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Revolutionäre Grimassen in Frau Emmas Briefen an die Zeitschrift A Hét

Die Literatursoziologie ringt seit eh und je um das Problem der Messbarkeit: W i e lassen sich die Breiten und Tiefen der Rezeption abschätzen, wenn einem der Inter-pretation freigegebene literarische Komplexe auf der einen und Zahlen, soziologisch verwertbare Kategorien und Zeugenaussagen auf der anderen Seite zur Verfügung stehen? Seit den 1970er Jahren zeichnet sich indes eine Tendenz ab, wonach Literatur-soziologie nicht zuletzt auf der Basis der im weitesten Sinne des Begriffes genommenen Intertextualitätstheorie zu betreiben wäre, d.h. das Forschungsinteresse soll sich auf das Phänomen der Interdiskursivität1 richten, was zugleich mit der Erweiterung des Textbegriffs, mit der Einsicht in die allgemeine Textualität einhergeht. Die neuerdings einsetzende Konjunktur der Kultursoziologie und Kulturanthropologie lieferte zudem weitere legitimierende Gründe für literatursoziologische Fragestellungen,2 und in erster Linie durch die Untersuchungen von Wolf Lepenies gewann das Zusammenspiel von Literatur und Soziologie eine wissenschaftsgeschichtliche Perspektive.3

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die Analyse der publizistischen Interdiskursivität unter dem Aspekt der Rhetorik vorzunehmen, indem das Denken vor der Öffentlichkeit als eine rhetorische Position erfasst wird, die die zeitweilige Synopse von disparaten Erscheinungen bedingt.4 Die Überlegungen zum Vertrauens-posten des Intellektuellen5 lassen sich in Hinblick auf die Konstrukthaftigkeit der

Vgl. Zima, Peter V: Bemerkungen zur gegenwärtigen Lage der Literatursoziologie. In:

Ders.: Kritik der Literatursoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1978 (es 857), S. 7-13.

Kuzmics, Helmut; MozetiC, Gerald: Literatur als Soziologie. Zum Verhältnis von litera-rischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Konstanz: UVK, 2003, S. 35.

Lepenies, Wolf: Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft.

Frankfurt a. M.: Fischer, 2002.

Vgl. Bacsó, Béla: Elé [Vor], In: Ders.: Határpontok. Hermeneutikai esszék. Budapest: TTwins Kiadó, Lukács Archívum, 1994, S. 7-11, hier S. 7ff. und den auch in dieser Studie zitierten Essay von Maurice Blanchot: Die Intellektuellen im Kreuzfeuer. In: Ders.: Das Unzerstör-bare. Ein unendliches Gespräch über Sprache, Literatur und Existenz. A. d. Franz. v. Hans Joachim Metzger u. Bernd Wilczek. München, Wien: Hanser, 1991, S. 205-237.

Zum Problemfeld im Allgemeinen vgl. Demirovic, Alex: Führung und Rekrutierung. Die Geburt des Intellektuellen und die Organisation der Kultur. In: Prigge, Walter (Hg.):

Städtische Intellektuelle. Urbane Milieus im 20. Jahrhundert. Stuttgart: Fischer, 1992 (FTB 10522), S. 47-77. und Giesen, Bernhard: Die Intellektuellen und die Nation. Frankfurt a.

M.: Suhrkamp, 1993 (stw 1070).

Texte mit systemtheoretischen und anthropologischen Fragestellungen z u m T h e m a der Ästhetisierung und E r z ä h l u n g des Alltags6 v e r k n ü p f e n .

Die zentrale P r o b l e m s t e l l u n g der M e d i e n w i s s e n s c h a f t stützt sich in erster Linie auf die Einsichten der Systemtheorie: I n w i e f e r n kann das M e d i u m Presse B e d ü r f n i s s e s c h a f f e n und dadurch die literarischen Erwartungen der Leser beeinflussen, öffentliche E r i n n e r u n g und orale K o m m u n i k a t i o n stiften.7 Dabei werden stets die vereinheitlichenden, neutralisierenden Prozesse des Kulturbetriebs aufgezeigt: Die auf M a n i p u -lation und Standardisierung b e r u h e n d e kulturelle M a c h t produziert verbindliche Wirklichkeitsmodelle, die nach Siegfried J. Schmidts Darstellung einerseits „kognitive Überkapazitäten regulieren, synchronisieren und stabilisieren",8 andererseits ein kollektives und authentisches Dabeisein e i n s c h ä r f e n k ö n n e n . Die kulturelle M a c h t stellt aber auch ihre eigene Subversion her, was allerdings v o n der A n o n y m i t ä t des M a r k t e s verdeckt wird, von e i n e m g e s c h l o s s e n e n F u n k t i o n s s y s t e m , dessen interne W e c h s e l b e z i e h u n g e n in der Medienkritik der F r a n k f u r t e r Schule als manipulative Tauschgeschäfte beschrieben werden: Die Gesichtslosigkeit des kulturellen M a r k t e s

„erlaubte es d e m Künstler, sich und anderen als rein und a u t o n o m zu erscheinen, und dieser Schein selbst w u r d e honoriert".9 D a s Verhältnis v o n Ö f f e n t l i c h k e i t und Journa-lismus wird h i n g e g e n in den systemtheoretischen, eher deskriptiven D a r l e g u n g e n durch die Relation v o n ö f f e n t l i c h e m „ S y n c h r o n i s a t i o n s b e d a r f ' und journalistischer

„ A k t u a l i t ä t s k o n s t r u k t i o n " angenähert,1 0 w o b e i die t e m p o r a l e Struktur dieser Zweitei-lung einerseits das zeitliche N e b e n e i n a n d e r gegebener Ereignisreihen, andererseits die G e g e n w ä r t i g k e i t journalistischer E r e i g n i s p r o d u k t i o n in den Vordergrund rückt. Die Öffentlichkeit erkennt d e m e n t s p r e c h e n d die journalistische Ä u ß e r u n g als eine Grenze, die „so oder anders g e z o g e n w e r d e n kann",1 1 das heißt die A k z e p t a n z richtet sich auf die kontingente B e w a n d t n i s der publizistischen Intervention beziehungsweise auf ihre Plausibilisierung, was aber erst durch d e n Bruch ihrer Selbstreferentialität e r f o l g e n kann. Wortmeldungen bestimmen zu können kündet ein höheres Ziel an, indem erstrebt

6 Zum Komplex der ,Alltagsfiktion' vgl. vor allem Fix, Ulla: Die Ästhetisierung des Alltags - am Beispiel seiner Texte. In: Zeitschrift für Germanistik 11 (2001), H. 1, S. 36-53. und den Beitrag von Hans-Ulrich Gumbrecht: Erzählen in der Literatur - Erzählen im Alltag.

In: Ehlich, Karl (Hg.): Erzählen im Alltag. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1980, S. 403-418.

7 Vgl. Faulstich, Werner (Hg.): Medien und Kultur. Beiträge zu einem interdisziplinären Symposium der Universität Lüneburg. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. 1991. Beiheft 16.

8 Schmidt, Siegfried J.: Medien, Kultur: Medienkultur. In: Faulstich: Medien, S. 30-50, hier S. 36.

9 Adorno, Theodor W: Die Wunde Heine. In: Ders.: Noten zur Literatur. Frankfurt a. M.:

Suhrkamp, 71998 (stw 355), S. 97.

10 Zum Überblick vgl. Görke, Andreas: Risikojournalismus und Risikogesellschaft. Sondie-rung und Theorieentwurf. Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 1999 (Studien zur Kommunikationswissenschaft 36), S. 286-336.

11 Baecker, Dirk: Oszillierende Öffentlichkeit. In: Maresch, Rudolf (Hg.): Medien und Öffent-lichkeit. Positionierungen, Symptome, Simulationsbrüche. München: Boer, 1996, S. 95.

Zitiert nach Görke 1999, S. 300.

werden soll, die „ m e i n u n g s h a f t e G e w i ß h e i t " durch ein „wahrheitsfähiges W i s s e n "

abzulösen.1 2

Im Z u s a m m e n h a n g mit der F o r m i e r u n g der Schreibanlässe ist dabei das P r o b l e m der Authentizität von besonderer Wichtigkeit: Wenn Kultur aus anthropologischer Sicht als symbolisches System, als „Zirkulation, T r a n s f o r m a t i o n und A u s t a u s c h der kulturellen Praktiken und Diskurssphären"1 3 aufgefasst und somit die systemtheore-tische A n n a h m e der F u n k t i o n s s y s t e m e a u f g r u n d ihrer Interdependenz weitergeführt wird, wie lässt sich dann ein Fixpunkt in der Vielfalt und Beliebigkeit k o m m u n i k a -tiver Situationen ausfindig m a c h e n ? O d e r anders gewendet: kann es auf dieser Basis nur darum gehen, die Arbeit mit der Erfahrung der (In-)Authentizität,14 mit der erzwun-genen Involvierung in die Tagesgeschehnisse transparent zu halten, u m dabei die kulturellen Faktoren j e d w e d e r Verbindlichkeit der U m w e l t reflektieren zu k ö n n e n ? W i e ist die Situativität, das „Jetzt der Rede"1 5 auf seine Effektivität hin zu p r ü f e n ?

U m den U m f a n g der Problematik an e i n e m Extrembeispiel demonstrieren zu können, behandelt der vorliegende A u f s a t z die in der F o r s c h u n g neuerdings mit Vorliebe untersuchte Gattung der „Wochenplauderei", die als publizistische Textsorte die literarische U m f o r m u n g der Schreibanlässe am spektakulärsten hervorkehrt, präziser die F o r m des fiktiven Leserbriefs, der sich M e r k m a l e der Plaudereien und literarischen Episteln bedient.

Von D e c k n a m e n wie „Flaneur", „ S i m p l e x " , „Pán", „Riporter" und „ E m m a "

gezeichnet, kreuzt u m die J a h r h u n d e r t w e n d e diese laut E i g e n w e r b u n g „leichte und gefällige F o r m der d o m i n i e r e n d e n M o m e n t e der Woche"1 6 in den R u b r i k e n „ C h r o n i k "

und „ S a i s o n " der ungarischen Wochenrevue A Hét [Die Woche] auf - erstmals in der ungarischsprachigen Journalistik. Das wichtigste F o r u m der ungarischen Literatur in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende hätte nach den ersten Plänen der Redaktion den Titel Az ifjú Magyarország [Jung Ungarn] tragen sollen. Die Wahl des zurückhal-tenderen, eher marktfähigen Titels bedeutete aber keinen Verzicht auf die Orientierung

12 Zum Verhältnis von doxa und episteme vgl. Kopperschmidt, Josef: Nietzsches Entdeckung der Rhetorik. In: Ders.; Schanze, Helmut (Hg.): Nietzsche, oder ,Die Sprache ist Rhetorik'.

München: Fink, 1994 (Figuren), S. 39-60, hier S. 41. Weiters zur „Figur der veröffentlich-ten Innerlichkeit", die auf der ,,performative[n] Wirklichkeit selbstreferentieller Rhetorik"

beruht, somit für die neuzeitliche Subjektivität charakteristisch ist, vgl. Oesterreich, Peter L.: Selbsterfindung. Zur rhetorischen Entstehung des Subjekts. In: Metzger, Stefan; Rapp, Wolfgang (Hg.): homo inveniens. Heuristik und Anthropologie am Modell der Rhetorik.

Tübingen: Narr, 2003 (Literatur und Anthropologie 19), S. 45-57, hier S. 54.

13 Böhme, Hartmut; Matussek, Peter; Müller, Lothar: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2000 (re 55608), S. 14.

14 Vgl. Lethen, Helmut: Versionen des Authentischen: sechs Gemeinplätze. In: Böhme, Har-mut; Scherpe, Klaus R. (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1996 (re 575), S. 205-231, hier S. 218f.

15 Vgl. Mertens, Karl: Der Kairos der Rede als Ausdruck menschlicher Situiertheit. In: Kopper-schmidt, Josef (Hg.): Rhetorische Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus. München:

Fink, 2000, S. 295-313.

16 Vgl. die redaktionelle Korrespondenz von József Kiss in: A Hét v. 16.12.1894, S. 783. -dieses und alle weiteren Zitate in der Übersetzung der Verf.

nach dem Vorbild der westlichen literarischen und gesellschaftlichen Revues, und ebenso wurden sogar die kleinsten Glossen etwa über die neuesten Strömungen der Damenmode von Schriftstellern in elegantem, pointierten Stil geliefert.17

In der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten der „Wochenplauderei" nimmt der publizistische Brief durch seinen Anspruch auf unmittelbare Berichterstattung einen besonderen Platz ein. Unter den Augenzeugen der Woche meldet sich auch „Frau E m m a " zu Wort mit impertinenten und nur selten beifälligen Bemerkungen in steter Bereitschaft, auf den - ihren eigenen Auskünften nach - „ausdrücklichen Wunsch des Chefredakteurs" zwischen dem Mitarbeiterstab und den Leserinnen zu vermitteln. Die Grimassen der redaktionellen Kreatur E m m a lassen sich zugleich der Gattung der seit der Aufklärung auf ,,weibliche[] Belehrung und Konditionierung'"8 ausgerichteten literarisierten Briefe zuordnen, wobei die Konditionierung in unserem Fall eher als Aufruf zu einem Gesellschaftsspiel zu verstehen ist, wie es von Emma selbst formuliert wird: „Die Frauen machen eigentlich ihre Eroberungen wie die Ritter im Mittelalter:

mit herabgelassenem Visier; legen sie ihr Inkognito ab, dann kannst du dir sicher sein, dass der Feind bereits besiegt ist."19

Diese unter Pseudogynym publizierende Figur der Zeitschrift, deren gesammelte revolutionäre Briefe 1985 unter dem Titel Ein Frauenimitator für die Frauenemanzi-pation20 herausgegeben wurden, äußert sich zu gemeinnützigen nationalen Themen

und konstatiert das Fehlen einer richtigen ungarischen Kulturgeschichte, eines nationalen Selbstbildes, das aus der Perspektive der Frauenemanzipation als Korrelat zur „welterlösenden internationalen Sozialdemokratie"2 1 aufgefasst werden könnte.

Um die spitzfindige Ausarbeitung der Ethnostereotypen in diesem Kontext unter-suchen zu können, soll zuerst der Frage nachgegangen werden, wie sich eine besonders artistisch veranlagte, die hohe Kunst der Pseudonymität meisterhaft einsetzende Redaktion ihr Lesepublikum vorstellt? Anhand der spärlich mitgeteilten echten Leserbriefe eindeutig mit dem Selbstbild der Adressaten übereinstimmend: „Welche Wendung durch E m m a ' s Fügung" - schwingt sich eine Leserin in nahezu hymnische Höhen auf, als sie mit dieser deutschsprachigen Formel inmitten der tobenden Rezeptenquete um 1900 der Wortführerin der weiblichen Leserschaft Frau E m m a die höchste Anerkennung zubilligt.22 In der Preisausschreibung hat E m m a mit Nachdruck auf die erwünschte Aktivität der Leserinnen und Leser hingewiesen, deren Erfahrun-gen und Interessengebiete bisher unbeachtet geblieben sind. Sie spricht zugleich ein multiethnisches Lesepublikum an, indem sie die unabdingbare Angabe der nationalen Provenienz der Rezepte und dadurch den wissenschaftlichen Wert der Aktion betont.

17 Zur Geschichte der Zeitschrift vgl. das Vorwort zum Auswahlband: A Hét. Politikai és irodal-mi szemle 1890-1907. Hg. v. Anna Fábri u. Ágota Steinert. Budapest: Magvető, 1978, S. 5-8.

18 Kord, Susanne: Sich einen Namen machen. Anonymität und weibliche Autorschaft 1700-1900. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1996, S. 125-134, hier: S. 128.

19 Emma: Erkölcsös levél [Moralischer Brief], In: A Hét v. 8.3.1900.

20 Ignotus: Emma asszony levelei. Egy nőimitátor a nőemancipációért. Hg. v. Péter Kardos.

Budapest: Magvető, 1985.

21 Emma: Levél a jó erkölcsökről [Brief über die guten Sitten], In: A Hét v. 5.4.1903, S. 214.

22 Brief von Irma Konrád. In: A Hét v. 4.8.1901, S. 491.

Den weiteren weiblichen, aber auch männlichen Leserstimmen zufolge stehen Frau Emmas Briefe acht Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Stückes stellvertretend für das Damenpublikum der Zeitschrift, wenngleich die weibliche Autorschaft der scharfsinnigen Kommentare zum aktuellen Nachrichtenmaterial von Anfang an bezweifelt wird. Die ausführliche Publikation der dankbaren und gelegentlich leicht skeptischen Leserstimmen anlässlich der Schichtung der nationalen Esskultur stellt einen Wendepunkt in der kommunikativen Strategie der Zeitschrift dar, indem erstmals über Emmas Betätigung bei der Zeitschrift und dadurch über die Redaktionspolitik Auskünfte aus erster Hand zu holen sind - natürlich in einer auffallend redigierten und auf der Stelle mit Emmas Repliken ergänzten Form. Diesem ganz singulären lesesoziologischen Dokument wurde in der Forschung große Aufmerksamkeit gewidmet, weil es neben den Inseraten ein expliziter Hinweis auf den bedeutendsten und gleichsam zuverlässigsten Rezipientenkreis der Zeitung ist. Die zitierten Leser-stimmen legen zugleich die Vermutung nahe, dass trotz der ungläubigen Mutmaßun-gen die Authentizität von Emmas Redeposition und Interessenvertretung mit Kristevas Worten unter dem Motto „Flaubert c'est moi"23 angenommen wurde - vergleichbar mit Emmas Gedankenspiel, im Namen von Flaubert den Männerroman Leutnant Bovary oder Die Optik der Uniform24 zu verfassen.

In Hinblick auf die gesamte Brieffolge des unter dem Pseudonym „Ignotus"

bekannt gewordenen Mitarbeiters der A Hét wirft dieser erfreuliche Befund mindes-tens zwei wichtige Fragen auf: zum einen die Frage nach dem Aussagewert der redaktionellen Korrespondenz - der programmatischen Kundgebungen des journalis-tischen Generalstabs - , zum anderen aber auch die Frage nach den möglichen Erscheinungsformen „journalistischer Wirklichkeitszubereitung".2 5 Insbesondere dem publizistischen Brief haftet ein stärker manifestierender oder auffordernder Grundzug an, was sich in unserem Beispiel für die Konstruktion weiblicher Identität26

erst im Zusammenspiel von Öffentlichkeitsarbeit und Versteckspiel zeigt, als eine Art in die Praxis umgesetzter Versteck-Lehre, deren Fibel in Walter Benjamins Denkbild Der enthüllte Osterhase wie folgt eingeleitet wird:

23 Kristeva, Julia: A nők ideje. Aus d. Franz. v. Anikó Farkas. In: Kis, Attila Attila; Kovács, Sándor s.k.; Odorics, Ferenc (Hg.): Testes könyv II. Szeged: Ictus és JÄTE Irodalomelmé-leti Csoport, 1997, S. 351. (E: Le Temps des femmes. In: Cahiers de recherche de sciences des textes et documents 5 [1979], S. 5-19.)

24 Emma: Levél vidéki dolgokról [Brief über die Begebenheiten auf dem Lande], In: A Hét v. 15.7.1906, S. 466.

25 Todorow, Almut: Das Feuilleton der Frankfurter Zeitung in der Weimarer Republik. Zur Grundlegung einer rhetorischen Medienforschung. Tübingen: Niemeyer, 1996 (Rhetorik-Forschungen 8), S. 130.

26 Zu den Interpretationsmöglichkeiten im Kontext der feministischen Literaturwissenschaft vgl. Menyhért, Anna: Kaland és kánon. Feminizmus és irodalom [Feminismus und Literatur], In: Alföld 2000. H.10, S. 46-53. und Balázs, Imre József: „Ismeri ön a cuplingert?" A nő-szerep konstrukciója és szubvertálódása Ignotus Emma-leveleiben [„Kennen Sie den Cuplinger?" Konstruktion und Subversion der Frauenrolle in den Emma-Briefen von Ignotus], In: Alföld 2000. H.10, S. 53-64.

Verstecken heißt: Spuren hinterlassen. Aber unsichtbare. Es ist die Kunst der leichten Hand. Rastelli konnte Sachen in der Luft verstecken.

Je luftiger ein Versteck, desto geistreicher. Je freier es dem Blick nach allen Seiten preisge-geben, desto besser.

Also beileibe nichts in Schubladen, Schränke, unter die Betten oder ins Klavier stecken.

Fairneß am Ostermorgen: Alles so zu verstecken, daß es entdeckt werden kann, ohne daß irgendein Gegenstand vom Fleck bewegt werden muß.27

Als der C h e f r e d a k t e u r der Zeitschrift und zugleich der bevorzugte, explizit ange-sprochene Adressat von E m m a s B r i e f e n im Artikel z u m 10. Jahrestag der A Hét v o m kiebitzenden P u b l i k u m schreibt, wird auch die Funktion des selbstvergessenen Spiels mit den D e c k n a m e n verdeutlicht. Eine Zeitschrift, der bis heute n a c h g e r ü h m t wird, mit m o d e r n e n Ideen wie Symbolismus, Verismus und F e m i n i s m u s ihre L e s e r s c h a f t in Staunen gesetzt zu h a b e n , gibt diesmal o f f e n zu, eher als Ideenbörse von unterschied-lichsten Talenten fungiert zu haben b z w . auch im weiteren f u n g i e r e n zu wollen, und verschließt sich einer plakativen P r o g r a m m a t i k . Der didaktische Tonfall der Familien-blätter und e b e n s o das s c h w e r e Pathos der Leitartikel werden k u r z w e g verabschiedet, und die Zeitschrift lässt, von einem imponierenden und provokativen Vorhaben geleitet, unaufhörlich „geistige Petarden auffliegen"2 8 ein ehrliches Angebot für die A b o n n e n -ten und die spielerische U m k e h r u n g dessen, was im „ M a n n o h n e E i g e n s c h a f t e n " im Kapitel „ A r n h e i m als F r e u n d der J o u r n a l i s t e n " über Piatons Betriebsbesuch zu lesen ist: „Es w ü r d e Piaton [...] g a n z b e s t i m m t , w e n n er n o c h lebte, entzückt sein von e i n e m Zeitungsbetrieb, w o j e d e n Tag eine neue Idee e r s c h a f f e n , ausgewechselt, verfeinert werden kann [...]".29

E m m a s ideenreiche Causerien f ü g e n sich indes innerhalb der Zeitschrift zu e i n e m spezifischen Tableau der Frauenthemen z u s a m m e n : In ihnen sind zwar von der Thema-tik her die I d e n t i f i k a t i o n s m u s t e r der Familien- und Salonblätter zuhauf a n z u t r e f f e n , wichtiger dabei ist aber, wie der private E r f a h r u n g s r a u m als A u s g a n g s p u n k t ihrer Ü b e r l e g u n g e n g e w ä h l t wird. Die assoziative A r g u m e n t a t i o n , die nicht zuletzt durch die Prozessualität, d u r c h die Idee der kontinuierlichen Suche in E m m a s Schreiben sichtbar wird, bringt eine Modalität mit sich, w o d u r c h die Vertretung die F o r m der Vermittlung des weiblichen S p r a c h k o d e s als internes Korrelat des m ä n n l i c h e n D i s k u r s e s a n n i m m t . Die eigenartige Position der Briefstellerin zeichnete sich nämlich j a h r e l a n g dadurch aus, dass die Fingiertheit der ungarischen Rosa L u x e m b u r g , wie E m m a sich selbst bezeichnet,3 0 aber auch ihre Beteiligung an der Redaktionspolitik größtenteils in der B r i e f f o l g e selbst thematisiert w u r d e n und fallweise durch die an E m m a gerichteten Leitartikel und Briefe zusätzliche Verstärkung f a n d e n .

27 Benjamin, Walter: Der enthüllte Osterhase oder Kleine Versteck-Lehre. In: Ders.: Gesam-melte Schriften. Bd. IV1. Hg. v. Tillman Rexroth. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1972, S. 398

28 Lipták, Dorottya: A családi lapoktól a társasági lapokig. Újságok és újságolvasók a század-végen. In: Budapesti Negyed 5 (1997), H.2-3, S. 55-57.

29 Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1997, S. 325.

30 Emma: Levél a jó erkölcsökről [Brief über die guten Sitten], In: A Hét v. 5.4.1903, S. 214.

Ein Beitrag zur Verstecklehre also: In die Ü b e r f ü l l e von Ideen wird der Diskurs einer weiblichen Verfasserfigur eingeschleust und dadurch in der freien L u f t der Zeit-schrift allmählich das L e s e p u b l i k u m zur Sprache gebracht. Was in diesem Weiblich-keitskonstrukt d e n n o c h versteckt bleiben soll und nur spurenweise w a h r z u n e h m e n ist, ist gerade das Konstruieren selbst: sobald sich E m m a ernsthafteren e m a n z i p a t o -rischen T h e m e n z u w e n d e t und mit der Rolle der Sprecherin identifiziert, werden die Reflexionen auf die Weiblichkeitsfiktion in den Hintergrund gerückt - eine Tatsache, die in einer Interpretation der E m m a - B r i e f e zu folgender Feststellung g e f ü h r t hat:

„ E m m a ist bereits d e r m a ß e n e r f u n d e n , dass sie sogar als fiktive Frau eine gültige Sprache sprechen kann".3 1 Das Problem der weiblichen Authentizität kann d a r u m eher mit Worten wie G l a u b e und Vertrauen eingegrenzt und letztlich als Arbeit mit der E r f a h r u n g der Inauthentizität a u f g e f a s s t werden. In e i n e m späten Artikel, in d e m bis auf E m m a alle P s e u d o n y m e enthüllt werden, fällt in diesem Sinne über E m m a die folgende B e m e r k u n g : „Sie ist unsere verschleierte Frau, der spiritus familiaris: sie taucht i m m e r rechtzeitig auf und beim Hahnenschrei, wenn dieses Blatt in Druck geht, verschwindet sie wieder. [...] Frau E m m a ist wie eine Elfe, die nur solange lebt, wie wir an sie glauben".3 2 Und in der W e i h n a c h t s n u m m e r der Zeitschrift aus d e m Jahre 1899 proklamiert E m m a in ähnlicher Weise einen neuen Subjektbegriff: „Das neue Jahrhundert, die Secession ist G l a u b e und Vertrauen in der Welt und vor allem in mir selbst, in meiner Persönlichkeit und in m e i n e m Geschmack".3 3

A u s der Z u s a m m e n s c h a u von Faktoren wie journalistischer Öffentlichkeit und Authentizität bietet sich eine interessante Parallele zu Karl Heinz Bohrers s u m m a -rischer B e m e r k u n g über die Rezeption des romantischen Briefs an:

Ohne das Subjekt vorauszusetzen, wäre die Lektüre dieser Briefe langweilig. Sie sind als Texte nur interessant, weil wir einen Subjektbegriff a priori unterstellen. Aus dem Wider-spruch unserer Unterstellung und dem diese Erwartung unterlaufenden ästhetischen Effekt der Briefe ergibt sich der Eindruck von einem neuen Subjekt, das kein Epochenbegriff oder Menschenbild mehr als repräsentativ pathetisieren kann.34

Diese Folgerung auf die Lesearten von E m m a s Briefen zu transponieren, ist insofern ertragfähig, als bereits E m m a selbst, von der L o s u n g „es gibt keine F r a u e n f r a g e , es gibt nur soziale Fragen"3 5 ausgehend, das Imaginäre der sozialen Rollen anklingen lässt, wodurch die Vorstellung der Weiblichkeit einem breiteren Kontext, der Variabilität der symbolischen F o r m e n zugeordnet wird. In E m m a s Vision über die m ö g l i c h e Rezeption ihrer erstaunlichen Ansichten überkreuzen sich gleichfalls die A f f i r m a t i o n der Subjektivität, der subjektiven Wahrheit und ihre Situationsgebundenheit: „Ich

31 Balázs: „Ismeri ön a cuplingert?", S. 59.

32 Lövik, Károly: Álnevek [Decknamen], In: A Hét v. 24. 12. 1899, S. 867.

33 Emma: Karácsonyi levél [Weihnachtsbrief]. In: A Hét v. 24.12.1899, S. 870.

34 Bohrer, Karl Heinz: Der romantische Brief. Die Entstehung ästhetischer Subjektivität.

München, Wien: Hanser 1987, S. 266.

35 Emma: Levél ködös problémákról [Brief über neblige Probleme], In: A Hét v. 20.3.1904, S. 178.

könnte schwören, in zwanzig Jahren werde ich ebenfalls sagen: was für eine Limona-derevolution, was f ü r eine lügnerische Wahrheit!"36

Zum Problemkreis der Ethnizität soll im weiteren ein Textbeispiel untersucht werden, das aus dem Repertoire unserer Pester Bürgerin mit zwei Kindern und mit einem langweiligen, aber als Informationsquelle in politischen Angelegenheiten noch immer brauchbaren Gatten stammt. Die sonstigen autobiographischen Bruchstücke schließen die Möglichkeit von Emmas ethnischer Identifizierung aus. Unter ihren männlichen Präferenzen lassen sich empfindsame, kosmopolitisch fühlende Dichter-seelen ebenso wie romantische national gesinnte Soldaten vorfinden. Auf die echte oder erfundene Vermutung einer Leserin über ihre jüdische Identität antwortet E m m a mit ihrer typischen Sprachmischung: „Gott sei bei uns" [Original auf Deutsch] „Sie haben mich sogar Jüdin genannt"37 - und lässt damit die Frage ihrer ethnischen Zugehörigkeit unentschieden. Und als der Wiener Herr Professor Nothnagel, laut E m m a „der große Liberale und Philosemit"38, den Frauen von Universitätsstudien abraten will, behandelt E m m a explizit die Vergleichsmöglichkeit der Juden- und Frauenwitze.

Die Wochenbriefe dieses weiblichen Ethnophantoms verschieben eben darum von Mal zu Mal den Akzent auf die Formung eines dieser Charakterzüge, dessen Auswahl und Relevanz auch vom Gesamtkontext der Zeitschrift her erschlossen werden kann.

Die innere Dialogstruktur der Zeitungsnummer wird üblicherweise als wesentlichstes Charakteristikum zur Begriffsbestimmung der Wochenplauderei herangezogen, indem die subjektive und satirische Wiederverwertung, die Engführung unterschiedlicher Diskurse stattfindet.39 Diese Anordnung der einzelnen Teilinformationen nach ihrem Bedeutungsgehalt wird in der rhetorischen Medienforschung mit den Begriffen der captatio und inventio beschrieben: „Sie wirken dem Eindruck der Beliebigkeit der täglichen Portionen von Wirklichkeits-Partikeln entgegen und kompensieren gleich-zeitig die größere Beschränktheit der Ausdrucksmittel, um die Wirksamkeit der Wirklichkeitsvermittlung angemessen zu verteilen und einer selektiven Rezeption Hilfestellung zu leisten."4"

In der ausgewählten Briefstelle sind diese dominanten Merkmale der Gattung leicht zu entdecken. Im Jahre 1906 erscheint ein Artikel über den Weg der europäischen Gedanken durch die Prismen der deutschen Kultur nach Wien, wobei Wien trotz aller

In der ausgewählten Briefstelle sind diese dominanten Merkmale der Gattung leicht zu entdecken. Im Jahre 1906 erscheint ein Artikel über den Weg der europäischen Gedanken durch die Prismen der deutschen Kultur nach Wien, wobei Wien trotz aller