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Um M ariannes unvernünftige Entscheidung für Alfreds Liebe zu verstehen, muß m an auch die negative Besetztheit dieses Begriffs bzw. Gefühls in Betracht zie­

hen. D er Rittm eister hält Liebe für kostspielig11 - einerseits w ieder ein Beweis für die Rangordnung dieser Welt. Wenn's Geld kostet, kann's nichts Gutes sein.

Zugleich ein H inw eis darauf, w as man unter Liebe versteht: Körperlichkeit, die

7 ln der Aufzeichnung solcher Mechanismen sieht die Horváth-Forschung einen wesentlichen literarischen Beitrag zur Faschismusdebatte. Siehe dazu u.a.: SchOnemann, Eckhard: Kritik des Faschismus im Werk Ödön von Horváths. Untersuchung zur Literatur der Weimarer Republik. - München 1984.

8 Horváth, op.cit., S. 168.

9 Ebenda, S. 171.

10 Ebenda, S. 149.

11 Ebenda, S .113.

zu kaufen ist. Wie die nicht mehr junge Trafikantin sie ebenfalls mit Geld er­

kauft: sie hält Alfred, dann Erich aus, der mit seiner preußischen Direktheit ohne Scham ausspricht: D ann schon lieber eine reifere Frau, die einem auch etwas geben ka n n .12 Der Inbegriff von männlicher Brutalität, Havlitschek, der sogar die Frau, die er nimmt, als dummes Luder beschimpft und dementsprechend behan­

delt (die M etzgerei-Rituale, das Sau-Abstechen nennt er selber als Beispiel für den brutalen Umgang mit Frauen) - dieser Havlitschek erklärt die große Leiden­

schaft für etwas U ngesundes13 Zu diesem Konzept gehört die Denunzierung der Frau zu bloß äußerliche[m / F le is c h14 Fleisch, gewonnen durch Abstechen, dienlich zum Auffressen. Als Ergänzung zu diesem Bild hat Marianne noch die Liebesauffassung des eigenen Vaters, der die früh verstorbene Frau bissiges M istvieh15 nennt, die ihm das ganze Leben verpatzt16 haben soll, und der, w äh­

rend er gegen die verdorbene Moral der heutigen Zeit predigt, an Valeries Korsett riecht.

Dieser Kontext befreit Mariannes Entscheidung für Liebe von dem V er­

dacht der Dummheit. Sie sucht nach Erlösung. Nach einem Erlöser, der sie aus diesem Sum pf der Lügen befreit. Aus dem Schmutz, der sie bedrohend-erstickend umringt. Horváths Bild dafür: Marianne muß das ganze schmutzige Zeug durch­

w ühlen17, um Vaters Sockenhalter zu finden.

Die Überspanntheit der Liebeserwartungen von Marianne erklärt Horváth mit der Dichotomie, die auch um diesen Begriff herumrätselt: Havlitscheks Be­

hauptung, die große Leidenschaft sei etwas Ungesundes, entpuppt sich als eine Replik auf Idas romantische Begeisterung für Liebesgefiihle. Genauer: auf ihre bloß au f der verbalen Ebene praktizierte Begeisterung und Bewunderung der Liebe. Dieses sich gefühlsbetont zeigende Mädchen gibt sich dann statt eines Ritters au f weißem Pferd mit einem der Freßsucht verfallenen Metzger zufrieden.

Nicht nur im Falle von Ida paart sich zu einem positiven Bild der Liebe der Verdacht der Verlogenheit. Die Liebe ist ein Edelstein / Und kann sich nicht ver­

zehren - wird an Mariannes Verlobungstag gesungen. Verzehrt wird in diesem

12 Ebenda, S. 133.

13 Ebenda, S 141.

14 Ebenda, S. 142.

15 Ebenda, S 118.

16 Ebenda. S. 176.

17 Ebenda. S. 116.

'* Ebenda, S. 126.

Stück alles: Liebe und Sehnsucht, Mensch und Wunsch. Oscar, der maskierte Havlitschek, behauptet bei der Versöhnung: lieben bereuet m ehr G luck als ge­

liebt zu w erden19 Der Spruch steht in krassem W iderspnich zu Oscars Wesen;

ihn charakterisiert das sich durch das Stück ziehende leitmotivische Fressen ge­

nauso wie die anderen Figuren: Alfred frißt Großmutters saure Milch auf, Erich und der Rittm eister Valeries Salami, Havlitschek frißt ständig, immer blutbe­

schmiert, O scar jedoch, am gleichen Ort, ist sauber und elegant, und tarnt seine Freßsucht mit Bonbonkauen 20 Die Sau abzustechen ist er genauso bereit wie Havlitschek. Und wenn er zu Marianne sagt: du entgehst m ir nicht, klingt das wie eine grausame Bedrohung, und am Ende entgeht das niedergeschlagene, kleinge­

tretene M arianne-Tier dem Riesen-Metzger tatsächlich nicht. Das Wild ist zwar erlegt, die Jagd nach Glück gilt jedoch trotz der Trophäe w ieder als gescheitert.

Zu einer Selbtbesinnung kommt es auch diesmal nicht: verantwortlich fürs Unglück hält man letztendlich die Planeten, wie man sich gegenseitig bestrahlt.

Valerie, die diesen Trost ausspricht, stellt damit am Ende die verlogene Harmonie w ieder her. W enn sie von Alfred, gestern noch ein gemeines Tier genannt, be­

hauptet: A uch das ist doch nur ein M ensch21, schließt sich der Kreis, die ver­

kehrte Moral w ird in ihrem Rang erneut bekräftigt.

M arianne sagt keine Sprüche, die die Liebe verkitschen. W eder der Trieb noch die V erlogenheit führt sie zu Alfred. Eher ein Mangelgefühl. Sie ist viel al­

lein. G anz im G egensatz zu den sie umgebenden Figuren. Daher auch ihr Flucht­

versuch.

Sie stellt außer der an Gott gerichteten Frage auch eine andere, und auch mit dieser Frage steht sie allein: Was ist Liebe? Oscar, der mit den gewohnten Liebesvorstellungen absolut problemlos auskommt, wird ungeheuer wütend, so einen G em einplatz in Frage gestellt zu sehen, und läßt au f einmal das in ihm sorgfältig verborgene Tier heraus: ich möcht dir m al die H irnschale herunter und nachkontrollieren, was- du da drinnen denkst 22 Diesmal eine Selbst-Demaskie- rung: der Ausbruch ist w eniger ein Beweis für seine vielbeteuerte zarte Liebe, als vielm ehr für seinen aggressiven Trieb, M arianne zu beherrschen, sogar über ihre G edanken zu verfügen. M arianne zerkleinern und in Besitz nehmen. Ein

Vorzei-19 Ebenda, S.200.

20 Vgl. dazu: HACKERT, Fritz: Geschichten vom Gefressenwerden. Zur Ästhetik des Entsetzens hei Ödön von Horväth. - In: Zur Ästhetik der Moderne. - Tübingen: Niemeycr 1992.

21 A lle v o r a n g e g e n a g e n e n Z ita te : Ho r v ä t h, o p .c it., S .2 0 1 . 22 Ebenda, S.l 17.

chen für seine verlogene Zärtlichkeit und eigentliche Brutalität w ar schon die Kußszene: er gibt M arianne einen Kuß, der eigentlich ein Biß ist. Und die Bon­

bons, die er Marianne anbietet, sind ebenfalls keine Liebeserklärungen, sondern Mittel, sie zu erkaufen und in Abhängigkeit zu locken. O scar gibt ein paar Bon­

bons, und meint dafür einen ganzen Menschen beherrschen zu dürfen.

Vor diesem Hintergrund scheint Mariannes und Alfreds Liebe fern von dem niederträchtigen Schmutz derjenigen verkommenen W elt zu entstehen, wo man sich au f humane W erte beruft, während man mit den anderen au f die gemeinst- mögliche Art umgeht (siehe des Zauberkönigs falsche Predigt am Verlobungstag, das Verstoßen der eigenen Tochter im Namen der Moral etc.) - nun: Mariannes und Alfreds Liebe scheint sich tatsächlich nicht mit einem Erkaufen oder einem Fressenstrieb verbunden anzubahnen; die beiden erblicken einander, und da pas­

siert etwas. Wie sie später formuliert: ist ihr plötzlich unheimlich geworden. Et­

was Irrationales, ein Gefühl, w ofür man keine Gründe nennen kann - der Hierlin- ger Ferdinand (bzw. der von ihm zitierte Spruch) beschreibt den Vorgang auf seine zynisch-rohe Art: Wenn die Lieb erwacht, sitzt der Verstand im H intern23.

Eine Liebe au f den ersten Blick: da wird nichts berührt, nur erblickt. Das durch­

sichtige Glas des Schaufensters zeigt Marianne wie eine schöne Puppe: ihre Un­

berührtheit ist dadurch genauso betont wie ihre Unselbstständigkeit. Und tatsäch­

lich wird auch sie als Marionetten-Figur das ihr vorbestimmte Schicksal vollen­

den. Bereits dieses Bild kündigt auch vom Unheilvollen der sich erst anbahnen­

den Geschichte: M arianne arrangiert gerade ein Skelett, als sie Alfred erblickt.

Die Liebe entsteht im Schatten des Todes.24 Tod und Erotik, Leben und Tod ste-hen in Horvaths Stück in enger Verbundenheit. 25 Das Mädchen im Schaufenster ahnt noch nicht, wem sie sich verkauft.

IV. G ro ß und klein

M arianne meint a u f jeden Fall in Alfred ihren Schutzengel gefunden zu haben.

Sie sucht w eniger den Mann, eher einen metaphysischen Schutz. Sie will dem schweigenden und in seiner Größe bedrohenden Weltall gewachsen sein. Du

23 Ebenda, S. 147.

24 Vgl. S t r e l k a , Joseph: Ödön von Horváth. Die Wirklichkeit als Tor zum Irrealen. - In: D ers.: Brecht, Horváth, Darrenmatt. - Wien: Forum 1962, S.95.

25 Vgl. Oscars Aussage über den Tod der Mutter, eingebettet in das Freß-Klima der Metzgerei: Nach dem Essen um halb drei - da hatte sie unser Herrgott erlöst. (S. 111); Tod und Erotik treten Hand in Hand hervor, als der Zauberkönig über den Brustkrebs-Tod der Frau referiert, während er auf Valeries Busen stiert (ebenda, S.131).

machst mich so groß und weit - sagt sie zu Alfred. Sie, die vom Vater tyrannisiert und gedemütigt wurde. Sie, auf die auch bei dem riesigen Metzger nur die Rolle der N iedergetretenen wartete. Die kleine Marianne kann aber auch bei Alfred nicht großwerden: der Schutzengel behandelt sie ganz im Sinne des erlebten ab­

stoßenden Musters: den Sockenhalter läßt ja auch Alfred sie suchen. Ich werd ganz klein vor dir in seelischer Hinsicht26 [Herv. Zs.B ] - hieß ein Liebeswort von Alfred. Das darin implizierte Versprechen ist offenbar nicht eingelöst w or­

den.

Der uneingeschränkte Autoritätsanspruch des Zauberkönigs bestimmt das Klima in M ariannes Elternhaus. Die Funktion der Tochter ist nicht einen Au­

genblick lang zu bezweifeln: Nicht einmal einen D iensthot kann man sich hallen.

Wenn ich meine Tochter nicht halt - so der Vater. Marianne soll ihm dienen. Wie eine Frau einem Mann zu dienen hat. Erst mit dem Ungehorsam der Tochter nimmt diese Geschichte ein abruptes Ende, zugleich auch die vom Vater/Oscar vorgesehene, ganz nach diesem Schema gedachte, andere - eigentlich gleiche - mit Oscar. Indem Marianne das Bewährte in Frage zu stellen wagt, meint sie ei­

nen völlig neuen Weg finden zu können. Ihr Weg führt ins Freie. Die spielerische Kraftprobe (K einer darf, wie er will / Und keiner will wie er d a r f / Und keiner darf, wie er kann / Und keiner ka m , wie er soll21), die nach gemeinsamer M eiste­

rung in den ersten Kuß mündet, deutet einen wesentlichen Antrieb der beiden an:

sie wollen Zwängen entkommen. Sich von Abhängigkeiten befreien.