßpolen, ungeachtetaller pathetischenKlagen,sichunterderzarischenHerrschaftwohlerfühlten, alsihreStammesbrüderinPreußen. Es lagdiesdaran,daßdierussische Verwaltung nicht sotiefindas polnischeLeben eindrang wiediepreußische, undderDespotismus der zarischen BeamtenschaftinweitgehendstemMaße durch Bestechlichkeitgemildertwurde. Die Vereinigungder preußisch-polnischenLandesteilemitdemneuen Staate,dieimvorigenAbschnitt schonbesprochenwurde,warnachdemdeutschenZusammenbrucheine natürlicheundzwangsläufigeEntwicklung.Wenigernatürlich,aber ausdem expansiven polnischen CharakterleichterklärlichwardiestarkeAusdehnung Polensnach Osten, wobeiimganzen über8MillionenWeißruthenen,Ukrainer undukrainischeGalizierzu Polengekommensind.

Uberdie trostlose wirtschaftlicheLagedesneuen Staatesgibtschon die polnischeWährung,diedurchschnittlichdiepolnischeMarknichthöherals einZehntel Goldpfennig bewertet, genügende Auskunft. Das 650000Mann zählende polnische Heer, das ganzvon Frankreich unterhaltenwird,erscheint trotzdem der polnischen Bevölkerung schonlängst als eineunerträglicheLast.

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ImJahre 1921reichten diegesamtenEinnahmendes Staatesgeradeaus,um dieArmee13Tage(!)zu unterhalten. Gewißhatauchhier diedurchden Friedensvertrag entstandene WeltkriseinhohemGrade schädigendeingewirkt, dieHauptschuldträgtaberdoch wohldiepolnischeWirtschaft. Dennwir dürfennichtvergessen,daß unter derrussischenHerrschaftin Kongreß-polendaswirtschaftlicheLebeninrelativhoherBlütestand, nicht so hochzwarwieinPosen, aber dochhöheralsin Galizienmitseiner nationalen polnischenAutonomie. Heutebietendiezahlreichen, entsetzlich verhungertenundzerlumptenGestalten, diemaninden polnischen Städten zwischenModedamen undelegantenKavalierenauftauchensieht,einBild, dasvielfachschonan das heutige Petersburgerinnertundeineernsteund ein-dringlicheSpracheredet. Berücksichtigtmanneben diesemwirtschaftlichen ElendnochdiegeographischeLage des Landes, dasein fastgeschlossener Ring vonTodfeinden,den Deutschen, Litauern,RussenundUkrainern,umgibt, somußdieEntwicklungdiesesStaateszueinem starkenundlebenskräftigen Militärstaate,wiedieFranzosenessichdenken,mehralszweifelhaft erschei-nen. WasausdemParagraphengewirr der Friedensverträgehier zusammen-gekleistertwurde,istkein Nationalstaat,sondern,ebenso wiedie Tschecho-slowakei,einNationalitätenstaatmitetwa16MillionenBewohnern nicht-polnischer Abstammung.

Sohaben auchseit1919die UrteileüberdieLageunddieAussichten des Landes vonseitenkompetenterundunparteiischerSachkennerdurchweg sehrabsprechendgelautet. Ein vorzüglicherKenner der ehemals russischen Grenzgebiete, derEngländerRalphButlersagt inseinemBuche„Thenew East Europe“, einem jedenaufrichtigenFreunde Polens müssebeidervöllig negativenpolitischenKapazität des polnischenVolkesumdieZukunftdes neuen Staatesangstundbange werden.“ Butlermeintaußerdem, „daß, abgesehenvonallenandern ungünstigenMomenten,dasLandschon deshalb keinegesicherteZukunft haben könne,weildiesehr stark vertretene Oppo-sition, diebekanntlichindenletzten Jahrenunterwiederholten Pogro-menschwerzuleidenhatte, einesehrgroßeGefahrfürdenStaat dar-stelle.“NochschärferdrücktsichderItalienerNitti aus,wenner ioseinem schon erwähntenBucheschreibt,daßeinWiederaufbau Deutschlandsund Rußandsnichtmöglichsei,„solangeDeutschlandsichvonPolenundseiner AmarchieundMißwirtschaftbedrohtfühle,solangePolenimNamender EntenteUnfugverübe.“

WasdieinnereVerwaltung Polensbetrifft,so fehlteesindiesemStaate,derim MomentseinerWiederaufrichtungbereits 26politischeParteienzählte,vor alleman wirklich führendenPersönlichkeiten, mitalleinigerAusnahmevielleichtdes früherenRevolutionärsPilsudski.

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Aber Leute wie der KlaviervirtuosePaderewski, undähnliche,waren gewiß nicht geeignet,daspolnischeStaatsschiffaufden wild erregten Fluten der Nachkriegszeitrichtigzusteuern.

Mithinhat Frankreichfür seineOstpolitik sich eineunzweifelhaftrecht morsche Stütze ausgesucht.Die zielbewußte Geradlinigkeitseinersonstrecht geschicktenPolitikbegehthierdurchdieEinseitigkeitderallesbeherrschenden IdeejedenfallseinenschwerenFehler.Beidem Wunsche Frankreichs,Deutsch-landund Rußlanddauernd voneinander zu trennen,erscheintdervonder französischen PolenpolitikeingeschlageneWegalsderdenkbarverfehlteste und vongroßer Kurzsichtigkeit zeugende. Denneinerseitsdürftewohl kein anderesMomentso geeignetsein,Deutschlandund Rußlandeinanderzu nähern,alsgerade dieseAuswirkungdesVersaillerFriedens,undandererseits bringendieeinmal gegebenengeopolitischenBedingungen Polen auchfürdie Zukunftin völlige wirtschaftlicheundauchpolitischeAbhängigkeitvon Ruß-landundDeutschland. AuchKeynesäußertsichironischüber dasTrugbild des neuenStaates,dernach der Vorstellung der Franzosen „glücklichund prächtigzwischen derAsche RußlandsunddenTrümmernDeutschlands“ ge-deihensoll.AusderAsche Rußlands aber wird wieder neue Saat keimen,und die völligeZertrümmerungDeutschlands wirdeinunerfüllterTraumPoincarös bleiben.

AuchineinigenpolnischenKreisenverschließtmansichkeineswegs dieserErkenntnisundempfindetes als einegroßeGefahr,daß Polen gegen-wärtiggezwungenist,ganz im Fahrwasser des französischen Chauvinismus zu bleiben. Im November1921 äußerte der polnische Ministerpräsident Poni-kowskizueinem Vertreter des „Matin“, „die Herzen Polens schlügenzwar fürFrankreich,abermanmüsse dochleben,undderniedrige deutsche Markkursseieinmächtiges Propagandamittel.“ Etwaskleinlautmeinte deshalbder„Matin“: „WirdPolennichtDeutschlandallzusehrnötig habenundwirdesinseinerjetzigenLage der methodischenEinwirkung Deutschlandsüberhaupt widerstehen können?“

Bei allemHaß,deraus leichtverständlichenGründeninfolgeder Ereignisse derletztenJahre nament-lichindenöstlichenGrenzgebietenDeutschlands gegen Polen aufgeflammtist, darfmanimersterenLandedochnichtübersehen,daß Polen nureine willen-loseSchachfigurinderHandder französischenPolitikerist. Selbst fürdie Revolutionierung Oberschlesiensdurch Korfanty trug bekanntlich Frankreich die volleVerantwortung.

IndemPolen betreffendenArtikel87des VersaillerVertrages heißtes :

„Diejenigen Grenzen Polens,diedergegenwärtige Vertrag nicht beschrieben hat,werdendie alliiertenundassoziiertenMächte späterfestlegen.“ Dasist

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bisheutenochnichtgeschehen,insbesonderenicht inbezug auf das recht kitzlicheProblemvonWilna,das vorläufignurvonpolnischerSeitein recht einseitigerWeiseals„gelöst“ betrachtetwird. Sehr schwierigistdieses Pro-blem, weilWilna ethnographisch einepolnische Stadt ist,in der die Litauereineverschwindende Minderheitbilden,währenddieganze Umge-bungeinesteilsweißrussische,teilslitauischeBevölkerunghat. Nachdemder Vertragvon SuwalkivonpolnischerSeitenichteingehalten war,nachdem1920 derGeneralZeligowskimit seinen Freischärlern Wilnabesetzthatteund dorteinepolnische Militärdiktatureinrichtete,hatschließlicheinenur aus Polen bestehende Nationalversammlung (Sseim)inWilna den Anschluß des ganzen Gebiets an Polenbeschlossen. Die Differenzen,dieam2.März1922 inWarschaubeiderUnterzeichnung der Anschlußurkundesichgeltend mach-ten,führtenbekanntlich zur Demission des Kabinetts Ponikowski.Trotzdem wurdederAnschluß Wilnasvon PolendreiWochenspäter ganzeinseitig

„ratifiziert.“

AlleExpansionen PolensnachNord undSüd,nach OstundWest,dieunter demSchutze desVersaillerVertrages,aberzumTeilgegenseineBestimmungen erfolgten,könnendarannichtsändern, daßdiesesrechtlärmend auftretende Land, das unter seinen31MillionenEinwohnernüberhaupt nur15Millionen Polenzählt, heutekeineFinanzen,keineVerwaltungundkeinenKredit besitzt. Undfür die territorialeUnantastbarkeit des heutigen Polenskann sich,wie Nitti bemerkt,wohlniemandehrlicheinsetzen.

Die französische Politikhatsichdeshalb,einerseitsumihrpolnischesPflegekind zu schützen, andrerseitsumdietrennendeMauergegenRußlandaufrechtzuerhalten, in denletztenzwei Jahren krampfhaft bemüht, den sogenanntengroßen Bal-tischenBundzustandezu bringen,derausPolenundallenbaltischen Staaten,einschließlichFinnlands,bestehensollte. Aberalleaufdieses Ziel gerichteten KonferenzeninRiga,RevalundHelsingforsmußtenschon deshalb resultatlosverlaufen,weilLitauenihnenstetsfernblieb. Auchaufder letztenKonferenzinWarschau,dienach eineminParis gefaßten Planevom

AlleExpansionen PolensnachNord undSüd,nach OstundWest,dieunter demSchutze desVersaillerVertrages,aberzumTeilgegenseineBestimmungen erfolgten,könnendarannichtsändern, daßdiesesrechtlärmend auftretende Land, das unter seinen31MillionenEinwohnernüberhaupt nur15Millionen Polenzählt, heutekeineFinanzen,keineVerwaltungundkeinenKredit besitzt. Undfür die territorialeUnantastbarkeit des heutigen Polenskann sich,wie Nitti bemerkt,wohlniemandehrlicheinsetzen.

Die französische Politikhatsichdeshalb,einerseitsumihrpolnischesPflegekind zu schützen, andrerseitsumdietrennendeMauergegenRußlandaufrechtzuerhalten, in denletztenzwei Jahren krampfhaft bemüht, den sogenanntengroßen Bal-tischenBundzustandezu bringen,derausPolenundallenbaltischen Staaten,einschließlichFinnlands,bestehensollte. Aberalleaufdieses Ziel gerichteten KonferenzeninRiga,RevalundHelsingforsmußtenschon deshalb resultatlosverlaufen,weilLitauenihnenstetsfernblieb. Auchaufder letztenKonferenzinWarschau,dienach eineminParis gefaßten Planevom

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