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Eigene Geschichte als andauernder Prozeß. Ferenc Sánta:

1. GEGENSTAND UND METHODE

2.7. Eigene Geschichte als andauernder Prozeß. Ferenc Sánta:

Zwanzig Stunden

Sántas Roman erschien 1964. Bereits der Vorabdruck in einer Literatur-zeitschrift fand - was, wie ein Biograph Sántas anmerkt, nicht die Regel ist - ein breiteres kritisches Echo (VASY 1975, 137) Die Anerkennung des Werkes war nahezu einmütig, "Zwanzig Stunden" wurde und blieb ein Be-zugspunkt der Verständigung über die Literatur der sechziger Jahre (BÉLÁ-DI 1969b, TÖRTÉNELMI 1981, BÉLÁ(BÉLÁ-DI 1983, MŰVEK 1987). Zunächst scheint, wovon erzählt wird, ganz einfach zusammenfaßbar: jemand kommt ins Dorf, um Augenzeugen über einen Mord, zu dem es 1956 kam, und über einen anderen Mordanschlag, der jenem voranging und dessen Verfol-gung nie der Justiz übergeben wurde, zu befragen. Die Suche des Schrei-benden nach Zusammenhängen, seine Gespräche mit Tatzeugen und Zeit-zeugen enthüllen zugleich die Lage der Landbevölkerung vor und nach 1945. Zwanzig Kapitel erfassen zwanzig solcher Begegnungen. In der Re-konstruktion der damaligen Ereignisse, zu der sich die Berichte und Antwor-ten der Gesprächspartner fügen, erweist sich ihre Geschichte als untrennbar verbunden mit der Geschichte des Landes. Der "Fall", dem nachgeforscht wird, ist als Tatbestand geklärt, doch was 1919, 1945, in den frühen fünf-ziger Jahren geschah, erweist sich als weiterwirkend im Leben des Dorfes, besümmt die heutigen Konflikte seiner Bewohner mit.

Aufbau und Erzählweise

Was eben über das vom Buch Mitgeteilte gesagt wurde, ist weitgehend bereits Eindruck und Ergebnis. Im Text gibt es keine Instanz, die eine Zusammenfasung vornähme oder Wertungen ausspräche. Die meist als

"Re-107

porter" verstandene Erzählerfigur verbleibt sowohl mit unmittelbar wer-tenden Äußerungen als auch hinsichtlich von Angaben über ihre Person im Hintergrund, der Text geht ganz selbstverständlich davon aus. Auch das Ereignis, desen Zusammenhängen nachgeforscht wird, wird zwar vorausge-setzt, aber nicht vorausgeschickt - erst im Laufe der "Zwanzig Stunden"

zeichnen sich seine Konturen ab, endgültig benannt wird es überhaupt erst da, wo ein Augenzeuge berichtet. Die Episoden der "Zwanzig Stunden" -ein Kritiker interpretierte sie auch als kurze "Novellen", als "Reportagen"

(GONDOS 1964, 1067), andernorts werden sie als mögliche Roman-Kerne gelesen (BATA 1971, 1814) - basieren jeweils auf einer Begegnung und darin einer Lebensgeschichte, die inhaltsvoll genug ist, um Interesse auch für sich selbst beanspruchen zu können.

Vor die Spannung hinsichtlich der Tat und der Motive des Täters schiebt sich die Spannung der einzelnen Episoden, die innere Spannung in den Gedankenbögen der Dialoge. Hinter den vorwärts und rückwärts durch den Text führenden Verweisen (die hier nicht metaphorischer Struktur sind, son-dern sich indizienhaft aus dem Bezug des von verschiedenen Personen Aus-gesprochenen aufeinander ergeben), hinter den Geschichten dieser Menschen und den von ihnen formulierten Teilwahrheiten entsteht das Bild des sozia-len Gefüges des Dorfes und der Historizität der darin wirksamen Konflikte.

Der Text entrollt Augenblicksbilder, Bilder einer unmittelbaren Gegen-wart. In den seltenen Beschreibungen des Dorfes und den Gesprächen mit seinen Bewohnern fallen Erzählzeit und erzählte Zeit von der Seite der Erzählerfigur her zusammen. Zugleich tritt das Erleben der Erzählerfigur in den Hintergrund. Mitteilungen über eigene Aktionen, eigene Bewegungen, eigene Äußerungen sind auf ein Mindestmaß reduziert. Mit wenigen be-schreibenden Äußerungen wird - über situationsbezogene Bemerkungen in den ausführlich mitgeteilten Dialogen z. B. - ein Bild von eigener Leucht-kraft entworfen.

Bereits das erste Kapitel setzt so ein: "Die Frau brachte Eier, frische Gurken, Zwiebeln, entrindetes Brot. // 'Essen Sie es mit Gesundheit... der Pálinka wird danach auch besser bekommen!' // "Sehen Sie', sagte der Mann, die Frau weiß, was ein Mann braucht...' // Die Frau stellte das Tablett auf den Tisch: 'Mein Mann hier setzt sich auch immer unter die Bäume, am Ende werden Sie noch glauben, wir hätten nichts als dieses Brett und den Tisch... Bitte lange Sie zu, so ist es richtig, so warm!' (7*) Die direkten Äußerungen des Erzählers zum Geschehen sind knapp gehalten und fassen vornehmlich charakteristische Beobachtungen zusammen. Die Rede-weise der Figuren (Redewendungen, Satzbau, landschaftliche Ausdrücke oder

affektiv gefärbte Sprache) ergänzt ihre knappe äußere Charakteristik. Auch Mitteilungen über Elemente der Umgebung, der räumlichen Situation werden nur an wenigen Stellen in Form einer Beschreibung geliefert (auf deren symbolische Aufladung wird noch zurückzukommen sein), in der Regel sind sie als Feststellungen formuliert. "Die Meierei des Gutes lag ein wenig weiter ab von der Landstraße. Zuerst ging ich durch eine Obstpflanzung, dann über einen kleinen Hügel zwischen Rebstöcken hindurch und schließ-lich über ein mit Kunstdünger behandeltes Maisfeld, es mochte 30 Morgen groß sein. Ich kam ins Schwitzen, bis ich mich hindurchgearbeitet hatte, aber dort an der Seite war auch gleich der Weg. // Das Motorrad stand dort, nicht weit von jenem Ort, wo ich hervorkam... Zu zweit standen sie dane-ben. Der größere hatte seinen Mantel über die Lenkstange geworfen... Der andere stand dort neben ihm und blies Rauch aus... Er reichte mir als erster die Hand. (...) (14*) .

Es entsteht der Eindruck von Filmszenen. Wie mit einer Kamera hält der Erzähler Bilder und Dialoge fest. Die Subjektivität liegt in der Richtung der Kamera, in der Kameraführung und im Schnitt; was ausgebreitet wird, ist knapp und objektiv wiedergegeben.

Gegenüber den wenigen, in ihrer Eindringlichkeit das Ganze des Werkes gleichsam einfärbenden Landschaftsbeschreibungen und Situationsschilderun-gen - von den relativ selbständiSituationsschilderun-gen PassaSituationsschilderun-gen über das abendliche Dorf und den anbrechenden Morgen abgesehen sind es über Seiten hinweg immer nur wenige Zeilen - erhalten die Dialoge und innerhalb derer die Äußerungen der Befragten bei weitem den meisten Raum. Der Erzähler fragt und fungiert dann über weite Strecken als stimulierendes Medium, zwischen den langen Sequenzen der Äußerungen seiner Gesprächspartner macht sich seine Anwe-senheit oft nur in kurzen, gleichsam gestischen Bemerkungen, wenige Worte langen Einwürfen geltend. (Die Geformtheit der Textpassagen der Figuren 108

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ist offensichtlich - mitunter wirken sie balladenhaft verdichtet. Dennoch verbleiben sie hinsichtlich des jeweils Mitgeteilten ganz in dem von der fiktiven "Erkundung" gesetzten Rahmen, die einzelnen Äußerungen sind zu-gleich von der Zufälligkeit der Begegnung für die Akteure bestimmt und ganz situationsgebunden.) Die vom Text entworfenen Bilder - der Ort des Gesprächs oder die heraufbeschworene Vergangenheit - fügen sich so eben-falls zu jenem Eindruck von Filmszenen zusammen.

Es wird zunächst einem vergangenen Geschehen nachgegangen. Bei dem Versuch, dieses aufzurollen, wird immer noch mehr als das Erfragte, vor-rangig aus dem Leben der direkt Beteiligten und der Umstehenden, aufge-deckt; es enthüllt sich, was sie dazu führte und was die Sichtweise der Zeugen auf das Ereignis damals und ihre Haltung zu den Beteiligten heute bestimmt. Jeder bezieht sich dabei auf Punkte seiner Vergangenheit, die ihm wesentlich erscheinen, um seine Haltung, sein Schweigen oder seine Sicht-weise auf die Ereignisse zu erklären. Die Person der Dorfbewohner wird so in ihrer Eigenart vorgeführt. Die einzelnen Kapitel, in denen sie und ihre Sichtweisen, Intentionen, verschiedenen Auffassungen über die Vergangen-heit vorgestellt werden, sind nebeneinander und gegeneinander gestellt. Die Reportageform fungiert hier als "Mittel des Blickpunktwechsels" (ALMÁSI).

Sánta "beleuchtet seine Gestalten aus verschiedenen oder gerade entgegen-gesetzten Relationen, läßt sie in verschiedenen Zusammenhängen zu Wort kommen,und damit leuchtet ihr innerer Kern in seiner Vielfarbigkeit auf.

Eine zuerst auffällige Seite charakterisiert sie ebenso - als Bruchstück - wie die sich später 'herausstellende' 'andere Seite'." (ALMÁSI 1967, 267) Ihre Aussagen relativieren einander und lassen einen Gesamtzusammenhang er-kennen - den Zusammenhang der damaligen Ereignisse und den des So-Wer-dens der vorgestellten Personen. Hinter der Subjektivität ihrer persönlichen Mitteilungen deutet sich ein objektiver Zusammenhang - der Ereignisse von einst und der Verknüpfung des Lebens dieser Menschen untereinander

-„„ 110 an.

Die "Objektivität" des Erzähl Verfahrens - des kommentarlosen Reprodu-zierens von Reaktionen und Vorgängen - wird damit kontrastiert und die Subjektivität der von keiner Textinstanz eingeordneten Mitteilungen der

"Szenen" (Kapitel) wieder aufgehoben. Was im Mikrokosmos des Dorfes in relativer Geschlossenheit vorgeführt wird, ist zugleich Modellfall für die Entwicklung des Landes, für die Gestaltung der nationalen Geschichte. "Die Frische der heutigen Novellen", schätzte Almási 1967 ein, "rührt meist da-her, daß hinter dem Anschein plötzlich eine ganz anders geartete Wirklich-keit aufleuchtet. Sánta deckt eine reichere WirklichWirklich-keit auf: für ihn ist der Anschein, das erste Bild, die Selbstcharakteristik der Helden, das Vorurteil usw. selbst auch Wirklichkeit, ein Bruchstück davon, und der dahinter auf-tauchende wirkliche Zusammenhang entlarvt den Schein nicht nur, sondern

nimmt ihm, indem er ihn in einen reicheren Zusammenhang stellt, auch seine Einseitigkeit und seine Falschheit." (ALMÁSI 1967, 270)

Darüber hinaus ist eine gewisse symbolische Strukturierung des Textes feststellbar. Sie funktioniert nicht nur über die von Gondos angemerkte Komposition in (nicht näher bezeichneten) "Gegensatzpaaren" (GONDOS 1964, 1067) oder im Sinne der von Béládi festgestellten Umdeutung von Simultanverfahren111. Antal Balogh, der einstige Freund und Genosse des

"Direktors Jóska", mit dem gemeinsam er sich als Tagelöhner verdingte, später Land aufteilte an Leute, die es nicht immer anzunehmen wagten, und mit dem gemeinsam er in diesem Dorf "die Partei aufbaute", der 1956 aus der Menge heraus auf diesen geschossen hatte, ist der erste Gesprächspartner des Erzählers. Genau in der Mittagsstunde spricht der Erzähler mit Jóska, der im Vergleich zu den vorangehenden Kapiteln am ausführlichsten zu Wort kommt. (Zuvor gerade hatte er mit der Frau und der Schwiegermutter Bénis, des 1956 von dem Polizisten und einstigen Parteisekretärs Varga Ermordeten, gesprochen.)

Sechs Stunden später, um achtzehn Uhr, wird das abendliche Dorf ge-schildert. Die Beschreibung kontrastiert in Inhalt und Standort mit Jóskas

112 Bericht, wie er damals den eigenen Leuten gegenübergestanden hatte. Das abendliche Dorf zeigt eine friedliche Oberfläche, unter der die Ereignisse von damals nachwirken. (Im nächsten Kapitel sucht,der Polizist einen Vor-wand, um Kiskovács, dem Sohn eines 'Kulaken', einst für die Partei der kleinen Landwirte aktiv, zu zeigen, daß er im Dorf unerwünscht ist.) Wie-derum sechs Stunden später, um Mitternacht, erzählt der Nachtwächter die

"Fortsetzung" der Nacht, in der Anti auf Jóska schoß: die Auseinanderset-zung in Jóskas Büro, zu der dieser Anü zwang, die Konfrontation ihrer Standpunkte. Auch hier gibt es eine relativ ausführliche Naturbeschreibung, die das Kapitel einleitet.

-Zwischen dem friedlichen Abend und dem nächtlichen Gespräch steht u.a.

das Protokoll der Leitungssitzung der LPG, das Überblick über die heuügen objektiven Probleme, die Verhältnisse zwischen den Dorfleuten und die Ein-ordnung des Dorfes in die Entwicklungswidersprüche des Landes gibt. Zwi-schen die Sitzung und die (in der mitternächtlichen Szene erfolgende) Schil-derung des dramatischen Höhepunktes des erkundeten Vorgangs

eingescho-ben ist der Besuch bei dem "General", dem an der Unfähigkeit der Men-schen zu friedlichem Leben irre gewordenen ehemaligen Lehrer, der nun Tiere aus Wald und Feld zähmt, um mit dem Beispiel dieser seiner Heerschaaren die Uneinsichtigen zu bekehren.

-Für den nächsten Morgen bleiben noch zwei Kapitel - der Besuch beim Grafen und die Abfahrt. Die Reihe der Berichte zu den sechsundfünfziger Ereignissen und den Schicksalen der daran Beteiligten ist damit bereits ab-geschlossen. Durch ihre Stellung im zeitlichen Rahmen des Werkes erhält die Geschichtsphilosophie, die der Graf entwickelt, symbolische Bedeutung.

Sie steht nicht nur im Kontrast zu anderen bereits geäußerten Auffassungen über den Gang der Welt, sondern ist ihnen auch durch ihre äußerliche Positionierung innerhalb des Rahmens des Werkes entgegengesetzt, ähnlich wie der Graf außerhalb des Zusammenhangs des Dorfes steht. Der Schluß ist m.E. ebenso beiläufig wie auch symbolisch zu lesen: "Der General kam.

Den Gürtel straff gezogen, schritt er gemessen und soldatisch aus. Und als wir auf gleicher Höhe waren, erhob er die Hand zur Ehrenbezeugung. Ernst mit dem dem Ranggleichen gebührenden Respekt grüßte er uns." (204*) -Aufgrund seiner symbolisch verschränkten kompositioneilen Struktur und des hinsichtlich des Falles Mitgeteilten, das eine inhaltlich relativ abgeschlossene Rekonstruktion der Ereignisse ermöglicht, wird das Werk ein Ganzes, es gibt ein ganzheitliches Bild über einen auf der Ebene der dargestellten Zeit doch offenen Prozeß.

Zur Darstellung Individueller Entwicklung

Umfassendere Informationen zu individuellen Werdegängen werden haupt-sächlich zu den beiden Kontrahenten in dem großen Zusammenstoß, dessen Erkundung die Fahndung vorantreibt, zu Anti und Jóska, gegeben. Sonst wird, indem er im Gespräch die Ereignisse aus seiner Warte wiedergibt, der Gesprächspartner immer mit einem für ihn zentralen Problem vorgestellt (etwa der Arzt, der Nachtwächter, Bénis Frau und Mutter, Máté), oder es werden nur gegenwärtige Haltungen vorgeführt (Motorradfahrer, Graf). Über dessen Sicht auf das eigene Schicksal erschließt sich so das Leben des jeweiligen Gesprächspartners.

Jóska benennt zugleich den gemeinsamen Ausgangspunkt der meisten die-ser Lebenswege: sie alle waren Gesinde. Die Verbindung zwischen diesen Voraussetzungen und dem aus dem Mosaik der Antworten erschließbaren gegenwärtigen Zustand, der demonstrierten gegenwärtigen Position der Ak-teure beschließt jeweils die Entwicklung, die jene bis in die Gegenwart der Erzählzeit durchgemacht haben, ein. So wird kein Strang eines individuellen Lebens ganz aufgerollt, kein Leben wird vollständig rekonstruiert; punktuell wird jeweils Wesentliches benannt. Aber in den Gesprächen, auf der Ebene des Gesamtwerkes formal durch die Person des fragenden oder fragend an-wesenden Reporters verbunden, zeichnet sich die Verstrickung der individu-ellen Existenzen ineinander ab. Die von Vasy als zentrales Problem des Buches bezeichnete Frage, wie die Bedingungen im Lande so weit entarten konnten, daß die "Gutsknechte vom selben Futtertrog" (SANTA) gegenein-ander zur Waffe greifen (VASY 1975, 138), bestimmt auch die Weise, wie individuelle Entwicklung hier erschließbar wird. Wichtiger als einen Lebens-weg in Gänze vorzuführen ist es, die Widersprüchlichkeit ihrer Entscheidun-gen und die BedingunEntscheidun-gen, unter denen sie sie trafen, zu verstehen, nachzu-vollziehen, wie der Alltag der Geschichte aussieht - und damit über die besondere Struktur des Romans zur Debatte zu stellen, welche Perspektiven sich von diesem Ausgangspunkt her ergeben. Entwicklung ist hier also unter dem Aspekt der Historizität dieses sozialen Gefüges, seines Werdens und seiner immanenten Konflikte dargestellt . 111

Dabei gerät eine Vielzahl von Schicksalen ins Blickfeld, die Episoden der Geschichte und darin zugleich wesentliche Momente der historischen Um-wälzungen bildkräftig verkörpern. Eine solche Gestalt ist András Csókos Cuha, ein bettelarmer Kleinbauer, der 1945 bei der Landverteilung, als aus dem Dorf angesichts der Erfahrungen aller niedergeschlagenen Revolutionen niemand es wagt, Land anzunehmen, vortritt und es "mit dem Recht seiner Armut und seines Elends" (177*) beansprucht. Er diktiert dem Lehrer als Schreibkundigem eine wortgewaltige Urkunde darüber, unter die er seinen Namen setzt. Später weigert sich Cuha, dieses Land wieder "herzugeben"

und der Genossenschaft beizutreten. Im Gespräch mit dem recherchierenden Erzähler klingt an, daß er das Anachronistische seiner Lage empfindet, doch sich über diesen seinen Standpunkt hinwegzusetzen ist er nicht mehr fähig.

In Cuhas Leben hat der Wunsch von Generationen seiner Vorväter Erfüllung gefunden 114). Während aber die Erfüllung des Anspruchs, daß der Boden denen gehören soll, die ihn bebauen, in der historischen Realität Ungarns mit der Umwälzung der gesamten Produktionsweise einherging, lebt Cuha diese persönliche Erfüllung aus und verharrt darin.

Eine andere Verarbeitung historischer Erfahrung spricht der alte Varga, Direktoriumsmitglied von 1919 und Vater jenes Polizisten, der zur Wieder-herstellung der sozialistischen Ordnng in seinem Sinne Benjamin Kocsis erschoß, aus. Ihm ist die jetzige Ordnung zu nachgiebig und liberal, er sieht auf dem Boden der Uneinigkeit der Armen von einst eine neue Herrschaft über sie heranwachsen, die sich für ihn mit der Hauptstadt, Budapest, ver-bindet. - Ähnlich der Fuhrmann, der mittags bei Jóska vorbeikommt. Für ihn ist es ein gefährlicher Fehler, daß es nach 1956 nie zu einer umfassen-den persönlichen Abrechnung mit allen Gegnern bzw. vermeintlichen Geg-nern des Sozialismus kam. 1 1 5 Er ist es auch, der gemeinsam mit dem Polizisten dafür sorgt, daß der junge Kiskovács nicht im Dorf bleiben wird.

Während "Direktor Jóska" den Fall für abgeschlossen hält, will der Fuhr-mann auf seine Weise wachsam sein.

Noch etwas ausführlicher ist das, was die verschiedenen Gesprächspartner des Erzählers zu Sándor Varga, zu Máté, Antal und besonders zu Jóska mitteilen. Varga, Máté, Antal und Jóska waren, ebenso wie Béni Kocsis, Gutsknechte. Ihre Schicksale verdeutlichen vier unterschiedliche Wege aus gleicher Ausgangsposition und gleicher Interessenlage, vier unterschiedliche Wege der Interpretation und Vertretung dieser Interessen. Gemeinsam began-nen sie nach 1945, Land aufzuteilen, ihre Partei aufzubauen, demokratische Institutionen einzurichten, später Genossenschaften zu organisieren. Über-zeugt von der Gerechtigkeit ihrer Sache, gingen Máté und Varga dabei mit eiserner Hand vor. "...er hätte in der Rákosi-Zeit wohl selbst seine eigene Mutter abholen lassen, wenn sie es gewagt hätte, sich zu beschweren", wird von Varga gesagt. Beide setzen bedingungslos durch, womit sie beauftragt werden, und verbünden sich mit denen, die bereit sind, ihnen zuzustimmen (97/98). Im Dorf verkörpern und diskreditieren sie die politische Macht.

"Wenn Anti auch geschossen hat, so habt ganz sicher ihr, Leute von deiner Sorte, ihm das Gewehr in die Hand gegeben", faßt Jóska später Varga gegenüber, nach dessen Rückkehr aus einem Versteck, diese Entwicklung zusammen. Varga versucht im November 1956, die Ordnung, wie er sie

versteht, wiederherzustellen. Kocsis, den ersten, der sich ihm bei seiner Su-che nach Waffen im Dorf in seinem Haus entgegenstellt, erschießt e r "Ihr werdet ihm bald alle folgen! Ich war schon einmal euer Herr, ihr habt es nur vergessen! Bald werdet ihr's wieder lernen!" (126*) Jóska rechnet in einer gewaltigen Schlägerei mit ihm ab und sorgt für seine Verbannung aus dem Dorf. - Máté erweist sich im Vergleich zu Varga als anpassungsfähiger.

Wenn nicht aus Einsicht, so doch aus Disziplin verzichtet er später darauf, in Ausübung seiner Funktionen mit der Waffe vorzugehen. In dem Maße, in dem Bildung und Sachkenntnis erfüllbare Voraussetzungen zur Besetzung leitender Positionen in Wirtschaft und öffentlichem Leben werden, verliert er an Macht und fühlt sich, immer noch mit ganzem Einsatz täüg, zu Unrecht zurückgestellt. Máté, der kein Diplom hat, weil er, wie er selber sagt, siebzehn Jahre lang Tag und Nacht dafür gesorgt habe, daß andere eines erwerben konnten, wird vorläufig zum Rot-Kreuz-Sekretär des Kreises ernannt - die sein früheres Wirken kennen, sehen die Ironie des Schicksals darin (133).

Antal verbittert angesichts der Entwicklung auf dem Dorf, wie er sie erlebt und wie sie von Leuten wie Varga und Máté als einzig richtige Politik vertreten und durchgesetzt wird. 1952, als die Ablieferungsverpflich-tungen des Dorfes ins Unermeßliche wachsen und die Frauen am Feldrain Brennesseln sammeln, um den Hunger zu sülien, als man gar sein Haus als das eines imperialistischen Mietlings kennzeichnet, weil er Mehl "horte", tritt er aus der Partei aus. Seitdem schweigt er in der Öffentlichkeit. Im Herbst 1956 steht er mit der Menge auf Jóskas Hof und schießt, von Kiskovács noch einmal herausgefordert, auf den einstigen Freund. "Sagen sie mir: was sagte Balogh, warum er auf Jóska geschossen hat?", fragt der Erzähler den jetzigen Ratsvorsitzenden. "'Nichts....' 'Aber irgend etwas muß er doch ge-sagt haben?' 'Er ge-sagte nichts, wie sie ihn auch fragten. Er schaute einen an

Antal verbittert angesichts der Entwicklung auf dem Dorf, wie er sie erlebt und wie sie von Leuten wie Varga und Máté als einzig richtige Politik vertreten und durchgesetzt wird. 1952, als die Ablieferungsverpflich-tungen des Dorfes ins Unermeßliche wachsen und die Frauen am Feldrain Brennesseln sammeln, um den Hunger zu sülien, als man gar sein Haus als das eines imperialistischen Mietlings kennzeichnet, weil er Mehl "horte", tritt er aus der Partei aus. Seitdem schweigt er in der Öffentlichkeit. Im Herbst 1956 steht er mit der Menge auf Jóskas Hof und schießt, von Kiskovács noch einmal herausgefordert, auf den einstigen Freund. "Sagen sie mir: was sagte Balogh, warum er auf Jóska geschossen hat?", fragt der Erzähler den jetzigen Ratsvorsitzenden. "'Nichts....' 'Aber irgend etwas muß er doch ge-sagt haben?' 'Er ge-sagte nichts, wie sie ihn auch fragten. Er schaute einen an