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Die Paradoxie dieser (unsicheren) Emanzipation des Menschen, dieser Loslösung von einer lenkenden Macht erkennt man, wo die selbstständigen und selbstsiche­

ren Menschen die verleugnete Ordnung im Kleinen nachstrukturieren; groß und

31 Urs Jenny sieht den Gottesvcrlust, den Verlust des Glaubens als den wirklichen Verlust der Horváthschen Figuren an: in diesem Zusammenhang weist er auf Horvaths eigene Verzweiflung hin. in der er die Darstellung dieser Orientierungslosigkeit begründet sicht. Vgl Je n n y, Urs: Ödön von Horváths Größe und Grenzen. - In: Krischkc, Traugott/Hildcbrandt, Dieter (Hg.): Ober Ödön von Horváth. - Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979, S.73f.

klein in der Relation von Kosmischem und Menschlichem wird nicht mehr ernst genommen, umso blut-ernster waltet das Prinzip in menschlichen Verhältnissen:

man will groß werden, um die Kleinen beherrschen zu können

Die wilde Jagd fordert ihre Opfer, die Tatsache der Jagd wird jedoch mit Hilfe der nicht-mehr-geglaubten Moral verleugnet und verharmlost. So besteht man immer darauf, als M ensch beurteilt zu werden. Eine Angst-Quelle der Hor- väth-Figuren ist, als Unmensch ertappt werden zu können

Aus einigen scheinbar nebensächlichen Gesprächen und Szenen der Ge­

schichten, wo es um N atur und Glaube, Schicksal und Vorbestimmtheit, die Be­

ziehungen der Tierwelt zur M enschenwelt geht, setzt sich allmählich eine neue Deutungsebene des Werkes zusammen. Mag auch ein Geplauder über die Ab­

stammung des Menschen in der unheilverkündenden Maxim-Szene, oder eine Diskussion über Seelenwanderung in der Verlobungsszene als bloßer Neben- strang erscheinen, so webt sich doch aus solchen Bemerkungen ein Netz, das w e­

sentliche Momente des Dramas auffängt.

Die Theorie der Seelenwanderung wird mit hysterischen "pfui "-Rufen heftig bestritten. Unappetitlich finden die Tanten die Würmer, bzw. die M öglichkeit ei­

ner Verwandschaft des Menschen mit der Tierwelt. Übe! wird es ihnen.

Angedeutet ist der Tod, der von Würmern gefressene Leichnam des M enschen.12 Abgelehnt wird nicht nur das peinlich-unerwünschte Thema des Todes, sondern alles, was außerhalb des menschlichen Erfahrungsbereichs liegt. Alles, was vor der Geburt und nach dem Tod möglich ist. Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit. Horvaths Figuren wollen nur von dem w is­

sen, was ihnen paßt. Der Oscar nimmt es doch ernst [...] mit den christlichen Grundsätzen Es geht um Grundsätze, um das Einhalten gewisser Regeln. G e­

rade diese Grundsätze, lange Zeit Garanten des Wohlgeordnetseins, scheinen für Horvaths Figuren ins Wanken geraten zu sein.

Man weiß mit dem neuen Wissen nichts anzufangen. Wie steht es mit dem hohen Prestige des von Gott geschaffenen Menschen, wenn er m it der Tierwell verwandt ist?34 Wenn seine Seele in einen Wurm übergehen kann. Wenn der

32 V g l. Ha cKERT, F ritz : Geschichten vom Gefressenwerden. Zur Ästhetik des Entsetzens bei Ödön von Horváth. - ln: Zur Ästhetik der Moderne. -Tübingen: Niemcycr 1992, S .179.

33 Ho r vAt h, o p .e it., S. 117.

34 Ebenda. S. 178: Der Zauberkönig: Aber was redens denn da. Herr? Also das steht doch felsenfest, daß wir Menschen mit der Tierwelt verwandt sind!

Mensch hypnotisierbar ist35, d.h. die Möglichkeit besteht, sein Inneres aus ihm hervorzulocken. Horvaths Figuren kennen den freudschen Begriff des U nterbe­

wußten nicht. A bstoßend und abscheulich finden sie es, wenn in ihnen, den K ul­

turmenschen, das Triebwesen, das Tier aufgedeckt werden kann.

Und gerade diese gefürchtete Operation tut Horváth seinen Figuren an: er zieht die dünne Zivilisationshaut herunter, und was dahinter steckt, ist längst von den Figuren selber formuliert worden: Gemeines Schwein beschimpft der Vater die Tochter, gem eines Tier und Schweinehund ist Alfred für Valerie, M istvieh und hysterische Kuh, Sau etc. sind ebenfalls im Repertoire. Einander als Tiere abzuqualifizieren ist die höchste Genugtuung für die eigene Unsicherheit, sich nicht edel genug wissen zu können.

Rauchen und fressen werden die Leut immer - aber zaubern?36 - formuliert der Zauberkönig seine Skepsis gegenüber der Menschheit. W as gilt angesichts solcher enthüllender Aussagen ein Bekenntnis zu den höheren Wesen: [...] natür­

lich glaub ich an ein höheres Wesen, das gibt es nämlich sicher, sonst gäbs uns j a nicht'37 . Die Aussage verrät die Unsicherheit, und zeigt auch den W unsch nach einer Sicherheit an. Einer Sicherheit in bezug auf Gott, auf eine ordnende Kraft, und in bezug auf die edle Abstammung des Menschen. Gott ist auch funktionali- siert: man glaubt, einen Beweis für das M enschliche in ihm zu finden.

N ur auf die Spiel-Frage Was soll das Pfand in m einer H and wagen die Fi­

guren einander zu Tier-Nachahmungen anzuspom en, sonst sind sie zutiefst be­

leidigt, wenn sie die Hierarchie G ott-M ensch-Tier wanken sehen. Der harmlose Spaß am Spiel, einander als Tiere zu sehen und zu hören, verliert seine Unschuld in dem Moment, als in den gehobenen Liebesworten von M arianne und Alfred diese Szene zurückhallt: Was er kann und was er will waren auch beim Tier- Nachahmungs-Spiel Schlüsselworte. Da jedoch konnte und wußte man nichts an­

deres, als das Tierische zu demonstrieren, nämlich M uh und M äh zu schreien.

Das tierhervorlockende Spiel kulminiert in Oscars Demonstration, als er M arian­

ne spielerisch kampfunfähig macht. Wenn dann wenig später in der Donau-Szene

35 Können Sie hypnotisieren? - fragt Marianne Alfred. Und später, als Alfred versucht, sich vor Valerie rcinzuwaschen, nützt er diese Frage, indem er sagt: Die Mariann hat immer gesagt, ich könnt hypnotisieren. -In: H o r v á t h , op.cit., S .124 und 198.

36 Ebenda, S. 131.

37 Das unsichere Bekenntnis von Alfred bezeichnet seinen vorsichtigen Mitte-Standpunkt, seine Entschluß-Unfähigkeit. Zugleich ein Beispiel dafür, wie die Verzweiflung sich als Glaube maskiert. Vgl.

Ho r v á t h, op.cit., S. 151.

das gleiche W ortspiel leicht variiert wiederkehrt, ist die Antwort au f die Frage, was nämlich der Mensch kann und will, schon vorweggenommen worden.

Das Stück endet mit der W iederherstellung der Scheinordnung, mit der For- tifizierung der ordnungstiftenden Parole Gott gibt und G ott nim m t, die jegliche Fragerei überflüssig macht, auch diejenige angesichts des Triebwesens des M en­

schen.

Denn nichts beunruhigt einen in Horvaths Figuren-W elt so sehr, wie das Zutagetreten des unverständlichen, und daher heftig geleugneten Tierischen im Menschen: Was soll ich denn schon sein, wenn ich kein M ensch bin, S ie?! Viel­

leicht ein Vieh? /38 - brüllt der Zauberkönig.

Horvaths Drama ist oft der fehlende Zusammenhang vorgeworfen w o rd e n /9 Dabei verkannte man die feine Struktur des Werkes, den großen Bogen, der den Zerfall des tradierten harmonischen Menschenbildes und die krampfhafte Be­

kämpfung einer neuen Vorstellung und einer neuen Erkenntnis vom Menschen aufzeichnet.

38 Ebenda, S 183f.

39 Vgl. u.a.: "Es ist ein Stück in viel /.u vielen Stückchcn, eine endlose Kette ungleicher Glieder..." - FALK, Norbert: Geschichten aus dem Wiener Wald. - In: BZ. am Mittag, 3.11.1931. - Zitiert nach:

K ris c h re , Traugolt: Horvath a u f der Bühne 1926-1938. - Wien 1991, S. 141.

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Wi l h e l m Dr o s t e ( Bu d a p e s t) Me h ra l se i n Um w e g

Rilke in Spanien, A usgesetzt dem Übermaß von E in flu ß I. V erschw örungen mit d e r F rem de

W enn Rilke reiste, so trieb ihn dazu geradezu das Gegenteil von dem, was Touri­

sten gewöhnlich bewegt, wenn es sie aus der Normalität heraus in die Fremde lockt. Der Tourist will für die kurze Zeit seines Freiseins durch eine angenehme Exotik abgelenkt werden von den grauen Lasten seines Alltags. Er sucht das kon- fortable Abenteuer und entsteigt für einen Augenblick den verkrusteten Bahnen seiner Verpflichtung, um gerade ihr dann mit erholten Kräften nach seiner Rück­

kehr frischer und überzeugender gewachsen zu sein.

Dagegen w ar das Reisen für Rilke kein Ausnahmezustand. Seine Ortsverän­

derungen machen nur nach außen offensichtlich, was ihn mit lebenslänglicher Unruhe versorgte: die unerbittliche Suche nach innerer Ankunft bei sich selbst.

Wenn er sich au f den W eg machte, so ging es ihm nicht um Entspannung und Ablenkung, sondern gerade das Reisen w ar ein angespanntes Arbeiten daran, alle Kräfte au f diese innere Ankunft hinzulenken. Von dem Aufbruch in die Fremde versprach er sich das Glück, au f dem W eg zu sich selbst Sprünge tun zu dürfen, in beschleunigtem Rausch jene Metamorphose zu erleben, an deren Ende sich ei­

ne Gestalt entpuppen kann, die auf freier Bahn im Ureigenen angekommen ist und ihre Sprache findet.

Der Fremde

Ohne Sorgfalt, was die nächsten dächten, die er müde nicht mehr fragen hieß, ging er wieder fort; verlor, verließ - . Denn er hing an solchen Reisenächten anders als an jeder Liebesnacht.

Wunderbare hatte er durchwacht, die mit starken Sternen überzogen enge Fernen auseinanderbogen und sich wandelten wie eine Schlacht;

andre, die mit in den Mond gestreuten Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten, sich ergaben, oder durch geschonte Parke graue Edelsitze zeigten, die er gerne in dem hingeneigten

Haupte einen Augenblick bewohnte, tiefer wissend, daß man nirgends bleibt;

und schon sah er bei dem nächsten Biegen wieder Wege, Brücken, Länder liegen bis an Städte, die man übertreibt.

Und dies alles immer unbegehrend hinzulassen, schien ihm mehr als seines Lebens Lust, Besitz und Ruhm.

Doch auf fremden Plätzen war ihm eines täglich ausgetretnen Brunnensteines Mulde manchmal wie ein Eigentum.

Im Spätsommer 1908 hat Rilke in Paris mit diesem G edicht1 einen schönen Be­

weis seiner mühsam gewonnenen Identität angetreten und darin zugleich au f die elmentare Bedeutung des Reisens verwiesen, mit dem es ihm immer w ieder ge­

lingt, sich aus aller Bindung herauszulösen und mit w iedererlangter Fremdheit zu suchen, was ihm ganz allein eigentümlich zu werden vermag. Die Unkosten die­

ser Lebenshaltung bleiben hier nicht verschwiegen. Immer w ieder werden M en­

schen verprellt und verlassen, zu denen es Nähe gab, abrupt und ohne Veständi- gung, und selbst Liebe vermag den Trieb des einsamen Aufbruchs nicht dauerhaft zu stoppen, denn er hing an solchen Reisenächten anders als an je d e r Liebes­

nacht. Daß hier dieses W örtchen anders wie ein m ehr gelesen sein will, verrät die letzte Strophe, denn dem Fremden gilt die Suche nach immer neuer Fremde m ehr als seines Lebens Lust, Besitz und Ruhm, mehr als alles au f der Welt. Am Ende erfahren w ir sehr genau, wo dieses rücksichtslose und in ewigem Aufbruch immer wieder alles hinter sich lassende Leben sein Glück findet: in der Mulde eines ausgetretenen Brunnensteines auf irgendeinem Platz in der Fremde. Es ist die sichtbar gewordene Spur des ewigen Alltags, wo M enschen sich seit eh und je das elem entar wichtig W asser holen, hier kommt der immer Bewegte für einen Moment zu einer glücklichen Stille, weil es ihm gelingt, die Grenzenlosigkeit des Lebens in faßlicher W ahrhaftigkeit an sich zu binden wie ein Eigentum. Für Rilke ist dieser bindende Moment wahrhaftig, wenn er sich sprachlich greifen läßt. So ist sein Reiseziel immer w ieder zugleich ein sprachliches, die Möglichkeiten des Sagbaren zu erweitern. Glücklich wurde das Reisen dann, wenn die neuen Hori­

zonte in unmittelbarer Heftigkeit auch seine inneren in Erschütterung versetzten und begeistertes Aufgewühltsein eine neue Sprache m it sich zog.

1 R ilke, R.M.: Werke in drei Bänden. Hg. von H. Nalewski. Bd. 1. Gedichte. - Leipzig 1978, S.529

Das ganze Gedicht macht deutlich, wie überaus subjektiv Rilke sein Reisen anging. N icht nur, daß er sich rücksichtslos aus aller Gesellschaft löste, um gera­

dezu willkürlich frei zu werden. Allein so konnte es zu den geliebten Reisenäch­

ten kommen, die vor lauter Eigenwilligkeit fast unnachvollziehbar werden, wenn sie etwa enge Fernen auseinanderbogen oder gar m it in den M ond gestreuten Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten, sich ergaben. Hier hat sich nicht nur ein Mensch au f die Reise gemacht, sondern auch die Sprache selbst. W orte verlassen ihren festen W ohnsitz und fahren im Verkehrssystem der Syntax an unvertraute Stellen, sind vom Reisefieber infiziert und suchen das Spiel der Unordnung.

Wenn ich bislang die lyrische Gestalt D er Fremde bedenkenlos mit Rilke selbst identifiziert habe, so war es das Wissen um seine Suche nach den ihm ge­

mäßen Orten und Wegen, die mir diese Gleichsetzung nahelegte. Die Rede von den Edelsitzen, die er gerne in dem hingeneigten Haupte einen Augenblick be­

wohnte, tiefer wissend, daß m an nirgends bleibt, auch sie scheint mir ganz direkt au f das eigene Leben zu verweisen, auf die vielen Schlösser und Gutshäuser, die er für kurze Zeit als G ast bewohnte, wie auf die typisch hingeneigte Haltung sei­

nes Körpers. Diese Neigung ist keine unterwürfige gegenüber einer Aristokratie, in die er sich hätte hineinschmeicheln wollen, wie viele seiner Kritiker meinten und manche immer noch meinen, sondern auch hier geht es allein darum, sich als Fremder in einer Subjektivität zu behaupten, die ihm das Glück beschert, die W elt an vielsagender, weil von der Geschichte reichlich durchtränkter Stelle für einen Augenblick als ganze bewohnbar werden zu lassen, gerade im tieferen Be­

wußtsein dessen, daß es kein Bleiben gibt.

Und dennoch ist es natürlich auch hier nicht legitim, eine lyrische Figur mit dem A utor zu identifizieren, denn im Gedicht hat D er Fremde eine Identität, die bei aller Unruhe des unablässigen Reisens gerade durch die sprachliche Faßbar­

keit einen Grad der G ewißheit erlangt hat, die einem wirklich lebendigen M en­

schen nur in den besten Stunden begegnet, um dann w ieder so völlig zu ver­

schwinden, als gäbe es nicht den Hauch einer Chance, ihr je erneut zu begegnen.

Das G edicht ist im Zenit einer überaus seltenen Ankunft geschrieben, in der sprachlichen Heraufbeschwörung des Augenblicks, da es gelingt, sich auf einem fremden Platz die Mulde eines täglich ausgetretenen Brunnenensteines so eigen­

tüm lich werden zu lassen, daß sie m it ganzer Seele bewohnbar wird.

Auch diese dauernde Suche nach innerer W ohnung unterscheidet Rilke von den Reisegewohnheiten der Touristen, für die es au f ihren Stationen immer nur ein Übernachten gibt. Rilke w ohnt und sein Reise gilt ihm erst dann als geglückt, wenn sie keine Rückkehr zuläßt, weil die neu erschlossene W elt ihn so

verwan-delt hat, daß er nicht mehr zurückkehren kann zu dem, der er einmal war. Die universal verwandelnde Kraft wirklichen Reisens duldet keinen Ausgangspunkt, der sich nach abgeschütteltem Abenteuer wieder aufsuchen ließe, als wäre nichts geschehen.

Unter diesem Stem höchster Erwartung reist Rilke im November 1912 nach Spanien. Bis an Städte, die man übertreibt, so hatte es in seinem Gedicht gehei­

ßen. W enn es eine Stadt gab, an deren Übertreibung Rilke in geradezu systemati­

scher Begeisterung gearbeitet hat, so heißt diese Stadt Toledo. Systematisch will hier nicht bedeuten, daß er sich etwa bemüht hätte, möglichst umfassende Infor­

mationen über G eschichte und Kultur Toledos zu sammeln, um sich mit aufgerü­

stetem W issen des Ortes zu bemächtigen. Im Gegenteil. Ihm ging es ja nicht um eine W issenserweiterung, sondern um den Sprung in ein Ungewisses, in eine an­

dere Q ualität des Wissens. Rilke suchte nach einer Feme, die ihm eine gesteigerte Nähe zu sich selbst verheißen konnte. So wird gerade das Reisen zu einem frene­

tischen Versuch des Arbeitens. Der aufgesuchte O rt soll freisetzen, wenn möglich sogar gleichsam selbst aussprechen, was Rilke gebunden au f der Seele liegt, sich also noch nicht lösen, noch keiner neuen Sprache anvertrauen will. Der Feme wird mit aller Kraft entgegengefiebert, weil gerade ihr zuzutrauen ist, das zutiefst Eigene endlich zu sagen.

Toledo wird nicht willkürlich zu dem höchsten Ziel seiner Spanienreise.

Der Ort ist ein sorgfältig vorbestimmter. Rilke reist nicht ins Blaue. Er verläßt sich nur dann auf den Zufall, wenn er mit verläßlichem Instinkt spürt, daß gerade ihm etw as zufallen wollte. Dann macht er sich an die Arbeit und bestellt die Län­

der seines Reisefiebers in dem schönen Sinn, wie der Bauer seine Felder bestellt M acht er sich auf den Weg, so sind ihm die Länder durchaus nicht neu, denn er hat sie mit der ganzen Heftigkeit seiner Vorstellungskraft bearbeitet und besetzt, bevor er sie mit eigenem Fuße betritt. Der Aufbruch ins Neue geschieht ganz im Zeichen dieser Vorbesetzung und wird aufregend bis ins Abenteuerliche, wenn Anregung in ihm frei wuchernd das Steuer übernimmt. So wird er fähig wie kei­

ner, sich mit einer fremden Landschaft zu verschwören und mit Städten zu liie­

ren. Je inniger eine solche Verschwörung gerät, je dichter das Netz der angereg­

ten Erregung wird, desto markanter prägt die Reise sein Sehen und Schreiben.

Etwa zehn Jahre trägt Rilke den Plan einer spanischen Reise in sich aus, be­

vor er dann im November 1912 die Grenze dieses Landes tatsächlich überschrei­

tet.

Bereits am 8. April 1903 schreibt er seiner Frau Clara aus Viareggio: "Ich weiß nicht zu sagen, wozu es kommen wird, und ob der spanische Plan sich

durchsetzen wird oder irgendein anderer, vielleicht noch gar nicht benennbarer.

Es nützt auch nichts, davon zu reden jetzt, und ich denke, eines Tages wird man es wissen und tun. Und wissen und tun wird Eines sein."2

Und auch damals schon ist dieser Reiseplan ganz eng an den W unsch ge­

knüpft, sein Arbeiten voranzutreiben. Etwas später heißt es im gleichen Brief:

"Jeder muß in seiner A rbeit den Mittelpunkt seines Lebens finden und von dort aus strahlenförmig wachsen können, soweit es geht. Und dabei d arf ihm kein Zweiter zusehen und gerade der Nächste und Liebste nicht: denn nicht einmal er selber d arf es. Es liegt eine Art Reinheit und Jungfräulichkeit darin, in diesem von sich selbst Fortschauen; es ist, wie wenn man zeichnet, den Blick an das Ding gebunden, verwoben mit der Natur, und die Hand geht allein irgendwo un­

ten ihren Weg, geht und geht tief unter dem Gesicht, das wie ein Stem über ihr steht, das nicht schaut, nur scheint. Mir ist, als hätte ich immer so geschaffen:

das Gesicht im Anschauen ferner Dinge, die Hände allein. Und so muß es gewiß auch sein. So will ich w ieder werden mit der Zeit; aber dazu muß ich so einsam bleiben, wie ich es jetzt bin, meine Einsamkeit muß erst w ieder fest und sicher sein wie ein nie betretener Wald, der sich nicht vor Schritten fürchtet. Sie muß alle Betonung verlieren, jeden Ausnahmswert und jede Verpflichtung. Sie muß Alltag werden, das Natürliche und Tägliche, die Gedanken, die kommen, auch die flüchtigsten, müssen mich ganz allein finden, dann werden sie sich w ieder entschließen, mir zu vertrauen; es gibt nichts Ärgeres für mich, als mich der Ein­

samkeit zu entwöhnen: und ich war es fast. Darum hab ich jetzt weite Wege zu gehen, Tag und Nacht, zurück durch alles Vergangene und Verwirrte. Und dann, wenn ich an den Kreuzweg komme und die Stelle wiederfmde, wo das Irren an­

fing, dann will ich Werk und Weg Wiederbeginnen, schlicht und ernst, als der Anfänger, der ich bin.”

Dieser B rief hat viele Dimensionen. Hier ist nicht nur vorgezeichnet, daß Rilke die nicht einmal zwei Jahre alte Ehe auf lange Sicht wohl nur in Trennung zu leben vermag, weil die Liebe zu seiner Einsamkeit alle sonstige Partnerschaft verbietet. Darüber hinaus ist hier anschaulich beschrieben, wie er sich seine poe­

tische Praxis allein vorzustellen vermag: zurück durch alles Vergangene und Verwirrte, in alltäglicher, aller Verpflichtung entkommener Einsamkeit das ei­

tische Praxis allein vorzustellen vermag: zurück durch alles Vergangene und Verwirrte, in alltäglicher, aller Verpflichtung entkommener Einsamkeit das ei­