• Nem Talált Eredményt

Die Aktion in der Nádorstraße 325

In document György Krassó und der Systemwechsel (Pldal 121-162)

Die Aktion in der Nádorstraße gilt als die berühmteste direktpolitische Aktion von György Krassó und der Partei Ungarischer Oktober. Sie fand zwischen 14. und 27. Juli 1989 statt. Die Straßenaktionen dienten der Umgehung bürokratischer Verfahren. Der Namenswiederherstellung der hinter dem am Parlament gelegenen Kossuth Platz beginnenden Straße kam symbolische Bedeutung zu, trug sie doch den Namen Ferenc Münnichs, eines der Verantwortlichen für die Vergeltungen nach der Revolution von 1956. Die Aktion ging mit polizeilichem Auftreten und einem Ordnungswidrigkeitsverfahren einher. Die Staatssicherheitsorgane ihrerseits beobachteten die Vorgänge aus dem Hintergrund.

5.1. Warum die Münnich-Ferenc-Straße?

Bei der Auswahl der Straße erhielten persönliche, strategische und politische Gründe eine Rolle.

Als persönlicher Grund ist anzuführen, dass György Krassó hier, in der Nádorstraße 19, aufgewachsen und 1956 verhaftet worden ist, nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus hier wieder eine Zeitlang gewohnt hat und nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil in der inzwischen seinem Freund gehörenden Wohnung326 gewohnt hat.

Die Partei Ungarischer Oktober bekam keine Parteizentrale. Deshalb war das sich als endgültige Lösung erweisende „provisorische Büro“ in dieser Wohnung untergebracht. Auf allen Flugblättern und offiziellen Eingaben der Partei wurde diese Adresse angegeben. Das war offensichtlich störend. Man empfand es als zweckmäßig, dies zu ändern.

Die ausgewählte Straße ist in der Budapester Innenstadt eine wichtige Straße. Ausgehend vom Parlament unterbricht sie den Szabadság Platz (Platz der Freiheit), wo sich zu dem Zeitpunkt auch der Sitz des Ungarischen Fernsehens befindet, doch auch die Rückfront des Innenministeriums, ansonsten geht sie zur Donau hin. In dieser günstig gelegenen Straße ließ sich eine spektakuläre politische Aktion organisieren. Krassó und seine Mitstreiter waren sich dessen bewusst und nutzten dies strategisch aus.

Gemessen an der inhaltlichen, der politischen Botschaft waren die persönliche Motivation und die strategische Überlegung eigentlich Nebensache. Die Wiederherstellung der alten Namensgebung der Nádorstraße repräsentierte die Konfrontation mit dem Kommunismus und das

325 Kinda, Gabriella: A Nádor utca akció (Die Aktion Nádor utca, in: Betekintő (Einblick), 2017/ Nummer 3 epa.oszk.hu/01200/01268/.../EPA01268_betekinto_2017_3_5.p...

326 Nach dem Tod seiner Mutter wurde die Wohnung Tibor Philipp zugesprochen. Philipp war Krassós Freund und der jüngere Bruder seiner dritten Frau sowie Mitglied der Künstlergruppe Inconnu.

Ziel, diesen mit Stumpf und Stiel ausrotten zu wollen.

Münnich hätte aus dem Kreis der unter besonderem Schutz Stehenden entfernt werden können. Dies, obwohl die Ferenc-Münnich-Gesellschaft zu den Teilnehmern der dritten Seite bei den Verhandlungen am Runden Tisch gehörte. Diese Seite stand für Krassó als linksstehend von der MSZMP (Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei). Als Gegengewicht dazu wollte Krassó die vierte Seite einbringen, um ein politisches Gleichgewicht herzustellen. Er hatte Angst vor einer Restauration. Aus der Sicht einer Wiedererringung der Macht hatte er insofern Recht, als die MSZP, die Nachfolgepartei der MSZMP, einen Wahlzyklus später die Wahlen gewann. Dieses Ereignis erlebte er allerdings nicht mehr. Andererseits hatte er insofern nicht Recht, als die kommunistische Einparteiendiktatur nicht zurückkehrte. Doch wer war Ferenc Münnich? Ferenc Münnich (1886 – 1967) gehörte als kommunistischer Politiker zu den Hardlinern. Im Flugblatt der Partei Ungarischer Oktober steht unter dem TitelWen brauchen die Kommunisten und wen nicht?

zum Lebenslauf von Ferenc Münnich folgendes zu lesen:

„Sowjetischer Staatsbürger. Seit 1917 Mitglied der kommunistischen Partei, 1918 – 1919 Führungsfigur des Roten Terrors in Budapest, später Organisator bewaffneter Aktionen im Ausland, 1922 – 1945 Leben in der Sowjetunion, zwischendurch unter falschem Namen Chef der internationalen Brigade im spanischen Bürgerkrieg. 1946 – 1949 Budapester Polizeipräsident, danach Botschafter in Moskau. 1956 in der zweiten Imre-Nagy-Regierung Innenminister (27. Oktober – 3. November 1956). Am 1. November 1956 Flucht zu den Russen. Ab 4. November 1956 leitet er in der Kádár-Regierung als Minister für die bewaffneten Kräfte und die öffentliche Sicherheit die blutige Vergeltung gegen die ungarischen Patrioten. Später wird er Ministerpräsident und dann Staatsminister.“327

Zur Wiederbeerdigung von László Rajk am 6. Oktober 1956 hielt Münnich eine freimütige Rede, die eine Rolle darin spielte, dass er in die Revolutionsregierung von Imre Nagy Aufnahme fand. Als radikaler Antikommunist hasste Krassó Münnich wegen dessen aktiver Beteiligung an der ungarischen Arbeiter- und Bauernregierung, von der die Revolution verraten wurde. Diese Meinung vertrat Krassó auch 1957 in seinem Prozess vor Gericht. An dieser Überzeugung hielt er auch nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus fest. Dies trotz der damit einhergegangenen Nachteile.

Die Nádorstraße wurde 1968 nach Münnichs Tod nach ihm umbenannt. Krassó hatte meines Wissens mit Ferenc Münnich keinen persönlichen Konflikt, hielt es aber für unannehmbar, dass eine Straße nach dem „Massenmörder“ Münnich benannt worden war.

„Die Nádorstraße erhielt ihren Namen 1858, trug 1911 vorübergehend den Namen Miksa Falks. Das Alter

327 Hervorhebung von mir als Autorin. Münnichs Freundschaft mit Chruschtschow war bekannt. Doch im November 1956 entschied sich Chruschtschow dennoch für Kádár. Nach Kádár und vor Kádár war Münnich zwischen 28. Januar 1958 und 13. September 1961 Ministerpräsident. Hinsichtlich der biographischen Daten zu Münnich ist das Flugblatt an mehreren Stellen ungenau.

eines Namens ist kein Grund für seinen Schutz. (...) Im August 1967 wurde letztmalig (...) ein Verzeichnis (...) geschützter Straßennamen erstellt. Zu diesem Zeitpunkt gab es 140 geschützte Straßennamen. Personennamen aber gelangten nicht auf die Liste. Vermutlich wurde die Nádorstraße deshalb in Ferenc-Münnich-Straße umbenannt, weil sie sich an der einen Front des Innenministeriums befindet. Inhaltlich kann dagegen kein Einwand geltend gemacht werden, da Münnichs Tätigkeit an diesen Ort gebunden ist.“328

Eine Rolle bei der Straßenumbenennung dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass Münnichs zweite Frau alles in ihrer Macht Stehende unternahm, um das Andenken an ihren Mann zu bewahren. Am 17. Juli 1989 gab Ferenc Münnichs Witwe329 im Sender Kossuth ein Interview, in dem sie unter anderem Folgendes zu ihrem Mann sagte: „Er war Mitarbeiter des NKWD, Chruschtschow wusste hundertprozentig, dass Münnich, mein Mann, ein Mann der Sowjets war.

(...) Am 25. Oktober 1956 vertrat mein Mann die Meinung, dass in die Menge geschossen werden müsse. (...) Er wurde damals am 25. Oktober in der Parteizentrale in der Akadémiastraße als Stalinist gebrandmarkt. Und man nannte ihn einen Moskowiter. (...) Als seine Witwe bestreite ich auch heute nicht, dass er ein Mann der Sowjets war. Dennoch war er der größte ungarische Patriot.“

Diese Zitate sammelte Krassó und verbreitete sie. Für ihn waren sie eine Bestätigung des eigenen Standpunkts.

Zu Ferenc Münnichs ungarischem Patriotismus vertrat György Krassó zur Auffassung der Witwe eine diametral entgegengesetzte Meinung. Das ist auch kein Wunder, zumal Krassó schon am 15. November 1956 verhaftet und wegen staatsfeindlicher Organisation in erster Instanz zu sieben und in zweiter Instanz zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. 1963 wurde er zwar durch Amnestie auf freien Fuß gesetzt, doch auch so hatte er sechseinhalb Jahre gesessen, waren ihm sozusagen die schönsten Jahre seines Lebens geraubt worden. Und auch im Anschluss daran hatte er ständige Konflikte mit der kommunistischen Macht auszutragen, bis er schließlich nach London gehen konnte. Der Hauptgrund für seine politische Verfolgung bestand darin, dass er nicht bereit war, über die Ereignisse von 1956 zu schweigen und dass er für die sich daran anschließende Vergeltung zwei Menschen verantwortlich machte: János Kádár und Ferenc Münnich.

Die mit der Aktion verbundene politische Botschaft der Partei Ungarischer Oktober bestand darin, dass der Name Ferenc Münnichs mit dem Dienst am Sowjetreich und der traurigen Rolle bei den Vergeltungen nach der Revolution von 1956 eng verschmolzen sei, weshalb die historische Benennung der Nádorstraße wiederhergestellt werden müsse.

328 Tamás Bihari: Münnich kontra Nádor. Kulturveranstaltung. ÁBTL 1.2.2-391-II-50 9. Karton/ 4. Dossier, S. 69

329 Etelka Münnich (1921 – 2001), Ferenc Münnichs zweite Ehefrau.

5.2. Die Observationsakten

Die operative Beobachtung von Krassó und seinem Kreis hing nicht ausgesprochen mit der Straßenumbenennungsaktion zusammen. Krassós Entschlossenheit und Organisationsbegabung waren den Staatssicherheitsorganen schon seit langem bekannt.

„Seit Mitte Juni haben wir mehrfach gemeldet, dass der zur Beerdigung von Imre Nagy zurückgekehrte György Krassó eine neue 56er Partei organisiert. (...) Nach Krassós offen erklärtem Ziel sollen sich in der entstehenden Partei diejenigen versammeln, die auf radikalere Veränderungen als die gegenwärtigen drängen.

Hierunter sind auch die Forderungen des SZDSZ und des MDF zu verstehen. Laut Krassós Konzeption soll sich die Partei ausdrücklich auf die 56er Traditionen berufen. Gefordert werden sollen unter anderem der sofortige und bedingungslose Abzug der sowjetischen Truppen, die vollkommene Gewährung der Freiheitsrechte, die Durchsetzung der Volksmacht sowie die Einführung der neuen Wirtschafts- und Lebensstandardpolitik.“330

Dass sich die Namenswiederherstellung der alten Nádorstraße relativ genau zurückverfolgen lässt, ist auch den Staatssicherheitsquellen zu verdanken. Das mit geheimdienstlichen Methoden gesammelte Material ist bei entsprechend kritischem Lesen wertvoll und auch im Hinblick auf György Krassó und seine Partei reichhaltig. Es ergänzt die in der zeitgenössischen Presse erschienenen Informationen und liefert dazu Hintergrundinformationen. Deshalb stützt sich die historische Rekonstruktion der Namensänderungsaktion der Partei Ungarischer Oktober auch auf das vom Staatssicherheitsdienst gesammelte Material. Die zu den Ereignissen entstandenen Meldungen fielen in den Aufgabenbereich der Polizei, gehörten zur Aufrechterhaltung der Ordnung. Die Polizei funktionierte als verlängerter Arm des Innenministeriums, der inneren Abwehr. Gesucht wurde nach einer Möglichkeit der Einmischung. Das Ziel bestand in der Verhinderung.

Die Verflechtung des Gruppenkommandos III/III des Innenministeriums mit dem BRFK (Budapester Polizeipräsidium) verschwand durch den sogenannten Dunagate-Skandal331. Bisher hatte der Geheimdienst der Kádár-Ära mit politischer Ermächtigung durch den Innenminister in unveränderter Form funktioniert. Das Aktenmaterial332 zur Partei Ungarischer Oktober legt Zeugnis davon ab, dass sie bis Ende Oktober 1989 unter ständiger Beobachtung stand. Warum dies nur bis

330 ÁBTL 2.7.1. NOIJ, III/III-126-126/1 1989.06.30.

331 Am 5. Januar 1990 forderten die Oppositionspolitiker János Kis und János Kenedi im Parlament vom

Ministerpräsidenten Miklós Németh Rechenschaft darüber, warum der Staatssicherheitsdienst in unveränderter Form tätig ist. In der Folge hielten sie eine internationale Pressekonferenz zum Thema ab, um im Interesse einer Einstellung der früheren Praxis Druck auszuüben.

332 In der Periode zwischen 30. Juni und 27. Oktober 1989 kamen zu Krassó und seiner Partei tagesaktuelle operative Meldungen (ÁBTL 2.7.1 III/III und BRFK) im Umfang von 97 Blatt zusammen. Doch sie beziehen sich nicht nur auf die Straßennamenänderung. Dank gilt meinem Referenten Balázs Orbán, der das Material zusammengestellt und mir zur Verfügung gestellt hat.

zu diesem Zeitpunkt geschehen ist, dafür bieten sich verschiedene Erklärungen an. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, dass das spätere Material vernichtet wurde und deshalb nicht aufzufinden ist.

Zu den Demonstrationen in Verbindung mit der Straßennamensänderung333 legte die Abteilung III/III des Budapester Polizeipräsidiums ein extra Dossier an. Geführt wurde es in der Periode vom 14. Juli bis 1. August 1989. Verbunden wurde es mit der Partei Ungarischer Oktober.

Archiviert enthält es 72 Blatt. Nicht nur Meldungen und Aufzeichnungen finden sich darin, sondern auch Zeitungsartikel, Flugblätter und ein Originalkarton mit dem Straßenschild Nádorstraße. Im erforschten Material fehlen aus dem Kuvert allerdings 41 Fotos. Auch die Tonaufnahmen und das Videomatarial sind nicht vorhanden. Deren Anfertigung geht aber aus den Meldungen eindeutig hervor.334

Die präzise Datensammlung diente der Möglichkeit, in der tagesaktuellen operativen Meldung nötigenfalls Informationen vorzulegen und Reaktionen zu erwirken. In dieser sich über gut zwei Wochen erstreckenden Periode erreichten die Aktionen bei acht Gelegenheiten das Niveau der tagesaktuellen operativen Meldung.335 An sechs Tagen rangierten die Meldungen an erster beziehungsweise an wichtigster Stelle. Die Entscheidung, gegen die MOP-Aktivisten ein Ordnungswidrigkeitsverfahren einzuleiten, wurde vom BRFK bereits am 20. Juli 1989, also eine Woche nach Beginn der Aktion, getroffen und in einem außerprozessualen Verfahren am 31. Juli 1989 auch durchgeführt.

Mit den Straßenaktionen befasste sich die Abteilung III/III des BRFK, namentlich der Abteilungsleiter Polizeioberstleutnant Tibor Cirkos beziehungsweise der Chef der Abteilung III/III-A Oberstleutnant József Sági. Der tatsächliche Observierungsdienst wurde von der Unterabteilung III/III-D des BRFK durchgeführt, gesteuert vom Unterabteilungsleiter Polizeimajor Ferenc Somlai.

Die Erstellung der Meldungen unterlag zumeist dem Polizeihauptmann József Novák (Unterabteilung III/III-B des BRFK, Informationsabteilung). Die Meldungen wurden in vier Exemplaren ausgefertigt. Jeweils ein Exemplar erhielten das Gruppenkommando III/III des Innenministeriums336, d e r B u d a p e s t e r P o l i z e i p r ä s i d e n t337, d e r V e r t r e t e r d e s Staatssicherheitsdienstes338, und ein Exemplar blieb in der Abteilung III/III des BRFK. Die Angelegenheit gehörte zum Polizeipräsidium des V. Budapester Bezirks. Die Anweisungen kamen

333 Archivnummer: ÁBTL BRFK ÁB - Tüntetések, demonstrációk, megmozdulások (Demonstrationen, Kundgebungen) 1.12.2-391-II-50_1989. VII.14-VIII.01. 9. Karton/ 4. Dossier

334 Detail aus der Meldung vom 19. Juli 1989: „Die Ereignisse wurden von den Mitarbeitern der Abteilung BM III/2/Operative Abteilung mittels Videotechnik festgehalten.“ (ÁBTL 1.12.2-391-II-50_1989. VII.14-VIII.01. 9.

Karton/ 4. Dossier, S. 8.)

335 17., 18., 20., 21., 24., 25., 27. und 28. Juli 1989.

336 Chef des III/III des Innenministeriums war damals Polizeigeneralmajor József Horváth.

337 Zwischen 8. März 1985 und 1. November 1989 stand Polizeigeneralmajor István Konczer an der Spitze des BRFK.

338 Vertreter des Staatssicherheitsdienstes beim BRFK war Polizeioberst Dr. Géza Stefán.

vom Gruppenkommando III/III des Innenministeriums.339 Über die getroffenen Maßnahmen kann man sich durch die tagesaktuellen operativen Meldungen informieren. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich der Innenminister und die an der Macht befindliche Staatspartei eingemischt hätten.

Die für den 12. Dezember 1983 vor Imre Nagys einstiger Villa in Budapest geplante Demonstration der „radikalen Opposition“ kann als Vorereignis der Straßennamensänderungsaktion betrachtet werden.340 Die tagesaktuelle operative Informationsmeldung berichtet darüber, dass außer der Anbringung einer Gedenktafel an Imre Nagys Haus auch die Wiedereinführung des alten Straßennamens geplant war. Aus dem Dokument geht weder die Identität der als geheime Informationsquelle des Komitats Csongrád genannten Person hervor, noch die Tatsache, dass die Aktion schließlich durch das Gruppenkommando III/III des Innenministeriums verhindert worden sei. Bewiesen aber ist, dass ein solcher Versuch stattgefunden hat. Wahrscheinlich ist Krassós organisatorische Beteiligung. Denn die Information ist aus seinem persönlichen Dossier ans Tageslicht gelangt. Auch gehörte er zur „radikalen Opposition“. Mit ihr befasste sich die Unterabteilung III/III-4-A des Innenministeriums.

5.3. Entscheidung zur Namensänderung und der erste Aktionstag

Die Partei Ungarischer Oktober wurde am 27. Juni 1989 gegründet. Im Budapester Jurta Theater wurde ein Kongress abgehalten. Mit dem Schwung des Beginns kam auch die Straßennamensänderungsaktion in Gang. Schon auf der Ausschusssitzung am 10. Juli 1989 fiel die Entscheidung, die Münnich-Ferenc-Straße „symbolisch in Nádorstraße rückzubenennen“. Die Anwesenden selbst gebrauchten also den Ausdruck der Rückbenennung.

Den Zeitpunkt der Aktion setzten sie für den 14. Juli 1989 16 Uhr am Ende des Ságvári Platzes, des heutigen Vértanú Platzes, unweit des Kossuth Platzes am Parlament, fest. Die Demonstration sollte tagsüber stattfinden, damit sie ein möglichst großes Echo auslösen würde. Das Ziel bestand in einer aufsehenerregenden Aktion. Bei der Wahl des Ortes ging man davon aus, wie man möglichst viele Menschen erreichen können würde. Den Ausgang der Metrolinie 2 am Kossuth Platz und die Nähe des Eheschließungssals im V. Bezirk befand man dafür am geeignetsten. Laut ursprünglichem Plan wollte man die Straßenschilder der Münnich-Ferenc-Straße mit roten Streifen überkleben und darunter auf Karton Straßenschilder anbringen, worauf Nádorstraße zu lesen stehen würde.341 Eine Fortsetzung war nicht geplant.

339 Das Budapester Polizeipräsidium als Staatssicherheitsorgan gehörte unverändert unter die Befehlsgewalt des Gruppenkommandos III/III des Innenministeriums beziehungsweise der Abwehr der inneren Reaktion. Quelle: Tabajdi, Gábor/ Ungváry, Krisztián (2008), S. 88

340 ÁBTL 3.1.5. O-19619/9, S. 44.

341 ÁBTL NOIJ, 2.7.1. III/III-135-135/2, 13. 07. 1989

Die bei der Abteilung III/III des BRFK eingegangene Meldung berichtet von der operativen Sicherung der Straßennamensänderungsaktion am 14. Juli 1989, die, wie geplant, ab 15 Uhr durchgeführt wurde. Vom Wohnhaus der Münnich-Ferenc-Straße 19 machte sich, mit vier Leitern bewaffnet, eine vierzigköpfige Gruppe auf den Weg. Am Häuserblock der Straße unweit des Parlaments bestieg György Krassó selbst die Leiter und überklebte das Straßenschild der Münnich-Ferenc-Straße diagonal mit rotem Isolierband, um anschließend das Pappschild „Nádorstraße“

anzunageln. Der Schildertausch wurde mit Applaus bedacht. Die Beobachter machten hinsichtlich der Intensität zwischen den Aktivisten und den interessiert Vorübergehenden einen Unterschied.

Bei den etwa achtzig Versammelten ging man von 50-60 aktiven Teilnehmern aus. Es handelte sich also um keine hohe, aber auch nicht uninteressante Teilnahme.

Aus Krassós demokratischem Geist folgte, dass er den Schilderwechsel nicht allein vornahm. Den ersten zwar schon, aber dann wurde der Wechsel an jeder Straßenecke von einer anderen Person vorgenommen. Das Foto von ihm im roten Polohemd ist berühmt geworden.

Dennoch darf nicht vergessen werden, dass er auch andere zur Geltung kommen ließ. Dieser seiner Haltung war es vielleicht zu verdanken, dass er Anhänger und Helfer fand.

Nach dem Ende der Aktion stieg er auf die Leiter und hielt vor den auf 40-45 Anwesende geschrumpften Menge eine Rede. Er bedankte sich für die Teilnahme und fasste Ferenc Münnichs Karriere zusammen, hob dessen Rolle als János Kádárs Mitstreiter bei der Vergeltung nach der Revolution von 1956 hervor. Nach dem Ende der Aktion gingen einige von ihnen zurück in das provisorische Büro der MOP. Dann, bevor sie sich auf den Weg zum Kerepeser Friedhof gemacht hätten, betrachteten sie noch einmal die von ihnen angebrachten Straßenschilder.

Die Leute der Staatssicherheit fuhren im Dienstwagen die Wegstrecke ab und stellten fest, dass an 27 Eckgebäuden 29 neue Straßenschilder angebracht worden waren. Am ersten Tag der Straßennamensänderungsaktion wurden auch vom Rat der Hauptstadt, dem Straßenaufsichtsamt und der Polzei keine Maßnahmen getroffen.342 Das Ereignis wurde von drei bis vier Videokameras und Fotoapparaten festgehalten. Unter anderem auch im Auftrag des Innenministeriums. Das Innenministerium führte auch die Identifizierung der ihm bekannten und aus politischer Sicht als gefährlich eingestuften Personen durch.

Die angebrachten Straßenschilder wurden später entfernt. Dieses Vorgehen veranlasste die Sympathi santen der MOP, ihre Straßenaktion fortzusetzen. Der Beginn der Straßennamensänderungsaktion ging also dem gleichzeitig organisierten Protest gegen die mit der antikommunistischen Botschaft verflochtene Beerdigung von János Kádár unmittelbar voraus. Auf einem während der Dauer der Aktion verbreiteten „Flugblatt“, das der Meldung beigefügt war, befand sich ein Aufruf der Ungarischen Radikalen Partei. Es wurde dazu eingeladen, sich der damit

342 ÁBTL 1.12.2-391_II-50 9. Karton / 4. Dossier, S. 2.

verbundenen Aktion anzuschließen.

5.4. Die erste damit einhergehende Aktion. Kranzniederlegung an der Parzelle 21 zeitgleich mit János Kádárs Beerdigung

Im Nachhinein lässt sich nicht mehr feststellen, welche Idee die frühere war, die der Ungarischen Radikalen Partei (MRP), zeitgleich mit János Kádárs Beerdigung einen Kranz an der Parzelle 21 niederzulegen, oder die Straßennamensänderungsaktion der Partei Ungarischer Oktober (MOP).

Jedenfalls fasste die MOP auf derselben Sitzung vom 10. Juli 1989 den Beschluss zur Straßennamensänderungsaktion sowie dazu, sich der Kranzniederlegung anzuschließen. Ferenc Münnich hatte keine besondere Aktualität. János Kádár aber war am 6. Juli 1989 verstorben, und die Bestattung war für den 14. Juli 1989 anberaumt. Für György Krassó als Revolutionär von echtem Schrot und Korn mochte dieses Datum auch den Bezug zum Jahrestag der Französischen Revolution von 1789 gehabt haben.

Der Journalist Tamás Bihari fragte Krassó, ob die erste Aktion der MOP zufällig mit dem Tag der Beerdigung von János Kádár zusammengefallen sei. Krassó behauptete, dass hinter der Terminierung keine Absicht gesteckt habe. „Trotzdem aber hatte unsere Aktion auch eine symbolische Seite, denn zusammen mit Kádár ist auch die mit seinem Namen verbundene Politik ins Grab gestiegen.“343

In den tagesaktuellen operativen Meldungen erschien einen Tag vorher die Information zur zeitgleich mit János Kádárs Beerdigung geplanten demonstrativen Gedenkveranstaltung sowie zur Straßennamensänderungsaktion. Das Risiko war groß. Denn die Parzelle 21 des Kerepeser Friedhofs, wo 1956 die während der Revolution Gefallenen beigesetzt wurden, befindet sich nur

In den tagesaktuellen operativen Meldungen erschien einen Tag vorher die Information zur zeitgleich mit János Kádárs Beerdigung geplanten demonstrativen Gedenkveranstaltung sowie zur Straßennamensänderungsaktion. Das Risiko war groß. Denn die Parzelle 21 des Kerepeser Friedhofs, wo 1956 die während der Revolution Gefallenen beigesetzt wurden, befindet sich nur

In document György Krassó und der Systemwechsel (Pldal 121-162)