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3. Das „Redaktionskollektiv“ der „Österreichischen Volksstimme“

3.2 Die Lokalredaktion

Wie die Ausführungen im zweiten Abschnitt dieser Arbeit bereits deutlich gezeigt haben, lässt die „Österreichische Volksstimme“ keinen Zweifel daran, ein kommunistisches Parteiorgan zu sein. Doch die Lokaljournalisten berichteten, dass die Parteipolitik in ihrem Ressort eine untergeordnete Rolle gespielt habe: „So streng nach Parteien oder politischen Glaubensrichtungen auch alles geteilt war, wir jungen Polizei- und Gerichtssaalreporter hielten zusammen.“268 Passierte in Wiens Umgebung ein zu recherchierender Fall, organisierte man gemeinsam eine Mitfahrgelegenheit, denn die Redaktionen besaßen kaum eigene Fahrzeuge. Man versorgte einige Kollegen auf Gegenrechnung mit Informationen oder veranstaltete in einem Wiener Kaffeehaus eine „Nachrichtenbörse“. Erich Beyer, Lokaljournalist der „Volksstimme“, betonte ebenfalls die kollegiale Zusammenarbeit unter den Journalistinnen und Journalisten. Auch wenn sich „Volksstimme“ und „Arbeiter-Zeitung“ eine publizistische Debatte auf politischer Ebene lieferten, zwischen den Lokaljournalisten der verschiedenen Zeitungen habe diese Auseinandersetzung keine Rolle gespielt.269

Journalistischer Lehrmeister der jungen Lokaljournalisten der „Österreichischen Volksstimme“ – das Ressort bestand zu jener Zeit aus vier bis fünf Personen – war Siegfried Klausner (1881–1951) – „ein auf zwei Stöcken dahinhumpelnder Riese“270 und ein „strenger Rabauke“271. Dass die jungen Berufsanfänger – Auer, Beyer, Walter Schwarz,

267 Der Maler Axel Leskoschek 60 Jahre alt, Österreichische Volksstimme, 3.9.1949, 3.

268 Auer, Über‘m Berg, 6.

269 Interview von Maria Fanta mit Erich Beyer, Wien, 27.6.2013.

270 Auer, Über‘m Berg, 8.

271 Interview von Maria Fanta mit Erich Beyer, Wien, 27.6.2013.

Harry Sichrovsky – später ihren Weg im österreichischen Journalismus gingen, hätten sie Klausner zu verdanken – „obwohl die Absprungbasis ‚Volksstimme! sicher nicht die federndste war,“272 so Auer.

Siegfried Klausner war „mit Wiens Glanzzeit der Journalistik untrennbar verbunden“.273 Als ausgebildeter Rechtsanwalt begann er seine journalistische Laufbahn 1910 bei der Tageszeitung „Die Zeit“; 1918 wechselte er zum „Abend“ und wurde 1925 Chefredakteur.

Er überlebte die NS-Herrschaft in Jugoslawien, wo er von Partisanen versteckt wurde. Nach seiner Rückkehr nach Wien 1945 übernahm er die Leitung des Lokalressorts der

„Österreichischen Volksstimme“, wo er viele junge Journalisten ausbildete. „Er war ein fantastischer Journalist, weil solche Leute aus dem Boulevard gute Journalisten sind. Das sind Rechercheure, Aufdecker, das sind die, die sich was trauen“274, wird viele Jahre später Erich Beyer über Klausner sagen. Alles, was er journalistisch gekonnt und später selbst an junge Leute weitergegeben habe, die er in anderen Redaktionen zu Journalisten ausbildete, habe er von Klausner erlernt. Beyer beschreibt den redaktionellen Arbeitsrhythmus unter Klausner folgendermaßen: Täglich um neun Uhr früh fand eine Lokalkonferenz statt, Klausner vergab die Themen bzw. schlugen die Redakteure eigene Themen vor. Danach mussten die Lokaljournalisten die Redaktion verlassen. Klausner habe nicht geduldet, dass irgendjemand in der Redaktion bleibt: Redakteure gehörten hinaus unter die Leute, so seine Meinung. Ein Kaffeehaus nahe der Redaktion am Fleischmarkt wurde daher den jungen Journalisten zur Zweitredaktion, dort konnten Anrufe gemacht werden, um Termine für Interviews zu vereinbaren. Die Zeit, in der man auf Rückrufe wartete, vertrieb man sich mit Billard. Zu Mittag kehrte man in die Redaktion zurück und verfasste die Artikel.275

„Er machte uns klar“, so Auer über Klausner, „daß der Journalismus (...) der schiachste Beruf der Welt ist, daß aber keiner von uns, die wir damals die Welt erklären und verbessern wollten, einen anderen haben wollte, ein Leben lang.“276

Georg Auer wurde 1922 in Wien geboren und musste 1938 als jüdischer Emigrant Österreich verlassen.277 Er kam mit einem Kindertransport zunächst nach England, später nach Australien. Dort wurde er zunächst interniert, ab 1942 kämpfte er als Soldat in der

272 Auer, Über‘m Berg, 8.

273 Unser Dr. Siegfried Klausner gestorben, Der Abend, 4.7.1951, 2.

274 Interview von Maria Fanta mit Erich Beyer, Wien, 27.6.2013.

275 Interview von Maria Fanta mit Erich Beyer, Wien, 27.6.2013.

276 Auer, Über‘m Berg, 8.

277 Akten der Journalistengewerkschaft Wien, Personalakt Georg Auer, Fragebogen vom 25.4.1947.

australischen Armee.278 Bereits während seiner Emigration machte er erste journalistische Versuche: Er publizierte in der Monatsschrift der österreichischen Freiheitsbewegung

„Friends of Democratic Austria“ in Australien und veröffentlichte Artikel in australischen Wochenbeilagen von Zeitungen. Als er 1946 nach England zurückkehrte, betätigte er sich auch im Umfeld des Free Austrian Movement publizistisch. Nach seiner Rückkehr nach Österreich war er zunächst als Übersetzer bei der „Austria Presse Agentur“ tätig. „Dann schickte mich die alleinseligmachende Partei nach Vorarlberg,“279so Auer. Er wurde Umbruchsredakteur der „Vorarlberger Tageszeitung“. Doch Ende 1946 bemühte er sich um eine Stelle beim Zentralorgan in Wien und wurde am 1. Jänner 1947 eingestellt. Er begann im Lokalressort unter Ressortleiter Siegfried Klausner, später wurde Auer Leiter des Ressorts „Sozialpolitik und Gewerkschaft“ sowie Leiter der Motorredaktion. Aus Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei schied er aus Partei und Redaktion aus.

Wie Georg Auer musste auch Kurt Seliger Österreich 1938 als jüdischer Emigrant verlassen.280 Schon während seiner Schulzeit war er Mitglied beim illegalen kommunistischen Jugendverband gewesen und wurde bereits als 16-Jähriger erstmals verhaftet. Da er 1938 sein Zielland Frankreich nicht erreichen konnte, übertrat er illegal die Grenze in die Schweiz. Nachdem Seliger Anfang 1946 nach Österreich zurückkehrt war, wurde er zunächst Aspirant der „Österreichischen Volksstimme“, später redaktioneller Mitarbeiter und Redakteur im Lokalressort. In den Sechzigerjahren unterstützte er die

„Volksstimme“-Redaktion als Korrespondent in der DDR. 1969 trat Seliger – eine weitere Parallele zur Biographie Auers – im Zuge der Auseinandersetzungen um den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei aus der KPÖ aus.

Auch Erich Beyer, geboren 1925, erlernte das journalistische Handwerk in der Lokalredaktion unter Siegfried Klausner.281 Er hatte die NS-Herrschaft als „Geltungsjude“

in Wien überlebt und war Mitglied einer kommunistischen Widerstandsgruppe gewesen.

1945 trat er der KPÖ bei.282 Als er hörte, dass es ein kommunistisches Parteiorgan geben soll, wurde er sofort bei Erwin Zucker-Schilling vorstellig. Schon vor Erscheinen der ersten

278 Georg Auer, in: Frank (Hg.), Young Austria, 59–61.

279 Auer, Über‘m Berg, 6.

280 Kurt Seliger, Basel – Badischer Bahnhof. In der Schweizer Emigration 1938–1945, Wien 1987, 15–37.

281 Interview von Maria Fanta mit Erich Beyer, Wien, 27.6.2013.

282 Akten der Journalistengewerkschaft Wien, Personalakt Erich Beyer, Fragebogen vom 18.3.1946.

Ausgabe half er beim Aufbau der Zeitung mit: „Ich glaube, ich war damals der erste Mann in der Redaktion – der erste Mann zeitmäßig.“283 Als Lokaljournalist berichtete er vor allem über Kriminalfälle. Als er Mitte 1947 für Reportagen, die er für die „Woche“ (Globus-Verlag) verfasst hatte, nicht bezahlt werden sollte, kehrte er sowohl der Zeitung

„Österreichische Volksstimme“ als auch der Partei den Rücken. Beyer wollte zur Zeitung

„Neues Österreich“ wechseln, seine frühere Tätigkeit bei der „Volksstimme“ machte ihm diesen Wechsel jedoch anfangs unmöglich. Er arbeitete zunächst beim französischen Besatzungsblatt „Welt am Abend“; erst nach dieser so genannten „Wäsche“, wie er selbst sagt, wurde er beim „Neuen Österreich“ als Redakteur aufgenommen.284

Die beliebteste, selbsterstellte Aufgabe der Lokalredakteure war die Aufdeckung von Skandalen, der Bericht über eine exklusive Meldung, ein Scoop. Aus Mangel an Agenturmaterial war die persönliche Recherche – aufgrund der Zensur der Telefongespräche meist im persönlichen Gespräch – dabei die Grundlage der journalistischen Arbeit – „insbesondere bei einer Zeitung wie der ‚Volksstimme!, die die APA nie ,ung‘schauter‘ nehmen konnte, aber ebenso wenig die Tass.“285 Dabei waren die Recherchen nicht immer angenehm, denn man wusste nicht, ob man nicht selbst mit unangenehmen Folgen rechnen musste, wenn man zu genau recherchierte: „Aber irgendwie scheinen die vier Mächte doch eine Scheu gehabt zu haben, recherchierende Journalisten auch verschwinden zu lassen: Weder dem Franz Kreuzer, der dies für die AZ tat, noch mir oder anderen ist je etwas passiert.“286

Georg Auer gelang 1956 die Aufdeckung eines solchen Skandals. Er enttarnte in Schruns (Vorarlberg) den Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg. Als Kaufmann auf Geschäftsreise getarnt, fuhr Auer im März 1956 nach Schruns, wo Starhemberg einen Kuraufenthalt machte. Die Tarnung des Redakteurs flog schließlich auf und er musste das Hotel verlassen. Doch Auer konnte Starhemberg bei einem Spaziergang fotografieren.

Dieser starb jedoch wenige Sekunden, nachdem Auer das Foto machen konnte, an Ort und

283 Interview von Maria Fanta mit Erich Beyer, Wien, 27.6.2013.

284 Interview von Maria Fanta mit Erich Beyer, Wien, 27.6.2013.

285 Auer, Über‘m Berg, 8. – APA: österreichische Nachrichtenagentur; Tass: Nachrichtenagentur der Sowjetunion.

286 Ebda.

Stelle an einem Herzinfarkt. Der „Bild-Telegraf“ titelte: „Von KP-Journalist gestellt sank Starhemberg tot um“.287

Weitere Redakteure und Redakteurinnen des Lokalressorts waren: Harry Sichrovsky, Leopold Johann Soudek, Rudolf Spitzer, Walter Schwarz, Ernst Fettner und Hilde Röder.288