• Nem Talált Eredményt

Stellung der Autoren zur Arbeiterbevölkerung

B

ei all den bedeutsamen Unterschieden, die wir bisher zwischen den Lohntheorien der Klassiker und der marxistischen gefunden haben, ergibt sich für den Leser doch wohl die Emp-findung, es sei noch nicht völlig das Trennende hervorgehoben.

Ich glaube indes die wissenschaftlichen Differenzen in der Hauptsache dargelegt zu haben, und wenn es sich um ein allen praktischen Lebensinteressen fremdes Gebiet handelte, so würde die Auseinandersetzung d i e s e r Unterschiede wohl auch genügen. Aber die Sozialökonomik hat als Grundlage den lebenden Menschen und seine Handlungen, diesen selben Menschen, den der Wissenschafter von Jugend auf in ver-schiedenster Beleuchtung gesehen hat, je nach seiner Erziehung, dem Milieu, in dem er aufwuchs, der Klasse, der er angehörte.

Besonders in der Lohntheorie hat das Bedeutung. Hier handelt es sich ja in erster Linie um die Arbeiterklasse. Eine Theorie vom Arbeitslohn muß die ganze Lage der Arbeiter-schaft ins Auge fassen; es ist das Verhältnis des Autors zu ihr, seine Beurteilung des arbeitenden Volkes von größter Be-deutung für seine Lehre. Nun gehört aber der wissenschaft-liche Nationalökonom der Arbeiterklasse meist nicht von Haus aus an; im Gegenteil steht sie ihm regelmäßig fern. Wie er sich zu ihr stellte, was für eine Anschauung er insbesondere von ihr hatte, das mußte auch für seine Werke von größter Bedeutung sein. Auf das persönliche Verhältnis unserer Autoren zur Lohnarbeiterklasse als dem Substrat aller Lohntheorie ist daher zum Schluß noch ein Blick zu werfen.

Die verflossenen Jahrhunderte hatten nicht eben viel Sinn für das arbeitende Volk gezeigt.. Die Kultur der Renaissance war eine aristokratische. Die Teilung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit nahm zu und mit ihr die Entfremdung der Klassen. Um das niedere Volk interessierte man sich nicht viel, und wenn, so geschah es von oben her. Von hoher Warte blickte man auf diese armselige, in jeder Beziehung inferiore Plebs nieder. All die Volksgestalten bei Shakespeare — wohl-gemerkt, keine Proletarier, sondern meist besitzende

Hand-.173. -101 werker —, so köstlich und naturgetreu sie dargestellt sein mögen, sie zeigen uns das niedere Volk, wie es der gut beobachtende Gebildete von s e i n e m Standpunkte aus sah; ein wetterwendischer Pöbel, gut zum Arbeiten und Be-herrschtwerden :

„Seht, wie ich diese Feder von mir blase, Und wie die Luft zu mir zurück sie bläst, Die, wenn ich blase, meinem Hauch gehorcht, Und einem andern nachgibt, wenn er bläst;

Vom stärkern Windstoß immerfort regiert;

So leichten Sinns seid ihr geringen Leute."

(Heinrich VI., Teil III, Aufzug III, Szene 1.)

Das ist die Anschauung des englischen Dichters im 16. Jahr-hundert.

Die Klassenscheidung minderte sich nicht in den folgenden Jahrhunderten, im Gegenteil erwuchs ja jetzt erst recht die Trennung von Kapital und Arbeit. Indes bahnte sich doch allmählich da und dort größeres Interesse für diejenigen an, ohne deren Arbeit der Höherstehende, wie er nun zu erkennen begann, nicht existieren konnte. Das 18. Jahrhundert wird sogar durch eine mächtige Bewegung zum Volk gekennzeichnet.

Und doch, es war immer nur die Betrachtung von oben her, wenn sentimentale Dichter für die Rückkehr zur Natur schwärm-ten und den Landarbeiter besangen; wenn die verwöhnte Ge-sellschaft des 18. Jahrhunderts, von der Überfeinerung an-geekelt, aus Modelaune das Hirtenleben verherrlichte. Adam

Smith, der dieser Zeit ja angehört, zeigt Interesse und .auf-richtige Liebe für die labouring poors. Aber es ist doch nur der hohe Gelehrte, der von seiner fernen Welt aus die Freuden und Leiden der Kleinen betrachtet.

Es kam die französische Revolution mit ihren Wirkungen in den anderen Ländern. Die Bourgeoisie stieg empor. Die rechtlichen Schranken, die den Arbeiterstand von den höheren

Schichten trennten,. fielen mehr oder weniger; aber die tat-sächliche Kluft zwischen beiden blieb bestehen; und für einen Kapitalisten wie Ricardo waren die Proletarierscharen eine andere Welt, die er von seinem eigenen — wennglcich gewiß wohlwollenden — Standpunkte aus ansah. Auch Mill war in ähnlicher Lage, obwohl er namentlich in späteren Jahren doch . immer mehr Brücken zur Arbeiterwelt schlug.

Ganz anders M a r x . Wohl entstammte auch er der Bour-geoisie. Aber er hat sich als Revolutionär nicht bloß gegen den Feudalismus gewandt, sondern vor allem den Kapitalismus des Bourgeois bekämpft, und sich so ganz in die Reihen der Arbeiter gestellt. Er mochte ja auch als Jude von vornherein dem

.173.

deutschen Bürgertum kritischer gegenüberstehen; dem eng-lischen Kapitalismus, den er hauptsächlich im „Kapital" dar-stellt, ist er dann nur als radikaler Feind gegenübergetreten.

Marx betrachtet nun die ganze Wirtschaftsentwicklung von der Arbeiterseite aus; er sieht die Lohnarbeiterschaft wie einer der Ihren an; und wie für die Klassiker das Arbeiterland das fremde war, so für ihn das der Bourgeoisie — fremd natürlich nicht in dem Sinne, daß diesen Autoren die andere Seite un-bekannt gewesen wäre, sondern insofern, daß sie ihnen ferner lag, daß sie nicht ihre Gefühle, ihre Anschauungen beherrschte.

Es tritt aber der einseitige Standpunkt bei den Sozialisten am schärfsten hervor: Marx stellt sich bewußt auf den Interessen-standpunkt der Arbeiter, um die Bourgeoisie zu bekämpfen, wenn er auch natürlich vom Endresultat dieses Kampfes das Glück nicht bloß der bisherigen Arbeiterschaft, sondern der ganzen Menschheit erhoffte. Die Klassiker wollten nicht einen bestimmten "Volksteil vertreten; aber ihre Anschauung war unmerklich durch die eigene Klasse bestimmt. Es war in bezug auf den Arbeiterstand der Gesichtspunkt des Besitzenden, die Anschauung von oben her. Die Sozialisten schauten ihn von unten an. Natürlich ist keine von beiden Anschauungen als die allein richtige zu bezeichnen; einseitig war jede. Erst eine Vereinigung beider hätte zu besserem Ziel führen können.

Solch eine Vereinigung ist aber leichter ausgesprochen als aus-geführt, und bis heute dauern die Kämpfe fort, die nicht bloß durch Verschiedenheiten der wissenschaftlichen Lehren, sondern mehr noch durch solche der Anschauung hervorgerufen sind;

und natürlich färben die letzteren auf die Lehre ab und be-einflussen sie. Und gerade wer am leidenschaftlichsten auf-tritt, wird am meisten im Banne seines Milieus stehen — sei es des angeborenen oder des freigewählten. Und diese An-schauung wird auch seiner wissenschaftlichen Lehre erst die rechte Beleuchtung geben. Das ist nicht zu vermeiden. Denn das Wohl der Menschheit, wie er es auffaßt, ist doch für den Sozialökonomen das Ziel, mag er sich auch noch so sehr be-mühen, in unbeeinflußter Forschung Gesetze herauszudestil-lieren. Er wird aber immer danach streben müssen, daß sein

Interesse das ganze Volk umfasse, daß er alle seine Klassen nicht bloß vom einseitigen Standpunkt aus betrachte, sondern von allen Seiten. Fußend auf der Untersuchung der geschicht-lichen Vergangenheit, wird er die relative Berechtigung der Interessengruppen zu verstehen suchen. Wenn gerade Ver-treter eines solchen Standpunktes von allen Seiten angegriffen wurden, so beweist das nur, daß sie auf dem rechten Weg waren:

wer die widerstreitenden Parteien richtig erfassen will, kann keine einseitig vertreten. Der Sozialökonom wird sich aber auch bemühen, die sich bekämpfenden Klassen durch Weckung

.173. -103 des gegenseitigen Verständnisses einander näher zu bringen;

durch Vermittlung der Erkenntnis des volkswirtschaftlichen Räderwerks wird er dem einen die Notwendigkeit der anderen zeigen; er wird trachten, die tiefen Klüfte, welche die Klassen des Volkes voneinander trennen, zu seinem Teil aufzufüllen durch allseitige Weckung des Verständnisses für die Zusammen-gehörigkeit aller Volksgenossen. Und so wird er, so viel an ihm liegt, beitragen zur inneren Festigung des Volkskörpers.