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Die Konsequenzen der Wiederholung für die (literaturwissenschaftliche) Arbeit

(Peter Handke)

„was ich hier geschrieben habe, macht im Einzelnen überhaupt nicht den Anspruch auf Neuheit; und darum gebe ich auch keine Quellen an, weil es mir gleichgültig ist, ob das was ich gedacht habe, vor mir schon ein ande-rer gedacht hat.“ (Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus)

„unter Umständen gibt es nichts, das einen bekannt genug dünken dürfte, als daß es öffentlich nicht oft gesagt werden müßte“ (Robert Musil)

Was könnte ein Literaturwissenschaftler von einem Gärtner lernen?

Das Lesen der Sekundärliteratur und ihre Angabe in Fußnoten und Bibliographien von Diplomarbeiten, Dissertationen und Aufsätzen ist obligatorisch. Die Kritik an der Methode, die keine, oder nicht in der den Erwartungen entsprechenden Anzahl Quellen angibt (wie der zitier-te Tractatus), kann eine Interpretationsstrategie zeigen, nach der das untersuchte Objekt bestimmte Strukturen hat, die man entdecken kann, und zu denen mit Hilfe der Sekundärliteratur näher zu gelangen ist, oder aber umgekehrt: wenn die Sekundärliteratur etwas schon gefunden hat, ist es darüber überflüssig zu schreiben. Dieser Auffassung scheint Die Wiederholungvon Peter Handke1in meiner Interpretation gegenüber-zustehen: meine Arbeit ist in ihrer Vorgehensweise determiniert durch eine Textstelle über die Technik des Gärtners, aber nicht um zu beweisen, dass die Kenntnis der Sekundärliteratur überflüssig ist, oder dass der Wissenschaftler nichts Neues sagen muss, also dass die Literaturwissen-schaft ohne Grenzen funktionieren könnte. Wenn Wittgenstein keinen Anspruch auf Neuheit hatte, sagte er dann wirklich nichts Neues, und

wenn er keine Quellen angegeben hat, benutzte er wirklich keine? Was ist der Unterschied zwischen den zwei erwähnten Standpunkten?

Gerhard Pfister schreibt im Jahre 2000, dass es erstaunen muss, dass zwischen der Rezeption eines handkeschen Textes von 1972 und derjenigen eines anderen Werks von 1989 kein wesentlicher Unterschied in den Normen der Literaturkritik zu erkennen ist, dass die Literatur-auffassungen sich im dem Sinne wenig verändert haben, indem sie in ihrer großen Mehrheit als Literaturauffassungen des traditionellen Realismus gelten können.2Rolf Günter Renner interpretiert es so, dass die fortschrittlichen wie die konservativen Kritiker Handkes einem Missverständnis verfallen seien.3 Als Beispiel für ein solches Miss-verständnis könnten wir die Feststellung von Helmut Schmiedt, nach der der Autor Der Wiederholung sich von einem Analytiker zu einem Propheten wurde, sich also von einem Destrukteur zu einem Konstruk-teur wandelte4, erwähnen, weil die Wiederholung, wie wir darüber spre-chen werden, beide Typen produktiv werden lässt. Die Rezeption der Erzählung Die Wiederholung ist aber nicht nur wegen solcher Miss-verständnisse erledigt. Wenn wir beispielsweise eine der Interpretation von Jürgen Egyptien ähnliche Interpretation haben, nach der die Wiederholung zahlreiche Formen hat5, so kann darüber keine komplet-te Arbeit geschrieben werden, was aber nicht bedeukomplet-tet, dass unser Gedan-kengang sich nicht unterscheidet. Sogar eben diese vielförmige Wieder-holung, die wir einverständlich betonen, ist der Grund unserer unterschiedlichen Auffassung. Das Sprechen über den Begriff der Wiederholung bedeutet paradoxerweise, über die Unbegreiflichkeit zu sprechen, über die Mehrdeutigkeit also, die Heterogenität. Die Wieder-holung von Handke bedeutet in einem bestimmten Sinne, dass in der Literaturwissenschaft zwei völlig gleiche Interpretationen nie entstehen können, und deshalb, dass der Hinweis auf die Sekundärliteratur keine Vorwegnahme einer Arbeit mit neuen Ideen ist, so erweitert sich das Feld der akademischen literaturwissenschaftlichen Arbeit.

Der Begriff der Wiederholung verspricht eine solche Operation, wobei etwas mangelfrei wiederzugewinnen ist. Der Glaube daran zeigt scheinbar beispielsweise ein Traumbuch mit seinen Diagnosen, oder die Literaturwissenschaftler, welche Renner und Pfister nennen, die die Fä-higkeit haben, bestimmte literarische Phänomene problemlos zu katego-risieren. Handkes Wiederholung ist explizit gegen diese Auffassung,

wenn an einer prominenten Textstelle am Ende der Erzählung der viel zitierte Imperativsatz (ohne Ausrufungszeichen) steht: „Erzählung, wiederhole, das heißt, erneuere.“6 Inwieweit kann eine Strukturanalyse bei einem solchen Text mit einem solchen Satz ein Ergebnis zeitigen?

Welche Bestimmung der Wiederholung, also der Interpretation ist weni-ger, welche mehr adäquat? Ich werde eine die Wiederholung nicht expli-zit darstellende Textstelle nehmen: ich expli-zitiere die Beschreibung eines gärtnerischen Verfahrens:

Zu Beginn des Hefts erzählte er, auf dem Gelände des späteren Gartens habe zunächst nur ein einzelner Obstbaum gestanden, vollkommen ver-wildert (sein Wort war verwaldet, womit er meinte, dass die Zweige als eine Art Waldgestrüpp wucherten), ohne Frucht: Diesem habe er, an der am wenigsten von Flechten überwachsenen Stelle der Rinde, einen Eisendorn in das Holz gestoßen, worauf aus der schwärenden Wunde als-bald ein Krummtrieb, ein fruchtverheißendes Auge hinter dem andern, gekommen sei. Bei dem Dorn handle es sich eher um einen Bohrer – seine

Erfindung, indem dabei nämlich nicht das lochverstopfende Mehl ent-stehe, vielmehr leicht herauszublasende Späne (daneben eine Zeichnung dieses Kobal-Bohrers).

Wie ist das mit dem Problem der Wiederholung und mit der in diesem Zusammenhang stehenden literaturwissenschaftlichen Arbeit? Im Gar-ten des Bruders von Protagonist Filip Kobal steht ein Obstbaum, genau-er gesagt in seinem Heft schreibt genau-er übgenau-er einen Obstbaum, übgenau-er eine wilde Pflanze ohne Frucht. Durch das Anstechen mit einem Eisendorn, oder eher mit einem Bohrer wachsen Triebe (Trieb – ein mehrdeutiges Wort), fruchtverheißende Augen aus dem lebenslosen Holz. Der Bohrer ist das Werkzeug nicht nur des Gärtners, des Tischlers oder des Zimmermanns, sondern auch des Forschers, über den wir in der Erzäh-lung das Folgende lesen können: „Ich dachte […] an die Augen eines Forschers, der nichts entdecken will, dafür Bekanntes unbekannt ma-chen; den Bereich des Unbekannten abschreiten und vergrößern“7. Im Zusammenhang mit diesem Zitat hat das Bohren des Holzes nicht das Ziel, im Baum Früchte entdecken, denn es gibt im Inneren des Baums keine Früchte, nur ihre Möglichkeit, und aus dieser Möglichkeit würde keine Frucht ohne den Bohrer, oder ohne einen Eingriff zustande

kom-men. So füllte sich aber der Garten des Bruders mit Obstbäumen von großer Fruchtbarkeit, über die Filip schrieb: „Die Bäume des Bruders waren plantagenhaft niedrig, und jeder […] trug eine andersschmecken-de Frucht; ja es gab sogar Bäume, wo von einer Astetage zur nächsten die Sorte wechselte“8. Aus dieser Vielfältigkeit der Sorten folgt, dass die verschiedenen gärtnerischen Verfahren zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten verschiedene Ergebnisse haben – Filip Kobal weist darauf hin, dass diese Beschreibung des ersten Obstbaumes mitspielen-de Nebensinne hat9: Um was für eine Tätigkeit würde es gehen, wenn wir dieses gärtnerische Verfahren mit dem Bohrer auf die Arbeit eines literaturwissenschaftlichen Forschers projizieren? Wenn wir das Bohren des Forschers dem Lesen entsprechen lassen, dann wird der wilde Baum den unberührten Text symbolisieren. Dieser wilde, unberührte Text ist noch in keine Interpretation geschlossen, die Bedeutung entsteht nur durch das Lesen als Frucht der Arbeit. Das bedeutet aber keine völlige Subjektivität, der Text ist eine Voraussetzung der Interpretation. Die Frucht der Arbeit steht also auf der Grenze zwischen Subjektivität und Objektivität, ist ein abject (im Sinne des Terminus von Julia Kristeva10), und zeigt vielfältige Ausprägungen. Diese Heterogenität der Früchte bedeutet, dass diese keine in sich stehenden Dinge ohne verschiedene Wirkungen sind, dass sie nicht nur einen, sondern mehrere Kerne von verschiedener Größe und Farbe haben, also kann man sie nicht völlig erkennen. So wird die Tätigkeit des (literaturwissenschaftlichen) Forschers an Handke die Arbeit an der Vergrößerung des Unbekannten.

Der Handke-Forscher weiß, dass dies immer ein unbekanntes Feld bleibt, und er repräsentiert das, wenn er eben nicht explizit darüber spricht. Dieses Wissen, dieses Sehen entsteht durch einen Bruch, wenn wir die Augen im Zitat, die durch den Bohrer entstehen, diesem Wissen, diesem Sehen entsprechen lassen. Um diese Parallele zu bestärken, würde ich eine dieser Stelle sehr ähnliche Textstelle aus dem Roman Malinavon Ingeborg Bachmann nehmen:

Was sind Stadt und Straße? Fragte der Fremde betroffen. Die Prinzessin geriet ins Staunen, sie sagte: Aber das werden wir bald sehen, ich weiß nur die Worte dafür, doch wir werden es sehen, wenn du mir die Dornen ins Herz treibst.11

Die Prinzessin in der Legende dieses Werkes, die in einer wilden unga-rischen Gegend reitet, bekommt eine Erkenntnis durch einen Dorn von einem Fremden, der innerhalb dieses Texts, der hier nicht tiefer inter-pretiert werden soll, ebenfalls etwas Heterogenes repräsentiert. Wenn die einzelnen Früchte heterogen sind, dann unterscheiden sich auch die Früchte voneinander. Die Interpretationen, also als Früchte der wissen-schaftlichen Arbeit unterscheiden sich notwendigerweise voneinander.

Der Handke-Forscher glaubt nicht daran, dass der Aufbau eines Natur-schutzparks als das Einzäunen von wilden Lebewesen bedeutet, die Na-tur in ihrem originalen Zustand zu bewahren.

Eine ähnliche Wiederholung geschieht, wenn Filip Kobal das Wort „Orgie“ nicht in dem traditionellen Sinne benutzt, sondern in sei-nem eigenen, er versteht unter diesem Wort keine Verzückung und Ver-einigung, keine nackte Natürlichkeit ohne Verstand, sondern ein Fruchtland, das Fruchtland des Einander-Erkennens:

Was für eine Orgie? Die Antwort darauf gebe ich, Traumgläubiger seit je, mit der Erzählung eines Traums. In einer gläsernen Kanzel, Linienbus und Schwebebahn in einem, trafen sich immer wieder dieselben Passagiere, kein Wort miteinander wechselnd, zur gemeinsamen Fahrt in das Weltreich des Karstes. Der Übergang wurde markiert von einem schimmernden, hochauf-fragenden, von dem blauesten Himmel überspannten Indianerfelsen, zu erklettern von jedem Kind, wo auch die letzte Haltestelle war. Nun waren wir vollzählig. Nie aber zeigte sich auf der Weiterreise etwas von dem Land;

es gab nur das Gefährt, so still unterwegs, als stünde es, und die Reisegesellschaft, jeder im Abstand zum andern, für sich, kein einziges Paar. Zwar kannte ich diesen und jenen von der Straße, als Schalterbeamten, als »meinen Schuster«, als Ladenmädchen, und wir pfleg-ten sonst alle einander zumindest zu grüßen, doch, einmal eingestiegen, kam von keinem mehr ein übliches Zeichen des Erkennens. Statt Blicke auszutauschen, saßen wir bewegungslos da, vereint in Erwartung, Angesicht in Angesicht. Je öfter sich unser Aufbruch wiederholte, immer von einer sehr belebten Station, für jedermann öffentlich zugänglich, desto festlicher erschien das Licht in der Kabine. Eine Verzückung stand uns bevor, am Endpunkt der Fahrt, im Herzen des Landes, wie sie gewaltiger Menschen nicht zuteil werden konnte: die Seligkeit, gemeinsam aufgenommen zu wer-den in das Nichts. Das ereignete sich freilich nie, wir kamen dem nicht

ein-mal nah. Dafür empfing ich auf der letzten Traumfahrt von einem meiner Gefährten im Zusteigen ein Lächeln, mit dem er sich mir zu erkennen gab und das zugleich mich erkannte. Orgie des Einander-Erkennens: statt Verzückung und Vereinigung Erschütterung und Einung, und das Zeitwort zu Orgieübersetzt mit unbeirrbar verlangen, und die Gegend Orgas mit Land der Demeteroder Aueoder Fruchtland.12

Das Wort „Orgie“ als Fruchtland weist in diesem Zitat auf zwei Ebenen auf eine Heterogenität: einerseits bezeichnet das Wort ein heterogenes Verhältnissystem („die Reisegesellschaft, jeder im Abstand zum andern, für sich, kein einziges Paar“), wie die Früchte im Garten des Bruders, andererseits durch die Umdeutung des Wortes wird es selbst mehrdeutig.

Durch die Interpretation als Bohrer wird das Wort geöffnet, aus dem aber keine originale Bedeutung gewonnen wird, sondern eine neue, und diese neue Bedeutung will paradoxerweise eine Heterogenität be-zeichnen.13 So wird die Frage am Anfang des Zitats „Was für eine Orgie?“ – den Wortgebrauch von Ingeborg Bachmann benutzend – eher bloß eine Scheinfrage, insofern sie ihre eigene Existenz befragt14. Diese Frage ist also ähnlich der heideggerschen Frage „Was ist Metaphysik?“, die nach Heidegger in einem wesentlichen Sinne zweideutig ist15, oder der Frage „Was is’ der Unterschied?“ von Archie Bunker in der Analyse von Paul de Man16. Aus dieser Vielfalt des geschaffenen Fruchtlands als Zeichen der Mehrdeutigkeit folgt, dass die Texte und ihre Interpre-tationen keine vollendeten Arbeiten bilden können, sondern sich in ei-nem andauernden Prozess des Entstehens befinden.

Ingeborg Bachmann fasst den Unterschied zwischen der Literatur und den Wissenschaften so auf:

die Literatur ist ungeschlossen, die alte so gut wie die neue, sie ist unge-schlossener als jeder andere Bereich – als Wissenschaften, wo jede neue Erkenntnis die alte überrundet –, sie ist ungeschlossen, da ihre ganze Vergangenheit sich in die Gegenwart drängt. Mit der Kraft aus allen Zeiten drückt sie gegen uns, gegen die Zeitschwelle, auf der wir halten, und ihr An-rücken mit starken alten und starken neuen Erkenntnissen macht uns be-greifen, daß keines ihrer Werke datiertund unschädlichgemacht sein wollte, sondern daß sie alle die Voraussetzungen enthalten, die sich jeder endgül-tigen Absprache und Einordnung entziehen.

Diese Voraussetzungen, die in den Werken selber liegen, möchte ich versu-chen, die »utopischen« zu nennen.

Wären nicht auch auf seiten der Werke diese utopischen Voraussetzungen, so wäre die Literatur, trotz unserer Anteilnahme, ein Friedhof.17

Bachmann spricht hier (zum Teil) darüber, dass die Literatur sich nicht kategorisieren lässt („Der eifrigen Jagd auf »Typen« und »Gegentypen«

[…], auf Abarten und Unterarten dieser »Typen« wird die Beute nie aus-gehen“18– wie Heidegger sagt), und wenn sie doch kategorisierbar wäre, wäre sie ein Friedhof. Würde das bedeuten, dass die Dornen bei Handke als Mittel der Wiederholung, die die Möglichkeit zur Erneuerung sichert, weniger aggressiv sind, als die Methoden der Wissenschaften?

Einen Terror übt man notwendigerweise aus – schreibt Bachmann19. Die Wahrheit ist ein Heer, „ein bewegliches Heer von Metaphern, Meto-nymien, Antropomorphismen“20, sagt Nietzsche, aber diese Wahrheit als Heer ist in der Interpretation von Paul de Man kein Befehlshaber.

Nach ihm kämpft die Wahrheit nicht gegen den Irrtum, sondern die Dummheit, gegen den Glauben daran, dass wir Recht haben, wenn wir uns irren.21 Bachmann unterscheidet auch zwei Formen der Macht, wenn sie bestimmte avantgardistische Richtungen dem Nationalsozia-lismus nicht gleichen lässt:

alle die Schriftsteller, Maler, verrufen waren, geächtet, am Leben bedroht in der deutschen Diktatur, und doch bleibt ein Rest, unaufgeklärt, ein Verdacht, daß die Opfer, ohne zu ahnen, was sie taten, ihre Sprache sich im Extrem mit der Sprache der Gewalt berühren ließen. Natürlich hatte der Sürrealismus Geist, Anti-Bürger[lichkeit], er wollte im Ernst schockie-ren, er hatte nichts gemein mit der faktischen Mordpraxis, die später von ganz anderer Seite eingeführt wurde.22

Und was Julia Kristeva über die „Poesie, die kein Mord ist“ schreibt, ist eigentlich die unmittelbare Interpretation von dem handkeschen Garten-Szene (oder umgekehrt):

„Während die Opferung eine produktive Grenze absteckt – produktiv, weil sie Lusterleben innerhalb der symbolischen und sozialen Ordnung erzeugt –, präzisiert die Kunst das Mittel des Lusterlebens – sein einziges Mittel –,

um in diese Ordnung Eingang zu finden: es spaltet die Ordnung, zer-schneidet sie, verändert Vokabular, Syntax und selbst das Wort und legt in ihnen den Trieb frei, der von der vokalischen bzw. kinetischen Differenz getragen wird. Auf diese Weise verschafft sich das Lusterleben Zutritt zur soziosymbolischen Ordnung, die es dann durchquert.“23

Der Unterschied zwischen den zwei Verfahren ist deshalb die Akzeptie-rung von bzw. die Abweisung der Produktivität, die Reflexion auf die Heterogenität also, die Selbstreflexion, womit man seine notwendigen Setzungen und Urteile auflöst. Dieses selbstreflexive abject kann nicht bestimmen, was die Literatur ist, das bedeutet aber nicht, dass es darüber keine Äußerungen macht. Es liegt nicht in seiner Macht, eines oder meh-rere literaturwissenschaftliche Verfahren als obligatorisch zu definieren, Verfechter der obligatorischen Benutzung von Sekundärliteratur weiß, was die Aufgabe der Literaturwissenschaft ist. Aus der Wiederholung von Handke folgt nicht, dass man keine Arbeiten von anderen Forschern in Betracht ziehen muss oder darf, Sekundärliteratur zu lesen kann nützlich und inspirierend für weitere Ansätze sein. Weder die Literaturwissenschaft mit ihren Literaturwissenschaftlern noch die Literatur sind homogene Einheiten. Aus dieser Inhomogenität folgt aber andererseits auch, dass eine literaturwissenschaftliche Arbeit im Zuge ihrer Aneignung der Tradition nicht unbedingt etwas völlig neues wird sagen müssen, um trotzdem eine (wiederum unvollständige) Erinnerung zu sichern. Die interpretatorische Arbeit als Wiederholung ohne Neuheitsansprüche kann also die Funktion haben, daran zu erinnern, dass die Texte nicht abschließend interpretier-bar sind, weil man sie nicht völlig im Sekundärtext reproduzieren kann, und deshalb wird immer wieder notwendigerweise etwas Neues gesagt wer-den.24 Obwohl viele Literaturwissenschaftler von den verschiedenen Theorien über diese Unerschließbarkeit der Texte explizit und einverständ-lich sprechen, handeln sie doch – wie das Edmund Burke im 18.

Jahrhundert feststellt25– in der eigenen Praxis ganz anders. Ihre Methoden sind ähnlich den Fragen der Stiefmutter, über die Schneewittchen im Dramolett von Elfriede Jelinek folgendes sagt:

Die fragt ihren Spiegel das Unfragbare und stopft das Unerschöpfliche als Fülle in die Antwort hinein, über die sie aber immer schon vorher Gewißheit hat, ohne nachgedacht zu haben. Dieser Kuchen kann ja nicht gelingen.26

Anmerkungen

1Handke, Peter: Die Wiederholung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989.

2Pfister, Gerhard: Handkes Mitspieler: Die literarische Kritik zu „Der kurze Brief zum langen Abschied, Langsame Heimkehr, Das Spiel vom Fragen, Versuch über die Müdigkeit.Bern: Lang, 2000, S. 299–300.

3Renner, Rolf Günter: Peter Handke. Stuttgart: Metzler, 1985, S. 173.

4 Schmiedt, Helmut: Analytiker und Prophet. Die Wiederholungen in Peter Handkes Prosatexten Wunschloses Unglück und Die Wiederholung. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.):TEXT+KRITIK. Heft 24: Peter Handke. München: edition text+kritik, November 1989, S. 82–92.

5Egyptien, Jürgen: Die Heilkraft der Sprache. Peter Handkes Die Wiederholung im Kontext seiner Erzähltheorie. In: Arnold [Anm. 4], S. 42–58.

6Handke [Anm. 1], S. 333.

7Handke [Anm. 1], S. 262.

8Handke [Anm. 1], S. 166.

9Handke [Anm. 1], S. 163.

10 Kristeva, Julia: Powers of Horror. An Essay on Abjection. Translated by S.

Roudiez. New York: Columbia University Press, 1982, S. 1.

11Bachmann, Ingeborg: Malina. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981 [1971], S. 69.

12Handke [Anm. 1], S. 292–293.

13Dieser Bohrer oder Dorn kann man mit den Stacheln des Igels bei Derrida gleichsetzen. Vgl. Derrida, Jacques: Mi a költészet? Übersetzt von Krisztina Horváth und Zsuzsa Simonffy. In: Bókay, Antal – Vilcsek, Béla – Szamosi, Gertrud – Sári, László (Hg.): A posztmoderm irodalomtudomány kialakulása.

Budapest: Osiris, 2002, S. 276–279.

14 Siehe Bachmann, Ingeborg: Fragen und Scheinfragen. Frankfurter Vorlesungen: Probleme zeitgenössischer Dichtung I. In: Ingeborg Bachmann.

Werke 4: Essays, Reden, Vermischte Schriften.Hg. v. Christine Koschel, Inge von Weidenbaum, Clemens Münster. München: Piper, 1984 [1978], S. 182–199.

15Siehe Heidegger, Martin: Nachwort. In: Ders.: Was ist Metaphysik?7. Auflage.

Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1955, S. 44.

16„Von seiner Frau gefragt, ob er seine Bowling-Schuhe drüber oder drunten geschnürt haben will, antwortet Archie Bunker mit einer Frage: »Was is’ der Unterschied?«. Als eine Leserin von erhabener Einfalt erklärt ihm daraufhin seine Frau mit größter Geduld den Unterschied zwischen drüber Schnüren und drunter Schnüren, worin auch immer der liegen mag, aber ruft dadurch nur

einen Wutausbruch hervor. »Was is’ der Unterschied?« fragte nicht nach den Unterschied, sondern meinte statt dessen: »Ich pfeif’ auf den Unterschied.«

Dasselbe grammatikalische Muster erzeugt zwei einander wechselseitig ausschließende Bedeutungen: die buchstäbliche Bedeutung fragt nach dem Begriff (des Unterschieds), dessen Existenz von der figurativen Bedeutung in Abrede gestellt wird.“ In: Man, Paul de: Semiologie und Rhetorik. In: Man, Paul de: Allegorien des Lesens. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 38–39.

Dasselbe grammatikalische Muster erzeugt zwei einander wechselseitig ausschließende Bedeutungen: die buchstäbliche Bedeutung fragt nach dem Begriff (des Unterschieds), dessen Existenz von der figurativen Bedeutung in Abrede gestellt wird.“ In: Man, Paul de: Semiologie und Rhetorik. In: Man, Paul de: Allegorien des Lesens. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 38–39.