• Nem Talált Eredményt

JOSEPH KOHLER: 'FELIX SOMLÓ: JURISTISCHE GRUNDLEHRE' [1917]*

In document FELIX SOMLÓ (Pldal 95-99)

S O M L Ó will allerdings keine Rechtsphilosophie in unserem Sinne geben, sondern eine juristische Grundlehre, indem er zu ermitteln sucht, worin eigentlich das Wesen des Rechtes liegt. Das Wesen des Rechtes ist natürlich verschieden von dem Rechtsinhalt, und wer das Wesen des Rechtes unabhängig von seinem In-halte erfassen will, der hat die Frage zu lösen, was überhaupt zum Rechte gehört und wann seine Grundbedingungen erfüllt sind. Das ist ja selbstverständlich.

Wer von irgend einem Begriff ausgeht, muss die Bedeutung des Begriffes darle-gen, bevor er weiter schreitet und auf die vielen einzelnen Ausläufer des Be-griffs zu sprechen kommt. Es kann natürlich eine Rechtsordnung geben, welche weder Ehe noch Eigentum kennt; aber wenn es eine Rechtsordnung gibt, so muss doch dasjenige, was man als Recht bezeichnet, etwas anderes als Brauch und Sitte sein, und wenn zum Begriff des Rechtes der Begriff der Pflicht gehört, so muss es in jeder Rechtsordnung Pflichten geben, sonst ist sie keine Rechts-ordnung. Allerdings schon hier möchten wir einige Einschränkungen machen.

* Felix Somló, Juristische Grundlehre. Verlag Felix Meiner, Leipzig (1917).

Man hat mir vielfach vorgeworfen, dass ich im Lehrbuch der Rechtsphilosophie einige neueren Rechtsphilosophen nicht berücksichtigt habe; aber ich hatte meinen guten Grund. Rechtsphilosophe, welche nicht auf eine Philosophie bauen, welche sich mit THOMAS VON AQUIN und HEGEL nicht gründlich abgegeben haben, zu berücksichtigen, habe ich überhaupt keine Verpflichtung; denn es ist nicht unsere Sache, uns wieder auf das Parterre zu begeben, wenn wir durch unsere grossen Denker bereits auf eine turmhohe Stufe gerückt sind. Oder glaubt man, dass ich etwa auf jene Rechtsphilo-sophen Rücksicht nehme, welche die Ansicht vertreten, dass die Rechtsordnung überhaupt nicht von Rechtspflichten der Untertanen gegen den Staat handle, sondern nur davon spreche, dass, wenn dies oder jenes geschieht, die Leute ins Zuchthaus oder aufs Schaffot kommen; sodass der Uebeltäter, der ein Verbrechen begeht, überhaupt nicht eine Rechtspflicht verletze, sondern nur die Bedingung erfülle, woraufhin der Staat zu handeln habe!

Und Theorien, welche den grössten Fortschritt, den die Rechtsordnung gemacht hat, nämlich die Entwickelung der subjektiven Rechte und die damit verbundene Freistellung der Persönlichkeit, verkennen, lasse ich überhaupt unberücksichtigt; wir brauchen doch nicht auf ein Stadium zurückzu-treten, über das sich schon längst THOMAS weit erhoben hat. Es ist nicht unsere Sache, uns m i l d e m juristischen Negativismus abzugeben, und ich konnte mich damit begnügen, auf Grund der einzigen unsere Zeitlage erfassenden Philosophie die Grundlinien des Rechtes zu zeichnen, wie dies auch künftig geschehen wird.

Trotzdem soll gelegentlich über einige neuere Erscheinungen berichtet werden.

7 4 J O S E P H K O H L E R

Recht muss natürlich etwas anderes als Sitte und Brauch sein, aber eine Rechts-ordnung besteht, auch wenn die Grenzlinie gegen Sitte und Brauch noch recht unklar und verschoben ist. Und auch der Begriff der Pflicht kann möglicherwei-se bis zum Nichts zerfamöglicherwei-sert möglicherwei-sein, wenn z. B. bei Naturvölkern den Jünglings-genossenschaften die Befugnis zusteht, unter gewissen Bedingungen zu morden, zu plündern, überhaupt zeitweise beliebig zu schalten und zu walten.

Den Rechtsbegriff selbst behandelt S O M L Ó als Normativbegriff; doch ist er kein fanatischer Anhänger des Unterschiedes zwischen Sein und Sollen, und er hat guten Grund dazu; hat doch die HEGELsche Lehre gezeigt, dass das Sollen immer nur eine Art des Seins ist, und es ist ebenso unrichtig, zwischen Sollen und Sein eine strenge Grenze aufzurichten, als wenn man etwa die Spannung des Bogens nicht als einen Seinszustand auffassen wollte. Immerhin ist der Norma-tivbegriff insoweit brauchbar, als er die Kehrseite der Verpflichtung ist; und wenn man auf solche Weise beim Recht die Pflicht hervorhebt, so hat dies sei-nen Sinn, denn das Recht ist Ordnung und die Ordnung wird regelrecht zu Pflichten führen. Was aber den Unterschied zwischen Sitte und Brauch einerseits und Recht andererseits betrifft, so sucht der Verfasser den Begriff des Rechtes dahin auszugestalten: Recht bedeute die Norm einer gewöhnlich befolgten, umfassenden und beständigen höchsten Macht (S. 105). Das Wesentliche liege also darin, dass eine höchste Macht im Hintergrund stehe; ausserdem müsse eine Rechtsordnung umfassend sein, denn einzelne abgesplitterte Bestimmungen könnten nicht als Recht gelten.

Alles dies ist insofern richtig, als das Recht eine gesetzte Ordnung ist und als Mächte, welche die Ordnung verbürgen, dem Rechte zu Gevatter stehen müssen;

im übrigen ist die Definition ein Musterbeispiel jener mathematisch abgrenzen-den Definitionsweisen, welche nicht in die Sache einführen und daher keine Charakteristik der Idee geben. Was nützt es, das Terrain abzustecken, wenn man über seine Art und Weise nichts erfährt? Was nützt es, das Recht zu definieren, wenn man dabei von den Zwecken des Rechtes und seiner Bestimmung als Ele-ment der Kulturordnung nichts hört, wodurch erst das Recht Gestalt und Leben gewinnt? Natürlich können diese Zwecke veschiedenster Art sein, sie können auf einer sonderlichen Stufe der Betrachtung stehen, die der unseren zuwider ist, sie können auf mehr oder minder willkürlichen Vorstellungen beruhen, sie kön-nen auch abwegig sein; allein dies hindert die Richtigkeit der Zweckdefinition ebensowenig, als die Richtigkeit der Definition des Kunstwerkes dadurch ge-schmälert wird, dass es auch schlechte Kunstwerke gibt.

Sodann fehlt jede Beziehung zum Naturrecht. Dieses wird sogar völlig abge-lehnt und auf die katholisierende Richtung abgewälzt; allein man verwechselt dabei vollkommen das Naturrecht eines Wolff, welches eine feste unverbrüchli-che Ordnung als massgebend erachtete, und das bewegliunverbrüchli-che moderne

Kultur-S o m l ó : J u r i s t i s c h e G r u n d l e h r e [ 1 9 1 7 ] 75 recht, das sich der jeweiligen Kultur anpasst. Dass aber das positive Recht sich mit diesem Naturrecht verschwistern und aus ihm seine Kraft schöpfen soll, das ist wiederum eine Wahrheit, ohne die der Rechtsbegriff dürr und öde bleibt; und wenn nun gar noch behauptet wird (S. 67), dass die Normen der Ethik ewig seien gegenüber der Veränderlichkeit der Rechtsbestimmungen, so ist dies ein weite-rer Irrtum. Die Normen der Ethik sind ebenso wandelbar wie die Rechtsnormen;

sie schliessen sich wie diese der jeweiligen Kulturordnung an. Es wäre nichts irriger, als etwa die Ethik des KONFUZIUS oder des GAZZALI oder die Ethik des

M O N T E Z U M A als eine Nichtethik zu betrachten, weil sie von der unsrigen we-sentliche Unterschiede zeigt; es wäre völlig unrichtig, die Ethik der Blutrache-völker, welche die Pflicht der Blutrache als die erste und heiligste Pflicht er-klären, deshalb als Nichtethik zu bezeichnen, weil unsere heutige Ethik einen anderen Inhalt hat, oder der Ethik derjenigen Völker den Charakter der Ethik abzustreiten, welche es als eine furchtbare Unsittlichkeit betrachten, wenn der Schwiegervater mit der Schwiegertochter oder der Verlobte mit der Verlobten spricht, oder die Ethik derjenigen Völker zu verneinen, welche die Geschwiste-rehe als die reinste und heiligste Ehe betrachten.

Auf diese Weise kommt der Verfasser zu der Erklärung, dass die sogenannten Normen des Völkerrechts keine eigentlichen Rechtsnormen seien, ein Resultat, das natürlich unseren Feinden willkommenen Anlass bieten wird, uns einen völkerrechtlichen Nihilismus vorzuwerfen. Er meint, diese Normen seien höch-stens Konventionalnormen, sie seien jedenfalls auch keine Normen ethischer Natur, weil sie keine absolute Richtigkeit hätten.

So kommt er auch nicht dazu, der Freirechtsbewegung die richtige Stellung einzuräumen; denn gerade diese Freiheitsbewegung setzt das Vorhandensein eines auf Interessenabwägung beruhenden, unseren Kulturerfordernissen ent-sprechenden Naturrechts voraus, und wenn die Interpreten dabei von Analogie, von billiger Auslegung, von der vermutlichen Absicht des vernünftigen Gesetz-gebens usw. sprechen, so ist dies nur die Verkleidung dessen, dass eben mehr oder minder verstandene naturrechtliche Grundsätze zur Anwendung kommen.

Auch zu einer brauchbaren Unterscheidung des öffentlichen und Privatrech-tes gelangt der Verfasser nicht; es ist völlig unzutreffend, wenn man gegenüber dem privatrechtlichen Prinzip der Koordination der Rechtssubjekte geltend macht, dass auch im Privatrecht Subordinationsbeziehungen bestehen, wie z. B.

zwischen Eltern und Kindern. Schliesst doch eine Koordination der Rechtssub-jekte als Mitglieder der geichen Rechtsstufe keineswegs Gewalt- und Pflichten-verhältnisse aus; ebenso wie die Gleichstellung der Elemente in der Chemie^die verschiedenen Abstossungs- und Anziehungsverhältnisse nicht ausschliesst.

Hierbei darf man nicht vergessen, dass bei den Gewaltverhältnissen zwischen Eltern und Kindern stets ein Gegenrecht besteht und niemals bloss eine

einseiti-7 6 J O S E P H K O H L E R

ge Unterwerfung. Und im Sklavenrecht wird der Sklave zur Sache; hier ist daher von zwei Rechtssubjekten, die in Koordination oder Subordination stehen könn-ten, überhaupt nicht die Rede. Im öffentlichen Recht aber stehen Persönlichkei-ten auf zwei verschiedenen Stufen des Rechts einander gegenüber, die durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt sind. Wer dies nicht annimmt, kann zu keiner gedeihlichen Betrachtung des Staatslebens gelangen.

Auch das Problem des Gewohnheitsrechts wird nicht gefördert. Das Gewohn-heitsrecht soll ursprünglich (als primäres GewohnGewohn-heitsrecht) auf den Volkswil-len gebaut sein, für das sekundäre Gewohnheitsrecht aber, welches abändernd oder ergänzend eintrete, nachdem bereits eine Normalgewalt existiert, wird die veraltete Gestattungstheorie (Gestattung der gesetzgeberischen Macht) herge-holt, eine Theorie, welche allerdings seiner Zeit von einem grossen Mann, von THOMAS VON AQUIN in der Summa 1. 2. qu. 97 a. 3 vertreten w o r d e n ist.

Dass wir uns endlich mit der Definition des Staates als einer Gesellschaft, die durch die Befolgung der Normen einer Rechtsmacht gebildet ist, nicht befriedigt fühlen können, versteht sich von selbst; auch hier eine jener Definitionen, wel-che alles andere bieten, nur keine Charakteristik der Sawel-che selbst. Ebenso kann die Gebundenheit des Staates an seine bestimmungsgemässe Pflicht durchaus nicht auf ein Versprechen gegründet werden, wodurch der Staat als Rechtsmacht sich selbst verpflichte; vielmehr beruht diese Gebundenheit auf Wesen und Zweck des Staates, sie ist hiermit von selbst gegeben.

Das ganze Werk ist unerfreulich und zeigt, wohin eine Rechtsgrundlegung ohne philosophische Basis führt. Wie wenig der Verfasser die Grossen der Ver-gangenheit berücksichtigt, zeigt der Umstand, dass T H O M A S VON A Q U I N nur zweimal vorübergehend erwähnt wird, und zwar gerade in der obigen Frage, in der er nichts mustergültiges geleistet hat. H E G E L wird kaum zweimal nebenbei genannt, der grosse SUAREZ gar nicht, während der flache Scheinphilosoph

A U S T I N unendlich oft paradiert und philosophische Dilettanten wie JHERING und

JELLINEK jeden Augenblich aus- und eingehen. Philosophische Dilettanten wie diese sollten aber fürder unerwähnt bleiben.

LEONIDAS PITAMIC: 'EINE „JURISTISCHE

In document FELIX SOMLÓ (Pldal 95-99)