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3 Auswirkungen der Migration auf Brasilien

Nachdem die wichtigsten Migrationsereignisse und deren politische und wirt-schaftliche Auswirkungen auf Brasilien dargestellt wurden, soll nun auf die kulturellen Folgen dieser Prozesse eingegangen werden.

Über die „Deutschen“ in der Frühphase der Kolonisation ist nur sehr wenig bekannt. Da es sich bei den frühen Chronisten – wie z.B. Hans Staden – um Einzelpersonen handelte, die nach dem Aufenthalt meistens wieder in ihre Heimat zurückkehrten, wird davon ausgegangen, dass deren kultureller Einfluss allgemein nicht sehr groß war. Dies zeigt sich z.B. auch daran, dass sich Portu-giesisch und nicht „Deutsch“ als Amtssprache in Brasilien durchgesetzt hat.

Man kann davon ausgehen, dass auch die Musikkultur der Zeit mehrheitlich von den Portugiesen geprägt wurde, obwohl – bis zu ihrer Extinktion – indianische Musikkulturen in diesem Teil der Welt vorherrschend waren.

Es zeigt sich, dass das musikalische Erbe der Portugiesen in der brasilianischen Musik auch heute noch stark verwurzelt ist. So findet man in vielen brasiliani-schen Genres eine eigentümliche Mischung aus melancholibrasiliani-schen („Saudade“) und fröhlichen Stimmungen („Alegria“). Man kann annehmen, dass viele der animierenden Rhythmen im „Off Beat“ sich hauptsächlich auf den afrikanischen Einfluss in Brasilien zurückführen lassen. Melancholische Elemente hingegen dominieren oft in Melodik und Harmonik und erinnern an portugiesische Gen-res, wie z.B. den Fado. Fakt ist in diesem Zusammenhang, dass die Portugiesen – im Gegensatz zu anderen Kolonisten – die afrikanischen Bevölkerungsgrup-pen öfter in ihren Stammesverbänden beließen und musikalische Traditionen und Instrumente aus den afrikanischen Ursprungsländern somit besser

erhal-ten blieben als in Nordamerika. Repräsentative Beispiele hierfür sind die Tradi-tionen im Candomblé (Instrumente: Trommeln der Yoruba) oder der afrobrasi-lianische Kampftanz Capoeira, der aus Angola importiert wurde (Instrument:

Berimbau) (vgl. De Oliveira Pinto 1989).

Der kulturelle Einfluss der „Deutschen“ hingegen lässt sich primär auf die Ein-wanderungswellen im 19. und 20. Jahrhundert zurückführen. In deren Folge lassen sich drei unterschiedliche Ausprägungen feststellen, die sich auf die kul-turelle Integration der Einwanderer beziehen.

3.1 Konservierung der deutschen Kultur

Zunächst kann man von einer Konservierung der Einwandererkultur ausgehen, die sich z.B. am Erhalt von sprachlichen Dialekten erkennen lässt. Exemplarisch hierfür ist beispielsweise das „Hundsrück-Deutsch“, das man auch heute noch – vor allem auf dem Land – in Südbrasilien hören kann3. Darüber hinaus ist es naheliegend, dass sich in diesen Kontexten zunächst auch das Liedgut der Ein-wanderer erhalten hat.

3.2 Hybride Mischformen

Weiterhin entwickelten sich dann aber auch sprachliche und musikalische Mischformen auf der Basis der deutschen Einwandererkulturen. Diese Formen zeigen sich verstärkt in den Kompositionen und den Texten späterer Generatio-nen. Obwohl diese versuchten an den Traditionen ihrer Väter festzuhalten, ent-wickelten sie ihre eigenen Mischsprachen und ihre musikalischen Repertoires unter lokalem Einfluss weiter. Exemplarisch hierfür ist z.B. die Musik des Kom-ponisten Bruno Neher4. Einen guten Forschungsüberblick dazu vermittelt dar-über hinaus die Dissertation von Jean Goldenbaum aus dem Jahr 20125. 3.3 Kulturelle Anpassung

Langfristig kam es jedoch zu vielen Anpassungen und letztendlich auch zur ver-mehrten Integration „der Deutschen“ in die brasilianischen Sprach- und Musik-kulturen unter portugiesischer Prägung, wodurch kulturelle Verbindungen zu Deutschland teilweise auch verloren gingen.

3 https://www.youtube.com/watch?v=PfH8v0yCDN0 (26.02.2018) 4 https://www.youtube.com/watch?v=IJ5vEYhiibU (26.02.2018) 5 Goldenbaum 2012

4 Beispiel: Das Oktoberfest in der brasilianischen Stadt Blumenau

Das sichtbarste Beispiel für die musikalischen Auswirkungen der deutschspra-chigen Einwanderungen ist heute das Oktoberfest in der südbrasilianischen Stadt Blumenau (Bundesstaat Santa Catarina). Als Hauptquelle für die Analyse der Veranstaltung diente hier der Internetauftritt des Festivals6.

Obwohl die deutsche Einwanderung nach Brasilien insgesamt auf eine lange Tradition zurückblicken kann, ist das Oktoberfest von Blumenau ein – im Ver-gleich – noch recht junges Phänomen. Die erste Veranstaltung unter diesem Namen fand im Jahr 1984 statt, um Geld für den Wiederaufbau der Stadt zu generieren, die von zwei Flutkatastrophen verwüstet worden war.

Das Festival fand damals über einen Zeitraum von 10 Tagen statt und zog circa 102.000 Besucher an. Dies waren etwas mehr als die Hälfte der Einwohner von Blumenau. In der Folge entwickelte sich das Fest zu einem touristischen Mag-neten und wird mittlerweile über einen doppelt so langen Zeitraum gefeiert (z.B. vom 04.10.2017–22.10.2017). Im Unterschied zum Münchner Oktoberfest findet das Festival somit im gesamten Monat Oktober statt und hat sich im Laufe der Zeit zum größten Deutschen Volksfest Lateinamerikas entwickelt.

Laut dem Veranstalter ist es damit das zweitgrößten „Bierfest“ der Welt.

Wie in München (Theresienwiese) wird das Oktoberfest in Blumenau ebenfalls auf einem fest definierten Gelände veranstaltet („Parque Vila Germânica“). Der Zutritt ist donnerstags und freitags ab 18 Uhr möglich. Am Wochenende und an Feiertagen jedoch schon ab 13 Uhr. Jugendliche ab 16 Jahren können ohne Begleitung auf das Festivalgelände. Alkoholkonsum ist jedoch erst ab 18 Jahren erlaubt. Organisiert wird die Veranstaltung vom Sekretariat für Tourismus und Freizeit der Stadtverwaltung in Kooperation mit der Organisation Parque Vila Germânica, die das Areal verwaltet. Im Unterschied zum Münchner Oktober-fest, ist der Festplatz in Blumenau jedoch mit Messehallen und Fachwerkrepli-ken bebaut, die außerhalb der Oktoberfestsaison auch für andere Veranstaltun-gen Veranstaltun-genutzt werden können. So findet dort im Advent zum Beispiel die Veran-staltung Vila Natal – eine Art Weihnachtsmarkt – statt.

Die Gastronomie verteilt sich auf das gesamte Festgelände und bietet eine große Bandbreite von typisch deutschen Gerichten an (z.B. Currywurst und Apfelstru-del). Hieran erkennt man, dass – obwohl sich die Mode (Trachten) und die Musik (Blaskapellen, Volkstümliche Musik) primär an bayrischen Vorbildern orientieren – die Veranstalter letztendlich einen „gesamtdeutschen Ansatz“ ver-folgen. Dies zeigt sich sowohl in der Architektur (Fachwerk = Westfalen, Hessen) als auch in der Gastronomie (Curry Wurst = Ruhrgebiet, Berlin). Die

6 Homepage: http://www.oktoberfestblumenau.com.br/

mischung deutscher Regionalkulturen lässt sich auch auf den spielerischen Umgang mit Traditionen in Brasilien zurückführen, was vom Musiker und ehe-maligen Kulturminister des Landes Gilberto Gil einmal als „Ludus Brasileiro“

bezeichnet wurde. Dieser spielerische Charakter zeigt sich auch auf der Home-page des Festivals, wo neben Trachten und Brezen auch wieder Fachwerkhäuser zu sehen sind.

Ähnlich wie in München, werden auch auf dem Gelände in Blumenau separate Bereiche für größere Besuchergruppen angeboten („Camarotes“), die sich extra buchen lassen. Auf der Website findet man beispielsweise ein Angebot für circa 40 Personen (inkl. 100 Liter Bier und Bewirtung). Die dazu angebotenen

„Lounges“ tragen Namen wie „Neushwanstein“ und „Linderhof“, wodurch – trotz der fehlerhaften bzw. adaptierten Schreibweise – Bezüge zu den bayri-schen Schlössern von König Ludwig von Bayern hergestellt werden können. An das Gelände grenzt auch ein „Parque de Diversões“ mit Fahrgeschäften (z.B.

einem Riesenrad), die typisch für eine norddeutsche Kirmes oder ein süddeut-sches Volksfest sind.

Obwohl das Oktoberfest in Blumenau – ähnlich wie in München – auch von regionalen Brauereien gesponsert wird (z.B. durch die Biermarke „Eisen-bahn“7), verweist man auf der Homepage jedoch darauf, dass sich beim Okto-berfest nicht alles um den Bierkonsum dreht („Mas a OktoOkto-berfest não e só cerveja“). Hierdurch versuchen die Veranstalter sich wohl von der umgangs-sprachlichen Bezeichnung „Festa da cerveja“ („Bierfest“), die in Brasilien oft für Volksfeste dieser Art verwendet wird, zu distanzieren. Ein Grund hierfür könnte sein, dass öffentlicher Alkoholkonsum in Brasilien allgemein weniger toleriert wird als in Deutschland, wo Bier auch als Lebensmittel anerkannt ist.

Darüber hinaus werden auf der Homepage des Festivals die portugiesischen Ausdrücke für: Folklore, Erinnerung, Tradition, Kultureller Reichtum, typische Gastronomie und die Liebe zu Musik und Tanz zitiert, die alle auf deutsche Traditionen hinweisen sollen. Die deutsche Sprache ist auf dem Oktoberfest allerdings nur eine Randerscheinung. Eine deutschsprachige Version der Homepage ist ebenfalls nicht verfügbar. Man findet lediglich eine verkürzte Übersetzung der Seite auf Englisch. Einige deutsche Wörter, wie zum Beispiel das Wort „Haus“, erscheinen jedoch häufig im gastronomischen Zusammen-hang (z.B. Waffel Haus, Pommes Haus etc.).

Das musikalische Programm in Blumenau wird vor allem durch lokale Gruppen (z.B. die Gruppe Gemüsefest) geprägt. Laut der Homepage besitzt Blumenau allein 14 deutsche Volkstanzgruppen (z.B. Alte Freunde, Immer Zusammen).

Zudem werden jedes Jahr auch Bands und Künstler aus Deutschland nach

7 Danach wurde sogar eine Halle benannt („Eisenbahn Biergarten“).

silien eingeladen. Zu den Gruppen, die in Blumenau bereits aufgetreten sind gehören unter anderen: die Band VoXXclub, die Blaskapelle Chieming, die Troglauer Buam, die Band Franken X-Press und die Deggendorfer Stadtmusi-kanten. Die Auftritte der Gruppen werden noch durch Paraden („Desfiles”) im Zentrum der Stadt – bei Regen auf dem Festivalgelände – ergänzt. Diese finden aber nur an bestimmten Tagen statt. Weitere Events, die im Zusammenhang mit dem Festival veranstaltet werden sind z.B. der Kostümwettbewerb Fritz und Frida oder ein Trinkwettbewerb mit alkoholfreiem Bier (Chope em Metro). Da es in Blumenau auch circa 40 Jagd- und Schützenvereine gibt, findet am Rande des Festivals auch ein „Königsschießen“ statt, wodurch eine Verwandtschaft zu norddeutschen „Schützenfesten“ hergestellt wird.

Trotz der Popularität der Veranstaltung hört man in Blumenau aber auch kriti-sche Stimmen, welche die Oberflächlichkeit und den Konsumcharakter der Veranstaltung kritisieren. So wird zum Beispiel bemängelt, dass man sich kaum noch um die „authentischen Reste“ der Deutschen Kultur (z.B. echte Fachwerk-häuser) in Blumenau kümmert. Obwohl diese Kritik gerechtfertigt erscheint, lässt sich dadurch auch eine Parallele zum Münchner Oktoberfest ziehen, auf dem ebenfalls Kommerz und fehlende Authentizität („Italiener Wochenende“ / Schla-ger und volkstümliche Musik statt traditioneller Volksmusik)8 oft dominieren.

Letztendlich heben sich beide Events jedoch weltweit von einer Vielzahl ähnli-cher Veranstaltungen ab, die in Regionen stattfinden in denen es traditionell keinerlei Verbindungen zu deutschsprachigen Kulturen gibt. Eine weitere Untersuchung dieses internationalen „Oktoberfest Trends“, aus deutscher Per-spektive wäre – vor allem unter Berücksichtigung der Musikkulturen – beson-ders interessant.

5 Brasilianische Migration in den deutschsprachigen