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Zur Prosa der Verhältnisse an Beispielen von Elfriede Jelinek und Marlene Streeruwitz'

In document 35 Budapest 2000 (Pldal 159-171)

Happy people exist too. Why shouldn't they?

(Philip Roth, American Pastoral)

1. Sprechen die Sinne?

Marlene Streeruwitz' 1993 uraufgeführtes Drama »New York. New York.«

spielt, wie das bei Streeruwitz' Stücktiteln so üblich ist, ganz und gar nicht in New York. Ebensowenig erklingt der Schlager, der von Frank Sinatra bis Liza Minelli siegessichere Interpreten gefunden hat; eine aggressive American C i­

ty Parade ist er jedenfalls eher als ein American Pastoral. Assoziiert werden darf in Streeruwitz' Stück allenfalls die sozialdarwinistisch einschlägige Zeile:

»and if you make itthere, you'll make it everywhere«. Denn das Drama spielt in Wien, in einem heimtückischen urbanen Dschungel, einer bedrohlichen städtischen Unterwelt, kurz: an einem Wiener Ab-Ort. Schauplatz ist nämlich, laut Regieanweisung, die »ehemalige k.k. Piß- und Bedürfnisanstalt« an der Wiener Stadtbahnhaltestelle Burggasse. Der unterirdische Abort bietet die Fläche - den Gemeinplatz - , auf dem Öffentlichkeit und Intimität, Banalität und Tragödie sich treffen. Die Klofrau heißt Frau Horvath und ist dabei nicht nur eine literarische Allusion, sondern buchstäblich eine alt-österreichische Mischung (der in Wien verbreitete Name Horvath ist ungarisch und bedeutet

>Kroate<). Mithilfe eines Kassettenrecorders spielt sich Frau Horvath im Toilet- tenvorraum Passagen aus Puccinis >Turandot< vor - unter anderem das Finale mit Turandots Jubelschrei: »II suo nome e [...] Amor!« und den Glücksrufen der versammelten Menge: »Ride e canta nel sole l'infinita nostra felicitä!« Die­

se Liebesapotheose erhält eine Antiklimax in Form von Frau Horvaths Kom­

mentar zu ihren Ehejahren: »[...] der alte Horvath war eine Sau, und Sterben war das beste, was er zusammengebracht hat«. Auch mit Lust im weitesten Sinn hat Frau Horvath nichts zu tun; sie sagt es im typisch Streeruwitzschen Staccato:

1 Eine Erstfassung dieses Beitrags erscheint in einem von der Arbeitsstelle für österreichische Literatur und Kultur an der Universität Saarbrücken herausgegebenen Sammelband im Röh- rig-Verlag.

Und wozu das gut sein soll. Das alles. Dafür hat man keine Beweise. Wie denn auch. Wenn alles so ist, wie es ist, und geändert bleibt es auch so. Nie eine Besserung. Immer das Schlimmste. Und überkommt einen die Wut. Der Zorn. Die Verzweiflung. Immer. Der lange Arm erreicht einen. Das Schicksal. Das Schicksal. Und das Schlimmste wird das Schlimme und auf ewig. Das Entsetzen das Entsetzen. Und das Schöne ist der Anfang davon und keine Ruhe. Keine Ruhe. Keinen Frieden. Und trotzdem. Keine Lust. Keine Lust zum Sterben. Nicht einmal eine Lust zum Sterben. Kein Entkommen. Und. Keine Erlösung.2

In der Hölle dieses Abortes gewinnt Frau Horvaths Unlust geradezu mytholo­

gische Ausmaße; davon wird noch die Rede sein.

Keine Lust also, genauer: keine Liebeslust. Lust scheint überhaupt eine be­

drohte Species unter den Gefühlen zu sein. Erstens ist ihr Zustandekommen immer schon eine prekäre, durchaus störungsanfällige Angelegenheit. An­

ders als die konträre Empfindung des Schmerzes läßt sich Lust noch nicht einmal mit der relativen Verläßlichkeit des Reiz-Reaktions-Schemas erre­

gen. Einer, der es wissen muß, Sigmund Freud nämlich, hat den Menschen (zumindest den männlichen) zwar als »unermüdliche[n] Lustsucher« be­

zeichnet;3 diese Bestrebung unterliegt aber derart vielen, von Freud eben­

falls beschriebenen, Hemmungen und Irritationen, daß der lustsuchende Mensch schließlich doch zu ermüden scheint - zumal mit steigendem Alter.

Kommen einige Leiderfahrungen zusammen, gibt man es billiger; die Men­

schen, so formuliert es Freud, pflegen »ihren Glücksanspruch zu ermäßigen«.

Denn schließlich könne man sich eines Eindrucks nicht erwehren: »die Ab­

sicht, daß der Mensch >glücklich< sei, ist im Plan der >Schöpfung< nicht enthal­

ten«. Deswegen, sagt Freud, sei es kein Wunder, »wenn ganz allgemein die Aufgabe der Leidvermeidung die der Lustgewinnung in den Hintergrund drängt«.4

Zweitens: In der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt nimmt Lust eine außerordentlich heikle Stellung ein. Daß das deutsche Wort »Lust« doppel­

deutig ist und sowohl die Spannung bedeutet (ich habe Lust auf) als auch die Befriedigung (ich empfinde jetzt Lust an), hat ebenfalls schon Freud, zuerst ir­

ritiert und später fasziniert, vermerkt.5 Nun kann es sein, daß sich Lust I be­

gehrend und zärtlich auf das Objekt richtet, Lust II diese Beziehung aber kas­

siert (unverfängliches Beispiel ist die Lust auf eine Speise; in der Befriedigung dieser Lust wird das Objekt einverleibt und so vernichtet). Daß solches sich auch im sogenannten Zwischenmenschlichen ereignen mag, bildet freilich

2 Marlene Streeruwitz: New York. New York. Elysian Park. Zwei Stücke. Frankfurt 1993 (=

es 1800), S. 53, 41 f.

3 Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In: Sigmund Freud: Psychologische Schriften. Frankfurt 1982 (= Studienausgabe IV; FW 7304), S. 1 20 - Freud gibt an, nicht mehr zu wissen, bei welchem Autor er diesen »glücklichen Ausdruck« gefunden habe.

4 Das Unbehagen in der Kultur. In: Sigmund Freud: Fragen der Gesellschaft - Ursprünge der Religion. Frankfurt 1982 (= Studienausgabe IX; FW 7309), S. 208f.

ein Problem des politisch korrekten sexuellen Diskurses, der davon ausgeht, daß Liebeslust zu teilen, mehr noch: mitzuteilen sei. Nun stellen die Mitteilun­

gen der Lust aber ein fundamentales hermeneutisches und kommunikatives Problem dar. Denn auch für Lust, um Streeruwitz' Frau Horvath abzuwan­

deln, hat man keine Beweise. Lust äußert sich - in der Kunst - mithilfe körper- sprachlicher Zeichen, über deren Tauglichkeit man streiten kann. Was den Sexfilm charakterisiert, gilt für Pornographie generell: »Hilflos erzeugt [sie]

Beweise dessen, was nicht beweisbar ist, nämlich Lust [...] - da die Lust der Frau noch weniger oder gar nicht >beweisbar< ist, muß sie Zeichen produzie­

ren, die wenigstens darauf verweisen könnten. Stöhnen, Schreie, unwillkürli­

che Bewegungen etc. sind nun aber genauso geeignet wie ungeeignet, Lust wie Schmerz darzustellen«. Auf der Ebene der Repräsentation findet deshalb eine permanente »Verschiebung von Körperzeichen« statt.6 Noch die schein­

bar unmittelbarsten Mitteilungen von Lust lassen sich daher ohne interpreta- torischen Aufwand nicht entziffern. Generell steht die Kommunizierbarkeit von Lust in Frage.

Zu beiden Problemen (dem der Lustlosigkeit in der Liebe und dem der Sprachlosigkeit der Liebeslust) hat die deutsche Autorin Monika Maron einen bemerkenswerten Essay verfaßt. Unmittelbarer Anlaß war die pharmazeuti­

sche Abhilfe, die für das Problem Nummer eins angeblich geschaffen worden ist. Die männliche Begeisterung für die Potenzpille Viagra erzeugt laut Maron nur wiederum die alten Schwierigkeiten, was Hermeneutik und Kommunikati­

on betrifft. Die männlichen Versagensängste, schreibt sie, habe sie immer noch am besten verstanden - unerfindlich sei ihr »die Verheißung des neuen Männerglücks« durch den Leistungsbeweis:

Am wenigsten verstehe ich, warum sie [die Männer] behaupten, ihre garantierte Potenz kön­

ne zur besseren Verständigung beitragen, wenn sie alle Antworten in Zukunft offensichtlich nur noch mit den Schwellkörpern geben wollen. Nehmen wir an, die Frau will, wie immer, über etwas sprechen, jedenfalls behaupten alle Männer, daß alle Frauen immerzu über ir­

gend etwas sprechen wollen; der Mann schweigt wie immer, nimmt aber unauffällig die blaue Pille ein und antwortet eine Stunde später auf viagrisch, vorausgesetzt, seine Frau ge­

fällt ihm noch [...]. Selbst wenn [...] beide an dem Ereignis ihre Freude haben, wird die Frau danach immer noch über etwas sprechen wollen und der Mann nicht.

5 Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. In: Sigmund Freud: Sexualleben. Frankfurt 1982 (= Studienausgabe V; FW 7305), S. 47, 1 1 7.

6 Sigrid Schade: Das Fest der Martern. Zur Ikonographie von Pornographie in der bilden­

den Kunst. In: Frauen - Gewalt - Pornographie. Hg. v. Karin Rick u. Sylvia Treudl. Wien: Wie­

ner Frauenverlag 1989 (Dokumentation), S. 18 - Das Zitat verdanke ich Thomas Anz: Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen. München: C.H . Beck 1998, S. 227

' Monika Maron: Versagen ist männlich. In: D ieZeitv. 2 0 .5 .1 9 9 8 .- 1996 erschien Marons Roman »Animal triste«.

Von literarischer Lust wiederum kann offensichtlich nicht gesprochen wer­

den ohne einen Blick auf die geschlechtsspezifischen Differenzen, die Texte in diesen Begriff legen. Und da drängt sich ein Befund auf: Die Frauen sprechen tatsächlich - aber vom Defizit. Ihre Rhetorik der Unlust befördert die porno­

graphisch verschobenen Körperzeichen erstmal wieder zurück. Elfriede Jeli­

neks Prosa »Lust« (1989) beispielsweise hält gerade nicht, was der Titel ver­

spricht; statt dessen beginnt sie ein furioses Spiel mit der Sprache des Obszönen. »Jetzt sprechen allein die Sinne«, heißt es in »Lust«, »doch wir ver­

stehen sie nicht«.8

2. Fem inism us und P o rn o g ra p h ie

Natürlich kann man die betreffende Unlust im Werk von Autorinnen wie Jeli­

nek und Streeruwitz historisch begründen. Ende der sechziger Jahre hatte al­

les noch ganz anders ausgesehen. In dieser legendären Ara verbanden sich politische Emanzipationswünsche mit entsprechenden sexuellen. Nunmehr wurde die Überzeugung verfochten, »daß der Pornographie, wie immer sie beschaffen sei, eine heilsame, weil tabubrechende Wirkung zukomme und daß sie, wo immer man sie antreffe, gegen jedweden Zugriff zu schützen sei«.9 Wilhelm Reich wurde gegen die psychoanalytische Orthodoxie ausge­

spielt. Anstelle einer kleinbürgerlich-friedlichen, sozial regulierbaren Erotik verlangte man euphorisch-undomestizierte Sexualität. Für einen Moment, so erinnert sich zumindest Marlene Streeruwitz, tauchte ein glaubhaftes Glücks­

versprechen auf:

Sexualität schien der beiderseitigen Lusterfüllung dienen zu sollen. Oswald Kolle und die Softpornos deutscher Herstellung taten so. (Hat nicht Dr. Sommer damals in Bravo zu bera­

ten begonnen?) Und die Drogen würden das Bewußtsein erweitern. Die Welt versprach ein Lustgarten zu werden, und jeder und jede würde selbstbestimmt darin wandeln.

Die Illusion war kurz. Die Situation der Frauen in der Studentenbewegung war widersprüchlich - oder nebenwidersprüchlich - und wurde deshalb bald als zweite Auflage des patriarchalischen Diktats empfunden. Streeruwitz fährt fort:

8 Elfriede Jelinek: Lust. Reinbek: Rowohlt 1989, S. 114

9 Silvia Bovenschen: Auf falsche Fragen gibt es keine richtigen Antworten. Anmerkungen zur Pornographie-Kampagne. In: Pornost. Triebkultur und Gewinn. Hg. v. Brigitte Classen.

München: Raben Verlag 1988, S. 57

10 Marlene Streeruwitz: Nur nicht werden wie die. Politisierung in den 60ern. In: Der lange Anfang. 20 Jahre »Politische Bildung in den Schulen«. Hg. v. Andrea Wolf. Wien: Sonderzahl

1998, S. 79f.

Um 68 herum begann das Bild an G lanz zu verlieren. [...] Die sexuelle Freiheit hatte einen Unterton von Zwang. »Aha. Du bist feig.« Wir Mädchen wurden nicht mehr verführt, son­

dern in die männliche Freiheit hinein erpreßt. [...] Und der Anteil der Ausbeutung war nicht geringer geworden. Nur verschleiert.11

Elfriede Jelinek ihrerseits hatte damals schon reagiert und ihre Schlüsse 1970 mit beeindruckender Wucht vorgetragen. Uber die Frau heißt es da:

ihre traurige rolle die kommerzialisierung ihren warenkarakter ihre entsexualisierung (selbstverständlich verpackt in die pseudohülle derfreiheit und emanzipation die nie stattfin­

det) erkennt sie nur selten. [...] am abend jeden tages kehrt dieser weibliche sklave einer ausbeuterischen ideologie [...] in ihre fallische flasche zum schlafen zurück.12

Die Epoche vermeintlicher glücklicher Freiheit und paradiesischer Sinnen­

freude dauerte somit nicht lange. Während man in den siebziger Jahren die pornographische Phantasie ästhetisch und auch akademisch rehabilitierte, wuchs umgekehrt der Verdacht, der schöne Schein der Erotik könnte bloß die nackte Wahrheit verhüllen, nämlich: daß sich an der kruden Verdinglichung des weiblichen Körpers aber schon gar nichts verändert hatte. Als man dann Ende der achtziger Jahre, zu Zeiten epidemischer AIDS-Angst, den Sex von neuem mit Schuld und Strafe assoziierte, holte die pragmatische Fraktion der Frauenbewegung zum entscheidenden Schlag aus gegen die herrschenden Liebespraktiken in Bild, Wort und Werk, allen voran Andrea Dworkin und Ali­

ce Schwarzer: »Pornographie zelebriert und demonstriert die Degradierung von Frauen«.13 Zwar bildete sich sofort auch eine feministische Opposition, die mit der neuen Prüderie nichts im Sinn hatte und den PorNo-Streit zum An­

laß nahm, Frauen zu erotischen Phantasien zu stimulieren. »Idealistinnen«

wie Claudia Gehrke wiesen alle pornographischen Widerspiegelungstheo­

rien zurück: »Das IST nicht die Realität«.'4 Das Gegenargument der»Realistin- nen« wurde dabei aber wohl nicht außer Kraft gesetzt: Es habe keinen Sinn, auf dem imaginären Charakter der Pornographie zu verweisen, wenn die All­

tagsgewalt von Männern gegen Frauen diese Fiktion jederzeit außer Kraft set­

zen könne und das auch tue. In der Folge verstärkten sich die Lust-Vorbehal­

te. Auch für die Literaturwissenschaft hatte das Folgen; kaum hatte sie die Lust am sogenannten Textkörper entdeckt, war es - zumindest auf der Frauenseite - mit dem Vergnügen auch schon wieder vorbei. Das Fazit ist entmutigend:

11 Ebda., S. 80

12 Elfriede Jelinek: Die endlose Unschuldigkeit. Prosa - Hörspiel - Essay. Schwifting: Gale- rie-Verlag 1 980, S. 66

13 Alice Schwarzer: So antworten die neuen Männer auf die neuen Frauen. In: PorNo. Em- ma-Sonderband 5 (1988), S. 88

’4 Claudia Gehrke: Frauen und Pornographie. In: Frauen und Pornographie, konkursbuch extra [1988], S. 33

»Die feministische Pornographiekritik [...] wäre aus der Perspektive einer lite­

raturwissenschaftlichen Hedonistik als öffentliche Bekundung vehementer Unlust zu untersuchen«.15

Diese These scheint durch den Textbefund vorderhand bestätigt zu werden.

Das Konzept von der Liebe als Passion und Glücksangebot wird geradezu höhnisch verabschiedet. Die soziologische Beschreibung der kleinbürgerli­

chen Liebesverhältnisse in ihrer ironischen Form ist seit Jelineks »Liebhaberin­

nen« (1975) aber eigentlich nicht überboten:

besser, man sieht sein glück in einer andren person als man selber ist, wie schon die mutta, die großmutta, die schwester ihr glück in jemand andrem gesucht und keineswegs gefun­

den haben [...].

von lust hat die mutta seit jahren nichts mehr verspürt. [...]

paula hat sich sehr auf die liebe gefreut, die sie aber nicht bekommt. [...]

das glücksgefühl ist hier nicht die regel, hier herrschen die kalkulationen, die additionen und Subtraktionen vor. es ist eine eisige kälte.16

Einige neuere Beispiele: In Marlene Streeruwitz' Roman »Verführungen«

(1996) ist der Körper der Protagonistin Helene ein Schauplatz der Vergeblich­

keiten, was Dispositive der Lust betrifft: »Sie hatte seit Wochen keine Lust mehr gehabt. [...] Wozu hatte sie sich diese Spirale einsetzen lassen. Wenn sie doch ohnehin nie wieder. Mit einem Mann. Vielleicht sollte man schneller alt wer­

den, dachte sie«.17 Auf der Bühne hingegen finden immer wieder Liebesversu- che statt, aber sie enden meist enttäuschend. In Jelineks Komödie »Raststätte«

(1994) liegt es an den männlichen Protagonisten, und in einer Travestie des klassischen »heroic couplet« gibt es einer von ihnen auch zu, und zwar im kongenialen Knittelvers: »Insofern es darum geht, sie zu entflammen, scheint mir der Treibstoff ausgegangen«.18 Streeruwitz wiederum läßt einen Seiten­

sprung an den von Monika Maron beschriebenen unterschiedlichen Kommu­

nikationsbedürfnissen scheitern:

Das Paar schmust wieder. Sie setzt sich plötzlich auf und fragt kindlich nett:

HELENE Sag einmal. Hast du überhaupt Lust? Ich meine. Richtig. So. Auf mich. - Ich meine.

Wir haben uns doch. Eigentlich. Zufällig. Wir haben uns doch nur zufällig getroffen. Heute abend. Ich habe gar nicht gewußt. Daß du ... Ohne Sylvie. Ich meine. Es wird immer zufälli­

15 Anz, Literatur und Lust, S. 218

16 Elfriede Jelinek: Die Liebhaberinnen. Roman. Reinbek: Rowohlt 1975 (= dnb 64), S. 46, 61, 71

1' Marlene Streeruwitz: Verführungen. 3. Folge Frauenjahre. Frankfurt: Suhrkamp 1996, S.

274f.

18 Elfriede Jelinek: Stecken, Stab und Stangl. Raststätte oder Sie machens alle. Wol­

ken.Heim. Neue Theaterstücke. Reinbek 1997 (= rororo 22276), S. 11 7

ger. Das alles. Mein Gott. Wie du noch hier gearbeitet hast und vor dem Büro. Ein kleiner Frühstücks... Oder in der Mittagspause ...

M ICHAEL setzt sich abrupt auf: Kannst du mir eigentlich sagen, warum hier so viel geredet wird. Du redest schon fast so viel wie dein Mann. 19

Kaum noch spricht hingegen Lisa, die Protagonistin aus Streeruwitz' letzter Prosa »Lisa's Liebe« (1997), deren drei Heftchenbände nach dem Muster des trivialen Liebesromans gestylt sind, wobei der Inhalt dann nichts anderes illu­

striert als das Ausbleiben von Lust und Liebe. Bis es einmal völlig lakonisch und lapidar heißt: »Lisa machte es nicht mehr«.20 Auch ihre Kollegin aus den

»Verführungen«, Helene, registriert das Ausbleiben erotischer Reaktionen:

»Sie hatte keine Sehnsucht mehr. Nicht einmal danach«.21 Dergleichen triste Diagnosen haben natürlich auch Kritik auf den Plan gerufen. Obwohl es na­

türlich immer darum geht, daß den Protagonistinnen die Lust erst genommen wird, besteht die Gefahr, daß sie, als gründlich desexualisierte Wesen, sich den Frigiditätstheoremen älterer tiefenpsychologischer und klinischer Debat­

ten wieder annähern. Es handelt sich dabei um eine Falle, die sämtlichen Emanzipationsdiskursen aufgestellt ist: daß noch die kritische und satirische Beschreibung einer Verdinglichung den Tatbestand wiederholt, gegen den sie sich richtet. Mit dem Befund der Lustlosigkeit wäre so der status quo perpe- tuiert. Muß man sich deshalb an die Anweisung halten, die in Jelineks Roman

»Lust« direkt an den Leser adressiert wird? Sie lautet: »Ja, die Lust, richtig bau­

en möchte man sich aus ihr können! Aber auf sie bauen, das würde ich, wenn ich Sie wäre, lieber nicht«.22

3. Das Lachen und d ie Leser

Auf seiten der Rezeption wirft die literarische Negation von munterer Sinnen­

freude selbstverständlich Probleme auf. Wieviele Leser sich nach dem Kauf von Elfriede Jelineks »Lust« düpiert gefühlt haben, wird wohl nie zu ermitteln sein, sicher ist, daß die Rezensenten ihren Unwillen manchmal kaum bemän­

teln konnten. Schlicht »Unlust« hieß beispielsweise Volker Hages Rezension des Buches in der »ZEIT«, mit folgendem Verdikt: »Und die einzige Leistung dieses Textes, nämlich die pornographische Sprache zu verwenden, ohne daß auch nur ein Schimmer von Lust aufkommt, ist im Grunde nicht einmal

19 Die Passage stammt aus der 6. Szene von »Waikiki-Beach«; in: Marlene Streeruwitz: Wai- kiki-Beach. Sloane Square. Zwei Stücke. Frankfurt: Suhrkamp 1992 (= es 1786), S. 25.

20 Marlene Streeruwitz: Lisa's Liebe. Roman. Frankfurt: Suhrkamp 1997, 1. Folge, S. 43 21 Streeruwitz, Verführungen, S. 286

22 Jelinek, Lust, S. 171 f.

ein Kunstgriff zu nennen«.23 Diese Wirkung auf den Leser hatte der Text aller­

dings wohlweislich schon vorweggenommen: »Haben Sie noch immer Lust zu lesen und zu leben? Nein? Na also«.24 Ein pornographisches Vergnügen an den genannten Texten scheidet zweifellos aus; damit ist aber nicht gleich jede hedonistische Lektüre verboten. Denn anstelle der herkömmlichen Mimesis der Liebeslust kommt bei Jelinek - und zumindest in den Dramen von Streeru- witz - eine Lust anderer Art ins Spiel. Was beide Autorinnen - bei aller satiri­

schen Schärfe - in Szene setzen, ist eine Karnevalisierung des feierlichen und hypokritischen Liebes- und Glücksdiskurses, genauer: eine »karnevalistische Mesalliance« (Michail Bachtin) von Pathos und Zote.2b Das euphemistische Gerede wird unterlaufen durch das Vergnügen am Witz und durch ein ka- thartisches Lachen. Was allerdings offenbar eine unerschrockene Lektüre voraussetzt, die nicht der Prosa der geschilderten Verhältnisse, sondern der Poesie des metaphorischen Tumultes in den Texten folgt. Daß Jelineks Bücher schon seit jeher außerordentlich witzig sind, ist von verstörten Lesern und Kri­

tikern lange nicht gesehen worden.26 Marlene Streeruwitz wiederum rechnete mit einem speziellen Rezeptionsproblem in Deutschland, »das ja den Humor nicht so findet«.27 Immerhin wird, zumindest bei Jelineks Texten, ein komi­

sches Potential neuerdings in Betracht gezogen, wenngleich noch recht zö­

gernd: »Wenn Lust nicht gesellschaftskritisch gemeint ist, also ein hehres Ziel verfolgt, wofür die Zoten in Kauf zu nehmen wären, weil das Ziel die Mittel heiligt, dann wäre dieser Text also - ein Witz?«28 Eine Ausnahme macht Tho­

mas Anz mit seiner sicheren Feststellung: »Die Figuren in Jelineks Lust haben nichts zu lachen; die Lesenden durchaus«.29 Anz schildert Jelineks Verfahren

23 Volker Hage: Unlust. In: Die Zeit v. 7.4.1989.

24 Jelinek, Lust, S. 170

25 Evelyn Gärlacher (Zwischen Ordnung und Chaos. Darstellung und Struktur des Lachens in zeitgenössischen Texten von Frauen. Hamburg: Kovac 1997 [= Poetica 27]) beschreibt der­

gleichen Karnevalisierungsstrategien in Texten von Ingeborg Bachmann, Irmtraud Morgner, Christa Wolf und Elfriede Czurda. Ihr kommt es darauf an, die Doppeldeutigkeit des Phäno­

mens herauszuarbeiten: Die Umkehrung der symbolischen Ordnungen bringt subversives Po­

tential ein, bedroht aber auch den (ohnehin noch gefährdeten) Subjektstatus der Frau. - Bei Je­

linek und Streeruwitz ist diese Gefahr, wohl auch durch die dramatische Form, immer schon

linek und Streeruwitz ist diese Gefahr, wohl auch durch die dramatische Form, immer schon

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