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2 Die deutschsprachige Einwanderung nach Brasilien

Betrachten wir zunächst die Ereignisse aus der brasilianischen Geschichte, wel-che in Verbindung mit Migrationsströmen aus dem deutschsprachigen Kultur-raum stehen.

2.1 Die „Entdeckung“ Brasiliens

Die Küste Brasiliens wurde – nach herrschender Meinung – erstmals im Jahr 1500 durch eine portugiesische Flotte erreicht, die unter dem Kommando von Pedro Álvares Cabral (1468*) stand (vgl. Pögel 2012, 9). Bei Moniz-Bandeira heißt es darüber hinaus, dass unter der Besatzung auch einige Crewmitglieder aus dem deutschsprachigen Kulturraum waren.

„Seit dem Beginn der Entdeckungsfahrten, auf der Suche nach dem See-weg nach Indien setzte Portugal auf seinen Karawellen deutsche Artille-risten ein. So gab es 1489 in Lissabon bereits eine Geschützmannschaft von 53 deutschen Marineartilleristen im Dienste des Übersee-Rates.

35 Deutsche nahmen auch an der Expedition von Pedro Alvares Cabral teil, der im Jahre 1500 Porto Seguro im Süden Bahias erreichte.“ (Moniz-Bandeira 2013, 1)

Weiterhin wird in der Literatur oft ein prominentes Mitglied dieser Expedition – der Arzt und Navigator – „Meister Johannes“ („Mestre João“) erwähnt. Seine Abstammung aus dem deutschen Kulturraum ist aber umstritten (vgl. Moniz-Bandeira 2013, 1).

Die frühste Primärquelle in deutscher Sprache (Presillg Landt) – ein Reise-bericht aus Brasilien – wird auf das Jahr 1514 datiert. Weiterhin sind auch die Namen einiger Kaufleute bekannt, die als Repräsentanten des Augsburger Bankhauses Fugger nach Brasilien reisten (z.B. Sibald und Christovam Lins, 1540)1. Weitere Namen aus dieser Zeit sind Erasmus Schetz (1480–1550) und Peter Rösel, die beide in der Zuckerbranche für das Handelshaus Schetz tätig waren (Moniz- Bandeira 2013, 1-2).

2.2 Hans Staden

Am bekanntesten ist jedoch der Reisebericht des hessischen Söldners Hans Staden aus Homberg, der mit einer Expedition des Diogo de Sanábria 1550 die Bucht von Paranaguá erreichte. Im Anschluss arbeitete er für den portugiesi-schen Generalgouverneur Tomé de Souza und leitete den Bau eines Forts bei São Paulo. Er wurde jedoch gefangengenommen und verbrachte neun Monate im Gewahrsam von „Tupi-Indianern“ – kam jedoch mit dem Leben davon (vgl.

Moniz-Bandeira 2013, 2). Nach seiner Rückkehr wurden die Erlebnisse der Reise unter dem Titel „Wahrhaftige Historia ...“ 1557 in Marburg veröffentlicht (vgl. Staden 1557). Der Bericht enthält zahlreiche Abbildungen, die sich primär auf den Kannibalismus der „Tupi“ beziehen. Man kann davon ausgehen, dass das damalige Bild von Brasilien – wahrscheinlich auch aufgrund der geringen

1 In der bras. Popmusik trägt der Musiker Ivan Lins diesen Nachnamen.

Alphabetisierungsrate – von diesen Darstellungen stark geprägt wurde2. In jüngster Zeit bemühen sich einige Historiker die Hintergründe dieses Reisebe-richts aufzuarbeiten und kritisch zu überprüfen (vgl. Duffy and Metcalf 2012).

Über die musikalisch-kulturellen Austauschprozesse in der frühen Kolonialzeit ist allerdings nicht viel bekannt, weshalb diese auch nicht im Zentrum der wei-teren Betrachtung stehen.

Durch den westfälischen Frieden (Münster, 1648) kam es zur Abtrennung der Niederlande vom Heiligen Römischen Reich. Hierdurch verlor das deutschspra-chige Kernland einige Küstenstädte, die gute Verbindungen nach Brasilien besaßen (z.B. Antwerpen). Im Anschluss versuchte man den Kontakt über die Hafenstädte Lübeck, Bremen und Hamburg erneut aufzubauen (vgl. Moniz-Bandeira 2013, 3).

2.3 Der Sklavenhandel

Die Kolonialisierung führte zu einem verstärkten Austausch von Waren und Menschen über den Atlantik. Dabei wurden vor allem Rohstoffe aus Südamerika exportiert. Fertigwaren und Menschen (europäische Kolonisten, afrikanische Sklaven) hingegen wurden nach Südamerika importiert. Dieser oft gewaltsame

„kulturelle Austausch“ tangierte den deutschsprachigen Kulturraum jedoch weniger, hatte aber große Auswirkungen auf die afrikanischen (z.B. Yoruba) und südamerikanischen Stämme (z.B. Tupi). In Europa hingegen waren zunächst die Länder aus der romanischen Sprachfamilie (z.B. Spanien, Portugal) an diesem wirtschaftlich-kulturellen Austausch beteiligt. Dabei entstanden auch neue musikalische Mischformen, die sich aus afrikanischen und europäischen Elementen zusammensetzten. Bis heute zeigen sich diese in den Spielarten der afrobrasilianischen Genres (z.B. Lundu, Samba und Bossa-Nova) (vgl. De Oliveira Pinto 1989).

2.4 Die Hochzeit der Erzherzogin Leopoldina von Österreich Zu einer Trendwende, die Brasilien – in Bezug auf die deutschsprachige Ein-wanderung – langfristig prägen sollte, kam es im Jahr 1817. Durch die Hochzeit der Erzherzogin Leopoldina von Österreich mit dem portugiesischen Kronprin-zen Dom Pedro, der mit seinem Hof 1808 vor Napoleon nach Brasilien geflohen war, intensivierte sich nun auch wieder der Kulturaustausch mit dem deutsch-sprachigen Mitteleuropa.

Nach der Niederlage Napoleons (1815) und im Zuge der Unabhängigkeit Brasi-liens (1822) kam es zu einer großen Einwanderungswelle, die u.a. auf einer

2 Eine transkribierte Version ist im Deutschen Textarchiv zu finden.

http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/staden_landschafft_1557?p=1

Abgrenzungspolitik zu England beruhte. In Folge der brasilianischen Anwer-bungen entstanden zahlreiche deutschsprachige Siedlungen („Colônias“) in Südbrasilien. Vor allem in den Bundesstaaten Santa Catarina und Rio Grande do Sul. Die erste deutschsprachige Kolonie (Leopoldina) – gegründet von ca.

133 Deutschen und Schweizer Siedlern – entstand jedoch schon um 1818 in Bahia (vgl. Moniz-Bandeira 2013, 5).

2.5 Reichsgründung, Erster Weltkrieg und Weimarer Republik Obwohl sich die Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Brasilien und den deutschsprachigen Ländern im 19. Jh. verfestigt hatten, kam es nach der Reichsgründung (1871) zu einer Abnahme der Einwandererzahlen. Das „Heyd-sche Reskript“ (1871–1896) verbot sogar die Werbung für eine Auswanderung nach Brasilien (vgl. Moniz-Bandeira 2013, 9). Danach stieg die Zahl der Migran-ten aber wieder an und die „Deutschen“ erreichMigran-ten 1907 einen Anteil von unge-fähr 2% an der brasilianischen Bevölkerung (vgl. Moniz-Bandeira 2013, 11). Bis zum Ausbruch des Weltkriegs entwickelte sich Deutschland sogar zum zweit-größten Handelspartner und schickte auch Militärberater in das Land. Während des ersten Weltkriegs schwächte sich die wirtschaftliche und militärische Zu-sammenarbeit jedoch wieder ab. In der Weimarer Republik kam es dann wieder zu einem Aufschwung, der jedoch nur bis zum Börsenkrach von 1929 anhielt.

Zwischenzeitlich hatten sich Kaufleute vor Ort u.a. für die Entwicklung der Infrastruktur (z.B. Gründung der Lufthansa Tochter Varig) eingesetzt. Inte-ressant ist in Bezug auf Südbrasilien auch, dass seit dem Beginn der deutschen Einwanderung oft diskutiert und befürchtet wurde, dass sich die Bundesstaaten:

Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná von Brasilien abspalten könnten.

So bestand z.B. auch von Seiten der Nationalsozialisten die Idee, dass sich diese Region als „Alemanha Antárctica” unabhängig machen könnte (vgl. Moniz-Bandeira 2013, 26).

2.6 Zweiter Weltkrieg

Bis 1938 war Brasilien der größte Importeur von deutschen Produkten, doch mit dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs kam der Handel völlig zum Erliegen.

Weiterhin wurden circa 1.000 „Reichsdeutsche“ interniert, die circa 1% der Deutschen in Brasilien ausmachten (vgl. Moniz-Bandeira 2013, 26). Nach der

„Machtergreifung“ (1933) kam es zur verstärkten Einwanderung von deutsch-sprachigen Mitteleuropäern mit jüdischem Hintergrund.

2.7 Nachkriegszeit bis Heute

Der verlorene Weltkrieg führte zu einer verstärkten Auswanderung nach Brasi-lien. Bei den Migranten handelte es sich nun häufig auch um ehemalige

Natio-nalsozialisten, die – mit Hilfe des Vatikans – über die „Rattenlinie“ nach Süd-amerika geflohen waren. Ironischerweise führten diese Grenzüberschreitungen dazu, dass Südamerika sowohl für die Opfer als auch für die Täter des Holocaust zur „Zweiten Heimat“ wurde.

Nach dem zweiten Weltkrieg kam es erneut zu intensivierten Politik- und Wirt-schaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Brasilien.

Die Folgen zeigen sich bis heute in der Wirtschaftsmetropole São Paulo, die sich zur größten deutschen Industriestadt – außerhalb Deutschlands – entwickelte.

Für viele Unternehmen (z.B. VW) findet über São Paulo nämlich der Zugang zum gesamten südamerikanischen Markt statt. Dies verdeutlicht sich auch am Beispiel der größten deutschen Außenhandelskammer (AHK), die ihren Sitz in São Paulo hat. Letztendlich sind diese Wirtschaftsbeziehungen – neben dem Tourismus – auch der Hauptgrund für deutschsprachige Mitteleuropäer sich heute in Brasilien niederzulassen.