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Kuduro in der angolanischen Gesellschaft

Umkämpfter Gründungsmythos

Der prominente Kuduro-Tänzer- und -Sänger Tony Amado wiederholte seinen Ursprungsmythos von Kuduro so oft in den Medien, dass er sich zur Standard-erzählung konsolidiert hat. Er, so Amado, habe 1996 in der Fernsehsendung Conversas no Quintal („Unterhaltungen im Hinterhof“) zunächst zusammen mit der Tanzanleitung Dance que dance que dá Van Damme („Tanz, tanz, tanz den Van-Damme“) tanzend den steifen Hüftschwung Jean-Claude van Dammes parodiert. Diese Bewegung sollte später die Animação6 „Amba kuduro“ („Tanz den harten Hintern“) begleiten. Mit diesem ersten als Kuduro benannten Tanzsong, so bekräftigt Amado immer wieder, habe er das Genre aus der Taufe gehoben. Dieser Gründungsmythos muss jedoch hinterfragt werden, weil es sich weitaus komplizierter verhält, als von Tony Amado propagiert.

Bereits seit den 1980er Jahren tanzen in den Tanzlokalen der Musseques („Sand“) genannten informellen Vierteln in der unasphaltierten Peripherie Luandas Menschen Tanzschritte wie Vaiola, Bruxo e Bruxa, Brotuto, Bungula, Kabetula oder Kapreko zu populärer Musik von den Antillen oder den Kapverden (Alisch 2017; Kindanje 2011, 23 ff.). Als Anfang der 1990er Jahre dann im Zuge der internationalen Rave-Explosion House und Techno in den Discotheken der urbanen Innenstadt von Luanda ankommen, fusionierten Tänzer*innen die etablierten Schritte mit Breakdance-Routinen, die sie sich u.a.

von MC Hammer-Videoclips abschauten. Tony Amado selbst war vor seiner Kuduro-Karriere als Michael-Jackson-Imitator aktiv. Über den Sound der neuen elektronischen Beats stachelten Animadores wie der legendäre Sebem am Mikrophon Tänzer und Publikum zu immer intensiveren Energieschüben an. Auf performative Weise fusionierten diese Akteur*innen kollektiv elektroni-sche Rhythmen, Animação und Toques zu einer komplexen Performancepraxis, die heute Kuduro genannt wird.

Um die gleiche Zeit beginnen auch angolanische Musiker wie Beto Max, M.G.M Zangado, Eduardo Paim oder Bruno de Castro, selbst elektronische Tanzmusik zu veröffentlichen, die unter dem Begriff Batida („Beat“) gehandelt wird. Die Tradition, für jedes Stück einen speziellen Modetanz zu vollführen, wird in Discos, Centros Recriativos („Erholungszentren“) und Clubs zu diesem angola-nischen Dancesound weitergeführt. In diesem Milieu etabliert sich Tony Amado als Tänzer und Animador, bevor er dem Kuduro dann um 1996 durch seinen TV-Auftritt zu nationaler Bekanntheit verhilft. Mit seinem Hit Felicidade

6 „Animation“, verbale Tanzanweisungen und Anheizen von Performer*innen und Publikum, ähnlich dem MCing.

(„Freude“) erreicht Sebem 1998 dann ein Massenpublikum für den Kuduro in den Musseques jenseits der mehrstöckigen Innenstadt Luandas.

Die performativen Praktiken der Kuduristas stoßen bei der angolanischen Kulturelite vielfach auf Kritik. Ihrer Meinung nach sei Kuduro keine richtige Musik. Typische Argumente in diesem Zusammenhang sind „Kuduristas brüllen ja nur“, „sie singen keine Melodien“, „das hat nichts zu tun mit den goldenen Melodien unserer Popmusik aus den 1960er und 70er Jahren, die unsere Natio-nalidentität prägt“. Kuduro, so diese v.a. im Feuilleton geäußerten Stimmen, hätte keine Geschichte und wäre somit Wegwerfmusik ohne Wert. Dieser Logik zufolge ist Kuduro für einen Werteverfall unter jungen Menschen verantwort-lich – nicht etwa das marode Bildungssystem, die höchst prekären Lebens-umstände in den Musseques, die mangelnde Gesundheitsversorgung oder die düsteren Zukunftsperspektiven der jungen Generation. Kuduro wäre somit im besten Falle als Kuriosum zu verstehen, welches das humoristisch-kreative Talent der Angolaner verkörpert, argumentieren Vertreter der angolanischen Kulturelite (Brandão 2013, 39; Jamba 2013; Manoel 2010, 34; Neto 2009, 7).

Viel zu oft übernehmen Forscher*innen diese klassistischen Haltungen auch in ihre akademischen Untersuchungen.

Wie verhalten sich die Vertreter der politischen Macht gegenüber Kuduro und den Kuduristas? In Angola ist seit 1975 die MPLA (Movimento Popular de Libertação de Angola, „Populäre Bewegung für die Befreiung Angolas“) an der Macht. Die ehemalige antikoloniale Befreiungsbewegung regierte zunächst als marxistisch-leninistischen Partei, die im Laufe der 1990er Jahre zunehmend ein marktwirtschaftlich orientiertes System in Angola etablierte (Rodrigues 2007, 237). In der Zeit von 1975–2002 befand sich die MPLA im Bürgerkrieg mit der Oppositionspartei UNITA.

Der zur Zeit meiner Forschung amtierende Präsident José Eduardo dos Santos war seit 1979 an der Macht. Im Zuge der Umstellung von sozialistischer Plan-wirtschaft auf Ölkapitalismus in den 1990er Jahren organisierte er den Reich-tum, den Angolas Rohstoffe produzieren, in seine Hände und die Hände seiner engeren Familie. Angola ist ein sehr reiches Land. Dennoch muss der Großteil der Bevölkerung mit weniger als 2 US$ pro Tag auskommen (Transparency International 2015). Angesichts dieser massiven gesellschaftlichen Schieflagen entstanden Schatten-, Parallel- und informelle Wirtschaften (Oliveira 2015).

Jede*r muss versuchen, einen Teil des Öl-Wohlstandes für die eigenen Zwecke zu mobilisieren. Für einige wird dies möglich, indem sie sich mit den Präsiden-tenkreisen in Beziehung setzen und sich hier auf irgendeine Weise nützlich machen (Schubert 2014).

Das gilt auch für Kuduristas. Während die Kulturelite Kuduro belächelt und zum Sündenbock erklärt, pflegen politische Akteure wie Militärgeneräle,

Minis-ter oder Präsidentenkreise seit den 1990ern eine enge Beziehung zur Kuduro-szene (Moorman 2014). So schickte die Armee der MPLA ganz gezielt Kuduristas im Bürgerkrieg an die Front in die Provinzen, um dort MPLA-Kämpfer zu unter-halten (Alisch 2017). Nachdem am 02.02.2002 UNITA-Führer Jonas Savimbi getötet wurde, tanzten schon zwei Tage später von der MPLA gesponsert Kudu-ristas für seine hinterbliebenen Anhänger (Alisch 2017, ix).

Parallel zu dieser Umarmung des Kuduro durch das System ist in den 1990er Jahren die kulturpolitische Förderung für Musik, Theater, Bühnentanz und bil-dende Kunst komplett eingestellt worden (Moorman 2004, 247). Seitdem folgen kulturelle, also auch musikalische, Aktivitäten weitgehend den Prinzipien von Angebot und Nachfrage. Die Ökonomien der Kuduristas sind seit Entstehung ihres Genres durch Patronage und Nähe zu politischen Machtnetzwerken ge-prägt. Kuduristas stehen auch ad hoc für Auftritte zur Verfügung, so z.B. für Maratona („Marathon“) genannte mehrtägige Bierfeste, die von der MPLA in Musseques ausgerichtet werden. Hoch potente Soundanlagen, die auf spezielle LKWs montiert sind, spielen Kuduro, Afrohouse und Kizomba. Erfolgreiche Kuduristas sind Expert*innen darin, ihre Musik- und Tanzpraxis mit den Zielen der Machtelite ins Verhältnis zu setzen.

Wie gehen die Kuduristas dabei vor? Welche Strategien verwenden sie? Im Sep-tember 2011 richtete Starkudurista und TV-Moderator Sebem ein eintägiges Kuduro-Festival aus. Auf dem Bühnenhintergrundplakat für das Event stand geschrieben „Kuduro hört nicht auf. Show der Existenz des Stiles Kuduro.“ Die-ses Statement ist zu verstehen im Kontext einer Debatte darüber, ob der Stil Afrohouse dem Kuduro die Marktanteile wegnehmen könnte (Alisch 2017, 200).

In der Unterzeile wird es sozial engagiert „Show zur Rettung moralischer und zivilgesellschaftlicher Werte und zur Wahlmobilisierung“. Dieser Satz verweist auf eine informelle Kampagne der politischen Machtnetzwerke zur Rettung moralischer Werte (Moorman 2014, 33), in die sich auch Kuduro-Star Sebem einschaltet (Alisch 2017, 200). Weiterhin engagierte er sich laut Plakat zu die-sem Zeitpunkt noch für die Mobilisierung der Bevölkerung zur Wahl, die für das Jahr 2012 anstand.7 Unterstützung, so das Plakat, gibt es für diesen Event vom MPLA-Komitee der Provinz Luanda.

Ich durfte nicht nur auf der Bühne dieses Event filmen, sondern auch backstage Kuduristas interviewen. Ein mittelalter Herr im eleganten Anzug wollte auch sehr gern in mein Aufnahmegerät sprechen. Er erklärte mir, dass seine NGO Linalia diese Veranstaltung unterstützt, ja seit längerem den Kuduro und Kudu-ristas fördert, um junge Menschen vor einer kriminellen Laufbahn zu bewahren (Alisch 2017, 202). Damit reiht sich seine NGO ein in die vom ehemaligen

7 Im Wahljahr jedoch saß Sebem wegen eines Verkehrsdeliktes im Gefängnis. Gerüchten zufolge sollte er als unbequemer Star für diese kritische Zeit aus der Öffentlichkeit verschwinden.

Präsidenten lancierte Pro-Forma-Zivilgesellschaft. Hier erhielten Fake-NGOs über die José-Eduardo-dos-Santos-Stiftung Gelder, die sie über öffentlichkeits-wirksame Aktionen weiterverteilen und sich dabei selbst bereichern. Sebems Kuduro-Festival ist eines von vielen Beispielen dafür, wie Kuduristas selbst die Nähe zur politischen Macht herstellen.

Im Vorfeld der Wahlen 2012 wurden auf Kuduro-Parties immer mehr Symbole der MPLA und riesige Präsidentenporträts sichtbar. Auf einer prekär improvi-sierten Kuduroparty im Viertel Rocha Pinto im Wahlmonat verteilte eine ca. 50jährige Partygängerin (nicht das typische Kuduroalter) z.B. eine Plastik-klapper mit MPLA-Logo, mit der der Präsident zuvor auf Sportereignissen aufgetreten war. Während sich das Publikum in unter Benutzung des schwarz-roten Krachmachers zum aggressiven Kudurosound in Euphorie steigert und drastisch-akrobatische Tanzshows ansah, wurde es durch das MPLA-Logo immer wieder daran erinnert, dass diese Partei die Macht im Land hat.

Allerdings ist es nicht nur so, dass die angolanischen Machtnetzwerke sich des Kuduros bedienen. Sie geben dem Kuduro auch Sichtbarkeit durch die wöchent-liche Fernsehsendung Sempre a Subir („Immer auf dem Weg nach oben“), ein Privileg, das andere Genres nicht teilen (Moormann 2014). Kuduristas traten regelmäßig während der Wahlkampagnen von José Eduardo dos Santos auf.

Ganz besonders prominent war hier Superstar Nagrelha, der eher ein Gangster-image pflegt. Viele Kuduristas lachten von Plakten, die auf Minibustaxis durch die Stadt zirkulierend, zur Wahlteilnahme aufrufen.

3 „Immer auf dem Weg nach oben“: Interdependente