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gegenwärtiger Serienformate im Fernsehen

Julia – Wege zum Glück– was anmutet wie der Titel eines Bastei-Roman-heftes, das man gewöhnlich am Bahnhofskiosk kauft, ist – selbst der nur gelegentliche TV-Zuschauer weiß es längst – der Titel einer jener unsäg-lichen Telenovelas, die mittlerweile auch das deutsche Fernsehen nachgera-de überfluten. Das ursprünglich nur in mittel- und südamerikanischen Ländern äußerst populäre Serienformat schickt sich an, auch in Deutsch-land die Zuschauer zunehmend stärker in den Bann zu ziehen.

Traumhafte Einschaltquoten lassen die Senderverantwortlichen – gleichermaßen beim öffentlich-rechtlichen wie privaten Fernsehen – nach immer mehr Sendeplätzen für Telenovelas Ausschau halten. Selbst die Prime Time wird in den Überlegungen der Programmstrategen nicht mehr ausgenommen. Das Wort von der „Telenovalisierung“ des Fernsehens macht bereits die Runde.

Optimistisch wird aus dem Kreis der produzierenden Firmen prog-nostiziert, dass Deutschland das Potenzial für einen Spartensender hat, der 24 Stunden Telenovelas oder Daily Soaps bringt. In jedem Fall, so die Überzeugung von Wolf Bauer, dem Geschäftsführer der UFA Film- und TV-Produktion:

Das Genre wird sich lange halten, weil es Bedürfnissen der Zuschauer entspricht. […]

Nach einer Märchenwelt, nach emotionalen harmonischen Geschichten, die ein Happy End versprechen. Vielleicht auch nach kleinen Fluchten aus der Realität.1 In einem von der Programmdirektion der ARD herausgegebenen Pros-pekt zum Vorabendprogramm 2006/2007 wird die Daily Soap Verbotene Liebewie folgt beworben:

Verbotene Liebe, das sind … Liebe, Sehnsucht, Freundschaft, Neid, Hass und Intrigen: leidenschaftliche Geschichten über die großen Gefühle des Alltags in einer ganz und gar nicht alltäglichen Welt.

Ein Faktor, der den Erfolg des privaten Fernsehens in Deutschland mit bedingte, ist die seit den 1990er verfolgte Programmstrategie der Sender.

Namentlich RTL war es, das Stripping zu einer Konstanten seiner Programmstrategie machte. Gemeint ist damit, dass eine Sendung über einen Zeitraum von mindestens sechs Wochen auf einem festen zeit-lichen Sendeplatz ausgestrahlt wird und zwar jeden Werktag. Zwei Beispiele: Gute Zeiten, Schlechte Zeitenläuft seit März 1992 von Montag bis Freitag jeweils um 19.40 Uhr auf RTL. Marienhof beglückt seine Zuschauer seit Oktober 1992 in der Woche jeweils um 18.20 Uhr.

Die Medienangebote ziehen damit – wie Dieter Baacke einmal trefflich formulierte – Zeitfurchen in den Alltag der Menschen. In einer weitgehend glaubenslosen Zeit werden sie zu ritualisierten Angeboten, deren Hauptzweck oft schlicht in diesem Angebot besteht.2Für Günter Thomas und andere hat das Fernsehprogramm mittlerweile eine gleich-sam liturgische Ordnung, indem sie den Menschen eine

programmförmige oder serielle Wahrnehmung anbietet, die jederzeit inmitten des Alltags zumindest prinzipiell „mediale Gegenwart“ in rituel-len Räumen ermöglicht. Diese serielle Wahrnehmung ist hochgradig ver-lässlich und verläuft praktisch rund um die Uhr streng parallel zur Alltagswirklichkeit. Der Fluss der Liturgie erscheint ewig, und kein indivi-duelles Abschalten kann ihn zerstören. Auf der Seite der Teilnehmerinnen an der rituellen Ordnung ist es nun diese Dauerhaftigkeit, Verlässlichkeit und wachsende Vertrautheit der Liturgie, die eine klare Erwartungshaltung ausbilden lässt, welche sich nicht nur an dem Inhalt, sondern zunächst auch an dem reinen Stattfinden ausrichtet.3

Das für den Zuschauer durchschaubare Programm wirkt einem Vaga-bundieren in der Zeit entgegen, indem es Geborgenheit suggeriert und wohl auch vermittelt.4In Abwandlung einer bekannten Kirchenliedzeile von Martin Luther ist für unsere – glaubenslose – Zeit festzuhalten: Eine feste Burg ist unser Fernsehprogramm.

Das Bedürfnis nach Kontinuität auf Seiten der Rezipienten trifft auf das letztlich wirtschaftliche Interesse der Sender, möglichst viele Zuschauer möglichst lange an das Fernsehen zu binden. „Die Sender suchen nach Programmen, die Zuschauer binden. Und das erreicht man eher mit lang laufenden fiktionalen Programmen.“5 Längst laufen die

Telenovelas gestrippt, d. h. sie werden werktäglich – zumindest aber von Montag bis Freitag – jeweils zur selben Zeit auf einem Kanal ausge-strahlt. Das schafft Planungssicherheit gleichermaßen für die Zuschauer als auch für die (zumal für die privaten Fernsehsender wichtige) wer-bungtreibende Wirtschaft.

Der Quotenerfolg hat die Sender veranlasst, viele Telenovelas ent-gegen der ursprünglichen Beschränkung von rund 200 Folgen zu verlän-gern. Der Weg zum Glück dauert so für die Lisas, Julias, Lauras und Co.

länger als anfänglich geplant war – und den Zuschauern versprochen wurde. Gibt es deshalb Proteste der Zuschauer? „Nein“, sagt Rainer Wemcken, der bei Grundy Ufa für verschiedene Telenovelas als Produ-zent verantwortlich zeichnet. „Dass eine Telenovela nur über eine bestimmte Länge gehen darf, sagt zwar die südamerikanische Tradition, aber die haben wir hier nicht.“6 Genregrenzen zählen nicht. Die Autoren sind gefordert, die Kette der Irrungen und Wirrungen um wei-tere Schicksalsschläge für die Protagonisten zu erweitern. Einziges Ziel:

Das Happy End hinauszuzögern.

Der „megamäßige Erfolg“ von Verliebt in Berlin ließ die Haupt-darstellerin Alexandra Neldel zum Anwalt der Zuschauer werden, die ja geradezu eine Verlängerung forderten: „…es ist etwas sehr Schönes, der Geschichte noch eine besondere Wendung zu geben.“7 Im Extremfall wird sogar aus dem einstmals als Telenovela gestarteten Format eine Daily Soap, deren Ende in den Sternen steht. Nachdem es bereits mehr als eine Verlängerung von Verliebt in Berlingab, wurden mittlerweile von Sat.1 alle Vorbereitungen getroffen, um – auch nach dem Ausstieg der Hauptdarstellerin – aus der Telenovela eine im wahrsten Sinne des Wortes never ending story zu machen.

Bei Telenovelas handelt es sich um gleichsam am Fließband gefer-tigte Unterhaltung. Die freilich will professionell geplant sein. Das Bei-spiel Verliebt in Berlin zeigt, welch ungeheurer Aufwand hinter der Produktion steht:

Mit einer klaren Arbeitsteilung und ausgeklügelter Logistik gelingt es, dass alle Abteilungen in der Produktion parallel arbeiten und so täglich rund 25 Minuten sendefähiges Material produziert werden können. Von den Storylinern bis zur Postproduktion arbeiten die Teammitglieder versetzt in einer Art „Kanon-Prinzip“, d. h. während die Postproduktion die

Endfertigung absolviert, schreiben die Autoren schon die Bücher für die nächsten Folgen. So kann von Montag bis Freitag ohne Unterbrechungen gedreht werden, wobei auch der Dreh selbst parallel erfolgt: An mindes-tens zwei Tagen pro Woche produziert ein Team im Außendreh, während im Studio an fünf Tagen ebenfalls gedreht wird. Schon die Erstellung einer Disposition, die einen reibungslosen Drehablauf gewährleistet, ist also eine enorme Aufgabe. Ein kurzer Blick auf die Zahlen verdeutlicht, wie groß allein der Aufwand an Koordination ist: In nur einer Woche arbeiten in der Produktion von Verliebt in Berlinrund 150 Personen an 70 verschiedenen Kapiteln gleichzeitig.8

Es bedarf mithin guter Organisation, disziplinierter Darsteller und ge-eigneter Drehbücher.

Gerade bei dem Letzteren aber beklagen die Produktionsfirmen seit vielen Jahren Defizite. Zwar gibt es genügend Autoren, die den Lekto-raten massenhaft Drehbücher schicken, aber die wenigsten von diesen kennen und beherrschen die dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten seriel-ler Formate wie beispielsweise das zentrale Prinzip der phasenverschobe-nen Sinuskurven9:

Die Kurven der Geschichten sind ineinander verschränkt. Ständig begin-nen Geschichten (d. h. die Kurve befindet sich bei minus 1), entwickeln sich oder laufen aus (das ansteigende oder abfallende Kurvensegment) oder befinden sich auf dem Höhepunkt der Katastrophe bzw. des Happy-ends (die Kurve ist auf ihrem Scheitelpunkt plus 1). Die Kurven der ver-schiedenen Teilgeschichten sind dabei so ineinander verschoben, dass zu jeder Zeit möglichst alle Kurvenpunkte zwischen minus 1 und plus 1 von verschiedenen Kurven (d. h. Geschichten) belegt werden, so dass immer das Interesse angesprochen ist, das Bedürfnis nach Spannung und Harmonie befriedigt wird, während gleichzeitig neue Kurven (neue Geschichten) vorbereitet oder zu einem Abschluss geführt werden.10 Angesichts der Bedeutung, die derzeit Telenovelas im deutschen Fern-sehen spielen, kann es nicht verwundern, dass eine der größten europä-ischen und für die TV-Sender in Deutschland wichtigsten Fernseh-produktionsfirmen für serielle Formate, Grundy UFA, Ende 2005 in Potsdam die erste Serienschule eröffnet hat. Ziel der fünfmonatigen

Ausbildung ist es, geeignete Kandidaten mit den Anforderungen an einen Storyliner vertraut zu machen. „Schreiben für industrielle Fern-sehproduktion“ lautet denn auch folgerichtig das Motto der Ausbil-dungsstätte.11

Serienautoren, gelegentlich auch als „Schreibknechte“ oder „Tinten-sklaven“ (Theodor Fontane) tituliert, müssen nicht nur die Kunst der Dramaturgie beherrschen, sondern auch die Gegebenheiten des Produk-tionsprozesses berücksichtigen. „In einem eindeutig begrenzten Rahmen ein Maximum an Kreativität zu entwickeln, ist eine der großen Heraus-forderungen, der sich Storyliner täglich stellen müssen.“12

Überdies müssen sie im Team arbeiten können, denn an den Tele-novelas wird arbeitsteilig geschrieben.13Auch vielerlei weitere Vorgaben und Einschränkungen sind von den Autoren zu beachten. Zum einen muss jede einzelne Folge spannend erzählt werden, damit die Zuschauer auch am nächsten Tag wieder einschalten, zum anderen stehen nur wenige Schauplätze und Figuren zur Verfügung, denn das Budget der Fernsehromane ist klein.

„Das Marionettentheater hat auch nur zwölf Puppen in der Kiste und erzählt trotzdem immer wieder spannende Geschichten“, sagt Hans Joachim Lehmann – einer von vierzehn festen Autoren, die für die Serie Leben für die Liebe(ZDF) schreiben.14

In einem leider wenig beachteten Text hat Christoph Hein darauf verwiesen, dass das eingeschränkte Figurenensemble und die Durch-schaubarkeit der Handlungen keineswegs diametral zu den Erwartungen der Zuschauer stehen, sondern vielmehr ein Garant des Erfolgs sind:

Die Mechanik ist für das Publikum sichtbar geworden. Und das beein-trächtigt keineswegs die Konsumtion dieser Produkte, sondern ist ein Faktor ihrer Wirkung geworden. Das Publikum ist versichert, durch nichts verschreckt, verwirrt oder beunruhigt zu werden. Situationen und Ablauf der Geschichten sowie die Konstruktionen der Personen bewirken ein unendliches Deja-vu-Erlebnis des Publikums. […] Der Erfolg dieser Kunst ist ihre Berechenbarkeit. Der Konsument kauft keine Katze im Sack… Er kauft die Verlängerung des ewig Gleichen. Diese Berechenbarkeit ermög-licht die Berechenbarkeit der Produktion, sie erzwingt die Automation der künstlerischen Produktion.15

Vor rund zwanzig Jahren bereits vermutete Christoph Hein, dass es für Programmierer kein Problem sein dürfte, „das Programm beliebiger Serien zu schreiben, ja, auch ein einziges Programm für beliebig viele Serien“.16Denn:

Ein ausreichender Apparat von Sprachfloskeln und umgangssprachlich reduzierter Topoi, eine Auflistung standardisierter Konflikte, eine Aus-wahl gängiger, einschlägig handhabbarer Charaktere mit der ihnen jeweils möglichen (glaubhaften, wahrscheinlichen) Handlungs- und Gefühlsskala, ein wertender Katalog filmischer Schauplätze, sowie nach Wirkungen abgestufte Verzeichnisse von Kostümen, Masken, Statussymbolen etc. rei-chen als Grundstock eines computerisierten Programms zur automati-schen Verfertigung von Fernsehserien aus.17

Heins Prophezeiung ist längst Realität geworden. „Storybuilder“ und „Plots Unlimited“ heißen beispielsweise Softwaretools deren Namen Programm sind. Bei „Plots Unlimited“ etwa stehen dem Anwender knapp 14.000 ver-schiedene Handlungsalternativen mit über 1.900 Charakterkombinationen zur Verfügung. Der „virtuelle Ideengenerator“ verspricht:

Plots Unlimited hilft Ihnen mit einer unglaublichen Vielzahl von Szenen-kombinationen hunderte von verschiedenen Drehbuchalternativen auszu-wählen und diese optimal zu strukturieren. Dabei spielt es keine Rolle ob eine Ideengebung am Anfang, am Ende oder mitten in der Geschichte aus-gewählt wird, da Plots Unlimited über eine chronologische Szenenent-wicklung verfügt, die Ihnen aufzeigt, was nach einem ausgewählten Plot passieren könnte, oder was und wie es zu einem ausgewählten Plot gekom-men sein kann.18

Plots Unlimited – was für ein Versprechen. Das Perpetuum mobile aller Geschichtenerzähler, eine Quelle schier unerschöpflichen Erzählens.

Kunst per Computer, aber quasi mit Kleister und Schere.19

Serienformate haben im Fernsehen derzeit Konjunktur. Die Produ-zenten freuen sich darüber – auch weil Soaps, Telenovelas und andere Serien kostengünstig herzustellen sind.20 Bevor eine Serie heute aller-dings ausgestrahlt wird, durchläuft sie mehrere Previews, d. h. man testet die ersten Folgen bei der Zielgruppe und nimmt – so notwendig –

durchaus noch beispielsweise Änderungen an der Besetzungsliste vor.

Dies geschieht auch bei laufenden Produktionen. Als der Assistent an der Seite von Kommissar Wolff (Wolffs Revier, Sat.1) der zuschauenden Zielgruppe zu alt war, starb er den Serientod und wurde durch einen jungen Assistenten ersetzt, der zudem den Autoren den Vorteil bot, dra-maturgisch neue Erzählstränge einzuflechten. So konnte der neue Assistent aufgrund seines Alters auch ein Verhältnis mit der Tochter des Kommissars anfangen.

Die insbesondere von den privaten TV-Sendern angewandte Medien-forschung dient vornehmlich einem Ziel: der Gewinnmaximierung durch Produktverbesserung, hier: Programmoptimierung.

Auch die Literatur – wie ästhetisch wertvoll sie auch immer sein mag – war nie frei von wirtschaftlichen Interessen. Ob es einem gefällt oder nicht: Büchermachen war (und ist) ein Marktgeschäft. Es nimmt von daher nicht Wunder, dass die Marktforschung in zumindest einem Teil des Literaturbetriebs bereits um 1800 einsetzte.

Verleger taten sich mit Autoren zusammen, um schließlich aus der in dieser Zeit einsetzenden Leselust Profit zu schlagen. Das Verfahren, dessen sie sich bedienten, war ebenso einfach wie erfolgreich. In den Leihbibliotheken um 1800 wurde akribisch Buch darüber geführt, wel-che Titel wie oft ausgeliehen wurden. Diese frühen Bestsellerlisten mach-ten sich die Verleger zunutze, indem sie die Spitzenreiter der Ausleihe auf ihre stofflichen und dramaturgischen Spezifika hin analysierten.

Mit dem Wissen um die Favoriten der Leser wurden von Verlegern bei Autoren Bücher ähnlicher Art in Auftrag gegeben. Der Lesestoff wurde den Bedürfnissen der Rezipienten angepasst. Über die Unterhaltung der Leser suchten die Verleger den wirtschaftlichen Gewinn für sich.

Weitergehende Ziele, etwa die Aufklärung der Menschen, verfolgten sie ebenso wenig wie jene Produktionsfirmen, die in unserer Zeit Tele-novelas für die Fernsehsender herstellen.

Georg Jäger verweist darauf, dass es Anfang des 19. Jahrhunderts zwi-schen Unterhaltungsschriftstellern und Leihbibliothekaren nicht nur enge geschäftliche und persönliche Beziehungen gab, sondern dass es teil-weise sogar zu einer Personalunion von Unterhaltungsschriftsteller und Leihbibliothekar kam. Damit besaßen die Autoren engste Kontakte zu ihren Lesern, sie konnten mithin die Reaktion auf ihre Werke selbst testen und auf die Wünsche des Publikums umgehend reagieren.21

Um 1800 überwiegt in der Hauptmasse der Romane die Tendenz zur Behandlung allgemein-menschlicher Probleme (Liebe, Leidenschaft usw.) und einer zunehmenden Beachtung des bürgerlichen Lebens. […]

Nachahmungen und Variationen eines einmal aufgegriffenen und erfolg-versprechenden Themas sind Indizien dafür, dass die literarische Schnell-und Massenproduktion ihren keimhaften Anfang nimmt Schnell-und dass die Autoren stärker als bisher auf den Geschmack ihrer Leserschaft eingehen.22 In einem anonymen Aufsatz, der in der Deutschen Vierteljahrs Schrift 1840 erschien, wird über den Einfluss der Industrialisierung der Literatur räsoniert. Der Verfasser konstatiert die „Mißheirath der Literatur mit der Industrie“, die sich im „industriellen Machen“ von Literatur, insbe-sondere der „industriell gewordenen Belletristik“ zeige. Die „Produ-centen“ seien nur auf Effekt und Gewinn aus. Der Autor sei häufig zum

„literarischen Fabrikarbeiter“ abgesunken, „seit geistig wie mit Dampf und Maschinen producirt wird“.23

Was heute im Fernsehen an Soaps und Telenovelas läuft, hat mit-hin eine (literarische) Tradition. Oder anders formuliert: es ist nur die Fortsetzung tradierter Muster mit anderen Mitteln. Benedikt Erenz hat in einem ZEIT-Artikel die berechtigte These gewagt, dass das Unterhaltungsfernsehen unserer Zeit aus dem Geist des bürgerlichen Rührstücks um 1800 geboren wurde:

Kein Mensch kennt mehr Kotzebues Stücke; doch drücken wir abends aufs Knöpfchen, dann sind sie plötzlich alle wieder da: Die mysteriöse Person, ob sie nun als demi-mondäne Dominique Devereux in Denver auf-taucht oder als biederer Onkel Ludwig bei den Drombuschsin Darmstadt.

Der wackere Hausvater, ob nun als demiurgenhafter Doktor Brinkmann in der Schwarzwaldklinik, als ‚Pa’ Ben Cartwright auf der Ponderosa-Ranch oder als galaxiengekühlter Captain Kirk im Raumschiff Enterprise. Die würdigen oder komischen Alten, ob Miss Ellie in Dallasoder die schwer-hörige Großmutter der Unverbesserlichen.24

Noch größere Gemeinsamkeiten freilich gibt es zwischen den industriell gefertigten TV-Formaten und dem Kolportageroman aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Ja, es ist keineswegs verwegen zu behaupten: Der Kolportageroman ist der printmediale Vorläufer heutiger Fernsehserien. Die Analogien, die sich dafür auf struktureller Ebene finden lassen, sprechen ebenso dafür wie die Spezifik der Produktions- und Distributionsbedingungen sowie die Rezeption, die eine auffällige Ähnlichkeit zwischen Kolpor-tageroman (Groschenroman) und TV-Serie aufweist. UFA-Produzent Christian Popp spricht denn auch von Telenovelas als „Fernsehen in Form eines Groschenromans“.25Verblüffend sind allemal die Parallelen zwischen Groschenroman und Telenovela/Soap mit Blick auf den dra-maturgischen Bau, die standardisierte Produktion und die Vermark-tung. Nachdem bereits auf die Besonderheiten der TV-Formate einge-gangen wurde, soll im nachfolgenden die Spezifik des Kolportage-romans in Ansätzen dargestellt werden.

Deutschland befand sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-hunderts bekanntlich in einer gleichermaßen politischen wie wirtschaft-lichen Umbruchphase. Die „verspätete Nation“ machte sich auf, binnen weniger Jahrzehnte das aufzuholen, wofür andere Länder mehr als ein Jahrhundert benötigt hatten. Der viel zitierte Begriff der Gründerzeit signalisiert den Aufbruch in die neue Zeit.

Zunehmende Industrialisierung und Urbanisierung sind zwei Mo-mente im Rahmen einer Entwicklung, die selbstverständlich auch sozio-kulturelle Folgen verschiedener Art mit sich bringen. Erinnert sei an dieser Stelle an die aufblühende Zeitschriftenlandschaft. Allen voran zu nennen ist Die Gartenlaube, die 1853 erstmals von Ernst Keil herausge-geben wurde und die ein wichtiges Podium für viele schreibende Frauen, unter ihnen Eugenie Marlitt (Das Geheimnis der alten Mamsell, Im Hause des Kommerzienrates) und Wilhelmine Heimburg (Lumpenmüllers Lieschen), wurde.

Wochenschriften wie die Gartenlaube kosteten 50 Pfennig pro Ausgabe; ein durchaus nicht billiges Vergnügen wenn man bedenkt, dass eine Köchin noch 1897 nur zwischen 180-300 Mark im Jahr verdiente, die Miete einer Familienwohnung mit zwei heizbaren Räumen (1882) 72-180 Mark kostete und allein 50 Mark für die Heizung einer Arbeiterwohnung aufzubringen waren. Zudem gehörte es zum Pro-gramm der Gartenlaube und ähnlicher Zeitschriften Unterhaltung und Information in großer Breite und eben für die Familie, also für Alte und Junge, zu bringen.26

Die Verleger witterten ein Geschäft unterhalb der Klientel, die sich für die Gartenlaubeund ähnliche Wochenschriften interessierte und die nicht bereit bzw. nicht in der Lage war, 50 Pfennig pro Woche für Lesematerial auszugeben. Ergebnis verlegerischer Überlegungen war ein Heft, das pro Ausgabe nur einen Groschen kostete (daher der Name Groschenroman!) weil es nur eine Geschichte in Fortsetzungen brachte – der Kolportageroman.

Dass dieser Typ von Literatur sich insonderheit an Schichten wand-te, die bis dato noch nicht gelesen hatten, und es sich dabei wiederum in der Regel bei der Zielgruppe um unterste soziale Schichten handelte, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass der Kolportageroman in einigen Lexika bis heute völlig zu recht als „Hintertreppenroman“ bezeichnet wird.27Der Begriff „Hintertreppenroman“ ist im Grunde ein präziser ter-minus technicus, weil der Kolportageroman über die Hintertreppe, d. h.

den Dienstboten- und Lieferanteneingang an das Dienstpersonal gelang-te28bzw. in den Wohnungen der Hinterhöfe vertrieben wurde.

Es macht sich an dieser Stelle notwendig, den Begriff Kolportageroman, wie er im nachfolgenden verwendet wird, zu definie-ren. Zuvorderst ist dabei zwischen Kolportageliteratur und Kolportageroman zu unterscheiden. Bei Kolportageliteratur handelt es sich generell um Literatur, die potentiellen Lesern durch Kolporteure, man könnte auch sagen Vertreter, ins Haus gebracht wurde. Im Rahmen dieses ambulanten Handels wurden vorrangig Zeitschriften aber auch Koch- und Gebetbücher, Kalender, Ratgeber, Liederbücher, Spiel- und Wahrsagekarten, fromme Traktate und Traumbücher, populärmedizini-sche Sachbücher, Bilderbogen und dgl. vertrieben29. Nur rund ein Fünftel der durch den Kolportagehandel vertriebenen Druckwerke waren indes Kolportageromane30, d. h. Romane, die – jeweils als Einzeldruck – in Fortsetzungen erschienen sind. Der Kolportageroman

Es macht sich an dieser Stelle notwendig, den Begriff Kolportageroman, wie er im nachfolgenden verwendet wird, zu definie-ren. Zuvorderst ist dabei zwischen Kolportageliteratur und Kolportageroman zu unterscheiden. Bei Kolportageliteratur handelt es sich generell um Literatur, die potentiellen Lesern durch Kolporteure, man könnte auch sagen Vertreter, ins Haus gebracht wurde. Im Rahmen dieses ambulanten Handels wurden vorrangig Zeitschriften aber auch Koch- und Gebetbücher, Kalender, Ratgeber, Liederbücher, Spiel- und Wahrsagekarten, fromme Traktate und Traumbücher, populärmedizini-sche Sachbücher, Bilderbogen und dgl. vertrieben29. Nur rund ein Fünftel der durch den Kolportagehandel vertriebenen Druckwerke waren indes Kolportageromane30, d. h. Romane, die – jeweils als Einzeldruck – in Fortsetzungen erschienen sind. Der Kolportageroman