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HEVESI UND DIE LITERATUR- UND THEATERKRITIK DER JAHRHUNDERTWENDE

In document geschichtsforschung in wien (Pldal 77-80)

Hevesi hat wahrscheinlich im Bereich der Theaterkritik nicht die Pio-nierarbeit geleistet, wie in der Kunstkritik, zweifellos verfügte er aber un-ter den zahlreichen Kulturjournalisten der deutschsprachigen Presse über eine unverwechselbare Stimme und ein markantes kritisches Profil. Nie verfehlte er die ursprüngliche Zielsetzung der Theaterkritik, die Orientie-rung des Publikums auf hohem Niveau. In dieser Hinsicht stand er seinen berühmten Zeitgenossen, etwa Hermann Bahr und Alfred Kerr, in nichts zurück. Weshalb Bahr und Kerr der Ansicht der Literaturwissenschaft nach für diese Epoche bis heute als Leitfiguren der Kritik gelten, hängt da-mit zusammen, dass sie die um diese Zeit entstandene, als innovativ gelten-de impressionistische Literaturkritik am vollkommensten repräsentierten.

Nach der traditionellen kritischen Praxis der Normsetzung brachte näm-lich die Offenheit der impressionistischen Kritik einen richtigen Paradig-menwechsel und wurde von den Zeitgenossen begrüßt, wie es das folgende Zitat zeigt:

Die Zeit der behäbigen Onkelhaftigkeit in der Kritik, des wohlwollenden oder stirnrunzelnden Zensurausteilens von anno Sarcy ist glücklicherweise ebenso vorbei, wie die der fixen, stets paraten Maßstäbe, des unentwegt ent-schiedenen Ja- und Neinsagens – dieses ganz lächerlichen Papsttums über-haupt.6

Um den modernen Bestrebungen kein Hindernis stellen zu müssen, verzichteten die impressionistischen Kritiker auf die Nachprüfung stabiler ästhetischer Maßstäbe, statt dessen versuchten sie sich in das Werk völlig einzuleben und ihre Eindrücke dabei zu registrieren. Zweifellos fühlte es zur Formulierung subjektiver Meinungen, das wichtigste Merkmal des im-pressionistischen Kritikers war jedoch nicht die Absage von der Wertung schlechthin, sondern die Bereitschaft des Nachfühlens. Hermann Bahr selbst charakterisiert dieses Verhalten folgendermaßen:

Der Kritiker hat irgend einen Eindruck gehabt, diesen Eindruck will er darstellen und will ihn dann vor sich selber rechtfertigen. Er ist ein guter Kritiker, wenn er fähig ist, erstens überhaupt einen Eindruck zu haben, zweitens diesen Eindruck darzustellen und drittens sich über diesen

Ein-6Goth, 1907. 13–14.

druck Rechenschaft zu geben. Gelingt ihm das, so hat er alles erreicht, was ein ehrlicher Kritiker überhaupt erreichen kann.7

Eine Kritik hatte sich demnach auf die Wiedergabe des Theatererleb-nisses zu beschränken, dies aber mit solcher Suggestion und einmaligen sprachlichen Ausdruckskraft, dass die kritischen Texte nicht selten das Ni-veau eines literarischen Textes erreichten, was insbesondere die Ambition von Alfred Kerr war.

Hevesi gehörte nicht in diese Kategorie der impressionistischen Kriti-ker. Er war mindestens 20 Jahre älter als die vorhin genannten; bei seiner Propagierung der zeitgenössischen Literatur war jedoch der Altersunter-schied nicht bemerkbar. Genauso gut wie jene verstand er es auch mit Me-tapher, Wortspiel und Satzdynamik umzugehen, seine eigenen literari-schen Versuche – Skizzen, Humoresken und Erzählungen – füllten doch mehrere selbstständige Bände.8 Was er in diesen in stilistischer Hinsicht vollbrachte, war von den Zeitgenossen stets anerkannt. In der Theaterkri-tik war für seine Schreibweise über die jetzt Erwähnten hinaus die Ironie bestimmend; Pathos und Berührung wurden nur in Ausnahmefällen gedul-det. Dieser Stil allein macht darauf aufmerksam, dass Hevesi seine kritische Distanz nie aufgab. Zum Aufgehen im Theatererlebnis, wie die impressio-nistischen Kritiker, war er nicht bereit; er behielt ständig seine eigenen – absolut modernen und gleichzeitig klassischen – Wertmaßstäbe. Damit ist er in dieser Zeit allerdings nicht allein; von den namhaftesten deutschspra-chigen Kritikern haben unter anderen der viel jüngere Berliner Julius Bab und der Wiener Felix Salten, ihre Wertvorstellungen und Erwartungen genauso bewahrt.

Hevesis Theater- und Literaturkritik war verständlicherweise von der kunsttheoretischen Auffassung der Sezession stark geprägt; in Abgrenzung von der impressionistischen Kritik à la Bahr und Kerr, könnte man auf Grund der vermittelten ästhetischen Ansichten sowie der sprachlichen Gestaltung, seine Literatur- und Theaterkritik sezessionistisch nennen.

Will man den Hauptmaßstab bei der kritischen Wertung von Hevesi bestimmen, so lässt sich die Verbindung des Ästhetischen mit dem Ethi-schen als das entscheidendste Moment ausweisen. Das theoretische Funda-ment dazu mag für ihn von den englischen Präraffaeliten her gekommen sein, wie es eine englische Kunsthistorikerin, mit dem Namen Amalia S.

7Bahr, 1911.205.

8Die letzte Auswahl seiner Skizzen, Humoresken und Reiseberichte:Hevesi,1990.

Levetus, ein Jahr nach Hevesis Tod in ihren, imPester Lloyd veröffentlich-ten Erinnerungen, beteuerte. Sie kannte Hevesi persönlich, zwischen ih-nen entwickelte sich eine Art Freundschaft. Auf Grund ihrer Gespräche nannte Amalia Levetus John Ruskin den englischen Lieblingsautor von Hevesi und sie hob auch seine tiefgehenden Kenntnisse in der englischen Literatur hervor.

Hevesi spürte lebenslang eine tiefe Sympathie für die Kunstauffassung der englischen Präraffaeliten,9welche bekanntlich für die englische Sezes-sion von großer Bedeutung waren. Nach den Präraffaeliten hatte das Kunstwerk eine ethische Aufgabe zu erfüllen, somit bildeten bei ihnen Ethik und Ästhetik eine Art Symbiose. Manche Äußerungen von John Ruskin lassen zwar darauf schließen, dass er geneigt war, die Ästhetik der Ethik unterzuordnen, seine Kenner machen aber darauf aufmerksam, dass es letztlich unentscheidbar bleibt, ob in seiner Gedankenwelt die Ethik von der Ästhetik unterstützt wurde oder umgekehrt.10

Hevesi war allerdings für die Priorität des Ästhetischen, wie es seine Re-zension über das 1908 erschienene, großes Aufsehen erregende Buch des am Anfang zitierten ungarischen Schriftstellers Ludwig Hatvany, mit dem TitelWissenschaft des Nichtwissenswerten, nahelegt. In der Rezension protes-tiert Hevesi, gleichsam der Verfasser, gegen den seelenlos gewordenen Un-terricht der antiken Kultur in den humanistischen Gymnasien. Beide war-nen vor der Tendenz, die hellenische vor der klassischen antiken Kultur zu bevorzugen, weil dadurch die historisch-politischen Umstände zu einer hö-heren Bedeutung kämen als die ästhetischen Werte. Bezeichnenderweise zitiert Hevesi diesbezüglich aus dem Buch Hatvanys dessen Befürchtung herbei, „dass die humanen Wissenschaften durch absichtliche Ertötung ih-res ästhetischen Sinnes um die Humanität gebracht werden“. 11 Daraus kann man den Schluss ziehen, es kommt bei Hevesi vor allem auf Bewah-rung der Konditionen der Humanität an, dies scheint aber erst die Erhal-tung der ästhetischen Qualität zu ermöglichen.

9Levetus, 1911. 2–4.

10megaè, 1988. 29.

11Hevesi, 1908. 2.

3. CHARAKTERZÜGE DER THEATERKRITIK

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