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Kalkulierte Transgression und subtile Dimensionen des Politischen im angolanischen Kuduro

In diesem Beitrag diskutiere ich am Beispiel von Kuduro, wie sich Foscher*in-nen in den Popular Music Studies offensichtlichen und weniger offekundigen politischen Dimensionen populärer Musik nähern können. Dazu stelle ich Kuduro – eine angolanische Musik- und Tanzkultur – zunächst vor und fokus-siere dabei auf Genre-typische Grenzüberschreitungen. Im Anschluss diskutiere ich die Stellung des Kuduro in der angolanischen Gesellschaft. Meine Analyse des interdependenten Verhältnisses zwischen Kuduristas und den politischen Machtnetzwerken in Angola verankere ich an der Denkfigur „Immer auf dem Weg nach oben“, die auf einen Kuduro-Refrain rekurriert. Im Anschluss explo-riere ich die weniger sichtbaren politischen Dimensionen des Kuduro. Aus dieser Analyse extrapoliere ich abschließend Vorschläge dazu, wie die Popular Music Studies das Verhältnis von Musik und Politik untersuchen können.

1 Einleitung: Kuduro in Luanda

Kuduro ist elektronische Tanzmusik aus Angola. Wenn wir uns Stücke wie z.B.

den Klassiker Dança da Mãe Jú („Tanz der Mãe Jú“)1 von DJ Znobia (2006) anhören, fallen bestimmte Charakteristika auf, die für Kuduro typisch sind. Das Instrumental hat ein Tempo von ca. 140 Beats per Minute. Die prononcierten Vier-Viertel-Bassdrums werden umspielt von miteinander korrespondierenden Rhythmusfiguren und fiependen Sounds, die an 1990er Jahre-Techno erinnern.

Dieses Wechselspiel aus geraden und non-isochronen Rhythmusfiguren, aus organisch und synthetisch anmutenden Klangelementen geben dem Instrumen-tal einen dynamisch treibenden Charakter, der zum Bewegen einlädt.

1 Das Stück ist eine Hymne auf den Festsalon Mãe Jú, der um 2001 in Luandas Stadtteil Rangel im Viertel Nelito Soares Kuduristas wie Gata Agressiva, Nacobeta, Puto Português oder Bobany King einte. Siehe auch die Dokumentation von Liberdade und Gonçalves (2007). Der Name Mãe Jú („Mutter Jú“) soll auf eine legendäre Straßenverkäuferin verweisen.

Im Refrain besingt DJ Znobia immer wieder den Tanz des (Tanzlokals) Mãe Jú („Mutter Jú“). Er fordert die imaginierten Clubgäste auf: „Tanz irgendeinen Schritt, dann nennen wir ihn Tanz der Mãe Jú“ (DJ Znobia 2006). Damit ver-weist er auf zwei fundamentale Aspekte des Kuduro – 1.) die enge Verknüpfung von Tanz und Musik und 2.) die Leichtigkeit einer kollektiven Kreativität, die Neues spielerisch emergieren lässt.

So gut wie jedes neue Kuduro-Stück wurde zur Zeit meiner Forschung mit sei-nem eigenen Tanzschritt veröffentlicht, dem Toque. Toques tragen meist Namen, die auf das Alltagsgeschehen in Luanda verweisen. Das Stück Engraxador der Gruppe Os Namayer (Os Namayer 2011) ist bspw. den vielen jungen Schuh-putzern in der staubigen Hauptstadt gewidmet. Der dazugehörige Toque ahmt die typische kreisende Handbewegung nach, mit der sie Schuhe polieren. Der Catolotolo-Tanz mit seinen krampfartigen Zuckungen von Mauro Alemão war 2014 beliebt, als das Gliedmaßenkrämpfe auslösende Catolotolo-Fieber gras-sierte (Alemão 2014). Erst die Kombination aus Klang, Lyrics, Tanzbewegung und Alltagswissen ermöglicht hier Bedeutungsbildungen.

Mehr oder weniger verschleierte sexuelle Bedeutungen lassen sich oft nicht aus den Lyrics allein verstehen, sondern erschließen sich erst, wenn man einen Tanzschritt selbst ausführt oder ausgeführt sieht. Beim Superhit Apaga Fogo („Mach das Feuer aus“) (Noite Dia 2011) wird z.B. beim Tanzen mit der Hand zwischen den Beinen gewedelt als müsste dort gekühlt werden, paradoxerweise aber auch als würde man ein Feuer anfachen.

Transgression als ästhetische Konvention

Ich verstehe solche mal mehr mal weniger gelungenen Doppeldeutigkeiten als klar kalkulierte Überschreitung moralischer Konventionen, die Aufmerksamkeit erzeugen soll. Diese Marketingstrategie führt zuweilen zu offiziellen Verboten von Texten und Tänzen. Die Tanzbewegung Dá do cambuá! („Tanz das kleine Hündchen!“) wird mit und ohne Verbot enthusiastisch aufgeführt. Der etwas ins Vulgäre forcierte Liedtext von Cabo Snoops Vitamina D („Vitamin D“) führte zwar zum Aufführungsverbot des Stückes wegen Sittenwidrigkeit und wurde deswegen auch in Anrufsendungen im Radio diskutiert. Die Publikumsrezeption jedoch blieb auch nach der Zensur lauwarm.

Nicht nur Lyrics und Tanz, sondern auch der Klang des Kuduro sind von einer transgressiven Ästhetik geprägt. Instrumentals, besonders aus der Zeit um 2000, entfalten ihre Wucht als Beatgerippe ohne Akkordfolgen oder Melodien, die viel Raum für die Stimme eines Animadores2 bieten. Aus den treibenden

2 Übernimmt ein Kudurista die Rolle als Animador, feuert er einen Tänzer mit dialogischen Phrasen zu einer Tanzperformance an, die sich in ihrem Verlauf immer drastischer steigert.

Beats holen sich die Tänzer*innen Ausdauer, Spannung und Kampfgeist, die sie als Adrenalina („Adrenalin“) oder Carga („Ladung“) beschreiben.

Bisweilen klingen klangliche Elemente leicht übersteuert. Das mag am man-gelnden Wissen oder am simplen Equipment liegen – Kudurotracks werden oft in Kinderzimmern und Hinterhofstudios produziert. Sie werden aber ebenso oft in Situationen gespielt, wo ein Party-DJ den Bass zu sehr aufdreht und die Laut-sprecher im Resultat schnarren. Einige Produzenten wie DJ Jesus oder DJ Sate-lite übertragen diese transgressive Sound-Ästhetik ganz gezielt in ihre Pro-duktionen, indem sie ihre Bassdrums leicht übersteuern. Sie übersetzen also die Überschreitung aus der Aufführungssituation, den Klang der verzerrten Party-lautsprecher, zurück in ihre Produktionspraxis.

Battle Culture lädt Kuduro auf

Guten Kuduro-Performances attestieren Kudurofans, dass sie Carga („Ladung, Gewicht, Power“) haben. Ich habe im Laufe meiner Forschung dutzende von Kuduristas dazu befragt, wie sie Carga herstellen oder erkennen und die häu-figste erste Reaktion war: „Dadurch, dass man besser sein will als das Gegen-über“. In Dança da Mãe Jú verwendet DJ Znobia z.B. Formen des ritualisierten Beleidigens und Aufstachelns, die im Kuduro Bife3 genannt und eng mit Carga in Verbindung gebracht werden. Er greift Kolleg*innen an und zieht sie ins Lächerliche.

Ästhetischer Wettstreit ist auf allen Ebenen ein wichtiges Gestaltungsmittel im Kuduro: spontane oder durchorganisierte Bilo Baila genannte Tanzwettstreite, Bifes zwischen Solokünstler*innen, Crews oder ganzen Stadtteilen, die sich über viele Veröffentlichungen hinziehen4 oder hyperbolisch-übertrumpfendes Styling verweisen auf die enge Verwobenheit von Genuss, Spaß, Herausforderung und Gewalt (Alisch 2017).

Kuduristas stellen über einen hyperbolischen visuellen Stil Carga her. Männer tragen buntes, angeknüpftes, blondiertes Körper- und Kopfhaar. Frauen setzen souverän ihre Kurven in Szene.

Kuduro-Tanz enthält aber nicht nur sexy Moves, sondern auch an Gewalt erin-nernde Elemente. Sowohl in den Namen der Tanzschritte, als auch in den Bewe-gungen selbst referieren Kuduro Tanzschritte auch auf Spuren oder Codierun-gen brutaler Akte. So z.B. wenn Tänzer im Soldatenschritt marschieren oder in

3 Bife ist ein Lehnwort aus dem Black American English, wo es besonders im Hip Hop für „Kon-flikt“ steht. Bifes in Angola haben allerdings auch eine Vorgeschichte in den Estiga genannten rituellen Beleidigungen der Familie und besonders der Mutter des Gegenübers.

4 Kuduristas der ersten Generation schwelgen in nostalgischen Erinnerungen an den besonders produktiven Bife zwischen dem bereits verstorbenen Sänger und Tänzer Maquina do Inferno („Höllenmaschine“) und Pai Diesel („Vater Diesel“).

den Schritten Manganza und Mangaba eine Gehbewegung vollführen, die an die Folgen einer Kriegsverletzung denken lässt. Beim Simate („Bring Dich um“) werden z.B. riskante Rückwärtssalti mit harter Landung auf dem Boden voll-führt. Männliche Kudurotänzer zerstören zuweilen demonstrativ Plastikstühle oder andere Requisiten im Zuge einer Performance. Diese Beispiele verweisen darauf, dass ästhetische Transgression im Kuduro zur stilprägenden Konvention geworden ist.

Forschungsdesign

Die Daten für meine Kuduroforschung habe ich durch mehrmonatige ethnogra-phische Forschungsreisen in die angolanische Hauptstadt Luanda (2012, 2013), nach Lissabon (2012-13), sowie über kürzere Aufenthalte in Paris (2011, 2012) und Amsterdam (2012) generiert.5

Als eine hauptsächliche Methode habe ich die vom Ethnologen Gerd Spittler (2001) beschriebene Dichte Teilnahme verwendet. Konkret in Bezug auf Kuduro bedeutete das für mich, Kuduro zu tanzen, DJs im Studio zu besuchen, Konzert und Proben zu filmen oder als DJ selbst Kuduro aufzulegen. Einen breiten Raum nehmen in meiner Forschung Methoden der Netnographie ein, denn Kuduro ist digitally native. Kuduro-Schauplätze sind nicht nur Schulhöfe, Kin-dergeburtstage, Hinterhöfe, Diskotheken, Straßenecken und Minibustaxis, son-dern auch Mobiltelefone, Social Media und Sharehosting-Plattformen. Neben persönlichen Treffen an den o.g. Orten tauschte ich mich mit Kuduristas über digitale Kanäle aus oder begleitete sie, wenn sie für Auftritte nach Berlin kamen.

Die etablierte Forschungsmethode des narrativen Interviews (Küsters 2006) habe ich weiterentwickelt zum interaktiven Tanzinterview. Dabei befrage ich die Tänzer*innen zu ihrer Tanzbiographie vor einer sichtbar auf einem Stativ aufge-bauten und laufenden Videokamera. Sobald die Tänzer*innen Tanzbewegungen erwähnen, bitte ich sie, mir diese vor laufender Kamera zu demonstrieren und beizubringen. Das Ziel dieser Methode besteht darin, solches Wissen zu mobili-sieren, das die Tänzer*innen um und durch ihre Praxis entwickeln, oft aber nur in Kombination mit Tanzproben oder -aufführungen versprachlichen. Bei dieser Form des Interviews werden das Sprechen und das Tun miteinander verwoben.

Das interaktive Tanzinterview mobilisiert sowohl kinetisches Wissen als auch Konzeptualisierungen des eigenen tänzerischen Handelns und erleichtert es den Praktizierenden, verkörpertes Wissen auf spielerische Weise zu verbalisieren (Alisch 2017, 91).

5 Diese Forschungsreisen wurden von der DFG im Rahmen der Bayreuth International Graduate School of African Studies gefördert.

2 Transgressiv, informell und belächelt: