• Nem Talált Eredményt

CHARAKTERZÜGE DER THEATERKRITIK VON HEVESI

In document geschichtsforschung in wien (Pldal 80-87)

3. 1. Intermediales Herangehen an literarische Texte

Hevesi wollte sein kunsthistorisches Interesse auch in den Theaterbe-richten nicht verleugnen: nie verpasst er die Gelegenheit, auf die Berüh-rungspunkte zwischen Literatur und Bildenden Künsten aufmerksam zu machen. Für ein solches, intermediales Herangehen bietet das sezessionisti-sche Theater nicht selten Möglichkeit, war doch die Idealvorstellung der sezessionistischen Künstler gerade das Gesamtkunstwerk. Es ist selbstver-ständlich, wenn Hevesi als Theaterkritiker auf ein Theaterstück vom Charakter eines Gesamtkunstwerks trifft, dann versäumt er nicht, sowohl von dem literarischen als auch von dem visuellen Erlebnis gleichwertig zu berichten. Einen günstigen Anlass bieten dazu die berühmten illustrierten Dramen, Maeterlincks Stück Der Tod des Tintagiles, zu dem Ferdinand Khnopff Illustrationen malte, und Oscar Wildes Salome, das mit den Zeichnungen von Aubrey Beardsley herausgegeben wurde. Für die inter-mediale Darstellungsweise Hevesis ist bezeichnend, dass die Besprechung des dramatischen Werkes durch eine Bildbeschreibung ergänzt wird, wobei in dem ersten Falle z. B. Bild und Text bzw. szenische Darstellung unmerk-lich ineinander übergehen: Als das „ergreifendste“ dieser Bilder Khnopffs beschwört Hevesi die Szene mit der eisernen Tür herauf, die wie eine

„eherne Felswand“ erscheint; gleich danach berichtet er von den Tönen und Lauten, die zu der Theateraufführung gehören:

[…] man sieht kein Schlüsselloch, keine Angeln, keinen Türspalt, und doch muß einer vorhanden sein […] und an dieser Türe muß Ygraine in ohn-mächtiger Verzweiflung lauschen und hören, wie hinter der Türe Tintagi-les erwürgt wird. Er spricht mit ihr und sagt alTintagi-les, was jenseits vorgeht, bis er „eine Hand an der Kehle fühlt“ und dann nur noch sein Todesschrei durch das Eisen dringt.12

In dem ersten Satz des obigen Zitats dominiert noch die Wahrneh-mungsperspektive des Bildbetrachters, in der Fortsetzung wird der Leser des Theaterberichtes schon in den Zuschauerraum versetzt.

12Hevesi, 1902/1. 3.

Auch dem Bericht von WildesSalomewird der visuelle Effekt mit dem akustischen, für den der dramatische Text sorgte, gleich verknüpft. Durch die Art und Weise einer solchen Darstellung erfährt nicht nur das konkret besprochene Bühnenstück, sondern auch das Gesamtkunstwerk schlecht-hin seine Bestätigung:

Es ist die Vision Eines von der präraffaelitischen Brüderschaft, Bild um Bild, nur mit den Augen zu verstehen, auf den ersten Blick und unvergeßlich.

Zu diesem malerischen Element gesellt sich noch das musikalische. Wie eine tragische Mondscheinsonate ist das Stück geführt, mit einer Polypho-nie von Instrumenten. Manche Reden klingen wie Präludien. Dann kom-men von Zeit zu Zeit Akkorde, wie von Harfenbegleitung, immer diesel-ben, refrainartige, seltsame Echos, die ein Instrument wieder aufnimmt, weiterspinnt. Es scheint ein Kompositeur zu dichten.13

Während Hevesi auf manche Einzelheiten der Aufführung im Deut-schen Volkstheater, insbesondere auf Kostüm und Spiel der Hauptdarstel-lerin, näher eingeht, macht er gleichzeitig aufmerksam darauf, dass ihr letztes Kostüm in Wien „lediglich aus Schmucksachen zu bestehen scheint“ und er bezeichnet dies ironisch als „Trikotfreiheit“. Daraufhin bringt er die Salome-Illustrationen von Aubrey Beardsley in Erinnerung, um den gewagten theatralischen Effekt noch mehr zu verstärken:

Der Typus, den dieser geniale Zeichner […] erfand, ist der einer Prinzessin Vampyr, mit dünnen Blutsaugerlippen, und einer erwürgenden, tropischen Kletterblume, juwelenprächtig und gifthauchend, und einer unheimlich schmiegsamen, immer nach Beute schleichenden Rau bkatze, deren spezifische Gebärde das Lechzen ist. Man kann ihr verzwicktes, kleines Hexenprofil nicht vergessen, dieses Spiel der Nüstern und Lauern der Augen, der Ohren, der kleinen spitzen Zähne. Ein reizendes Dämönchen, voll folternden Geprickels und tödtlichen Nervenkitzels […]. Nur die Kostüme, die diese Person trägt!

Dieses System von unerwarteten kleinen und großen Décollétés, die überall verwirrende Pointen aufsetzen, mit einem förmlich psychologischen Instinkt […] Das ist die Salome einer Kunstepoche, die das Perverse künstlerisch zu ge-stalten wagte. Welch eine weite Strecke seit der Salome Henri Regnault’s, die vor 1870 solchen Aufruhr erregte, das gelb-in-gelbe Bild mit rabenschwarzem Haarmasse des hochbusigen, fleischstrotzenden Weibes. Regnault war eine Unschuld im Vergleiche zu Au brey Beardsley und Oscar Wilde.14

13Hevesi, 1903/2. 5.

14Ebd.

Wie aus dem Obigen hervorgeht, lässt sich bei Hevesi das literaturkriti-sche von dem kunstkritiliteraturkriti-schen Interesse nicht trennen. Die künstleriliteraturkriti-sche Technik sowohl von Wilde als auch von Beardsley gipfelt nach ihm in dem

„psychologischen Instinkt“; und was er als ästhetische Lehre formuliert, gilt gleichermaßen für die gesamte sezessionistische Kunst und Literatur:

er hält es für ein Novum seiner ‚Kunstepoche‘, dass sie „das Perverse künstlerisch zu gestalten wagte“.15

Was Hevesi eigentlich beschäftigt, ist in erster Linie nicht das Perverse, sondern ein ganzes Problemfeld der Moderne seit Baudelaire: die Darstell-barkeit des Widerwärtigen, Normwidrigen in der Kunst.

3. 2. Literarästhetische Maßstäbe

Hevesi hat kein literarästhetisches Programm entworfen, in seinen kri-tischen Schriften vertritt er jedoch konsequent solche Ansichten, anhand derer sich ein kohärentes literarästhetisches Paradigma rekonstruieren lässt. Dass die Begriffe dabei schwanken oder auf eine eigentümliche Weise miteinander vermischt werden – Ibsen und Hofmannsthal nennt er z. B.

„zwei verschiedene Arten moderner Romantik“ –,16 soll nicht verdecken, dass er sich nicht nur in der Kunst-, sondern auch in der Theaterkritik für die Moderne einsetzt. Mit hoher Begeisterung schreibt er über Autoren und Werke, die bis heute als deren Repräsentanten gelten – z. B. Ibsen, Maeterlinck, G. B. Shaw, Wedekind, Hofmannsthal –, und er ist sich auch ihrer Bedeutung bewusst, wenn sie in seinen Theaterberichten an die Spit-ze moderner Dramatik gestellt werden. Daneben formuliert Hevesi manchmal Thesen, die von literarästhetisch fundierten Kenntnissen und Überzeugungen zeugen und durchaus der ästhetischen Auffassung der Moderne inhärent sind. Wenn er unter Berufung auf die künstlerische Souveränität das moderne Theater von jeder didaktischen Verpflichtung freisprechen will, ist diese Absicht mit der Forderung der Moderne nach Autonomie in der Kunst verwandt:

Das Theater, meinte man früher, sei Erziehungsinstitut, und zwar im Sin-ne des Pensionats. Illustration gleichsam nur Literaturstunde und ‚zur Äs-thetik für Dramen‘. Gut, es ist auch das: Man gebe den Unreifen und

Halb-15Ebd.

16Hevesi, 1900/2. 3.

reifen ein Theater für Unreife und Halbreife, denn sie haben ein Recht darauf. Aber die Erwachsenen haben ebenso viel Recht auf ein erwachsenes Theater […] Politische, ökonomische, soziale, juristische, erotische The-men, für alles werden eigene Theaterleute komThe-men, denn alles ist theatra-lisch genug interessant zu gestalten. Bisher herrschte der histo-risch-anekdotische Standpunkt vor. Die beliebtesten Klassiker stehen fast durchaus auf diesem und werden vor allem als Jugendschriftsteller ge-schätzt. Sie leben nämlich in bürgerlich engen Zeitläuften und die deut-schen auch noch inmitten eines kleinstädtideut-schen Publikums. Das provin-zielle, spießbürgerliche Element lastete auf ihnen und zwang sie zum Paktieren. Euripides, Shakespeare, Goethe und Ibsen sind die Befreier, die Dichter von heute und morgen. In Wedekind würden sie sich fortgesetzt fühlen.17

Das obige Zitat zeigt gleichzeitig, dass es für Hevesi, sowohl in der bil-denden Kunst, als auch in der Literatur nur eine einzige unteilbare Litera-turentwicklung gibt. Bei aller Sympathie für die modernen Autoren will er die alten und die neuen, die Klassiker und die Modernen nicht einander ge-genüber ausspielen. Was für ihn allein gilt, ist die Qualität, es komme nach ihm nicht auf die Überwindung des Früheren, sondern auf das Gerecht-werden der eigenen Zeit an. Aus dieser Offenheit folgt, dass es ihm nicht schwer fällt, Dichter der Gegenwart von ganz anderer Problemstellung und Ausdrucksweise gleichermaßen hochzuschätzen. In der oben schon er-wähnten Darstellung moderner Dramatik charakterisiert er die Alternati-ven folgendermaßen: „Ibsen der scharfe, wache Freiluftdichter voll for-schender Fragen, Hofmannsthal der eingesponnene Traumwache […], ein Brüter und Deuter um des Brütens und des Deutens willen.“18

Ibsen nennt er „den großen Lügentöter“,19der „die moderne Reallüge in ihren verschiedenen Formen aufs Korn genommen [hat]. Die Familienlü-ge, EhelüFamilienlü-ge, LiebeslüFamilienlü-ge, LebenslüFamilienlü-ge, TugendlüFamilienlü-ge, – lauter Lügen, von de-nen Peer Gynt noch nichts geahnt hat.“20

In seinem kurzen Theaterbericht über den berühmten Hofmannsthal-schen Einakter Der Tor und der Tod erkennt er bereits alle wesentlichen Merkmale, mit denen die Fachliteratur nachträglich, auch heutzutage die-ses Paradebeispiel des Wiener Ästhetizismus kennzeichnet. Gleich am

An-17Hevesi, 1907/2. 1.

18Hevesi, 1900/2. 3.

19Hevesi, 1902/5. 2.

20Ebd., 3.

fang spricht er ihm das Typisch-Dramatische ab, indem er das Stück als Dichtung auffasst und deutet als

[…] das Gedicht eines Lesers, der viel gelesen hat und dem das Gelesene ebenso Erlebnis ist, wie das Erlebte. Sie ist ganz und gar aus diesem moder-nen Ästhetentum hervorgeblüht, mit ihren schon eingesargt gewesemoder-nen Farben, die im Lichte der neuen Sonne sich wieder in lebendige verwan-deln. In scheinbar lebendige, wie denn die Scheinbarkeit gerade einen Hauptreiz dieser Art von Kunst ausmacht. Es liegt auf ihr, in ihr, hinter ihr der Schein von irgend etwas Anderem, das Niemand recht kennt, der Künstler erst recht nicht. Alle Symbolik ist so.21

Nicht nur der spezifische Wahrnehmungsmodus des Ästhetizismus und die sich daraus resultierende Darstellungsmethode wird von Hevesi präzis erfasst, sondern auch das Schicksal des Ästheten, der „ein echtes Bildungs-produkt“ ist und als solches „nicht zum Produzieren kommt“.22Wenn von ihm Claudio als „Verbraucher“, „Aufsauger und Verdauer von raren Nähr-stoffen“ bezeichnet wird, kommt Hevesi zweifellos zu einem kongenialen Verständnis des Dilemmas der Wiener Moderne.23

Empört bekämpft er aber die extreme Variante des Ästhetizismus, den reinen Schönheitskult der modernen Literatur. Mit Widerwillen schreibt er über den „Auto-Lyrismus“ des modischen italienischen Schriftstellers Gabriele D’Annunzio; sein StückFrancesca de Riminiwird von ihm als „lee-rer Wortrausch“ abgetan. Der Kritiker lässt sich da ganz fortreißen:

D’Annunzio ist ein Künstler aller Künste, ein Altertümler, Mystagog und Lebensschwelger, aber alles nur als Näscher, an den […] Oberflächen na-schend, dabei mit frechem Griff sonderbare Details aus heimlichen, gemie-denen Tiefen herausangelnd.24

Trotz seiner Abneigung kann er allerdings auch nicht verleugnen, dass D’Annunzios Werke „durchaus künstlerische, in ihrer Art meisterhafte Dichtungen“ seien.25Weshalb dann das Gesamturteil doch negativ ausfällt, ist damit zu erklären, dass Hevesi der Kunst D’Annunzios den Mangel am Ethischen nicht verzeihen kann.

21Hevesi, 1901/1. 3.

22Ebd.

23Ebd.

24Hevesi, 1902/2. 2.

25Hevesi, 1902/3. 5.

Die Entdeckung der Tiefen der Psyche, bis in ihre Unfolgerichtigkei-ten und GrausamkeiUnfolgerichtigkei-ten, hält er dagegen für ein schätzenswertes Novum der zeitgenössischen Literatur. Anhand der Aufführung von Hofmanns-thals Elektra durch Max Reinhardts Berliner Theater beschäftigt er sich mit diesem Phänomen als unabdingbarer Zeiterscheinung der Moderne folgendermaßen:

Ein Hochmoderner nimmt das antike Blutmotiv in die Hand und zwingt es uns auf. Wir wehren uns gegen die unholde Zumutung, davon ästhetisch ergriffen zu werden, … aber es ist stärker als wir. Wir müssen, müssen aus-halten, müssen genießen … das Ungenießbare […] Ein Triumpf der Kunst, o b diese nun höher oder niedriger bewertet werde. Umso mehr reizt es, nachzuspüren, wodurch dieses merkwürdige Ereignis erreicht worden.

Und da kommen wir doch auf eine einfache Rechnung. Sophokles+Maeter-linck+Hofmannsthal=Elektra. […] Um Elektra zu entschuldigen, mußte Hofmannsthal ihre Nerven herauspräparieren; eine umständliche, super-feine Arbeit, die er mit aller modernen Virtuosität leistet.26

Dass sich die moderne Kunst nach der ‚Überwindung des Naturalismus‘

als Kunst der ‚Nerven‘ bestimmen lässt, gilt seit 1891, dem Erscheinen der gleichbetitelten, programmatischen Aufsatzsammlung von Hermann Bahr als Evidenz. In der obigen Kritik von Hevesi ist nicht allein die Rekurrie-rung auf diesen Stützpfeiler der modernen Ästhetik beachtenswert, sondern auch der Hinweis auf den unumgänglichen belgischen Vertreter symbolisti-scher Dramatik, Maurice Maeterlinck, gerade in Bezug auf Hofmannsthal.

Hevesi stellt Maeterlinck zusammen mit Ibsen auf die Spitze des moder-nen Dramas, wobei er gleich einräumt, dass sich seine Stücke –Pelleas und Melisande, InterieurundDer Tod des Tintagiles – der gewohnten Inszenie-rung von Grund auf widersprechen, indem sie als „Puppenspiele“ aufzufas-sen sind. Die Figuren seien aus der realen Welt hinausgerisaufzufas-sene, unschuldi-ge, einfältige Geschöpfe, die dunklen Mächten ausgeliefert sind. Der Inhalt der Stücke sei „die Todesangst“ schlechthin. Da die Bühne von der Stimmung der Unheimlichkeit beherrscht und über die Figuren ein ‚an-onymes Todesurteil‘ vollstreckt werde, könne man hier mit dem traditio-nellen Begriff der poetischen Gerechtigkeit nichts anfangen. Solche Stücke sollen „sezessionistisch“, d. h. hochstilisiert, gespielt werden, denn eine rea-listische Seelenmarterei wäre für die Bühne eines Marionettentheaters

äs-26Hevesi, 1905/2. 2.

thetisch ungenießbar. 27 Und Hevesi tadelt die Berliner Sezessionsbühne, weil sie während ihres Gastspiels im Josefstädter Theater auf den gewöhn-lichen „theatralischen Realismus” der Zeit nicht verzichten konnte.

Die Spielweise des „theatralischen Realismus“ hält er nur in den sog.

Zeitstücken für möglich, welche Gegenwartsprobleme bearbeiten. Solche zeitgebundenen Stücke werden von ihm stark kritisiert. Nicht einmal sei-nen Kollegen und Mitkämpfer Hermann Bahr schont er, in dessen Lust-spielen auch bekannte Figuren des zeitgenössischen Wien auftreten. An-hand eines Schauspiels von ihm, in dem das Parlament auf die Bühne gestellt wird, macht Hevesi den Autor darauf aufmerksam, dass ein „kräf-tiges Wirklichkeitsstück kein Wahrscheinlichkeitsstück“ sei, das heißt, es könnte noch auf der Bühne unglaubwürdig wirken.28Der Kritiker urteilt über Bahr sehr streng, wenn er an einer anderen Stelle sagt, dessen ganzes literarisches Schaffen könne von einem „kaleidoskopisch arbeitenden Jour-nalismus“ nicht freigesprochen werden.29

In Hevesis Sympathie für die Dramen von G. B. Shaw lässt sich das Grundprinzip John Ruskins von der ethischen Fundierung eines jeden Kunstwerks erkennen. Schreiben heißt bei Shaw, so Hevesi, „gegen Vorur-teile der Gesellschaft zu kämpfen“.30Wodurch seine Dramen über die frü-her schon besprochenen „Zeitstücke“ hinausragen, liege in der besonderen Sehweise, seinem Hang zur Skepsis: um sich mit einer einzigen Lösung zu begnügen, dazu sei Shaw doch „zu analytisch“.31So „greift er gern zum Pa-radoxon“32, was beide, den Dramatiker Shaw und den Kritiker Hevesi, nicht nur im Stil, sondern auch in der Sichtweise miteinander verbindet.

Die logische Form des Paradoxon entsprach nämlich vollständig der allge-meinen Verunsicherung der Zeit, gleichzeitig war es eine adäquate Aus-drucksweise des sezessionistischen Weltbildes, das auf Entgegensetzungen beruhte.

Von den jungen zeitgenössischen Dramatikern schätzte Hevesi außer Shaw Franz Wedekind am meisten. „Die Dichtung ist grausam geworden, der Dichter ein Unmensch. […] Wedekind empfindet, daß das Unmensch-liche die größere Hälfte alles MenschUnmensch-lichen bildet und nicht das Gegenteil

27Hevesi, 1900/4. 2.

28Hevesi, 1901/2. 2.

29Ebd.

30Hevesi, 1903/1. 5.

31Ebd.

32Ebd.

lügen will,“ – stellte er prägnant fest.33 1907 hatte Hevesi mehrmals die Möglichkeit, Werke von Shaw und Wedekind im Theater zu erleben und dies regte ihn an, die beiden miteinander zu vergleichen. Seine Charakteri-sierung der beiden Dramenautoren ist ein treffendes Beispiel für seine Schreibweise: für seine Vorliebe für pointierte Formulierungen und zuge-spitzte Gegenüberstellungen, wobei hinter den geistreichen Paradoxa auch das ästhetisch Wesentliche erhalten bleibt:

Dieser zwei Dichter Handwerk ist Rache. Shaw treibt Vivisektion ohne Narkose; Wedekind hat eine Folterkammer mit neuesten Apparaten für höhere Peinkunst eingerichtet. Aber Shaw is britischer Kulturmensch, ei-ner theaterlosen Nation angehörig, und muß sich auf gedruckte Dialektik beschränken; Wedekind ist ein kulturloser Deutscher […] und dabei ein praktischer Überbrettler, der Jack den Aufschlitzer persönlich spielt. Shaw kritisiert, wenn er gestaltet, Wedekind gestaltet, auch wenn er kritisiert.34

In document geschichtsforschung in wien (Pldal 80-87)