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Zweck und Bestimmung der Handschrift

In document Tabulatura Vietoris saeculi XVII (Pldal 84-87)

Nach der Beschreibung der Handschrift, der Untersuchung ihres Ursprungs und dem Überblick ihres vielfältigen, reichen Musikmaterials muss nun auch geklärt werden, für wen und zu welchem Zweck das Tabulaturbuch Vietoris entstanden ist. Umstritten ist, ob die Handschrift ausschließlich die Adelskultur des 17. Jahrhunderts repräsentiert.

Denn von der Vermutung ausgehend, dass das Manuskript Eigentum des Fürsten Ester-házy oder der adeligen Familie Vietoris gewesen sein könnte, sieht die ungarische Fachli-teratur in dem Tabulaturbuch vor allem ein Denkmal der Musik des Hochadels.148

Abelmann, die das gesamte Musikmaterial des Tabulaturbuches mit in ihre Forschung einbezog, rückt das Problem in ein anderes Licht. Sie misst sowohl den Kapiteln der slowa-kischen Kirchengesänge, die nach Festen gegliedert, sorgfältig aufgebaut und zum Kennen-lernen der alltäglichen Kirchenpraxis gut geeignet sind, als auch den für den Gottesdienst oder sonstigen kirchlichen Gebrauch bestimmten Präambeln und Clarinostücken große Bedeutung bei. Ihrer Ansicht nach dürfte der Inhalt der Handschrift das Repertoire eines Organisten gebildet haben, das verschiedene, für kirchliche und weltliche Angelegenheiten geschriebene Stücke in sich vereinigte.149 Diese musikalische und funktionelle Mehr-schichtigkeit kann schon in europäischen Quellen des 16. Jahrhunderts verfolgt wer-den;150 in Ungarn ist sie vor allem für die handschriftlichen Sammlungen des 17. Jahr-hunderts (Codex Kájoni, Starcksches Virginalbuch, Leutschauer Tabulaturbuch) charak-teristisch. In der zeitgenössischen Musikpraxis war es üblich, dass die Kirchenorganisten ihre finanzielle Lage durch die Verrichtung weltlicher Dienste zu verbessern suchten. Des-halb wurden die Sammlungen so zusammengestellt, dass mit den geistlichen Liedern und den die adelig-bürgerliche Musikkultur repräsentierenden Stücken die Ansprüche der verschiedenen Gesellschaftsschichten berücksichtigt wurden.

146Die Ausgabe ihrer Clarinostücke s. LÜBECK–THOMSEN.

147Nach Abelmann schrieb der Organist die Clarinostücke selbst und nahm sie als Stimmmaterial in sein

„Kompendium“ auf; ABELMANN 1946, II, 78. Über die Clarinostücke s. ferner FERENCZI 1983.

148SZABOLCSI 1928, 63–79.

149ABELMANN 1946, I, 22. – Auch das kirchliche Musikmaterial aus dem Buchdeckel belegt, dass es sich um das Repertoire eines Organisten handelt.

150Beispielsweise beinhaltet die TABULATURA ORGANOWA außer Kirchenliedern, die nach den Festen des Kirchenjahres eingeteilt wurden, auch Suitentanzsätze und Choreas.

Wie und auf welchem Instrument oder Instrumenten wurden die im Tabulaturbuch Vietoris aufgezeichneten Stücke vorgetragen? Aus den bezifferten Bassbezeichnungen einiger Stücke und der selten vorkommenden Dreistimmigkeit kann man darauf schlie-ßen, dass es sich bei den zweistimmig notierten Virginalstücken nicht um zweistimmige Werke handelt, sondern der große Abstand zwischen Sopran und Bass durch weitere Stimmen ausgefüllt wurde. Wie auch Abelmann feststellt, erhielten die Stücke erst im Laufe des Spielens ihre endgültige Gestalt.151 Die Füllstimmen wurden improvisiert, aber auch die Melodie konnte variiert und verziert werden. Wir können also von einer gleichzeitig vertikalen und horizontalen Improvisation sprechen. Über die Improvisa-tionspraxis können wir uns auch aufgrund der obenerwähnten Konkordanzen und Va-rianten ein Bild machen.

Im Tabulaturbuch Vietoris sind nur einige Tänze und die komplizierteren, imitierend bearbeiteten Stücke (in erster Linie die drei Präambeln) drei- oder vierstimmig. Die übrigen Stücke wurden unserer Ansicht nach nur skizzenhaft aufgezeichnet und nicht in der Form eines „primitiven Klavierauszugs“, wie Zoltán Kodály und Dénes Bartha be-haupteten.152 Szabolcsi schrieb im Zusammenhang mit dem Tabulaturbuch Vietoris von Virginaltranskriptionen, als er nach dem Musikmaterial der in zeitgenössischen literarischen Quellen erwähnten Instrumentalensembles forschte. Die Untersuchung dieser Aufzeichnungen verhalf ihm dazu, einen Widerspruch zwischen den Informatio-nen bezüglich des Vortragsapparats und dem Musikmaterial der Handschriften wahr-zunehmen. Während die sekundären Quellen von der Mitwirkung größerer Ensembles berichten, sieht Szabolcsi in den Virginaltranskriptionen nur einen „schwachen Wider-schein“ dieser Ensembles.153

Im Falle unserer Handschrift handelt es sich aber nicht um Transkriptionen von Werken für Ensemble oder um Klavierauszüge, sondern um Stücke für Virginal oder Orgel, also für Tasteninstrumente, die in vereinfachter Form mit zwei Hauptstimmen, das heißt mit den zwei Außenstimmen, aufgezeichnet wurden. Außer dem Tabulatur-buch Vietoris sind unter den einheimischen Handschriften noch der Codex Kájoni und das Organo Missale und zum Teil das Tabulaturbuch von Leutschau durch diese zwei-stimmige Schreibweise gekennzeichnet.154 Der Spieler des Tasteninstrumentes ergänzte, variierte und verzierte die einfachen Stücke seinen eigenen Fähigkeiten und den Anfor-derungen der Zeit entsprechend, wobei sich an seiner Aufführung auch andere Instru-mente beteiligen konnten. Dies war auch beim Tabulaturbuch Vietoris der Fall. Auch dessen Organist stand wahrscheinlich ein kleineres Instrumentalensemble zur Verfügung, dessen Stärke nicht belegt ist, das aber durch einige Hinweise auf die Instrumente oder die Vortragsweise angedeutet ist.155 Die Wichtigkeit der Verwendung der Blasinstru-mente zeigen die im letzten großen Teil des Tabulaturbuches aufgezeichneten ein- bis zweistimmigen Clarinostücke, deren Aufführung keiner solchen Ergänzung bedarf wie die der Virginalstücke.

Bei der Vergegenwärtigung der Klanggestalt und der Ausführung der Virginalstücke müssen wir von der zeitgenössischen Aufführungspraxis ausgehen. Was die verschiede-nen Gelegenheiten des Musizierens, den Gebrauch der Musikinstrumente oder die

Zu-151ABELMANN 1946, I, 15.

152KODÁLY–BARTHA 1943, 55.

153SZABOLCSI 1928, 63; SZABOLCSI 1959, 254.

154CODEX CAIONI, ORGANO MISSALE (XX–XXIII), PESTRÝ ZBORNÍK. – Im Tabulaturbuch von Leutschau sind meist „fertige“ Virginalkompositionen zu finden.

155So z. B. durch die Bemerkung „trombo“ im Stück Nr. 165 Spiwegmez wssichný wesele.

sammensetzung der Instrumentalensembles anbelangt, stehen uns nur sekundäre Quellen zur Verfügung. Das wichtigste einschlägige literarische Denkmal ist das 1683 erschiene-ne Werk Ungarischer oder Dacianischer Simplicissimus des Schlesiers Daniel Speer,156 das uns ein Bild des Musiklebens in den von der türkischen Herrschaft verschonten oberungarischen und siebenbürgischen Städten vermittelt. Die unruhige politische Lage und der ständige Kriegszustand boten innerhalb und außerhalb des in drei Teile zer-stückelten Landes Möglichkeiten des wechselseitigen Austausches der hiesigen und der ausländischen Musik sowie zur Verbreitung verschiedener Gewohnheiten und Formen, worauf schon beim Vergleich der heimischen und mitteleuropäischen Quellen hingewie-sen wurde. Die literarischen Quellen enthalten aber keine Angaben über die konkrete Musikaufführung, wie z. B. die Art des Continuospiels. Die allgemein verbreitete Praxis des bezifferten Basses kann aber auch für unsere Handschrift gelten.157 Von einigen Ausnahmen abgesehen sind die Stücke unbeziffert, dennoch sollte man sie mit solchen Harmonien versehen, als habe man es mit einem bezifferten Bass zu tun. Die so ausge-arbeiteten Stücke können gemäß der Musikpraxis der Zeit auch durch Ensembles ver-schiedener Besetzung aufgeführt werden.

Das Tabulaturbuch Vietoris ist eine vor allem für die Instrumentalmusik bedeutende Quelle, die die verschiedenen Möglichkeiten des Musiklebens dokumentiert und die adelige und städtische Kunstmusik, die volkstümliche und die Kirchenmusik in sich vereinigt. Die Textanfänge der einzelnen Stücke gewähren uns Einblick in die Vokal-musik jener Zeit. Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Druck erschiene-nen einstimmigen slowakischen Kirchenlieder sind hier in zwei- (also mehr-) stimmiger Form als Kompositionen für Tasteninstrumente vertreten. Auch die ungarischen welt-lichen Melodien des 17. Jahrhunderts kennen wir ausschließlich aus dieser Quelle.

Einen internationalen Charakter verleihen der Handschrift aber die Stücke der zwei Tanzkapitel. Aus den Überschriften der Tänze könnte man auf ihren konkreten natio-nalen Ursprung schließen, wie das einige Musikologen in den 1950er, 60er und 70er Jahren auch taten. Die Analyse des Musikmaterials hat jedoch erwiesen, dass man die Überschriften eindeutig nicht mit dem nationalen Charakter in Zusammenhang brin-gen kann. Bei der Untersuchung der Schreibweisen wurde bereits festgestellt, dass der Schreiber des Tabulaturbuches von slowakischer Muttersprache war, denn für die ungarischen Textanfänge ließ er freien Raum, den slowakischen Text trug er selbst ein.

Weiter war es für ihn ganz natürlich, den Titel der zeitgenössischen populären Tänze in der Muttersprache zu schreiben. Diese Tatsache weist jedoch keinesfalls auf die Herkunft der Tänze hin. Deshalb sollte unsere Handschrift viel eher im Lichte eines einheitlicheren ostmitteleuropäischen Musikstils betrachtet werden, in dem die natio-nalen Eigentümlichkeiten jeweils verschieden, und von Gebiet zu Gebiet auch zeitlich unterschiedlich zur Geltung kommen.

156SPEER 1683.

157Siehe SPEER 1697, 1687, 9–14.

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