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Die Bach-Ära in Ungarn Anmerkungen zur neueren Historiographie 1

1.

Mit dem Unabhängigkeitskrieg 1849 verlor Ungarn seine staatliche Souveräni-tät. Das Stephansreich wurde territorial-rechtlich zergliedert und mit den übri-gen Kronländern der Habsburgermonarchie ein gutes Jahrzehnt lang im Zeichen eines autokratischen Zentralismus regiert. Der österreichische Neoabsolutismus verarbeitete die vormalige Erschütterung der dynastischen Macht, indem er die Verfassung aufhob. Der unumschränkte Herrscherwille hinderte ihn aber nicht an der Neugestaltung des Kaisertums, in die er Elemente des Liberalismus ein-baute. Reaktion und Reform kennzeichnen ihn auch in seiner ungarländischen Geschichte, die seit dem späten 19. Jahrhundert diesen Grundmerkmalen ent-sprechend nach zwei Bewertungsansätzen erforscht wird. Der eine orientiert sich am Unterdrückungscharakter, der andere an den Modernisierungsvorhaben des Systems, das der Volksmund ebenso wie die Fachsprache mit dem Namen Alexander Bachs, des Justiz-, dann Innenministers seiner Majestät zu bezeich-nen pflegt.

Der 1997 erschienene wissenschaftshistorische Abriss über die Historiogra-phie der Bach-Ära in Ungarn, der obige einleitende Worte abstützt und nach-folgend unter einigen Aspekten sowie besonderer Berücksichtigung ausgewähl-ter ösausgewähl-terreichischer und ungarischer Arbeiten fortgeschrieben wird, führte die empfindlichsten Mängel der Forschung über diese Periode österreichisch-unga-rischer Geschichte auf die ungleichmäßige Betrachtung der beiden

Grundmerk-1 Auszug aus einer längeren Abhandlung.

male zurück.2 Vier Jahre später wies Helmut Rumpler auf das gleiche Problem hin, das er allerdings nur aus Werken nichtungarischer Autoren herausschälte:

„Die wissenschaftliche Literatur ist jedenfalls bei dem Versuch einer schlüssi-gen Definition des offenkundischlüssi-gen Widerspruchs zwischen nachrevolutionärer politischer Reaktion auf der einen und wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Innovation auf der anderen Seite relativ erfolglos geblieben.”3

2.

Diese Unzufriedenheit hätte kaum authentischer ausfallen können, gehört doch Rumpler zur wissenschaftlichen Leitung zweier Wiener Großprojekte, die seit den frühen 1970er Jahren Überlegungen zu einer verstärkten, bald grundsätz-lichen Berücksichtigung des Aspektes der Neugestaltung, wie Modernisierung zeitgenössisch hieß,4 anstoßen. Bei dem einen handelt es sich um die noch lau-fende Edition der Protokolle des österreichischen Ministerrates beziehungswei-se der Ministerkonferenz 1848-1867, die Band für Band die Quellengrundlagen zum Nachvollzug der Entscheidungen im Reichszentrum erweitert und mit ih-ren Einführungen sowie textologischen und dokumentarischen Apparaten die Prinzipien, Gliederung und Arbeitsweise des Kaiserreiches unter Einschluss aller Regierungsressorts, Verwaltungszweige und Kronländer erhellt.5 Sie öff-net eine gesamtstaatliche Sicht auf die ungarische Frage, die in Abschnitten der politischen Biographie von Ministerpräsident Felix Fürst Schwarzenberg6 und von Erzherzog Albrecht, dem Generalgouverneur Ungarns,7 unlängst auch von der deutschen Geschichtsschreibung thematisiert worden ist. Die gleichfalls

2 Lengyel Zsolt K.: Österreichischer Neoabsolutismus in Ungarn. Grundlinien, Probleme und Perspektiven der historischen Forschung über die Bach-Ära. In: Südost-Forschungen, 56 (1997) 213–278, hier 223–258. Die nicht gesondert belegten Aussagen dieses Aufsatzes zur Forschungsgeschichte siehe ebenda.

3 Rumpler Helmut: Der österreichische Neoabsolutismus als Herrschafts- und Modernisie-rungssystem. In: Die Habsburgermonarchie und die Slowaken 1849–1867. Hgg. Dušan Kováč [u. a.]. Bratislava 2001, 9–21, hier 10.

4 Czoernig Karl von: Oesterreich’s Neugestaltung 1848–1857. Wien 1857.

5 Die bisher zum Zeitraum 1848–1860 erschienenen Bände: Die Protokolle des österreichischen Ministerrates, 1848–1867. Red. Helmut Rumpler, Waltraud Heindl, Stefan Malfèr [u. a.].

Einleitungsband; I, II/1–3, III/1–5, IV/1–2. Wien 1970–2007.

6 Lippert Stefan: Felix Fürst zu Schwarzenberg. Eine politische Biographie. Stuttgart 1998, 221–266.

7 Stickler Matthias: Erzherzog Albrecht von Österreich. Selbstverständnis und Politik eines kon-servativen Habsburgers im Zeitalter Kaiser Franz Josephs. Husum 1997, 138–172.

noch nicht abgeschlossene Gesamtdarstellung der Habsburgermonarchie von der Märzrevolution 1848 bis zum Zusammenbruch 1918 setzt sich mit ihrer thematisch ganzheitlichen Anlage von der älteren, auf die Erbländer gerichteten Untersuchungskonzeption insofern ab, als sie nicht nur über die Grenzen der deutsch-slawischen Gebiete, sondern auch über diejenigen der österreichischen Staatsgeschichte hinausgreift.8

Waltraud Heindl, die – wie Rumpler – an der monumentalen Editionsreihe ebenfalls von Anbeginn verantwortlich mitwirkte, hat sich vor wenigen Jahren – mit letzterem im gleichen Sammelband – wieder der Aufgabe unterzogen, das Wesen des neoabsolutistischen Systems von den Absichten, Festlegungen und Diskussionen seiner obersten Lenker her zu erklären.9 Sie hatte schon zwei Jahrzehnte zuvor die Eigenart des Neoabsolutismus herausgestellt, „den Staat zu modernisieren”, zugleich aber „die Reformen der konstitutionellen Ära dem neuerlich eingeführten Absolutismus anzupassen”.10 In ihrem Aufsatz „Verfas-sung als Verwaltung – das neoabsolutistische Experiment” wiederholt sie diese Meinung wortwörtlich.11 Unverändert beurteilt sie auch den Anspruch und die Fähigkeit des Systems zum normgebundenen Verwaltungsaufbau, der dem Ziel gedient habe, sich in eine „Rechtsstaatlichkeit”12 hinein zu legitimieren. Diese doppelte Auslegung des Neuen setzt den franzisko-josephinischen Absolutismus zum josephinischen Absolutismus und zur Übergangsphase des Konstitutionalis-mus in Beziehung.

Die ältere Fachliteratur zog aus dem Vergleich mit der erstgenannten Vore-poche wiederholt den Schluss, dass die Schöpfer der nachrevolutionären Macht-vollkommenheit von Joseph II. zwar den Gedanken eines großösterreichischen, deutsch bestimmten Einheitsstaates übernommen, aus diesem aber die aufkläre-rischen Ideen ausgeklammert hätten. Heindl hingegen beschränkt sich in ihrem angeführten Aufsatz auf die konzeptionelle Ähnlichkeit zwischen den beiden Epochen, die sich aus dem neuerlichen Versuch ergeben habe, „das

österreichi-8 Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Hgg. Adam Wandruszka [ab VII Helmut Rumpler], Peter Urbanitsch. I–VIII. Wien 1973–2006.

9 Heindl Waltraud: Verfassung als Verwaltung – das neoabsolutistische Experiment. In:

Die Habsburgermonarchie und die Slowaken 1849–1867. Hgg. Dušan Kováč [u. a.]. Bratislava 2001, 23–35.

10 Heindl Waltraud: Bürokratie und Verwaltung im österreichischen Neoabsolutismus. In:

Österreichische Osthefte 22 (1980) 231–265, hier 233.

11 Heindl: Verfassung, 25.

12 Heindl: Bürokratie, 234; Heindl: Verfassung, 26.

sche Staatsproblem durch konsequente Zentralisierung zu lösen”.13 Insofern war der Absolutismus der 1850er Jahre deshalb neu, weil er eine Strategie erneuerte, die sechs Jahrzehnte zuvor gescheitert war.

Den Namenszusatz Neo hält die Fachliteratur andererseits wegen der Ver-arbeitung der Erbschaft der sozialen und nationalen Revolutionen 1848/1849 für gerechtfertigt. Nach der gängigen Meinung habe der Neoabsolutismus dem Frühparlamentarismus Bestandteile entliehen, die ihm bei der Herstellung und Bewahrung der Reichseinheit dienlich und umsetzbar erschienen seien. Nach Heindl ist mit diesem Erklärungsansatz weniger die restaurative Selbstrettung der Dynastie, als vielmehr das ihr empfohlene gesellschafts- und staatsorganisa-torische Zukunftsbild zu umreißen. Demnach war es eine selbstgestellte Aufga-be, die Anliegen der Kronländer und deren Vielvölkergesellschaften mit zu be-rücksichtigen. Dabei gefährdete das aufsteigende nationale Prinzip das oberste Ziel der Reichseinheit. Von den „üblen Erfahrungen des Jahres 1848 belehrt”,14 gingen die Wortführer der Zentralisierung daran, die regionalen Teilinteressen aus den ethnisch-kulturellen Geflechten herauszulösen und sie dafür mit sozial-ökonomischen Zugeständnissen zu bedienen. Es sei ein „logisch bestechendes”

und – bei allem Ausschluss konstitutioneller Vertretungsformen – „für die dama-lige Zeit modern anmutendes” Konzept gewesen: „Nicht Segregation, sondern Integration der Nationalitäten, durch verwaltungstechnische und gesetzliche Verschmelzungs- und Ausgleichspolitik.”15 Nach dieser zweiten Auslegungsart beruhte die Neuartigkeit des Neoabsolutismus auf seiner Modernität, in der er ein bis dahin nicht erprobtes Staatsmodell postulierte.

Im Hinblick auf die verhältnismäßig breit erforschten Maßnahmen zur Förderung des deutschen Elements, dies zumindest in sprachlicher Hinsicht, drängt sich die Frage auf, ob mit dem österreichischen Einheitsreich nicht eine Art übernationaler Nationalstaat angestrebt wurde? Ágnes Deák scheint sie eher zu verneinen. In ihrer Monographie über die regierungsamtliche Nationalitä-tenpolitik in Ungarn von 1849 bis 1860 untersucht sie die Umsetzung der im Haupttitel angeführten zeitgenössischen Losung der „nationalen Gleichbe-rechtigung” auf staatstheoretischen, gesellschaftlichen, konfessionellen sowie kulturellen Zielfeldern. Die programmatische und vielfach auch praktische Zu-rückdrängung von nationalen Sonderansprüchen sei im Ideal einer „einheitli-chen und deutschsprachigen Staatsmacht – aber nicht in jenem eines deuts„einheitli-chen

13 Heindl: Verfassung, 27.

14 Heindl: Verfassung, 33.

15 Heindl: Verfassung, 33.

Nationalstaates” eingebettet gewesen, schlussfolgert Deák. Sie räumt aber ein, dass der Vorsatz, ethnisch-kulturellen Bestrebungen die Spannung zu entziehen, dabei aber im Primat des Deutschen keinen nationalen Erwartungsdruck zu empfinden, nicht des Widerspruchs entbehrte.16

Heindl geht diesem Widerspruch nicht auf den Grund, weil sie der Frage nach dem übernationalen Nationalstaat ausweicht. Sie bietet aber wichtige und – bei ihr ausnahmsweise – unmittelbar ungarnbezogene Anhaltspunkte zu ihrer Untersuchung. Bachs Plan zur nationalen Nivellierung, somit zur Begründung eines Gesamtstaatsbewusstseins war bei aller ihm unterstellten Logik „nicht durchdacht”, gesteht sie zu, weil er „die Tendenzen der Zeit” missachtete. Den Widerspruch zwischen moderner und unzeitgemäßer Ausrichtung vermeint Heindl mit der Bemerkung aufzulösen, das System sei eben „zu modern und gerade nicht genug traditionalistisch” gewesen. Als Beispiel führt sie den in-nenministeriellen Entwurf der Landesstatuten für das Königreich Ungarn vom Sommer 1856 an, der „die Absicht” bezeuge, die „historische Einheit der Länder zu schwächen, mit der Zeit aufzulösen, im speziellen Fall Ungarns – zu zer-schlagen”. In dieser interpretatorischen Innenperspektive wird die Fortschritt-lichkeit des Vorhabens, regional zuständige und rein beratende Körperschaften einzurichten, damit begründet, dass Bach die „Kontinuität der alten Ordnung”

ablehnte, und zwar jener der „ständisch gegliederten Landtage”.17 Heindl be-stätigt den Umkehrschluss, dass der Innenminister dafür die Kontinuität eines jüngeren Regimes, nämlich der gegen die konstitutionelle Eigenstaatlichkeit Ungarns gerichteten österreichischen Gesamtstaatspolitik bejahte, die – auch für die ungarische Forschung – mit der oktroyierten Reichsverfassung vom 4.

März 1849 eingesetzt hatte.18 Selbst wenn die reichsweit einzuführenden Lan-desstatute eine gewisse Entabsolutierung des Systems einleiten sollten, waren sie also schon bei ihrer Beratung denkbar ungeeignet, ungarisches Interesse für die Mitwirkung an dieser Vertretungsform zu wecken – das laut der bisher ge-sichteten Quellen regionaler Provenienz auch ausblieb.19

Rumpler sieht gleichfalls einen Vorlauf im „konstitutionell-ministeriellen Absolutismus und Zentralismus der Regierung Schwarzenberg”, den im

Sin-16 Deák Ágnes: „Nemzeti egyenjogúsítás”. Kormányzati nemzetiségpolitika Magyarországon 1849–

1860. Budapest 2000, 335, 336.

17 Heindl: Verfassung, 33, 34, 32, 34.

18 Heindl: Verfassung, 35. Vgl. Deák: „Nemzeti egyenjogúsítás”, 41–44.

19 Lengyel Zsolt K.: Neoabsolutismus-Probleme. Verwaltungsgeschichtliche Aspekte zum Fall Ungarn. In: Levéltári Közlemények. 70 (1999) 79-105, hier 84.

ne des Silvesterpatents 1851 der „monarchische Absolutismus” abgelöst habe.

Ebenso hebt er unter dem Titel „Der österreichische Neoabsolutismus als Herrschafts- und Modernisierungssystem” dessen Bemühungen hervor, „die Grundlagen für die Rechtsstaatlichkeit und die Emanzipation der aufstre-benden sozialen Schicht des mittleren Bürgertums und des Bauerntum zu legen”.20 Anders als bei Heindl, dient diese Würdigung aber nicht allein dazu, die Modernisierung vor allem mit ihrem gesellschaftlichen und wirtschaftli-chen Schwerpunkt zum bestimmenden Grundzug der Bach-Ära aufzuwerten, die somit als „Ära der Reformen”21 bezeichnet zu werden verdiene. Rumpler zieht aus alldem auch eine forschungspraktische Konsequenz, die er mit der Relativierung der von der Fachliteratur seit je her an erster Stelle angeführ-ten drei Fehlleistungen des Systems vorbereitet: die Zentralisierung sei durch dezentrale Strukturen der allgemeinen und Rechtsverwaltung, die Germani-sierung durch erhöhte Ausbildungschancen gerade auch der nichtdeutschen Bevölkerung, der Absolutismus durch liberale Maßnahmen zur Entwicklung der Wirtschaft abgefedert gewesen.22 Die letzten Zweifel daran, dass diese Bewertung einem erbländischen oder, zeitgemäßer gewendet, österreichischem Geschichtsverständnis entspringt, räumt das unter anderem mit Verweis auf den vormärzlichen Beginn österreichischer Wirtschaftsentfaltung ebenso ori-ginell wie überraschend gefällte Urteil aus: „Von einem Zeitalter des Neoab-solutismus als besonderer politischer und soziökonomischer Formation kann man daher nicht sprechen. Der sogenannte Neoabsolutismus war nicht eine Unterbrechung des Prozesses der Modernisierungsgeschichte der habsburgi-schen Länder seit dem frühen Vormärz, sondern ein ganz wesentlicher Teil dieser Entwicklung.”23 Während Heindl die Bezeichnung Neoabsolutismus vor-nehmlich für das Jahrzehnt 1849-1859 beibehält und allenfalls mit sinn- und sachverwandten Wörtern wie „Verwaltungszentralismus”, „Obrigkeitsstaat”,

„Reformabsolutismus” ersetzt beziehungsweise umschreibt,24 läßt Rumpler begrifflich weder eine Restauration noch eine Reaktion gelten. Er tritt für eine

„konservative Modernisierung” ein und stellt sie auf eine ununterbrochene Kontinuitätslinie zwischen dem Beginn der ersten konstitutionellen Pha-se österreichischer VerfassungPha-sentwicklung und der bis zum

österreichisch-20 Rumpler 13, 21.

21 Rumpler 14.

22 Rumpler 16.

23 Rumpler 21. Hervorhebung Zs. K. L.

24 Heindl: Verfassung, 25, 26.

ungarischen Ausgleich geführten Neugestaltung: „Daher macht es Sinn, den Neoabsolutismus als Epoche gar nicht mehr anzusetzen, sondern von einer Periode der »Revolution und Reform« von 1848-1867 zu sprechen.”25

Das Reihenwerk „Die Habsburgermonarchie 1848-1918” hat sich für diese Auffassung geöffnet. Obwohl es die „Ära des Neoabsolutismus” nach wie vor gesondert behandelt,26 legt es in seinen dem Themenbereich „Verfassung und Parlamentarismus” gewidmeten Bänden stellenweise eine gewisse Vorsicht bei der Verwendung der Epochenbezeichnung an den Tag. Wilhelm Brauneder, der auf das ganze Reich ausblickt, ordnet die „neuständisch beschränkte Monarchie”

von 1852 bis 1867 der 1848 einsetzenden ersten Phase des Konstitutionalismus in Österreich zu, allerdings eben mit der Einschränkung, dass das parlamenta-rische Regierungssystem erst ab 1860 zur Geltung gekommen sei, weil zuvor

„ein sogenannter Neuabsolutismus die Verfassungswirklichkeit bestimmt” habe.

Ungarn sei Teil dieser Verfassungsentwicklung gewesen, wiewohl zunächst mit

„eigener Konstitutionalisierung und damit weitestgehender Eigenstaatlichkeit”, dann aber, „1849 mit Gewalt dem konstitutionellen Gesamtösterreich einge-gliedert”, unter „weitestgehender Aufgabe der Eigenstaatlichkeit”.27 In einem der nachfolgenden Länderbeiträge kennzeichnet László Péter diese periodi-sche Stellung Ungarns in der „Gesammt-Monarchie” unter Hervorhebung von Modernisierungswirkungen des „Bach-Regimes” und meint, dass dieses „nicht so sehr absolutistisch, sondern eher unkonstitutionell” gewesen sei.28 Prägnant formuliert, sollte sich dieser Standpunkt als breit dokumentiert und diskutiert erweisen, denkt der Leser, bevor er überrascht feststellt, dass Péter vorwiegend ältere Fachliteratur heranzieht und sogar die neue ungarische Spezialforschung übergeht.29 Diese sprachliche Eingrenzung der Bibliographien ist auch in den übrigen neuen Bänden des Reihenwerks zu beobachten.30

25 Rumpler 20.

26 Z. B. Buzinkay Géza: Die ungarische politische Presse. In: Die Habsburgermonarchie, VIII/2 [2006], 1895–1976, hier 1908–1925; Gottas Friedrich: Grundlagen der Parteienentwicklung, des Vereinswesens und der Interessenvertretungen in den Ländern der ungarischen Krone.

Grundzüge der Geschichte der Parteien und Verbände. In: Ebenda, VIII/1 [2006], 1133–

1168, hier 1145–1151.

27 Brauneder Wilhelm: Die Verfassungsentwicklung in Österreich 1848 bis 1918. In: DHM VII/1 [2000], 69–237, hier 70–71. Hervorhebung Zs. K. L.

28 Péter László: Die Verfassungsentwicklung in Ungarn. In: DHM VII/1 [2000], 239–540, hier 297.

29 Péter 294–299.

30 Eines der seltenen Gegenbeispiele ist Buzinkay: Die ungarische politische Presse.

Der hohe Stellenwert, den das Thema der erstrebten, aber verfehlten Kon-stitutionalisierung in der Geschichtswissenschaft außerhalb Ungarns besitzt, ist auch an jenen beiden Habilitationsschriften ablesbar, die von einer ausge-zeichneten Quellenkenntnis zeugen – aber eben von einer, die sich infolge der gesamtreichorientierten Themenstellungen nicht auf regionale Archivbestände erstreckt. Die von Georg Christoph Berger Waldenegg ist trotz ihrer finanzhi-storischen Ausrichtung auf die Nationalanleihe von 1854 hauptsächlich eine Politikgeschichte der Funktionsweise und Selbstdarstellung eines Staates, der trotz – oder gerade wegen – der kaiserlichen Allmacht auf gesellschaftliche Ak-zeptanz erpicht war.31 Die leider noch nicht veröffentlichte Studie von Georg Seiderer zum „Liberalismus und Neoabsolutismus” bettet die Problematik der Repräsentation und Administration in die Verfassungsgeschichte der Verwal-tungsreformen ein, wobei sie ungarländische Vorgänge und Sachverhalte an-hand der westsprachigen Fachliteratur erfreulich zielstrebig einbezieht.32 So wie es beide Werke beschreiben, verdient das System seine in der unpersönlichen Form herkömmliche Bezeichnung nur dann, wenn der Zusatz Neo als gleich-wertiger Namensbestandteil gilt, und die Neuartigkeit dieses Absolutismus auf die mannigfaltigen Verflechtungen und Wechselwirkungen zwischen autokrati-scher Herrschaftsausübung und liberaler Staatsgestaltung zurückgeführt wird.

3.

Die ungarische Forschung sucht schon seit ihren Anfängen nach einem Ersatz- oder Parallelnamen zum Begriff Neoabsolutismus – und sie findet ihn aus einem Blickwinkel, der von dem mit Heindl und Rumpler skizzierten österreichischen entscheidend abweicht. Im Laufe ihrer Geschichte gewöhnte sie es sich an, auch – streckenweise nur – eine Willkürherrschaft (önkényuralom) nachzuzeichnen. Mit dieser verallgemeinernden Bezeichnung spitzte sie die Bewertung auf eine

Ver-31 Berger Waldenegg Georg Christoph: Mit vereinten Kräften! Zum Verhältnis von Herr-schaftspraxis und Systemkonsolidierung im Neoabsolutismus am Beispiel der Nationalanlei-he 1854. Wien/Köln/Weimar 2002. Ein wichtiges Nebenprodukt ist Berger Waldenegg Georg Christoph: „Eine Lebensfrage für die Zukunft Österreichs”. Das Projekt der ,Ko-lonisierung‘ Ungarns in der Epoche des Neoabsolutismus. In: Südost-Forschungen, 61/62 (2002/2003) 91–139, auf das die Langfassung dieser Abhandlung eingehen wird.

32 Seiderer Georg: Liberalismus und Neoabsolutismus. Studien zur Verfassungspolitik und Verwaltungsreform in der Habsburgermonarchie unter Alexander Bach 1848–1859. München 2004 [Habilitationsschrift].

fehlung zu, die für sie alle anderen Missgriffe des Systems – und selbstredend auch deren nützlichen Leistungen – überlagert hatte: auf die Eigenschaft, eine fremde Herrschaft gewesen zu sein. Die Untersuchung des Neoabsolutismus fordert die ungarische Fachliteratur traditionell dazu heraus, die Schicksalsfrage ungarischer Selbständigkeit oder Abhängigkeit von einem mächtigen Nachbarn mit zu behandeln oder zumindest zu berühren. So führt sie wiederholt zu ei-ner mittelbaren oder unmittelbaren Stellungnahme im Widerstreit der 1848er Unabhängigkeits- und der 1867er Ausgleichstradition. Wie sie sich zueinander auch immer verhielten, diese beiden maßgeblichen Erklärungsmodelle neuerer ungarischer Geschichte setzten an der Wiener Zentralführung der 1850er Jahre nicht allein die politische, sondern zusätzlich die österreichische Autokratie aus.

Die heutige Verwendung des ungarisch geprägten Ersatz- oder Parallelna-mens erklärt sich aus dem anhaltenden Einfluss dieser Sichtweise.33 Belegbar ist sie beispielsweise in staats- und rechtsgeschichtlichen Werken sowie histo-riographischen Übersichten, welche die „Willkürherrschaft” gemäß der älteren ungarischen Forschungstradition in einer bis 1867 dauernden Langfassung beschreiben.34 In den sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen ist aber auch die nur bis 1860 angesetzte und vergleichsweise entschärfte Definition

„Neoabsolutismus”35 oder „Absolutismus”36 gebräuchlich. Bei näherem Hinsehen entsteht der Eindruck einer nicht immer reflektierten Begrifflichkeit. So fällt auf, dass der einschlägige Abschnitt eines der aktuellen kulturgeschichtlichen Hand-bücher in der Bach-Ära, sinngemäß sogar bis 1867 eine „Willkürherrschaft”37 darstellt, obwohl er zugleich mit Hinweis auf János Arany (1817–1882), Zsig-mond Kemény (1814–1875) und Imre Madách (1823–1864) von „großen gei-stigen Leistungen” der ungarischen Belletristik und Essayistik berichtet, die

33 Wie auch Kövér György: Magyarország társadalomtörténete a reformkortól az első világhá-borúig. In: Gyáni Gábor – Kövér György: Magyarország társadalomtörténete a reformkortól a második világháborúig. Budapest 2004, 11–186, hier 30, andeutet.

34 Csizmadia Andor: Az önkényuralom időszakának állama (1848–1867). In: Csizmadia Andor – Kovács Kálmán – Asztalos László: Magyar állam- és jogtörténet. Hg. Andor Csizmadia.

Budapest 1995, 301–313; Csorba László: Az önkényuralom kora (1849–1867). In: 19. századi magyar történelem 1790–1918. Hg. András Gergely. Budapest 1998, 293–342; Fónagy Zoltán:

Modernizáció és polgárosodás. Magyarország története 1849–1914-ig. Debrecen 2001, 11–66.

35 Stipta István: A magyar bírósági rendszer története. Debrecen 1998, 113–117.

36 Buzinkay Géza: Az abszolutizmust túlélő és újjászülető magyar sajtó, 1849–1867. In: Kókay György – Buzinkay Géza – Murányi Gábor: A magyar sajtó története. Budapest 22001, 113–133.

37 Szegedy-Maszák Mihály: A polgári társadalom korának művelődése I. (A XVIII. század végétől 1920-ig). Szellemi élet. In: Magyar művelődéstörténet. Hg. László Kósa. Budapest 22001, 332–397, hier z. B. 366.

unter „widrigen Umständen” vollbracht worden seien.38 Doch wie weit reichte die österreichische Willkür, wie tief griff die Fremdherrschaft gerade in das ein-heimische Pressewesen ein, wenn dieses mit Kemény in einer Hauptrolle die geistige Neuorientierung der ungarischen Liberalen nach 1849 zu fördern in der Lage war? Diese Frage lässt auch jene Abhandlung unbeantwortet im Raum stehen, die den entsprechenden Wegen der „nationalen Verbürgerlichung” in der

„anationalen Modernisierung durch die Reichspolitik” nachgeht und letzterer ihrerseits die Eigenschaft einer „Willkürherrschaft” zuschreibt.39

Obige definitorische Uneinheitlichkeit rührt den teilweise noch schwerwiegen-den Beschwerwiegen-denken her, schwerwiegen-den Neoabsolutismus in die Struktur- und Ereignisgeschichte der Modernisierung Ungarns einzufügen. Hierbei erweist sich seine Periodisie-rung inzwischen als ein eher zweitrangiges, jedenfalls überwindbares Problem. Die Argumente für seine Gleichsetzung mit der Amtszeit des 1859 entlassenen Mini-sters Bach40 sind jüngst im Zusammenhang mit dem tiefschürfend untersuchten staatspolizeilichen Spitzelwesen mittelbar erhärtet worden. Dieses Strukturmerk-mal neoabsolutistischer Machttechnik41 ist zwar im Schmerling-Provisorium in neuer Schärfe nachweisbar. Dennoch gilt die erste Hälfte der 1860 Jahre nicht als Ausklang eines Regimes, sondern als Beginn eines „Systemwandels”,42 der etwa im politischen Werdegang Ferenc Deáks auf den österreichisch-ungarischen

Obige definitorische Uneinheitlichkeit rührt den teilweise noch schwerwiegen-den Beschwerwiegen-denken her, schwerwiegen-den Neoabsolutismus in die Struktur- und Ereignisgeschichte der Modernisierung Ungarns einzufügen. Hierbei erweist sich seine Periodisie-rung inzwischen als ein eher zweitrangiges, jedenfalls überwindbares Problem. Die Argumente für seine Gleichsetzung mit der Amtszeit des 1859 entlassenen Mini-sters Bach40 sind jüngst im Zusammenhang mit dem tiefschürfend untersuchten staatspolizeilichen Spitzelwesen mittelbar erhärtet worden. Dieses Strukturmerk-mal neoabsolutistischer Machttechnik41 ist zwar im Schmerling-Provisorium in neuer Schärfe nachweisbar. Dennoch gilt die erste Hälfte der 1860 Jahre nicht als Ausklang eines Regimes, sondern als Beginn eines „Systemwandels”,42 der etwa im politischen Werdegang Ferenc Deáks auf den österreichisch-ungarischen