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4. RABBINERAUSBILDUNG

4.4 Das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau

4.5.14 Einschätzung

"Auch wenn die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums aus orthodoxer Sicht häufig kritisiert wurde, ist doch offensichtlich, daß eine große Zahl der Absolventen Schlüsselpositionen einnahm. Die Hochschule hat durch ihre Existenz und ihre Studenten auf die Juden und das religiöse, kulturelle und wissenschaftliche jüdische Leben in Deutschland, Teilen Europas und schließlich sogar in allen Erdteilen eine große Wirkung ausgeübt."390

4.6 Das Rabbinerseminar für das orthodoxe Judentum in Berlin 4.6.1 Die Vorgeschichte

Die Gründung des Rabbinerseminars ist untrennbar mit der Gründung der orthodoxen

"Adass Jisroel"-Gemeinde verbunden.

Bis in die 1860er Jahre legte der Vorstand der der damals noch vereinten Berliner jüdischen Gemeinde391 Wert darauf, das Rabbinat nur mit traditionstreuen Persönlichkeiten zu besetzen. Mit dem Ableben des Rabbiners Dr. Michael Sachs im Jahre 1864 änderte sich das Bild grundlegend, zumal kurz vor ihm auch der Dajan

387Völker, S. 229.

388Völker, S. 230.

389Strauss 1, S. 55-56.

390Kaufmann, S. 126.

391Die jüdische Bevölkerung in Berlin zählte im Jahre 1812 – 3.000, 1864 – 24.800 und 1874 bereits 45.464 Juden.

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(Rabbinatsassessor) Rabbiner Jacob Öttinger verstorben war. Die Mehrheit des Vorstandes bildeten mittlerweile die Reformer. Nach einem heftigen Kampf um Rabbiner Sachs' Nachfolge wurde 1866 schließlich der Reformrabbiner Dr. Aub aus Mainz berufen. Schon vorher hatte der Vorstand radikale Veränderungen im religiösen Leben und im Gottesdienst vorgenommen, wie beispielsweise die Einbindung der Orgel, ein. Aus dem Gebetbuch wurden die Gebete um die Wiederherstellung des Heiligtums in Jerusalem und zur Erinnerungen an Zion entfernt.392

Die Wahl des zweiten Rabbiners wurde zunächst bis zu den Wahlen zum Gemeindevorstand im Jahre 1868 aufgeschoben. Bei diesen erhielt die Reformpartei eine geringfügige Mehrheit von 150 Stimmen.393 Nachdem dann auch der letzte Vertreter des Gesetztestreuen, Rabbiner Elchanan Rosenstein, Anfang 1869 verstorben war, richteten 800 konservative Gemeindemitglieder an den Vorstand eine Eingabe mit der Bitte, einen Rabbiner zu berufen, "welcher neben genügender Universitätsbildung gründliches talmudisches Wissen besitzt und […] an der überlieferten Lehre festhält."394 Unbeeindruckt von dieser Petition stellte der Vorstand als zweiten Rabbiner den

"Bahnbrecher der Reformbewegung" Abraham Geiger ein. Als Reaktion gründeten die Gesetzestreuen noch im selben Jahr die "Israelitische Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel".395

Zu diesem für das Berliner orthodoxe Judentum kritischen Zeitpunkt trat Esriel Hildesheimer auf den Plan. Der gebürtige Halberstädter und Schüler Rabbiner Jakob Ettlingers war 1851 im damals zu Ungarn gehörigen Eisenstadt/Kismarton zum Rabbiner ernannt worden und hatte dort eine Jeschiwa errichtet, an der neben den traditionellen auch säkulare Gegenstände unterrichtet wurden. Mitten in den Wirren um die Neugestaltung des ungarischen Judentums (1868/69), als er einsehen musste, dass er mit seinen Ansichten innerhalb der Orthodoxie in der Minderheit bleiben würde, erreichte ihn aus Berlin der Ruf der "Beth Hamidrasch-Gesellschaft". Fast zur gleichen Zeit wurde ihm auch das Rabbinat der eben erst entstandenen Synagogengemeinde Adass Jisroel angetragen. 1869 nahm Hildesheimer von der Eisenstädter Gemeinde und

392Jakob J. Petuchowski, Prayerbook Reform in Europe. The Liturgy of European Liberal and Reform Judaism, The World Union for Progressive Judaism, New York 1968.

393Max Sinasohn (nachfolgend Sinasohn), Adass Jisroel Berlin, Jerusalem 1966, S. 13.

394Ebd.

395Auszüge aus dem Gemeinde-Statut, s. Museumspädagogischer Dienst Berlin (Hg.), Adass Jisroel.

Vernichtet und vergessen, Berlin 1986.

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seinem Lieblingskind, der dortigen Jeschiwa, seinen Abschied und übernahm beide Stellen in Berlin.

Hildesheimer wurde zum "Gewissen der Berliner Judenheit".396 Zusammen mit dem Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt a. M., Samson Raphael Hirsch, kämpfte er für das Austrittsgesetz.397 Große Verdienste erwarb er sich auch auf dem Gebiete der Wohltätigkeit.

Auch auf dem Gebiet der Jugendarbeit wurde Hildesheimer alsbald tätig. Nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt gründete er die Religionsschule der Adass Jisroel. Die Krönung seines Wirkens aber war die Gründung des Rabbinerseminars, das im Wesentlichen die Fortsetzung der Eisenstädter Jeschiwa war.

Diese Jeschiwa hatte sich von allen anderen Jeschiwot dadurch unterschieden, dass sie als erste in ihrem Studienplan auch säkulare Unterrichtsgegenstände enthielt. Für religiöse Studien waren 70 Prozent der Unterrichtszeit; in den restlichen Stunden wurden verschiedene weltliche Fächer gelehrt. Doch das war nicht die einzige Besonderheit dieser Anstalt. Das erste – und vielleicht einzige – Mal unterrichtete ein Jeschiwa-Leiter nicht nur Talmud, Dezisoren und Schulchan Aruch, sondern auch Mathematik, Physik, deutsche Literatur und klassische Sprachen selbst. (Erst einige Jahre nach der Eröffnung der Jeschiwa wurden auch andere Lehrer hinzugezogen.)398 Hildesheimer war davon überzeugt, dass in Anbetracht der Umstände der Zeit auch ein Jeschiwa-Student über eine gewisse Allgemeinbildung verfügen müsse. Seine Weltanschauung basierte auf seinem unerschütterlichen Vertrauen auf die Macht der Erziehung: nur durch sie könne der Fortbestand des Judentums garantiert werden. Die Erziehung wiederum müsse sich auf die Tradition und die moderne Bildung gleichermaßen stützen. Das Erziehungsideal sei nur dann erreichbar, wenn den dominanten umfassenden religiösen Studien die Aneignung von Allgemeinbildung zur Seite stünde. So könne sich ein gebildeter, dem Zeitgeist gegenüber aufgeschlossener jüdischer Gelehrtentyp herausbilden. Hildesheimer strebte danach, seine Jeschiwa zum

396Ebd., S. 306.

397Gesetz der preußischen Regierung vom 1876, welches einem Juden erlaubte, ohne den Austritt aus dem Judentum, die Synagogengemeinde , "aus religiösen Gründen" zu verlassen.

398Mordechai Eliav, "Das öffentliche und erzieherische Wirken Rabbi Esriel Hildesheimers in Eisenstadt", in: Shlomo Spitzer (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Juden im Burgenland, Ramat-Gan 1994, S. 67-68. Über Lehrplan und Entwicklung der Jeschiwa s. die drei Berichte aus den Jahren 1858, 1868 und 1869.

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Paradigma für andere Jeschiwot zu machen, doch konnte er sich mit dieser Idee in Ungarn nicht durchsetzen. In Deutschland hingegen sollte seiner Vision großer Erfolg beschieden sein.399