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DER DEUTSCHEN UND UNGARN IM SÜDÖSTLICHEN EUROPA

Ethnizität und Nation

This is a world of flows. It is also of course, a world of structures, organizations, and other stable social forms. But the apparent stabilities that we see are, under close examination, usually our devices for handling objects characterized by motion. The greatest of these apparently stable objects is the nation-state, which is today frequently characterized by floating populations, transnational politics within national borders, and mobile configurations of technology and expertise.1

Der Rückgang der Nation als Bezugsgröße für die Gestaltung des kollektiven Zu-sammenlebens wird nicht mehr nur in theoretischen Schriften konstatiert, sondern er gehört schon zur alltäglichen Erfahrung des „normalen Bürgers“.2

In den beiden Eingangszitaten wird eine generelle Abnahme der Bedeutung von Nation im Allgemeinen sowie eine damit einhergehende Schwächung der Ein-flussnahme auf „ihre“ jeweiligen Staatsbürger im Besonderen postuliert. Dieser Befund ist im Zusammenhang mit dem Identitäts- und Ethnomanagement eth-nischer und nationaler Gruppen in den Untersuchungsregionen des südöstlichen Europas durchaus von Bedeutung, denn auch dort begannen sich verkrustete Strukturen durch eine gesteigerte Mobilität der Menschen und durch die Ein-flüsse der Globalisierung durchaus aufzuweichen; gleichzeitig begegnet einem die Verbindung von Ethnizität und Territorium sowie von Ethnizität und Nation in vielen Bereichen und diese erscheint mitunter als ein energisches Festhalten-wollen an einem ethnozentristischen Konzept.3 Solche Phänomene werden von 1 Arjun Appadurai: Grassroots Globalization and the Research Imagination. In: Ibid. (ed.),

Globalization. Durham/ London: Duke University Press 2001, p. 5.

2 Hyacinthe Odoa: Vorwort. In: Dies. (Hrsg.), Identität und interkulturelle Beziehungen.

Leipzig: Universitätsverlag (2005), S. 7.

3 „Ich [Jörn Rüsen, Anm. d. d. Verf.] verstehe unter Ethnozentrismus die verbreitete kultu-relle Strategie, kollektive Identität durch Unterscheidung der eigenen Gruppe von anderen so zu gewinnen, dass der soziale Raum des eigenen Lebens als gemeinsamer und vertrauter vom Raum des anderen substantiell unterschieden wird.“ Jörn Rüsen: Einleitung: Für eine

Peter Burke als counter globalisation bezeichnet.4 In Verbindung mit Ethnizität ergeben sich dabei folgende Konstellationen: Im Grunde beansprucht Ethnizi-tät ein bestimmtes Territorium und dieser regionalen Konzentration vermag sie sich im Grunde gar nicht zu entziehen, denn Christian Giordano erachtet diesen Anspruch als einen integrativen Bestandteil der Ethnizität: „Territorialität als we-sentlicher Bestandteil von Ethnizität lässt sich als monopolartiger Raumanspruch einer ethnischen Gemeinschaft charakterisieren.“5 Anthony D. Smith erläutert den Zusammenhang zwischen geopolitischem Raum und ethnischer Gruppe fol-gendermaßen:

To the impact of propaganda and myth-making, we must add the influence of the geopolitical location of each ethnie, in relation both to its natural environment and to neighbouring ethnie, one or more of which may become „paired“ with it as historic enemies or allies.6

Diese territoriale Gemarkung führte in ihrer historischen Entwicklung zu den bis in die Gegenwart wirksamen mächtigen Organisationseinheiten der Nationen und Nationalstaaten. Fredrik Barth lässt im Wechselspiel zwischen Ethnizität und Staat durchaus beide Denkrichtungen anklingen: Zum einen würde die Ethnizität den Nationalstaat, zum anderen der Nationalstaat die Ethnizität beeinflussen.7 Daraus lässt sich ableiten, dass wir die Lenkung der Nationalstaaten nicht getrennt von einem Identitäts- und Ethnomanagement betrachten können, denn die Lenkung von zumeist monoethnisch konzipierten Nationen ist zum Großteil ein instituti-onelles und rechtlich legitimiertes Identitäts- und Ethnomanagement, eingebettet in staatspolitische Konstruktionen. Selbst der Management-Gedanke erscheint

be-interkulturelle Kommunikation in der Geschichte. Die Herausforderung des Ethnozent-rismus in der Moderne und die Antwort der Kulturwissenschaften. In: Ders. et al (Hrsg.), Die Vielfalt der Kulturen. Erinnerung, Geschichte, Identität. 4, S. 16. (= s.t.w. 1405.) Dieses Aufeinanderprallen von ethnozentristischen Gruppen und die Folgen davon wurden bei-spielsweise im Buch „The Clash of Civilizations“ von Samuel Huntington ausführlich be-schrieben. Siehe dazu: Samuel Huntington: The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. London et al: Touchstone 1998.

4 Vgl. Burke, Cultural Hybridity, p. 108.

5 Christian Giordano: Ethnizität und Territorialität – Zur sozialen Konstruktion von Dif-ferenz in Mittel- und Osteuropa. In: R. Moser (Hrsg.), Die Bedeutung des Ethnischen im Zeitalter der Globalisierung. Bern et al (2000), S. 165.

6 Anthony D. Smith, The Politics of Culture, pp. 711 f.

7 Vgl. Fredrik Barth: Enduring and emerging issues in the analysis of ethnicity. In: H. Ver-meulen/ C. Govers (eds.), The Anthropology of Ethnicity, p. 19.

reits bei Barth, wenn er fordert, den Staat vielmehr als einen Akteur zu betrachten als bloß als Symbol oder Idee:

We are then able to depict the power represented by the state as a specifiable third player in the processes of boundary between groups, rather than confound the regime, and its powers and interests, with the more nebulous concepts of state and nation.8 Die Verknüpfung von Ethnizität mit der Geschichte des Nationalismus9 scheint mittlerweile eine unauflösbare zu sein und aus der Sicht von Anthony D. Smith er-lebt gerade diese Verbindung eine „unvermutete“ Revitalisierung:

Unexpected, because statesmen, social scientists and many educated people were con-vinced that nationalism was a spent force after the horrors of the two world wars, and that humanity had outstripped ethnic (or „tribal“) ties in an era of regionalism and in-creasing global interdependence; unforeseen, because the same global interdependence appeared to be eroding the bases of the nation-state and leading humanity towards a genuine cosmopolitanism.10

Dazu sei an dieser Stelle ergänzt, dass sich zu Beginn der 1990er-Jahre, abhängig vom jeweiligen Ausgangspunkt, unterschiedliche Anschauungen des Begriffspaares

„Ethnizität/ Nationalismus“ entwickelten; Margit Feischmidt fasst das folgender-maßen zusammen:

Die wenigen Nationalismusforscher, welche die Begriffe „ethnisch“ und „Ethnizi-tät“ anwenden, sehen ein chronologisches Verhältnis zwischen Ethnizität, ethnischen Gruppen und Nation. […] Anthropologen, die sich mit dem Nationalismus auseinan-dersetzen, behandelten die Nation in der Regel als eine Variante der Ethnizität.11 8 Ebda, p. 20.

9 „Are not ethnic groups part of the historical process, tied to the history of modern natio-nalism?“ Werner Sollors (ed.): The invention of ethnicity. New York et al: Oxford Univer-sity Press 1991, p. xiv. Zur Nationalismusdebatte siehe beispielsweise auch Ernest Gellner:

Nationalismus und Moderne. Berlin: Rotbuch 1991 bzw. Ders.: Nationalismus. Kultur und Macht. Berlin: Siedler 1999.

10 Anthony D. Smith, The Politics of Culture: Ethnicity and Nationalism, pp. 721 f. Anthony D. Smith definiert Ethnie dabei folgendermaßen: „The ethnie can be defined as a human group whose members share common myths of origin and descent, historical memories, cultural patterns and values, association with a particular territory, and a sense of solidarity, at least among the élites“. Ebda, p. 709.

11 Feischmidt, Ethnizität als Konstruktion und Erfahrung, S. 22 f. Dabei nennt sie die Autoren Paul Brass (1991) und Thomas Hyland Eriksen (1993) als Beispiele.

Ähnlich wie Fredrik Barth sieht auch Marcus Banks den Nationalstaat als Ak-teur und wenn der Staat eine nationalistische Ideologie verfolgt, dann hat das un-ausweichlich Auswirkungen auf die Ethnizität.12

Nation und Nationalstaat prägten und prägen nicht nur unterschiedliche wissen-schaftliche Disziplinen, sondern einige dieser Disziplinen (wie zum Beispiel Ge-schichte, Volkskunde, Ur- und FrühgeGe-schichte, philologische Fächer, Archäologie) sind auch selbst in einem mehr oder minder großen Ausmaß an der Konstruktion einer nationalen Meistererzählung beteiligt.13 Diese Durchdringung von Wissen-schaft und den einzelnen Institutionen der Nation spielt gerade in der Historiogra-phie eine nicht zu unterschätzende Rolle:

Die Nation war politisches Projekt, Utopie oder appellative Instanz und die Institu-tionalisierung der Geschichtswissenschaft somit Teil der inneren Nationsbildung; der Staat in seinen vielen Formen war Obrigkeit, Arbeitgeber und institutioneller Rah-men; das Nationale war Gegenstand, Untersuchungseinheit und Sinnspender der His-toriographie; ihre Sprache, Medien und Öffentlichkeiten waren national gebunden.14 In ähnlicher Weise ist es aus Sicht der staatlichen Machthaber ein lohnendes Ziel, das Identitäts- und Ethnomanagement ebenso zu dominieren, wo doch gerade der Zusammenfall von Ethnizität und Nation eine scheinbar unauflösbare Bindung ver-spricht, denn es geschieht damit gleichzeitig eine Abgrenzung gegenüber den ande-ren Nationen und (sic!) den jeweils andeande-ren ethnischen Gruppen innerhalb des eige-nen Nationalstaates, von deeige-nen allerdings Loyalität eingefordert wird; das Beispiel einer mehrfach beschworenen „Politik der nationalen Einheit“15 zeigt das klar auf.

Gerade im Hinblick auf die Untersuchungen der Zusammenhänge von Identi-12 Banks, Ethnicity, p. Identi-122.

13 Vgl. dazu Rüsen, Einleitung: Für eine interkulturelle Kommunikation in der Geschichte, S.

16. Zur historischen Meistererzählung allgemein siehe: Konrad H. Jarausch/ Martin Sab-row (Hrsg.): Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalge-schichte nach 1945. (Göttingen:) Vandenhoeck & Ruprecht (2002), S. 9–32.

14 Christoph Conrad/ Sebastian Conrad: Wie vergleicht man Historiographien? In: Dies.

(Hrsg.), Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich. (Göt-tingen:) Vandenhoeck & Ruprecht (2002), S. 20. Siehe dazu weiters Christoph Conrad/ Se-bastian Conrad (Hrsg.): Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich. (Göttingen:) Vandenhoeck und Ruprecht (2002).

15 In Ungarn etwa ließ Ministerpräsident Viktor Orbán ein Manifest zur nationalen Zusam-menarbeit vom Parlament absegnen; in Rumänien existiert die Partidul Unităţii Naţionale din România (Partei der Rumänischen Nationalen Einheit). Nicht selten bedient sich eine derartige Strategie der Mechanismen der Xenophobie.

täts- und Ethnomanagement und Nation im Allgemeinen und des Identitäts- und Ethnomanagements der ungarischen Minderheiten im Speziellen ist der oben ge-nannte Aspekt wesentlich, da sich die Ungarn selbst sowohl als Angehörige der Minderheit im jeweiligen Herbergestaat als auch als Angehörige der gesamten un-garischen Nation begleitend mit all ihren Symbolen verstehen.16 In multiethnischen Regionen wie dem Donau-, Karpatenraum schließt das mitunter eine Übernahme fremder Symbolik mit ein.17

Warum passiert eigentlich die Festschreibung der Nation gerade auf diese Art und Weise und mit welchen Attributen ist diese ausgestattet? Eine verknappte Ant-wort dazu könnte lauten: Es geht dabei vor allem um die Identifikation (mit) einer Nation, die sich nolens volens auf Kriterien der Ethnizität (ethnic markers) stützt.

Sollten dabei Lücken etwa in der linearen Herkunfts- und in der ethnischen Ab-stammungsgeschichte auftauchen, werden diese durch historische Narrationen so-wie durch Einbeziehung von Mythen geschlossen.18

Bereits im Jahr 1983 ist Benedict Andersons Werk „Imagined Communities“19 er-schienen und hat seither kaum an seiner Aktualität verloren:

In den theoretischen Diskussionen – darüber scheint ein Konsens zu herrschen – stel-len kollektive Identitäten eine soziale Fiktion, ein Konstrukt dar. Ethnie, Nation u.a.

sind keine klar identifizierbaren Gruppen, die man räumlich und zeitlich bestimmen könnte. Sie sind „vorgestellte“ Gemeinschaften, „imagined communities“.20

Darin wird sowohl die Entstehungsgeschichte der Nationen und des Nationalis-mus aus der historischen Dimension des vornationalen, feudalen Machtapparates heraus als auch das Bedürfnis der Nation nach Kontinuität und nach einem nar-16 Vielfach wird diese Zuordnung mit der in der vornationalen Zeit bereits bestehenden natio

hungarica vermischt; dazu gehörten diejenigen Adeligen, die vom jeweiligen ungarischen König geadelt wurden und Land bekamen, wobei die ethnische Zugehörigkeit dabei nicht im Vordergrund stand.

17 Um das weniger abstrakt erscheinen zu lassen, möchte ich dazu folgende Beobachtung von Ina-Maria Greverus vorstellen: „Dass in diesem auf Nationalität zielenden Identitätsma-nagement durchaus auch einzelne ethnische Merkmale ansonsten diskriminierter Gruppen integriert werden konnten, zeigt […] die Einschmelzung der Musik ungarischer Zigeuner in das nationale Wir-Bewusstsein.“ Greverus, Ethnizität und Identitätsmanagement, S. 225.

18 Vgl. Anthony D. Smith, The Politics of Culture, p. 725. Vgl. dazu weiters Homi Bhabha (ed.): Nation and Narration. London et al: Routledge (2007).

19 Vgl. Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London/ New York: Verso (2006).

20 Odoa, Vorwort, S. 8.

rative of „identity“ beleuchtet. Aus Sicht des Identitäts- und Ethnomanagements scheint es dabei evident zu sein, dass es möglichst selbst jene Kriterien vorgibt, un-ter denen eine ethnische Gruppe als Nation „vorgestellt“ werden soll. Weiun-ters ist es ein Garant für die von Anderson angeführte „Erzählung der Identität“. Wodurch sich nun das Narrativ einer Person vom Narrativ einer Nation unterscheiden, be-schreibt Anderson wie folgt:

Yet between narratives of person and nation there is a central difference of emplot-ment. In the secular story of the „person“ there is a beginning and an end. […] Na-tions, however, have no clearly identifiable births, and their deaths, if they ever happen, are never natural.21

In der Minderheitenforschung begegnet man der Dichotomie von Realem und Vorgestelltem ständig und unausweichlich und nicht selten werden diese ethni-schen, nationalen Narrative vom „Mythos des Auserwähltseins“ unterstützt:

Their role is not only a mobilizing one; they are also important in legitimating the community’s „title-deeds“ or land charter. The reward for fulfilment of cultural or re-ligious duties is communal possession and enjoyment of a sacred land as belonging to the community „by grace“ (and much later, „by right“).22

Dieses Auserwähltsein kommt zur Anwendung, um sich in einem multikulturellen Umfeld von seinen Nachbarn nicht nur abzuheben, sondern gleich einen Anspruch auf die kulturelle Führungsrolle zu erheben.

Eine weitere, oben bereits skizzierte Komponente ist die starke Bindung an ein bestimmtes Territorium, im Sinne von der „eigenen Heimat“und gleichzeitig im Sinne von so genannten poetic landscapes:23 Während das eine den Boden symboli-siert, der einer bestimmten ethnischen, nationalen Gruppe gehört, den sie mythisch zugewiesen bekam, bestellt und verteidigt, so stellen die poetic landscapes einen darü-ber hinaus reichenden mythischen Bezug zu einem Territorium her, der einer Grup-pe als autochthoner Minderheit in einem fremden Herbergestaat oder selbst in der Diaspora das (mythische) Überleben zu sichern vermag. Diese Bezüge zum Ter-ritorium sind generell ein fundamentaler Bestandteil jeder Nationsbildung sowie

21 Anderson, Imagined Communities, p. 205.

22 Anthony D. Smith, The Politics of Culture, p. 712.

23 Vgl. ebda, p. 715.

Vorstellung.24 Anthony D. Smith unterscheidet zwischen einem „civic“ und einem

„more ethnic and genealogical model of the nation“.25 Die Staaten Slowenien, Kro-atien, Serbien, Ungarn und Rumänien, die zur Forschungsregion gehören, möchte ich demnach zur zweiten Kategorie zuordnen:

Here the emphasis falls upon presumed ties of common descent and the associated myths of genealogical origin. Such a conception gives more weight to vernacular cul-ture, mainly native languages, rituals and customs.26

Viele Elemente und Praktiken des untersuchten Identitäts- und Ethnomanage-ments lassen sich von jenen der Nationsbildung, den Einschluss der Ethnizität so-wie von ihrer eigenen Konstruiertheit und der daran angeschlossenen Erzählung der Nation nicht trennen.27

Ethnic Politics

Beim Zusammenwirken von Ethnizität und Nation kommt den Untersuchun-gen zu Ethnic Politics28 eine vorrangige Rolle zu, weil Ethnizität auch dort in glei-cher Weise Thema und Werkzeug ist.29 Als Angelpunkt der Betrachtungen der Relation(alität) zwischen Ethnizität und Ethnic Politics soll hier jene semantische Beziehung dienen, die Henry E. Hale zwischen diesen Begriffen herstellt, da diese im Kern eine, für die Minderheitenforschung äußerst nützliche, Schärfung der Zu-gangs- sowie Interpretationsmöglichkeiten impliziert:

24 Im Rahmen der Ethnologie/ Kulturanthropologie hat beispielsweise Pierre Bourdieu die recht komplexen Prozesse der Nationsbildung ergründet – siehe dazu Pierre Bourdieu: Ent-wurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesell-schaft. Frankfurt/M: Suhrkamp (1979). (= s.t.w. 291.)

25 Vgl. Anthony D. Smith, The Politics of Culture, pp. 717 f.

26 Vgl. ebda, p. 718.

27 Vgl. dazu Conrad/ Conrad, Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationa-len Vergleich.

28 In englischer Sprache werden die Begriffe ethnic politics, ethnopolitics und ethnopolicies meist synonym verwendet. Die englischsprachigen Begriffe werden in diesem Abschnitt daher nicht standardisiert, sondern so verwendet, wie sie von den jeweiligen Autoren angeführt sind.

29 Vergleichsweise angelehnt an Sichtweisen aus der Anthropologie: „[…] defining both eth-nicity as a topic and anthropology’s treatment of it.“ Katherine Verdery: Etheth-nicity, nationa-lism, and state-making. Ethnic groups and boundaries: past and future. In: H. Vermeulen/

C. Govers (eds.), The Anthropology of Ethnicity, p. 42.

The second core argument […] is that ethnicity is primarily about uncertainty while ethnic politics is mainly about interests. […] by recognizing the crucial separation between the motives explaining ethnic identification and the motives explaining the group and individual behaviour based on this identification.30

Diese von Hale so ausgedrückte uncertainty31 kann durchaus mit den oben genann-ten cultural flows und der damit einher gehenden Veränderlichkeit der Strukturen der Identitätskonstruktion in Zusammenhang gebracht werden. Weiters erinnert dieser Ansatz in seinem Kerngedanken an Brubakers Kritik an den von ihm so ge-nannten „schwachen Konzepten“ der Identität:

In their concern to cleanse the term of its theoretically disreputable „hard“ connota-tions, in their insistence that identities are multiple, malleable, fluid, and so on, soft identitarians leave us with a term so infinitely elastic as to be incapable of performing serious analytic work.32

Diese „Ungewissheit“ wäre nach Hale letztlich das Ergebnis unserer menschlichen Unzulänglichkeit, konkret, eine Folge unserer limitierten Gehirnkapazität in einer, sozialpsychologisch betrachtet, hochkomplexen Umwelt und die Einteilung der Gesellschaft in ethnische Gruppen wäre somit eine Orientierungshilfe, um dieser Ungewissheit und weiteren Verunsicherungen zu entkommen.33 Damit wird ver-ständlich, warum Ethnizität als ein Ausdruck von Ungewissheit verstanden wer-den kann und gleichzeitig, warum eine Einbettung in eine ethnische Gruppe die-se Ungewissheit zu reduzieren vermag. Da sowohl die Entstehung von ethnischen Gruppen und deren Funktion als auch die Parameter der Ethnizität bereits in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich besprochen wurden, möchte ich mich an dieser Stelle gleich dem Zusammenspiel von Ethnic Politics und interests zuwenden, die im oben genannten Zitat von Hale ebenfalls angeführt werden: Dabei würde es sich um so genannte run-of-the-mill interests handeln, zu denen beispielsweise Wohlstand, Macht und Sicherheit zählen.34 Gerade in Minderheitenregionen er-30 Hale, The Foundation of Ethnic Politics, p. 33.

31 Diesen Terminus möchte ich in diesem Zusammenhang mit „Ungewissheit“ ins Deutsche übertragen, die dann eine weitere uncertainty, im Wortsinne einer „Verunsicherung“ des In-dividuums, so wie sie in einem früheren Abschnitt beschrieben wurde, auszulösen imstande 32 Brubaker, Ethnicity without groups, p. 38.ist.

33 Hale, The Foundation of Ethnic Politics, p. 35; pp. 41 ff.

34 Vgl. ebda, p. 77.

halten nun diese ökonomischen Vorstellungen und Erwartungen, nicht anders wie die minderheitenpolitischen Agenden, eine ethnische Komponente. Es ist sehr gut beobachtbar, dass von den Menschen genau bewertet wird, welche Angehörigen welcher ethnischen Gruppe im direkten Vergleich bessere oder schlechtere wirt-schaftliche Aussichten haben. Diese werden mitunter von lokalspezifischen ökono-mischen Bedingungen verstärkt, wie etwa durch die Dichotomie von Zentrum und Peripherie oder durch einen eingeschränkten Zugang zu den relevanten Märkten, der oft eine Folge von ethnisch motivierter Exklusion ist.35 Für die Akteurinnen und Akteure des Identitäts- und Ethnomanagements bedeutet das die Bündelung von alltagspolitischen mit ökonomischen Interessen.36

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist meiner Erfahrung nach auch die Gewährleis-tung der sozialen Sicherheit37 für „ihre“ Gruppe, die es vom jeweiligen Nationalstaat bestmöglich einzufordern gilt. Dabei sind nun gerade in Südosteuropa die offizi-ellen Minderheitenvertretungen sowie NGO’s in einem stärkeren Maß gefordert, weil sich dort die traditionellen Familien- und Verwandtschaftsnetzwerke durch die voranschreitende Fragmentierung der Gesellschaft immer weiter auflösen wer-den. Die Rolle der Großfamilie als zuverlässiger Garant zur Abdeckung der sozialen Sicherheit muss – auch im Sinne der Reduktion der „Unsicherheit“ des Individu-ums – in weiterer Folge die ethnische Gruppe übernehmen, weil die Einkünfte aus dem öffentlichen Sozialbereich der Staaten Südosteuropas zumeist nicht reichen, um damit eine angemessene Lebensqualität erzielen zu können. Im Grunde betrifft das die gesamte Palette der sozialen Sicherheit, sei es die Gesundheitsversorgung, die Pensionisten, das Arbeitslosenentgelt oder die Familiengrundversorgung. Eini-ge Minderheitenvereine und -vertretunEini-gen kümmern sich dabei um einen besseren Zugang „ihrer“ Angehörigen zu staatlichen Institutionen, die dafür verantwortlich zeichnen. Betrachtet man dazu empirische Beispiele, erkennt man erst, wie hoch dabei die Erwartungshaltung und der Druck auf das Identitäts- und Ethnoma-nagement ist, weil die politische Macht, die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die 35 Vgl. dazu ebda, pp. 84 f.

36 An dieser Stelle könnte man die Diskussion auch mit dem Beispiel der praktischen

36 An dieser Stelle könnte man die Diskussion auch mit dem Beispiel der praktischen