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ZUM IDENTITÄTS- UND ETHNOMANAGEMENT

The study of ethnicity has become arguably the major industry, not just in anthropology but in the social sciences as the whole.

(Katherine Verdery, 1994) Ethnizität – Vorstellung, Zuschreibung und Werkzeug (tool)

Der Begriff Ethnos-ἔθνος kommt in der griechischen Literatur als „Volk, Volks-stamm, Völkerschaft, Schar, Menge, (soziale) Klasse“ vor, er wird zumeist jedoch mit dem Substantiv Volk in andere Sprachen übersetzt.1 Der im Exil lebende rus-sische Ethnograph Sergej Mikhailowitsch Shirokogoroff (1887-1939) beschreibt in seinem 1924 erschienenen und gleichzeitig bahnbrechenden Werk „Ethnical unit and milieu; a summary of the ethnos“2 den Begriff Ethnos wie folgt:

[…] eine Gruppe von Menschen, die eine Sprache sprechen, ihre einheitliche Her-kunft anerkennen, über einen Komplex von Brauchtum und Lebensweise verfügen, der durch die Tradition geheiligt und bewahrt wird und sie von anderen derartigen Gruppen unterscheidet.3

Fünfundfünfzig Jahre später interpretiert Ina-Maria Greverus diesen Zugang wie folgt:

1 Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch. (Gütersloh et al: Bertelsmann 1991), S. 441; der Ethnos-Begriff diente damit als Grundlage für die Ethnologie sowie auch für die Ethno-historie. Begriffsbezeichnungen werden bei ihrer Erstnennung kursiv gesetzt und danach nicht mehr gesondert ausgewiesen.

2 S. M. Shirokogoroff: Ethnical unit and milieu; a summary of ethnos. Shanghai: E.Evans and sons, 1924.

3 Zitiert nach Christian Giordano: Ethnizität: Soziale Bewegung oder Identitätsmanagement?

In: Schweizer Zeitschrift für Soziologie 7 (1981), S. 179. Zu den aufgezählten Punkten kam bei S.

M. Shirokogoroff dann noch der „biologische Aspekt“ von einer gemeinsamen Abstammung hinzu. Diese Shirokogoroff ’sche Ethnos-Definition verwendet Thomas Höllmann etwa im Rahmen seiner essentialistischen Herangehensweise an die Untersuchungen ethnischer Grup-pen, indem er Kultur als Merkmal benutzt, welches ethnische Gruppen voneinander abgrenzt.

(Vgl. Thomas Höllmann: Kritische Gedanken zum Ethnos-Begriff in der Völkerkunde – am Beispiel festländisch südostasiatischer Bevölkerungsgruppen. In: Tribus 41 (1992), S. 177-186.

Die konstituierenden Faktoren für Ethnos waren für Shirokogoroff: die Ähnlichkeit der kulturellen Adaption, die Ähnlichkeit der Sprache, Kontinuität als Überzeugung und Überlieferung von Traditionen, Wir-Bewußtsein und wechselseitige Identifika-tion sowie die biologische Einheit durch endogame Weitergabe der Erbbedingung […] Während die Kriterien biologischer Einheit, gemeinsame Sprache und gemeinsa-mer Raum heute im Zeichen starker geographischer und sozialer Mobilität nur noch als mögliche, aber nicht unbedingt notwendige gesehen werden, treten die Faktoren gemeinsame Geschichte, gemeinsame Kultur und ethnische Selbstzuschreibung als

„Wir-Bewußtsein“ ins Zentrum der Diskussion.4

Bereits im Jahr 1934 wies Shirokogoroff auf die Beziehung zwischen Verwandt-schaft und ethnischer Gruppe hin und er verwendete dabei bereits den Begriff der Endogamie.5 Der russische Ethnograf Yulian V. Bromley stellte in den 1970er-Jahren eine gedankliche Verbindungslinie zwischen dem damals wie heute in der russi-schen Terminologie geläufigen Begriffes narod mit den Bedeutungszusammenhän-gen des Ethnosbegriffs her:6

It is quite obvious, however, that the amplitude of semantic divergences in these cases is much smaller than in the case of the common usage of the word narod and its ana-logues in other West European languages. This fact once again points to the advisa-bility of having a specialized ethnic terminology. […] The problem is to establish the most typical intrinsic features, i.e., the essence of ethnos, people.7

Schließlich kommt Bromley nach langjährigen Studien der Interdependenzen von Ethnos und Volk/ Nation zum Schluss, dass es zur präziseren Erläuterung des Sachverhaltes neben dem weiter gefassten Begriff „Ethnos“ auch einen enger ge-fassten geben müsse, den er ethnikos nennt:

Thus, ethnos […] may be defined as historically formed community of people charac-terized by common, relatively stable cultural features, certain distinctive psychological traits, and the consciousness of their unity as distinguished from other similar

com-4 Ina-Maria Greverus: Kultur und Alltagswelt. Eine Einführung in Fragen der Kulturanthro-pologie. München: Beck (1978), S. 181 f.

5 Sergej M. Shirokogoroff: Ethnos: an outline of theory. Peiping 1934.

6 Das slawischsprachige Wort narod kann sowohl Volk als auch Nation bedeuten.

7 Yu. Bromley: The Term Ethnos and its Definition. In: Y. Bromley (ed.), Soviet Ethnology and Anthropology Today. The Hague/ Paris: Mouton 1974, p. 57. (= Studies in Anthropology. 1.)

munities.8 At the same time it is necessary to take account of the fact that ethnos in the narrow sense of the word, i.e., „ethnikos“, is not connected with its environment unilaterally but interacts with it. Owing to their close interconnections „ethnikos“ and environment constitute a complex formation of peculiar kind. In addition to „eth-nikos“, two main spheres manifest themselves distinctly. The first could conditionally be called the „internal“ sphere. It consists of all „non-ethnic“ social phenomena that are conjugated with ethnikos. The natural environment may in turn be regarded as an

„external“ sphere. „Ethnikos“ is in effect a social phenomenon.9

Gerade der im letzten Satz des Zitats angesprochene Sozialbezug veranlasste Brom-ley zu seiner begrifflichen Neuschöpfung, die den bisherigen russischen Kanon er-weitern und zugleich die instrumentelle Einsatzfähigkeit von ethnikos erschließen sollte. Aus heutiger Sicht erscheint es plausibel, zu behaupten, dass gerade diese Verbindung des ethnikos mit den damaligen sozialen Institutionen durchaus eine Konstellation vorwegnimmt, die bereits jenen Institutionen, die in unserem Sinne für das Identitäts- und Ethnomanagement verantwortlich zeichnen, ähnelt. In der einschlägigen Forschung der Sowjetunion wurde das als „Sozialer Organismus“ be-zeichnet.10 Bromley nannte daraufhin die von ihm vorgenommene Begriffserweite-rung Ethnosocial Organisms (or ESO’s), deren Bedeutung er in seinem Aufsatz aus dem Jahr 1974 folgendermaßen beschreibt:

The special formations that originated as a result of the intersection of „ethnikos“ and the social organism enjoyed relative independence which made possible reproduction.

Such „synthetic“ formations, which have been an important and widespread form of ex-istence of „ethnikos“, can, in our view, be defined as ETHNOSOCIAL ORGANISMS (or „ESO’s“). In addition to ethnic oneness, such organisms are usually characterized by common economic, social, territorial, and political factors (the maximum version, so to speak). The socioeconomic factor is the most essential component of the „ESO“.11

Laut Marcus Banks hat Bromley damit die damals in der Sowjetunion vorhan-denen Sichtweisen auf den Ethnosbegriff wesentlich beeinflusst12 und der Wiener 8 Bromley, The Term Ethnos and its Definition, p. 66.

9 Ebda, p. 67.

10 Dieser Begriff wurde von Yuri Semenov im Jahr 1966 eingeführt. Vgl. Yuri Semenov: Kate-gorija ‘sotsialnyi organizm’ i jeje snachenje dlja istoricheskoj nauki. In: Voprosi Istorii 8 (1966), o. S.

11 Bromley, The Term Ethnos and its Definition, p. 69.

12 Banks, Ethnicity: anthropological constructions, pp. 21 f.

Ethnologe und Kulturanthropologe Karl R. Wernhart erkennt in den Überlegun-gen Bromleyszum „Ethno-sozialen Organismus (ESO)“ sogar eine mehr oder we-niger wissenschaftshistorische Basis für die Ethnohistorie, weil bei Bromley bereits ethnische mit sozio-ökonomischen Faktoren explizit zusammengefügt werden.13 Wernhart erwähnt in diesem Zusammenhang unter anderem auch Bromleys Aus-einandersetzung mit der Endogamie und deren Beitrag für den Fortbestand des Ethnos; Bromley habe nämlich einen Wegfall der Endogamie nicht nur für die Ausbildung von Mischehen verantwortlich gemacht, sondern in ihnen bereits die Keimzellen für die Entstehung neuer Ethnien gesehen.14

Diese Ausführungen – kurz zusammengefaßt – zeigen uns also, daß man in der Sowjetunion früher zwischen Ethnos und ESO unterschied, d.h. ein Ethnos kann in seinem sozialen Kontakt verschiedenen politischen, sprich gesellschaftspolitischen, Gruppen angehören. Dieses Wechselspiel zwischen Ethnos und ESO ist an den Fak-toren, die zur Stabilisation des Ethnos beitragen, zu sehen. Neben Psyche und Kultur war für die sowjetische Forschung auch die Endogamie ein wesentlicher stabilisieren-der Bestandteil.15

Gerade für die Minderheitenforschung sind diese theoretischen Überlegungen von großem Nutzen, denn in der Forschungspraxis geht es in vielen Fällen darum, wie sich eine bestimmte Ethnie in unterschiedlichen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnissen oder gar in unterschiedlichen Nationalstaaten verhält und weiterentwickelt. Dabei wird der Frage nach Mischehen und der damit in Verbin-dung stehenden AusbilVerbin-dung hybrider kultureller Strukturen noch immer zu

we-Ein weiterer bemerkenswerter Vergleich im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit den russischen Ethnos-Theoretikern sollte nicht fehlen, denn Marcus Banks erkennt deut-liche Übereinstimmungen zwischen ihren Werken und Bourdieus „Theorie der Praxis“ und

„der Rolle des Habitus“: „But […] the theory is more subtle than the Soviet position. Whe-re the Soviets would tend to see ethnicity or ethnic identity as a primordial and stable ‚coWhe-re‘

of identity, remoulded only slightly in its manifestation in any particular ‚ethno-social orga-nism‘, the habitus is dynamic, constantly changing, constantly feeding an unconscious and deep routed structural pattern to the individual and yet being changed in a kind of feedback process as the individual meets changes in the economic and political environment.“ Banks, Ethnicity: anthropological constructions, p. 46.

13 Vgl. Karl R. Wernhart: Ethnos – Identität – Globalisierung. In: K. R. Wernhart/ W. Zips (Hrsg.), Ethnohistorie. Rekonstruktion und Kulturkritik. Eine Einführung. (Wien:) Pro-media (2001), S. 82-87.

14 Vgl. dazu ebda, S. 84.

15 Ebda, S. 85.

nig Aufmerksamkeit geschenkt, weil der Blick zu sehr auf den Traditionen und der Erhaltung dieser Traditionen ruht und dadurch suggeriert die Forschung einen gleichbleibenden Fortbestand der Traditionen.16

Ein Beispiel für die westliche Betrachtung des Ethnosbegriffs, das aus den 1960er-Jahren stammt, kann durchaus als eine weitere wissenschaftshistorische Basisüber-legung zum Identitäts-, aber noch mehr zum Ethnomanagement in meiner gegen-wärtigen theoretischen Ausformung gesehen werden; sie zeigt den soziologischen Blickwinkel von Wilhelm E. Mühlmann:

Ethnos ist also stets ein politischer Begriff. Die der Romantik entstammende rein stoffliche Auffassung des Volkstums reicht nach den Ergebnissen der heutigen eth-nographischen Soziologie nicht mehr aus. Volkstum ist niemals naturgegebene Tatsa-che, sondern stets politische Leistung, also Willensschöpfung; dies gilt bereits für den Klan, erst recht für entwickeltere Phasen ethnischer Einheiten.17

Allein diese Erkenntnis Mühlmanns impliziert bereits einen willensbildenden so-wie steuernden Faktor für „das Ethnos“ beziehungsweise „das Volkstum“.18 Mühl-mann warnt dabei auch vor einer singulären Betrachtung eines einzigen, aus den sozialen, politischen und kulturellen Zusammenhängen herausgelösten Ethnos und verlangt eine komparatistische Herangehens- und Darstellungsweise: „Die Ethno-logie kann niemals ein Ethnos isoliert betrachten (wie die romantische ‚Volkskun-de‘), sondern stets nur den geschichtlichen Zusammenhang ethnischer Einheiten untereinander.“19 Ich selbst unterstütze diese These, denn bei der Erforschung des Identitäts-und Ethnomanagements sollte keinesfalls eine isolierte Vorgehenswei-se gewählt werden, die zu hermetischen Betrachtungen führen kann. Zumindest ein Vergleich mit mindestens einer oder weiteren ethnischen Gruppen, die im Un-tersuchungsraum leben, sollte angestrebt werden. Dadurch erschließen sich Kon-gruenzen und Interdependenzen auf unterschiedlichsten Ebenen sowie nach den Mustern und Auswirkungen von Inklusion und Exklusion. Der Hinweis auf die 16 Dazu sollte ergänzt werden, dass es sich in der Minderheitenforschung zum Teil um

Auf-tragsforschungen handelt, deren Ziel es bereits ist, Traditionen von ethnischen oder nati-onalen Gruppen festzuschreiben und damit selbst weiter zu tradieren. Diese Forschungen sind dann im Grunde ein Teil des Identitäts- und Ethnomanagements.

17 Wilhelm E. Mühlmann: Geschichte der Anthropologie. Frankfurt/M/ Bonn: Athenäum (1968), S. 235.

18 Mühlmann verwendet bei seinen Definitionen die Begriffe „Ethnos“ und „Volkstum“ syno-19 Mühlmann, Geschichte der Anthropologie, S. 236.nym.

Historizität, den Mühlmann in oben genanntem Zitat eingeflochten hat, ist für den Umgang mit Identitäts-und Ethnomanagement ebenfalls wesentlich, weil dabei stets auf historische Ereignisse Bezug genommen wird und die Erinnerungskultu-ren dafür als politische Projektionsebene herangezogen werden.20

Eine weitere gedankliche Verbindung zu den gegenwärtigen Erkenntnissen rund um die Begriffe der Ethnizität und der ethnischen Identität lässt sich aus folgender Überlegung Mühlmanns ableiten:

Man wird von diesem Gesichtspunkt auszugehen haben, das „Ethnos“ methodolo-gisch zunächst einmal als Hypothese, als eine durch historisch-soziolomethodolo-gische Einzel-forschung erst mit Leben zu erfüllende „Leerstelle“ auffassen müssen […].21

Diese Prämisse könne man durchaus in der Form lesen, dass man Ethnos weder schablonenhaft noch vorgefasst begegnen, sondern erst durch konkrete Beobach-tungen mit Inhalten füllen möge und erinnert gleichzeitig daran, wie sich der Eth-nizitätsdiskurs strukturell immer mehr veränderte. Das geschah gerade deswegen, weil mehr und mehr darauf verzichtet wurde, auf a priori vorgeformte, starre oder zu sehr einschränkende Konzepte, die etwa aus der primordialen –, der essentialis-tischen – oder der objektivisessentialis-tischen Definition von Ethnizität hervorgegangen sind, zurückzugreifen.

Ruft man sich nun die oben genannten Definitionen von Ethnos der beiden rus-sischen Anthropologen Shirokogoroff und Bromley nochmals in Erinnerung und vergleicht diese mit dem Begriff Ethnizität,22 so wie er etwa von Friedrich Heck-mann im Jahr 1992 beschrieben wird, dann sind bereits hier die Gemeinsamkeiten unübersehbar:

Ethnizität bezeichnet die für individuelles und kollektives Handeln bedeutsame Tat-sache, daß eine relativ große Gruppe von Menschen durch den Glauben an eine ge-20 Um diesem geschichtlichen Aspekt gebührend Rechnung zu tragen, wurde das

Identitäts-und Ethnomanagement in seinen Kontextualisierungen mit dem Konzept der Ethnohistorie und jenem der Historischen Anthropologie verknüpft. Siehe dazu den Abschnitt Historische Anthropologie sowie Ethnohistorie.

21 Mühlmann, Geschichte der Anthropologie, S. 235 f.

22 Im Oxford Dictionary scheint ethnicity zum ersten Mal im Jahre 1953 auf. Er bezeichnet dort die „Eigenschaft einer ethnischen Gruppe“ – der deutschsprachige Terminus „Ethni-zität“ leitet sich direkt von seinem englischsprachigen Pendant ab. Vgl. Arno Pascht: Eth-nizität. Zur Verwendung des Begriffs im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs.

Eine Einführung. München: Akademischer Verlag 1999, S. 17; vgl. dazu weiters: Heller, Ethnizität in der Globalisierung, S. 14.

meinsame Herkunft, durch Gemeinsamkeiten von Kultur, Geschichte und aktuellen Erfahrungen verbunden sind und ein bestimmtes Identitäts- und Solidarbewußtsein besitzen.23

Marcus Banks streicht im Jahre 1996 im Rahmen der von ihm so genannten basic positions seine Überlegungen zur Konstruiertheit von Ethnizität bereits hervor:

[Ethnicity is; Anm. d. d. Verf.] a collection of rather simplistic and obvious statements about boundaries, otherness, goals and achievements, being and identity, descent and classification, that has been constructed as much by the anthropologist as by the sub-ject.24

Hier zeigt Banks einerseits die Breite und Vielfalt der Zugänge zum Begriff Eth-nizität, andererseits vergegenwärtigt er uns nicht nur dessen artifiziellen Charakter, sondern er lässt nicht unerwähnt, dass auch die Forscherin oder der Forscher daran einen festen Anteil hat.

Bahnbrechend für die entscheidende Weiterentwicklung des Begriffs Ethnizität und dessen Forschungsfelder war ohne Zweifel das Konzept, das Fredrik Barth im Jahr 1969 in dem von ihm herausgegebenen Buch Ethnic Groups and Boundaries:

the Social Organisation of Cultural Difference25 vorgelegt hat: Dieses Konzept26 hat die Beschreibung der Ethnizität wesentlich vereinfacht. Es wird ihm hier deswegen 23 Friedrich Heckmann: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie

inter-ethni-scher Beziehungen. Stuttgart: Enke 1992, S. 56.

24 Marcus Banks: Ethnicity: anthropological constructions. London/ New York: Routledge (1996), pp. 5 & 190.

25 Fredrik Barth (ed.): Ethnic Groups and Boundaries: the Social Organisation of Cultural Difference. Oslo: Universitätsverlag 1969. Weitere Fragen zur Interdependenz von „Ethnizi-tät“ und „ethnischer Gruppe“ werden im anschließenden Abschnitt Vom Ich (Subjekt/Objekt) zur „Ethnischen Gruppe“ besprochen.

26 Ulf Brunnbauer fasst diese Umorientierung durch Barth folgendermaßen zusammen:

„Barth und von ihm inspirierte Anthropologinnen und Anthropologen betrachteten Eth-nizität als Ergebnis konkreter sozialer Prozesse und verlagerten den Fokus der Untersu-chungen weg von kulturellen oder symbolischen Manifestationen von Ethnizität hin zu ethnischen Grenzziehungen und zur Manipulation ethnischer Identitäten. Aus dieser kon-zeptionellen Umorientierung resultierte unter anderem die Einsicht, dass ethnische Grup-pen situationelle soziale Einheiten sind, die sich auf eine gemeinsame Identität berufen, um damit als Kollektiv bestimmte Interessen zu verfolgen; in anderen Kontexten können sich aber auch andere Einheiten bilden, indem die ethnischen Grenzen neu gezogen werden.“

Ulf Brunnbauer (Hrsg.): Umstrittene Identitäten. Ethnizität und Nationalität in Südosteu-ropa. Frankfurt/M et al: Lang (2002), S. 15.

mehr Raum gewidmet, weil es für die Untersuchungen des Identitäts- und Eth-nomanagements in folgenden Punkten wesentlich ist: i) im Sinne der Selbstwahr-nehmung der Akteurinnen und Akteure;27 ii) bei der Beobachtung der Selbst- und Fremdwahrnehmungen von unterschiedlichen ethnischen Gruppen; iii) in den Be-ziehungen der Gruppen untereinander und bei der Festlegung der Grenzen der je-weiligen ethnischen Gruppe(n) (boundaries). Grundsätzlich war damals neu, dass Ethnizität dazu fähig sei, sich bei soziokulturellen Veränderungen an die neuen Gegebenheiten jeweils anzupassen. Der Ethnizität selbst liegt damit – ähnlich wie dem Begriff Identität – ein gewisses fluidum oder shifting zugrunde. Das mag in kleinräumigen Strukturen leichter beobachtbar sein, aber selbst Makrostrukturen verändern sich ständig, zuerst an ihren Rändern. Es verschieben sich dabei die Wer-tigkeiten oder die zugeschriebenen Aufladungen der ethnischen Marker, etwa durch Akkulturation, Assimilierung, Sprachwandel oder durch Phänomene der Inklusion von Migrationsgruppen; damit Hand in Hand erneuern sich gleichzeitig die Deter-minanten der Exklusion durch die jeweils Anderen. Boundaries bilden sich vielfach eher unbewusst als bewusst, denn das Ganze wird zu einem wesentlichen Teil von symbolischer Interaktion mitgetragen, die wiederum ein symbolisches Abgrenzungs-verhalten befördert.28 Auch nach Anthony P. Cohen etwa erfolgt die Herausbildung von Gruppenidentität und Gemeinschaft, im Sinne des englischsprachigen Termi-nus community, vor allem in ihren symbolischen Praktiken: „People construct com-munity symbolically, making it a resource and repository of meaning, and a referent of their identity.“29 Dieser Aspekt ist für das Identitäts- und Ethnomanagement von großer Bedeutung, weil es zum Ersten nicht nur selbst von diesen symbolischen Praktiken abhängig ist, sondern versucht, mit diesen aktiv zu operieren!

Abweichend von Barths egalitärer Zugangsweise müssen bei der Betrachtung des Identitäts- und Ethnomanagements in multiethnischen nationalstaatlichen Struk-turen auch die unterschiedlichen Machtverhältnisse zwischen den einzelnen ethni-schen Gruppen stärker in Betracht gezogen werden;30 – im Falle der hier vorliegen-den empirischen Studien in unterschiedlichen Ländern Südosteuropas wären das 27 Bei Barth ist dieser Punkt mit „categories of ascription and identification“ überschrieben;

vgl. Barth, Ethnic Groups, p. 10.

28 Vgl. Margit Feischmidt: Ethnizität als Konstruktion und Erfahrung. Symbolstreit und All-tagskultur im siebenbürgischen Cluj. (Münster et al: LIT 2002), S. 13. (= zeithorizonte. Per-spektiven Europäischer Ethnologie. 8.)

29 Anthony P. Cohen: The Symbolic Construction of Community. London/ New York: Rout-ledge (1992), p. 118.

30 Siehe dazu Ronald Cohen: Ethnicity: Problem and Focus in Anthropology. In: Annual Re-view of Anthropology 7 (1978), pp. 379–405.

beispielsweise die in jedem Nationalstaat anders ausgeprägten Machtverhältnisse zwischen der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung zu den Minderheiten einerseits und unter den jeweiligen einzelnen Minderheiten untereinander.

In Anlehnung an nordamerikanische Soziologen setzte Abner Cohen, der in die so genannte „Manchester School’s middle period“31 eingeordnet wird, den Ethni-zitätsbegriff ebenfalls bereits gegen Ende der 1960er-Jahre ein und gebrauchte ihn damals vor allem als ein operatives Instrument: „Cohen’s main thesis is that eth-nicity is instrumental; that is, there are reasons for a group asserting and maintai-ning an ethnic identity and these reasons are economic and political rather than psychological.“32 Darin zeigt sich die unmittelbare verwandtschaftliche Beziehung von Ethnizität und Ethnomanagement: Beide sind grundsätzlich instrumentell aus-gerichtet.

Die im Jahr 1976 erschienene Aufsatzsammlung Ethnicity: Theory and Experi-ence von Nathan Glazer und Daniel P. Moynihan gilt im wissenschaftshistorischen Sinne als eines der zentralen Werke aus den 1970er-Jahren über den Begriff „Eth-nizität“. Es zeichnet sich durch die eigenständige Sichtweise der beiden Autoren aus und argumentiert, dass das Phänomen der Ethnizität ein „soziales Faktum“ und kein abstraktes konzeptionelles Werkzeug sei, das gleichzeitig ein relativ rezentes Phänomen darstellen würde.33 Aus heutiger Sicht und vor allem im Hinblick auf die Akteurinnen und Akteure des Ethnomanagements ist dieser Ansatz durchaus sinn-voll, da sich gerade in diesem Umfeld Ethnizität als soziales Faktum etabliert hat.

Die Leichtigkeit, mit der damit oft komplexe soziokulturelle Zusammenhänge in ethnischen Gruppen beschrieben oder vielmehr festgeschrieben werden, soll aller-dings die Vorsicht der Forscherin, des Forschers wecken, denn die in der Einleitung

Die Leichtigkeit, mit der damit oft komplexe soziokulturelle Zusammenhänge in ethnischen Gruppen beschrieben oder vielmehr festgeschrieben werden, soll aller-dings die Vorsicht der Forscherin, des Forschers wecken, denn die in der Einleitung