Die objektive Zurechnung in ihrer
Erfolg tatsächlich eintritt. Denn die Veranlassung zu einer Flugreise ist als Mittel zur Tötung eines Menschen bei objektiver Betrachtung unge‐
eignet. Sie lässt sich daher nicht als „zweckhaft gesetzte” Tötungs‐
handlung denken.
Auf diese Weise gelang es Honig, gänzlich außergewöhnliche Kau‐
salverläufe aus dem Tatbestand auszuschließen. Denn unvorhersehba‐
re Ereignisse lassen sich zur Erreichung tatbestandsmäßiger Erfolge nicht zweckhaft einsetzen.
Honigs Konzeption hat in den folgenden Jahrzehnten wenig Auf‐
merksamkeit gefunden. Das ist auch verständlich. Denn sie besagt im Ergebnis nicht mehr als die schon aus dem 19. Jahrhundert stammende Adäquanztheorie,4 derzufolge ein Verhalten nur dann ursächlich ist, wenn es eine allgemeine Tendenz zur Herbeiführung des tatbestands‐
mäßigen Erfolges besitzt, so dass ganz außergewöhnliche Bedingungs‐
zusammenhänge als nicht ursächlich gelten.
Der spätere Siegeszug der Lehre von der objektiven Zurechnung ist erst dadurch möglich geworden, dass ich die „Bezweckbarkeit” durch den Gedanken der Risikoschaffung ersetzt habe. Ich hatte schon im Jahr 1970 geschrieben:5 „Die objektive Bezweckbarkeit eines schaden‐
stiftenden Kausalverlaufs hängt … davon ab, ob das Verhalten der in Frage stehenden Person ein rechtlich relevantes Risiko tatbestandlicher Rechtsgüterverletzung schuf oder nicht. Diese Rückführung der objek‐
tiven Bezweckbarkeit auf das Risikoprinzip ermöglicht eine Auffäche‐
rung unseres Maßstabes, die es gestatten könnte, für die Erfolgsdelikte eine vom Kausaldogma völlig gelöste allgemeine Zurechnungslehre zu erarbeiten.” Ich will das im Folgenden etwas näher ausführen.
Was ist objektive Zurechnung?
Jemandem einen Erfolg objektiv zuzurechnen bedeutet, die Tatbe‐
4 Ihr Begründer ist Johannes von Kries (1853‐1928). Näheres dazu bei Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 39 ff.
5 Roxin, Festschrift für Honig, wie fn. 1, S. 135 f.
standsverwirklichung als sein Werk zu beurteilen. Die Kausalität allein kann dafür nicht genügen. Denn da die Äquivalenztheorie sämtliche Bedingungen des Erfolges für kausal erklärt, kann jede noch so harm‐
lose Handlung zur Ursache eines deliktischen Erfolges werden. Wenn z.B. ein Professor eine Vorlesung ankündigt und ein Student auf dem Wege dorthin durch fremdes Verschulden Opfer eines Verkehrsunfalls wird, ist auch der Professor für den Tod des Studenten kausal. Denn wenn er die Vorlesung nicht angekündigt hätte, wäre der Student noch am Leben. Es wäre aber natürlich unsinnig zu sagen, dass der Profes‐
sor eine Tötungshandlung begangen und den Tatbestand eines Tö‐
tungsdelikts verwirklicht habe.
Die Kausalität ist daher eine zwar notwendige, aber nicht hinrei‐
chende Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandes. Das Vorlie‐
gen objektiven Unrechts ist vielmehr durch zwei aufeinander aufbau‐
ende Prüfungen zu ermitteln. Auf der ersten Stufe ist die Kausalität des Täterverhaltens zu ermitteln. Auf der zweiten Stufe ist dann zu un‐
tersuchen, ob dem Täter die von ihm verursachte Tatbestandsverwirk‐
lichung zugerechnet werden kann.
Die Voraussetzungen der objektiven Zurechnung sind aus der Auf‐
gabe des Strafrechts abzuleiten. Wenn diese im Rechtsgüterschutz be‐
steht, ist dieser nur dadurch zu gewährleisten, dass alle Handlungen verboten werden, die ein unerlaubtes Risiko für das geschützte Rechtsgut begründen. Wer ein solches von ihm erkanntes oder für ihn erkennbares Risiko schafft, dem wird das Geschehen als vollendetes Delikt zugerechnet, wenn das Risiko sich in einem Tatbestandserfolg verwirklicht. Der Täter hat dann mindestens fahrlässig gehandelt. Ob darüber hinaus vielleicht sogar eine vorsätzliche Tat anzunehmen ist, ist nach weiteren, selbständigen Kriterien zu prüfen.
Zugerechnet wird also die Verwirklichung eines vom Täter geschaf‐
fenen unerlaubten Risikos für das geschützte Rechtsgut. Risikoschaf‐
fung und Risikoverwirklichung sind jeweils selbständige Zurech‐
nungs‐voraussetzungen. Wer einen anderen schwer verletzt, hat das Risiko eines tödlichen Ausgangs geschaffen. Stirbt das Opfer an der Verletzung, hat sich das Risiko verwirklicht, und ihm wird das Ge‐
schehen als vollendete Tötung zugerechnet.
Wenn dagegen das Opfer nicht an der Verletzung, sondern an ei‐
nem im Krankenhaus ausgebrochenen Brand stirbt, hat sich nicht das vom Täter geschaffene Risiko verwirklicht. Denn eine Körperverlet‐
zung schafft nicht das Risiko eines Feuertodes. Der Täter ist also nur wegen Körperverletzung oder – bei Vorliegen eines Tötungsvorsatzes – wegen versuchter Tötung zu bestrafen.
Entsprechendes gilt, wenn das Opfer einer Körperverletzung auf der Fahrt ins Krankenhaus einem Verkehrsunfall erliegt. Auch hier hat sich nicht das geschaffene Risiko einer möglicherweise tödlichen Kör‐
perverletzung verwirklicht. Vielmehr hat ein davon unabhängiger Umstand den Tod herbeigeführt. Auch wenn z.B. das Opfer nur des‐
halb stirbt, weil es eine rettende Bluttransfusion verweigert, hat sich darin ein vom Opfer selbst gesetztes Risiko und nicht das ursprüngli‐
che Verletzungsrisiko verwirklicht.
Ich will im Folgenden die Voraussetzungen unerlaubter Risiko‐
schaffung und Risikoverwirklichung etwas näher darstellen. Vollstän‐
digkeit ist bei der Vielzahl der relevanten Konstellationen nicht zu er‐
reichen. Aber immerhin sollen die wichtigsten Zurechnungsprobleme erläutert werden.
Die Schaffung eines unerlaubten Risikos 1. Zurechnungsausschluss bei Risikoverringerung
Wenn A dem B ein Messer in die Brust stoßen will, C aber dem A in den Arm fällt, so dass der Stoß auf die Schulter des B abgelenkt wird, wo er eine nur geringe Wunde verursacht, ist C für die Schulterverlet‐
zung des B kausal. Er hat aber keine tatbestandsmäßige Körperverlet‐
zung begangen. Denn er hat das von A geschaffene Verletzungsrisiko nicht vergrößert, sondern verringert. Das Geschehen ist daher dem C nicht als Körperverletzung zuzurechnen.
Als Fall der Risikoverringerung ist auch eine Lebensverlängerung anzusehen. Wenn das Leben eines schwer erkrankten Patienten nicht auf die Dauer zu retten ist, ärztliche Maßnahmen aber sein Leben um mehrere Monate verlängern, ist der Arzt kausal für den späteren Tod
des Patienten. Dem Arzt ist aber, weil er das Sterberisiko durch seine Behandlung gemindert hat, keine Tötungshandlung zuzurechnen.
Das Prinzip der Risikoverringerung gilt nicht nur für Tötungen und Verletzungen, sondern für alle Delikte, z.B. auch für Diebstahl und Be‐
trug. Wenn A aus einer ihm zugänglichen Kasse 10.000 Euro stehlen will, und B, der ihn von seinem Plan nicht abbringen kann, ihn wenigs‐
tens dazu bewegt, sich mit 1.000 Euro zu begnügen, die er zur Behe‐
bung seiner augenblicklichen finanziellen Schwierigkeiten benötigt, ist B für den Diebstahl von 1.000 Euro kausal. Aber er ist nicht wegen Bei‐
hilfe zum Diebstahl zu bestrafen, weil er das Risiko und damit den Schaden des Opfers vermindert hat.
2. Zurechnungsausschluss bei fehlender Gefahrschaffung
Eine Zurechnung des Erfolges ist auch dann ausgeschlossen, wenn ein Verhalten für einen Erfolg zwar kausal ist, aber kein juristisch messbares Risiko seines Eintritts geschaffen hat. Alle Ereignisse des so‐
zialen Lebens stehen in vielfältigen kausalen Zusammenhängen, von denen die meisten schon wegen ihrer Risikoindifferenz für eine straf‐
rechtliche Zurechnung ausscheiden. Hierher gehört z.B. die vorher (II.) erwähnte Vorlesungsankündigung, die den Unfalltod eines Studenten verursacht: Sie schuf kein juristisch relevantes Risiko für ein derartiges Ereignis.
Das gilt für jede Veranlassung zu oder Mitwirkung bei normaler, rechtlich irrelevanter Lebensbetätigung, wie dem Spazierengehen, dem Treppensteigen, Baden, Bergwandern usw. Selbst wenn solche Verhal‐
tensweisen in seltenen Ausnahmefällen Verletzungen oder Sachbe‐
schädigungen im Gefolge haben können, werden die damit verbunde‐
nen sozialadäquaten Minimalrisiken vom Recht vernachlässigt, so dass eine durch sie vermittelte Erfolgsverursachung von vornherein nicht zurechenbar ist.
3. Zurechnungsausschluss bei erlaubtem Risiko
Eine Zurechnung ist aber auch dort ausgeschlossen, wo der Erfolg auf einem statistisch durchaus relevanten Risiko beruht, das Eingehen eines solchen Risikos aber vom Gesetzgeber aus übergeordneten
Gründen des Gemeinwohls erlaubt wird. Das beste Beispiel bietet der Straßenverkehr, der jährlich eine nicht geringe Zahl von Toten und Verletzten fordert. Diese Schäden werden wegen der gesellschaftlichen Vorteile, die eine Benutzung von Kraftfahrzeugen mit sich bringt, vom Gesetzgeber hingenommen, solange die Verkehrsteilnehmer die vorge‐
schriebenen Regeln einhalten, durch die die Zahl der Opfer so weit wie möglich reduziert werden soll. Wer diese Regeln befolgt, bewegt sich im erlaubten Risiko, so dass ihm trotzdem eintretende Schadensfolgen nicht zugerechnet werden.
In den Bereich des erlaubten Risikos fallen der gesamte öffentliche Verkehr (also auch der Luft‐, Schienen‐ und Wasserverkehr), der Be‐
trieb von Industriewerken (speziell gefährlicher Anlagen), die Aus‐
übung risikobehafteter Sportarten, ärztliche Heilbehandlungen im Rahmen der lex artis und ähnliche Betätigungen. Es ist nicht immer leicht, rechtlich irrelevante von erlaubten Risiken abzugrenzen. Doch ist die Frage ohne praktische Bedeutung, weil eine Zurechnung in bei‐
den Fällen ausgeschlossen ist. Ein Indiz für erlaubtes Risiko ist immer‐
hin das Vorhandensein von Verhaltensnormen, wie sie Verkehrsbe‐
stimmungen, Sicherheitsvorschriften oder die Regeln der ärztlichen Kunst darstellen.
Es gibt einige Spezialfälle des erlaubten Risikos, von denen hier be‐
sonders der Vertrauensgrundsatz hervorgehoben werden soll. Er ist im Recht des Straßenverkehrs entwickelt worden und bedeutet, dass jeder Verkehrsteilnehmer auf die Einhaltung der Verkehrsregeln durch an‐
dere vertrauen darf, solange nicht konkrete Indizien dieses Vertrauen erschüttern. Wenn jemand die Vorfahrt hat, muss er also nicht an jeder Straßenecke stoppen, um zu prüfen, ob jemand das Vorfahrtsrecht missachtet, sondern er kann zügig durchfahren. Wenn es dennoch zu einem Zusammenstoß kommt, weil ein nicht vorfahrtberechtigter Wa‐
gen unvorhersehbarer weise über die Kreuzung fährt, sind demjeni‐
gen, der auf seine Vorfahrt vertraut hat, die Folgen nicht zuzurechnen.
Das verbleibende Risiko ist im Interesse einer flüssigen Verkehrsregu‐
lierung erlaubt. Anders ist es nur dann, wenn jemand sieht, dass ein anderer die Vorfahrt missachtet. Dann darf er nicht einfach drauflos‐
fahren und es auf einen Verkehrsunfall ankommen lassen, sondern er muss sich zurückhalten.
Der Grundsatz lässt sich auf andere Lebensbereiche in der Weise übertragen, dass jeder auf ein straffreies Verhalten anderer vertrauen darf, solange nicht konkrete Umstände dieses Vertrauen als unbegrün‐
det erscheinen lassen. Wenn der Inhaber eines Haushaltswarenge‐
schäftes ein scharfes Messer, ein Beil oder selbst Streichhölzer verkauft, weiß er natürlich, dass man Menschen mit dem Messer erstechen, mit dem Beil erschlagen und mit Streichhölzern einen Brand entfachen kann. Aber er darf darauf vertrauen, dass die Käufer ordnungsmäßig mit den Waren umgehen werden; sonst wäre ja auch ein Handel mit ihnen unmöglich. Eine dennoch erfolgende strafbare Verwendung liegt im Bereich des erlaubten Risikos; die etwa mit den gekauften Gegens‐
tänden verübten Delikte sind also dem Verkäufer nicht zuzurechnen.
Anders ist es nur, wenn bei demjenigen, der einen Gegenstand er‐
wirbt (oder sich sonst verschaffen will) eine „erkennbare Tatgeneigt‐
heit” besteht. Wenn also in meinem Beispiel der Verkäufer durch das Fenster sieht, wie sich vor seinem Laden eine gewalttätige Auseinan‐
dersetzung abspielt und einer der Teilnehmer in den Laden stürzt, um ein langes und scharfes Messer zu erwerben, gilt der Vertrauensgrund‐
satz nicht mehr. In einem solchen Fall schafft der Verkauf ein uner‐
laubtes Risiko für menschliches Leben. Wenn der Käufer mit dem Mes‐
ser einen Kombattanten ersticht, ist also nicht nur dieser wegen vor‐
sätzlicher Tötung zu bestrafen. Auch dem Verkäufer wird der Erfolg als fahrlässige Tötung und im Falle des Vorsatzes sogar als Beihilfe zu‐
gerechnet.
Der Vertrauensgrundsatz gilt auch für die Abgrenzung der Ver‐
antwortungsbereiche bei arbeitsteiligem Zusammenwirken, etwa bei einem Operationsteam. Hier hat auch der deutsche Bundesgerichtshof6 anerkannt, dass „sich die dabei beteiligten Fachärzte grundsätzlich auf die fehlerfreie Mitwirkung des Kollegen aus der anderen Fachrichtung verlassen können”. Das Risiko, das durch mögliche Fehler anderer
6 Neue juristische Wochenschrift (= NJW), 1980, 649 (650).
Mitglieder des Teams geschaffen wird, darf also hingenommen wer‐
den, ohne dass dem einwandfrei arbeitenden Arzt ein daraus etwa er‐
wachsender Schaden zugerechnet wird. Das verdient Zustimmung, weil es den Arzt von der Konzentration auf die eigene Arbeit mit even‐
tuell gefährlichen Folgen ablenken würde, wenn er zusätzlich noch alle anderen Beteiligten überwachen müsste. Allerdings ändert sich auch hier die Lage, wenn der Arzt den Fehler eines Kollegen bemerkt. Dann muss er einschreiten, wenn er eine Zurechnung des aus dem Fehler entstehenden Schadens zu seiner eigenen Person verhindern will.
Die Verwirklichung des unerlaubten Risikos
Neben der unerlaubten Risikoschaffung wirft die Verwirklichung des unerlaubten Risikos eine Reihe weiterer Zurechnungsprobleme auf. Der einfachste Fall ist natürlich der, dass der Erfolg ausbleibt; der Täter, der mit Tötungsabsicht auf das Opfer schießt, verfehlt es um Haaresbreite. Das ist der klassische Fall des Versuchs. Ein Erfolg, der nicht eintritt, kann nicht zugerechnet werden. Die Schaffung des uner‐
laubten Risikos wird aber als Versuch bestraft, sofern die versuchte Begehung des in Frage stehenden Delikts unter Strafe steht und die Grenze der straflosen Vorbereitung überschritten ist.
Schwieriger und interessanter sind die Fälle, in denen der Täter durch Schaffung eines unerlaubten Risikos den Erfolg verursacht hat, dieser sich aber nicht als Verwirklichung des verbotenen Risikos dar‐
stellt. Ich will das an vier besonders wichtigen und viel diskutierten Fallgruppen erläutern.
1. Keine Risikoverwirklichung bei völlig außergewöhnlichen Kausalverläufen Hierher gehören die schon anfangs erwähnten Fälle, dass das Opfer eines Tötungsversuches nur verletzt wird, dass es aber beim Transport mit dem Krankenwagen in die Klinik einem Verkehrsunfall oder in der Klinik einem dort ausgebrochenen Brand erliegt. Hier fehlt eine Ver‐
wirklichung des geschaffenen Risikos. Denn das Risiko einer Verlet‐
zung besteht darin, dass der zugefügte Körperschaden zum Tode führt. Die Verletzung begründet aber nicht das Risiko, Opfer eines Verkehrsunfalls oder eines Brandes zu werden.
Man muss sich allerdings vor der Annahme hüten, dass schon jede Abweichung des Kausalverlaufs von den Vorstellungen des Täters die Risikoverwirklichung ausschließt. Das ist nämlich dann nicht der Fall, wenn die Abweichung von vornherein im Rahmen des Möglichen und Vorhersehbaren lag. Wenn A den Nichtschwimmer B von einer hohen Brücke in den Fluss stürzt, um ihn ertrinken zu lassen, dieser aber auf den Sockel des Brückenpfeilers prallt und sich dabei das Genick bricht, hat sich trotz der Kausalabweichung das vom Täter geschaffene Risiko noch verwirklicht. Der Täter ist also wegen vollendeten Mordes zu be‐
strafen. Denn die Möglichkeit eines tödlichen Ausganges dieser Art war mit dem geschaffenen Risiko von vornherein verbunden, ist also nicht zufällig und daher zurechenbar.
Fälle solcher Art sind in der Rechtsprechung nicht selten. Wenn je‐
mand einen anderen mit einem Beil töten will, dieser aber nicht an den Beilhieben, sondern an der durch sie hervorgerufenen Wundinfektion stirbt, liegt trotzdem eine Risikoverwirklichung und ein vollendetes Tötungsdelikt vor.7 Denn auch im Infektionstod realisiert sich eine durch die Beilhiebe geschaffene Gefahr; der Erfolg ist also das Werk des Mörders. Ebenso ist der Erfolg dem Täter zuzurechnen, wenn ein bewusstlos Verletzter nicht an der Verletzung, sondern daran stirbt, dass er sich erbricht und an seinem eigenen Mageninhalt erstickt.8 Denn auch ein solcher Ausgang lag im Rahmen der geschaffenen Ge‐
fahr, ist also eine Risikoverwirklichung.
Manchmal sind differenzierende Untersuchungen nötig. Wenn je‐
mand mit einer durch seinen Apotheker fahrlässig verursachten Vita‐
minvergiftung ins Krankenhaus kommt und dort an einer vom Kran‐
kenhaus nicht zu verantwortenden Grippeinfektion stirbt,9 hängt die Zurechnung des Erfolges davon ab, ob Infektion und Grippetod eine Folge der vergiftungsbedingten Konstitutionsschwächung auf Seiten des Patienten sind. Wenn ja, hat sich die vom Apotheker geschaffene
7 Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (= RGSt), Bd. 70, 259.
8 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (= BGHSt), Bd. 24, 213.
9 Oberlandesgericht (= OLG) Köln, Neue juristische Wochenschrift (= NJW), 1956, 1848.
Gefahr verwirklicht, und er ist wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen.
Hat dagegen die Grippe unabhängig von der Schwächung durch die Vitaminvergiftung zum Tode geführt, liegt auf Seiten des Apothekers nur eine fahrlässige Körperverletzung vor, weil ihm der Tod des Pati‐
enten nicht zugerechnet werden kann.
Differenzierend wird in der deutschen Rechtsprechung und Litera‐
tur auch das schwierige Problem an eine Verletzung anschließender ärztlicher Kunstfehler behandelt. Verletzt A den B und stirbt dieser im Krankenhaus an leichteren Mängeln der ärztlichen Behandlung, so wird das von der überwiegenden Ansicht noch als Verwirklichung des Verletzungsrisikos angesehen und dem Erstverursacher als fahrlässige Tötung zugerechnet. Denn das Risiko leichterer ärztlicher Behand‐
lungsfehler sei mit jedem Krankenhausaufenthalt verbunden und da‐
mit Bestandteil der durch die Verletzung erschaffenen Gefahr. Beim Vorliegen eines groben ärztlichen Kunstfehlers – wenn also etwa eine Medikamentenverwechselung zum Tode führt – wird dagegen eine Zurechnung zum Erstverursacher abgelehnt. Denn derartige Ereignisse gehören nicht zum normalen Risiko einer Körperverletzung.
2. Keine Risikoverwirklichung, wenn das unerlaubte Risiko sich nicht im Er‐
folg ausgewirkt hat
Neben dem Fall, dass ein unerlaubtes Risiko nur auf Grund eines völlig ungewöhnlichen Kausalverlaufs zum Erfolg führt, steht als selb‐
ständige Fallgruppe ausgeschlossener Risikoverwirklichung die Kons‐
tellation, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der verbotenen Gefahrschaffung und dem Erfolg gänzlich fehlt.
Ein berühmtes Beispiel dafür liefert der in ähnlicher Form vom Reichsgericht entschiedene „Ziegenhaar‐Fall”10. Der Leiter einer Fabrik gab an seine Arbeiterinnen chinesische Ziegenhaare zur Verarbeitung aus, ohne eine vorgeschriebene Desinfektion durchführen zu lassen.
Vier Arbeiterinnen wurden durch Milzbrandbazillen infiziert und starben. Eine Untersuchung ergab, dass das vorgeschriebene Desinfek‐
10 RGSt 63, 21.
tionsmittel gegenüber dem in Europa bisher unbekannten Bazillus unwirksam geblieben wäre.
Wenn, wie in diesem Fall, der Erfolg auch bei ordnungsmäßigem Verhalten eingetreten wäre, hat sich das Risiko, das in der Nichtdesin‐
fektion lag, nicht verwirklicht. Der Erfolg kann dem Fabrikleiter also nicht zugerechnet werden. Es wäre unangemessen, die Unterlassung eines nutzlosen Verhaltens als fahrlässige Tötungshandlung zu beur‐
teilen. Der Fabrikleiter kann höchstens – und in milderer Form – we‐
gen Unterlassens einer vorgeschriebenen Desinfektion bestraft werden, wenn dafür eine besondere Strafdrohung existiert.
Fälle solcher Art sind nicht selten. Ich will nur noch einen Sachver‐
halt anführen, den in abgewandelter Form der deutsche Bundesge‐
richtshof entschieden hat.11 Ein Radfahrer war unter einen überholen‐
den Lastwagen geraten und getötet worden. Dabei hatte der überho‐
lende Lastwagen vorschriftswidrig einen zu geringen Seitenabstand eingehalten. Der Radfahrer war betrunken und hatte, wie es für solche Fälle typisch ist, in einer alkoholbedingten Kurzschlussreaktion sein Rad nach links gezogen. Sachverständige stellten fest, dass er auch dann unter den Wagen geraten wäre, wenn der vorgeschriebene Sei‐
tenabstand eingehalten worden wäre.
Auch in diesem Fall hat das zu enge Heranfahren zwar ein uner‐
laubtes Risiko geschaffen, aber dieses hat sich im konkreten Geschehen nicht ausgewirkt. Der Lastwagenfahrer kann nicht wegen fahrlässiger Tötung, sondern nur wegen Verletzung des Abstandsgebotes bestraft werden, sofern diese selbständig unter Strafe steht.
3. Keine Risikoverwirklichung, wenn der Erfolg nicht vom Schutzzweck der übertretenen Sorgfaltsnorm gedeckt wird
Bei solchen Sachverhalten verwirklicht sich zwar – anders als in den beiden ersten Fallgruppen – ein vom Verursacher geschaffenes Risiko;
aber die Vermeidung des realisierten Risikos entspricht nicht dem Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsnorm.
11 BGHSt 11, 1.
Ich will das zunächst an ganz einfachen Fällen verdeutlichen, die unsere Gerichte tatsächlich beschäftigt haben. Wenn jemand vor Schreck an einem Herzschlag stirbt, weil ein anderer ihn mit einem Auto in verkehrswidriger Weise überholt12 oder einen leichten Auf‐
fahrunfall verursacht,13 dann ist das Risiko eines solchen Ereignisses durch das falsche Fahrverhalten des Verursachers immerhin, wenn auch unbeträchtlich, erhöht worden. Denn die tödliche Schreckreakti‐
on steht in einem über die bloße Kausalität hinausgehenden Zusam‐
menhang mit dem Verkehrsverstoß.
Dennoch ist der Todeserfolg in beiden Fällen dem Fahrer nicht zu‐
zurechnen. Der Grund dafür ist, dass der Zweck der übertretenen Ver‐
kehrsvorschriften nicht darin besteht, andere vor einem Schreck zu bewahren. Ihr Zweck ist vielmehr, aus Zusammenstößen resultierende äußere körperliche Schäden anderer Verkehrsteilnehmer zu vermei‐
den. Im Erfolg hat sich also nicht das Risiko verwirklicht, dem vorzu‐
beugen der Gesetzgeber mit den übertretenen Verkehrsvorschriften bezweckte. Dieser Umstand schließt die Zurechnung aus.
Der Gedanke, dass für die Verwirklichung eines unerlaubten Risi‐
kos nicht jeder Zusammenhang zwischen Risikoschaffung und Erfolg genügt, sondern dass ein spezifischer Schutzzweckzusammenhang be‐
stehen muss, lässt sich auch auf kompliziertere Sachverhalte anwen‐
den.
In dem sogen nannten Radfahrer‐Fall14 waren zwei Radler im Dun‐
keln mit unbeleuchteten Rädern hintereinander gefahren. Der vordere Radfahrer stieß wegen der fehlenden Beleuchtung mit einem entge‐
genkommenden Radfahrer zusammen. Der Unfall wäre auch schon vermieden worden, wenn nur der hintere Radfahrer sein Fahrrad be‐
leuchtet gehabt hätte.
Dass der vordere Radfahrer durch Unterlassen der Beleuchtung ei‐
ne fahrlässige Körperverletzung begangen hat, ist klar. Aber ist der Er‐
12 OLG Stuttgart, Verkehrsrechts‐Sammlung (= VRS), Bd. 18, 1960, 356.
13 OLG Karlsruhe, Juristische Schulung (= JuS), 1977, 52.
14 RGSt 63, 392.