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GOETHE-FEIER DIE

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DIE

GOETHE-FEIER

DER

U N G A RISCH EN A K A D EM IE D E R W ISSEN SCHA FTEN UND DES

U N G A R ISC H EN N A TION ALEN AUSSCHUSSES FÜR IN T E R N A T IO N A L E G EISTIG E ZUSAM M ENARBEIT

UNGARISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN BUDAPEST, 1932

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DIE

GOETHE-FEIER

DER

U N G A R ISC H EN A K A D E M IE DER W ISSEN SC H A FTEN U N D DES

U N G A R ISC H EN N A TIO N A LEN AUSSCHUSSES F Ü R IN TER N A TIO N A LE G EIST IG E ZUSAM M ENARBEIT

UNGARISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN BU D A PEST , 1932

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GOETHE’S LEBEN UND LEBENSWERK

Eröffnungsrede zur Festsitzung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.

Von Albert von Berzeviczy, Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.

An der C entenarfeier des Todestages G oethes betei­

lig t sich mit R echt das literarisch e Leben der ganzen W elt, denn G oethe Avar sozusagen die Personifikation des Begriffes d e r W eltliteratu r, die W irk u n g seiner W erke erstreckt sich auf das geistige L eben der ganzen gesitteten M enschheit, und es is t n ur ein symbolisches Beispiel, daß die meist v erb reitete V ertonung seines H auptw erkes, des Faust, von einem französischen Ton­

dichter h e rrü h rt, also vom R ep räsen tan ten je n er Nation, die öftesten d er deutschen fein d lich gegenüberstand.

Was G oethe geschaffen u n d was ü b er ih n geschrie­

ben w urde, b ild et eine ganze L iteratu r; im engen R ah ­ men einer F estrede kann ich mich n u r m it einem eng­

begrenzten Teil der E rscheinungen dieses w eiten u n d fru ch tb aren F eldes befassen. Ich will die Beziehung seines Lebens zu seinem L ebensw erk beleuchten, so w ie sie in der L iteraturgeschichte beispiellos dasteh t.

W ir finden näm lich in d e r W eltliteratu r keinen S chriftsteller, d e r die B eziehung seines L ebens zu seiner literarischen T ätig k eit so restlo s g eo ffen b art hätte, w ie Goethe. Er h a t u ns sein langes und reiches Leben selbst so voll und gan z anschaulich gem acht, d aß in dessen Beziehungen zu seinem L ebensw erk b ein ah e nichts u n ­ au fg ek lärt blieb, in vollem L ic h t erscheint uns das eine u n d das andere, das Leben u n d dessen Erfolg, als eine großartige E inheit, ein unerreich bares B eispiel u nd eine unschätzbare Lehre.

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W ohl können erst wir, die schon ein ganzes J a h r ­ h u n d e rt von seinem Lebensende tren n t, diese E in h eit in ih rer ganzen F ü lle betrachten. Im Leben G oethes u nd k urz nach seinem Tode kannte m an wohl die u n te r dem Titel „D ichtung u n d W ah rheit“ zusam m engefaßten rei­

zenden Jugenderinnerungen, seine italienischen und Schw eizer R eisebeschreibungen u n d andere b io g ra p h i­

sche F ragm ente, m an k an n te oder ahnte w enigstens die Beziehungen seiner Erlebnisse zu m anchen G estalten seiner dichterischen W erke, das w ar aber alles. N ur seitdem nach seinem Tode die dreizehn B ände seiner Tagebücher, seine G espräche m it E ckerm ann u n d seine, sich in riesigen D im ensionen bew egenden B riefschaften uns zugänglich w urd en, können w ir sein ganzes Leben überblicken u n d sein ganzes Lebensw erk verstehen.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß Goethe, im Voll­

bew ußtsein der V erantw o rtlich keit d er N achw elt gegen­

über, alles, w as sich a u f seine ganz außerordentliche P ersönlichkeit und sein ebenso außerordentliches Leben bezog, der V ergessenheit entriß; es w äre müßig, dabei Motiven des Egoismus u n d der E itelkeit nachzuforschen.

D as Zielbew ußte seines V orgehens bew eist b ei­

spielsweise, daß er sein T agebuch eben in der Zeit zu schreiben begann, im Sommer des Jahres 1775, als er an die G renze seiner in „D ichtung u n d W ah rh eit“ v er­

ew igten Jugendperiode gelangte, in seinem 26. Jahre, vor seiner N iederlassung in W eim ar und am Beginn seines F reundschaftsv erh ältnisses m it dem H erzog von Weimar.

D as T agebuch b rin g t seinem Leser besonders im A nfang m anche E n ttäu sch u n g : es ist außerordentlich w ortkarg, b eschränk t sich oft a u f kaum verständliche A ndeutungen; es sind d arin Lücken, die sich a u f m eh­

rere Ja h re erstrecken, u n d es bezeichnet die Personen, von denen die Rede ist, im A nfang n u r mit — d u rch den H erausgeber allerdings enträtselten — astronom ischen Zeichen. Es enthält sich streng n ich t n u r aller S entim en-

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ta litä te n un d B etrachtungen, sondern selbst aller C h a ­ rak terisieru n g en u n d M einungsäußerungen.

N ach einigen J a h re n m acht die italienische Reise die T ag eb u ch b lätter m itteilsam er; h ie r begegnen w ir A ufzeichnungen, die d er D ichter w ö rtlich in die I ta ­ lienische Reise“ ü b ertru g . W eiter w ird das T agebuch ü b e rh a u p t w eitläufiger, eingehender, zugleich system a­

tischer u n d gibt in einer vom literarh isto risch en G e­

sic h tsp u n k t u n sch ätzb aren Weise A ufschluß n ich t nur ü ber das Tagesw erk des D ichters, sond ern auch ü b er seine L ektüren.

W as jedoch bis zum Ende — d as Tagebuch u m fa ß t 57 J a h re un d endet v ier Tage vor dem Tode G oethes — a u ffa lle n d bleibt, ist das vollkommene A usschalten ge­

wisser n äh ere r oder fernerer Ereignisse, die a u f den L eb en slau f des V erfassers eine große W irkung au sü b en m ußten.

D as Tagebuch erw ähn t — beispielsweise — mit keinem W ort die große französische Revolution; es ge­

d e n k t bloß in aller K ürze der Julirevolution, die in die letzten L ebensjahre des Dichters fiel; aber auch h ier ist es offenkundig, daß d er V erfasser sich mehr f ü r die n aturw issen sch aftlich en D eb atten d er F ranzösischen A kadem ie interessierte, als für die V ertreibung der B our­

bonen u n d die Thronbesteigung d er Orleans. D en be­

rü h m te n E m pfang G oethes d u rch N apoleon reg istriert das T agebuch folgenderm aßen: „n a c h h e r beim K aiser“.

D er B efreiung D eutschlands vom französischen Joch ist n u r die E rw ähn un g einer „Siegesnachricht“ gew id­

m et; a u c h des Todes Napoleons w ird nicht gedacht, der Tod L ord Byrons w ird nebenbei e rw ä h n t; auch des To­

des seines F reundes, des G roßherzogs, w ird n u r bei einer E rw ähnung seiner H interlassenschaft gedacht. Den Tod seiner F reunde — so zum B eispiel Schillers, der im m er der „H ofrath von Schiller“ genannt w ird — ü b erg eh t Goethe; das H inscheiden W ielands w ird nur -durch die A ufzeichnung über sein B egräbnis registriert.

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W as noch au ffallen d er ist: das Tagebuch gedenkt n ic h t des Todes d e r einzigen Schw ester G oethes, Cornelias, die er doch herzlich liebte, auch nicht des H in tritts des V aters u nd d er M utter G oethes, nicht d e r G eburt u n d der H eirat seines einzigen Sohnes A ugust.

In ganz eigentüm licher Weise b eh an d e lt das T ag e­

buch G oethes F rau, C h ristian e Vulpius. W ir begegnen das erste M al dem N am en der „Demoiselle V ulpius“- als der G eh ilfin G oethes in seinen n atu rw issen sch aftli­

chen F orschungen und sein er H ausbesorgerin, in einem Zeitpunkt, als zwischen ih n e n schon seit Jah ren ein L ie­

besverhältnis bestand. S ein er V erm ählung, die eigentlich der Legalisierung seines schon 17 jä h rig en Sohnes g alt, w ird in seiner so v erh üllten Weise E rw ähnu n g getan, als h ätte er sich ihrer g eschäm t; seine F r a u beginnt n u r sp äter mit d er Bezeichnung dieser ihrer E igenschaft im Tagebuch zu figurieren. U m so überraschender ist es, daß, als diese F ra u nach einem L iebesverhältnis von 28 und nach ein er Ehe von 10 Jahren hinscheidet, das trockene, w o rtk arg e T ag eb u ch gleichsam T ränen v e r­

gießt: „Leere u n d Totenstille in und au ß er m ir“, schreibt Goethe am 6. J u n i 1816.

W ir begegnen der groß en Liebe des D ichters f ü r seinen Sohn — die er a u c h a u f seine F r a u u nd seine K inder ü b ertru g — an vielen Stellen. Als er noch k lein ist, badet ihn sein Vater, m a c h t mit ihm S p azierfah rten , u n te rh ä lt sich m it ihm; sp ä te r schenkt er ihm sein V er­

trauen, b espricht mit ihm w ichtige Dinge u n d freut sich d er Rolle, die der junge „K am m erherr“ bei Hofe in n e­

hat. Aber m it w elcher S treng e er sich zu beherrschen w ußte, zeigt G oethe, als er in seinem T agebuch einfach u n te r dem an d eren Tagesereignissen den in Rom plötz­

lich erfolgten Tod seines dam als schon 41 jäh rig en Sohnes, seines einzigen K indes, au fzeichn et und schon tag s d arau f ü b e r seine w eiteren B eschäftigungen b e ­ richtet, als w ä re gar kein W andel eingetreten . . .

D er alte G oethe w ar besonders zärtlich gegen seine

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E n k el; sie müssen sich ihm in ihrem n eu en Ballkleid, in ihrem M askenkostüm vorstellen; er spielt mit ihnen D o­

mino, hört geduldig zu, w e n n ihm „W olfchen“ seine Theaterrezensionen vorliest. E inm ahl scheint er sich vor sich selbst zu entschuldigen als er gesteht, daß er bei einem G eburtstagsm al „ n u r freu n d lich “ sein k o nnte, w eil ihn ein naturw issenschaftliches Problem zu seh r beschäftigte.

D ie große Sorgfalt, d ie er der Pflege u n d d er Ü bung seines K örpers in sein er Jugend angedeihen ließ, tru g ihre F rüchte, indem dieser K örper 83 Jah re h in ­ d u rch ungebrochen u nd u n erm ü d et seinem eisernen

W illen und seinem im m er sch affenden Geist diente.

W eniger augenscheinlich ist der N utzen, den dem D ichter vom G esichtspunkte seines B erufes seine, in der Jugend auch m it großem F leiß betrieb en en zeichneri­

schen, m alerischen und sogar bildnerischen Ü bungen u n d Studien brachten. D e r Zweifel, ob er sich d er schriftstellerischen, oder d e r künstlerischen L a u fb a h n zuw enden soll, dauerte n ic h t lange: a b e r es muß im m er­

h in an erk a n n t werden, d aß fü r die A usbildung seines G eschm ackes, fü r die K enntnis und die Beurteilung der K u nst auch diese mehr d ilettan tistisch en A rbeiten n u tz ­ bringend w aren.

In A nbetracht des Lebensw erkes Goethes ist d as T agebuch ein Zeugnis des eisernen Fleißes u n d d er system atischen B eschäftigung. D ie A uffassung, als w ü rd e sich das Genie notw endigerw eise in der System - losigkeit, M aßlosigkeit u n d dem im pulsiven H an d eln offenbaren, fin d et ihre k rasse W iderlegung im L eben Goethes, der im system atischen V orgehen u nd im F leiß beinahe bis zu r P edanterie gelangte. Besonders in d er zw eiten, längeren, der W eim arer E poche seines L ebens ging er im m er planm äßig vor, u n d w ir müssen seine U nerm üdlichkeit bew u n d ern , mit d e r er selbst dem M undieren seiner S chriften Zeit u n d A ufm erksam keit w idm ete. A ber das en tsp ra c h eben seinem B ekenntnis

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vom Leben, so wie es in seinem T agebuch zum A u sd ru ck gelangt. E r k an n sich nichts Elenderes vorstellen, als einen M enschen, der sich der behaglichen U n tätigk eit hingibt, u n d dem die schönste G abe des Lebens, die A r­

beit, zum E kel wird.

Schon achtzen jäh rig , schrieb er seiner Schw ester Cornelie, daß er „nach seiner in n erlich en Ü berzeugung einige Eigenschaften besitze, die zu einem Poeten e r­

fo rdert w e rd e n “, und daß er „durch F leiß einmal ein er w erden k ö n n e“. Bei ihm hing der T rieb zur rastlosen T ätig k eit m it seinem G lau b ensbeken n tn is bezüglich des gegenw ärtigen und des zukünftigen Lebens zusammen.

In seinem A lter äußerte er sich vor E ckerm ann : „W enn ich bis zu m einem Lebensende rastlos w irke, so ist die N atu r verp flichtet, m ir eine andere F orm des D aseins anzuw eisen, w enn die jetzige meinen G eist nicht fern er au szu h alten verm ag.“

U nd fü rw a h r, er ist beinahe bis zum letzten A ugen­

blick seines Lebens rastlos tätig gewesen. Noch im Sommer des Jah res 1831 arbeitet er „ a u f einen H a u p t­

zweck los“ u n d ist nach einigen T agen befriedigt, „d as H auptgeschäft zustande gebracht zu h a b e n “. Noch eine W oche vor seinem Tode setzt er seine A rb eit in gew ohn­

te r W eise fort. Diese S elbstzufriedenh eit des A lters, m ahnt sie n ich t an die Eile des dem Tod gew eihten F aust, m it d e r er das letzte U nternehm en seines Lebens betreib t: „den faulen P fu h l abzuziehen “ u n d „R äum e fü r Millionen zu eröffnen“ , um in seinem letzten A ugen­

blick sagen zu können:

Es kann die Spur von meinen Erdetagen Nicht in Äonen untergehn,

Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick! ....

N u r dieser fanatische A rbeitstrieb machte es m ög­

lich, daß er jenes ganze Lebensw erk zu Ende fü h rte a u f das je tz t die ganze W elt mit B ew underung b lickt.

Aber G oethe erwies sich nicht n u r d u rch seine Ar-

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beitsleistung als ein L ebenskünstler. E r w ar es auch, weil er sein Leben so unendlich reich an Erlebnissen auszugestalten verm ochte. E r h ä tte nich t so viel schrei­

ben können, w enn er nicht so viel erlebt hätte.

Seine riesige T ätigkeit hind erte ih n nicht am L ebens­

genuß. N u r w er so leb te wie er, kon nte sich je n e er­

h ab en heitere Lebensanschauung verschaffen, wegen d er m an ihn mit den alten G riechen vergleicht, ih n den

„O lym pier“ nennt; sein gesunder, k raftv o ller R ealism us verstan d es, die W irklichk eit zu r Poesie zu v erk lä ren ; w eil er m it Liebe au f die W elt blickte, fand er au ch sein Ideal in der W irklichkeit.

N ur am letzten E n de seines Lebens sehen w ir ihn schon sehr verlassen. E r üb erlebte seine F reu n d sch aften u n d seine L iebschaften, a u f einen großen Teil seiner V ergnügungen m ußte er verzichten, n u r seine treueste Begleiterin, die A rbeit, hielt zu ihm bis an sein L ebens­

ende. Beim allbekannten gastfreien Tisch des W eim arer G oethe-H auses w erden die G äste im m er seltener; den letztenW eihnachtsabend b rin g t er allein zu, w eil er selbst w ünschte, daß seine Fam ilie ih n in einem Heiteren K reise feiere . . .

Zerstoben ist das freundliche Gedränge, Verklungen ach, der erste W iederklang....

Die Stille die ih n um gibt, e rla u b t ihm schon einen Blick ü b er jene letzte G renze hinaus, von der er viel­

leicht w ußte, daß sie schon so n ah e i s t . . .

Ich hab e die E m pfind un g, d aß ich vom G esichts­

p u n k t des Lebens u n d des L ebensw erkes G oethes noch etw as von seinen L iebschaften sagen muß, ü b er die sein Tagebuch sich ausschw eigt, von d en en n u r seine Briefe u n d — in bildlicher F o rm — seine W erke sprechen.

U nter den D ingen, w egen w elcher der große M ann hie und d a gerügt w urd e, spielen seine Liebschaften eine große Rolle. M an ereifert sich, ihm seine U n b estän ­ digkeit vorzuw erfen, seine L eichtfertigkeit, m it d er er

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L iebesverhältnisse an k n ü p fte u n d löste, die G leichgül­

tigkeit, m it d e r er den G elegenheiten ein er w ürdigen Ehe ausw ich, u m schließlich sich die Fesseln einer w eniger W ü rd ig en anzulegen. Man w eist d a ra u f hin, daß W erther zum Selbstm örder w urde, w eil er Lotte nicht besitzen konnte, hingegen h at der D ich ter W erthers eben nu r W e tz la r verlassen, als Lotte B u ff die B rau t K estners w ard . D iese U ntersu ch ung der H erzen und d e r N ieren v ersteig t sich so w eit, daß viele G oethe fü r u n ­ fähig einer w a h re n Liebe h alten , die G efü h le, die seine B ücher au sd rü ck en , als erd ic h tet betrachten, ihn selbst ab er als em pfindungslos w egen seiner Selbstsucht u n d

seiner S elbstüberhebung.

O hne u n s die N ietzscheische Theorie vom „Ü ber­

m enschen“ zu eigen zu m achen, müssen w ir feststellen, daß Goethe n ic h t mit solchem Maß gem essen w erden k an n , daß die U rteilskategorien des gew öhnlichen L e­

bens auf ih n n ic h t so schlechtw eg angew end et w erden können. W enn er auch nich t allen, zu denen ihn sein D ichterherz hinzog, treue Liebe bieten konnte, bot er ihnen doch etw as, was d a u e rn d e r ist als irdische Liebe:

U nsterblichkeit! W ir können sie doch beinahe alle in jenen G estalten erkennen, die darum unsterblich sind, w eil sie dem L eben entnom m en w urden:

Es sind nicht Schatten die der Wahn erzeugt, Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind!

Aber w ir können den F a d e n noch w eiter verfolgen.

D ie schm erzlichen und freudvollen m enschlichen G e­

fühle, die in d e n W erken des großen D ich ters sich in einer so w u n d e rb a re Sprache offenbaren, können nicht bloß erdichtet sein, weil sie d an n eben n ic h t so viele M enschenherzen m it sich reißen w ürden. D er D ichter h a t sie em p fu n d e n ; darum , u n d n ur d aru m , erw ecken sie einen so leb h aften W iderhall, daru m erkennen in ihnen so viele Leser ihre eigenen G efühle, ih re eigenen Erlebnisse u n d sind dem D ichter d a n k b a r fü r ihren treu e n A usdruck.

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Es m uß jed o ch vorausgesetzt w erden — u n d das ist eine segensreiche V erfügung d e r V orsehung — daß w er von der N a tu r m it der besonderen G abe ausgestat­

te t wmrde, die stürm ischesten m enschlichen E m p fin d u n ­ gen zum A usdruck zu bringen, der ist — eben, weil sie gleichsam ein S icherheitsventil in der dichterischen O ffenbarung fin den, — der zerstörenden K ra ft dieser Em pfindungen in seinem In n e re n nicht ausgesetzt. D a­

rum konnte der D ichter d u rch den M und seines Tor­

q u ato Tasso a u s ru fe n :

Und w enn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide!

Goethe selbst gestand, d aß er, als er seinen W erther niedergeschrieben, sich wie n a c h einer G eneralbeichte, erleichtert fühlte; u n d wir k ö n n e n Gott d an k en , daß er, um seinen S chm erz zu stillen, ih n sich vom Herzen herunterredete, a n s ta tt Z uflu ch t zu einer dum m en P i­

stole zu nehmen u n d uns alles d a s zu entziehen, was er nach seiner ersten Jugend v e rfa ß te .

So betrachtet, bietet uns d a s Leben u n d das Lebens­

w erk Goethes gleicherw eise v ie l Belehrung u n d ist auch in diesem Sinne G em eingut d e r Menschheit geworden.

D as zu erkennen, is t vielleicht d ie Zeit, in d ie die Cente- n arfeier des D ich ters fiel, geeigneter, als m anche vor­

hergehenden Epochen. Heute, n a c h vielen b itteren E r­

fahrungen, b eg in n en wir es w ied er zu fü h len , daß es W erte gibt, die w ed er an eine N ation, noch a n eine Zeit gebunden sind, d eren B edeutung für uns in unserer M enschlichkeit w u rzelt und eben d arum allgemein un d unw and elbar erscheint.

Jetzt, da w en ig er der K rieg selbst, als die nach dem K rieg begangenen unverzeihlichen Sünden, je n e Selbst­

überhebung, die a u s dem A usgang des Krieges das Recht schöpfen zu k ö n n e n glaubte, die N ationen fü r ewige Zeiten in zwei L a g e r zu te ile n : in das d er Sieger und d a ru m H errschenden, und in d a s der Besiegten und d a ­ ru m D ienenden, je n e verbrecherische n atio n ale Selbst-

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su ch t, die ihre B efriedigung in der hochm ütigen Ver­

schlossenheit sucht, brachte uns allen, Siegern und Be­

siegten, das unverm eidliche, gemeinsame, jam m ervolle Elend.

In der grausam en Schule dieses gem einsam en Elends m üssen w ir neuerdings die W ah rh eit unserer mensch­

lichen G em einschaft erkennen, m üssen w ir neuerdings a u f die Suche je n e r gemeinsamen, ewigen W erte gehen, d eren E rkenntnis u n d Schätzung allein im stande ist, uns neuerdings das B ew ußtsein beizubringen, d aß w ir nicht n u r die Söhne e in an d er u n erb ittlich hassender N ationen, sondern gleichzeitig leidende M itglieder d er leidenden M enschheit sind.

D iese W ahrheit h a t vielleicht in der W eltliteratur niem an d überzeugender verk ünd et, als G oethe durch sein Leben und sein Lebenswerk.

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GOETHES LEBENSWEISHEIT

von Ákos von Pauler.

V Goethe is t der letzte große D ich ter, der sich als universaler L ehrer, ja als Propheten der M enschheit fühlt. E r ist von dem selben M issionsbew ußtsein d u rc h ­ drungen, w ie die großen P oeten der A ntike, die P laton als „F üh rer in der W eisheit“ bezeichnet: seine Sendung ist nicht n u r G enuß zu spenden, so n dern auch zu b e ­ lehren, ja auch zu führen. E r will dem nach nicht allein D ichtung, sondern zugleich W e i s h e i t geben. D ie w eltgeschichtliche Lage G oethes w ird eben dadurch b e­

stim m t, daß er diese an tik e A u ffassu ng des D ic h te r­

berufes m it dem S tan d p u n k t des neuzeitlichen D ich ters vereinigt, w onach der D ichter auch sich selbst zum A us­

d ru ck zu bringen hat.

Was ist W eisheit? R ichtige L ebensführu n g a u f ­ gru n d rich tiger grund sätzlicher E insichten. Besonders, bezeichnend fü r den W eisen ist, daß er sein Leben n ic h t schw ankenden u n d vergänglichen, sondern festen und unvergänglichen W erten u n tero rd n et. Som it ist die Idee der E w igkeit in irgendeiner Form u n ze rtre n n b a r m it dem B egriff der W eisheit verb unden, w ie dies bereits von A ristoteles k la r erk an n t w urde.

Die W eisheit enthält dem nach zw ei Momente: die E rkenntnis eines Ewigen u n d den W illen es im p r a k ­ tischen Leben zu r G eltung zu bringen. Sie b ed eu tet also nicht n u r richtige E insicht, sondern m an nhaften W illen, das h eiß t sta n d h a fte n C h a ra k te r und ein aus ihm hervorgehendes richtiges H andeln.

Auch in d er Persönlichkeit und Lebensauffassung des reifen G oethe kom m t die so gedeutete W eisheit im m er m ehr z u r G eltung; sie w ird von ihm selbst in die

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W orte gefasst: „D enken u n d Thun, T h u n und D enken, d a s ist die Sum m e aller W eisheit.“ V ersuchen w ir dem D ichter zu entnehm en, w ie er „D en ken“ und „T h u n “ d e m et, um a u f diese W eise vielleicht das innerste W esen

seiner W eisheit zu erfassen.

Es ist allgem ein b ek an n t, daß das G oethesche

„D en k en “ keine streng logisch gegliederte sp eku lativ e D en k art bedeutet. A b strak ten „S pekulationen“ solcher A rt stand der plastisch-visuelle G eist des Meisters stets m it einer gew issen A bneigung gegenüber. „Ich hab e nie über das D enken g ed ach t“ — sp rich t er, als er ü b e r die Problem atik des F achphilosophen zu sprechen kom m t. F ü r ih n bedeu tet „denken“ m it den A ugen des Geistes sehen, und au ch der A usdruck „Theorie“ w ird von ihm m ehr n u r in dem antiken Sinne des W ortes

— θεω ρέιν = b etrach ten — gebraucht. D enken ist fü r G oethe zun ächst w esenerfassende V ertiefung in das O b jek t, ein Z ustand von statischer A rt, kein d y n a m i­

sches Fortschreiten, das h eißt keine Schlußfolgerung.

M an k an n w ohl sagen, d aß bei G oethe das sym bolische D enken dem dialektischen gegenüber ü b er wiegt. D em ­ entsprechend erscheinen ihm das Besondere und das A ll­

gem eine nicht getrennt, sondern in organischer E inheit,

„D as w ohlbesehene Besondere kann im m er für ein A ll­

gem eines gelten.“ Eben deshalb w ird n ach Goethe d u rch die Feststellung einer einfachen T atsache zugleich au ch das U niversale an erk an n t: „Das F aktische ist schon T heorie“.

Was h a t n u n das so gedeutete betrach ten de D en k en zu erfassen? N ach dem D ichter im w esentlichen das, w as den D ingen als Z eitlo sesun d Ew iges innew ohnt u n d im G runde genommen zw eierlei b edeutet: einerseits die in der W irklichkeit der N a tu r erscheinenden U rphäno- mene, anderseits die in ihnen zum A usdruck k om ­ m ende O rdnung und den W ert: den Logos. D em nach ist jede W irklichkeit a u f gewisse G rund erscheinu n gen zurü ck zu fü h ren , die w eiter nicht m ehr deutbar u n d n u r

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au s sich selbst zu v erstehen sind. D as W eltleben besteh t in d e r E n tfaltu n g dieser U rphänom ene, die eb en des­

h alb ü b e r alles V ergängliche erh ab e n und ew ig sind.

Denn keine Zeit und keine Macht zerstückelt Geprägte Form die lebend sich entwickelt.

D ieses allm ähliche H ervortreten der U rphänom ene d eck t zugleich die ih n en innew ohnende ewige O rd n u n g , den Logos, auf. D iese ist jedoch k ein e S tru k tu r, die in einem System a b stra k te r B egriffe zum A usdruck ge­

b ra c h t w erden könnte. „Die N atu r — sagt Goethe — hat kein System , sie hat, sie i s t Leben u n d Folge aus einem u n b e k a n n te n Z entrum zu einer nich t erk en n b a re n G ren ze“ .

A llein dieser M ittelpunkt des Alls und der letzte Logos d er W eltordnung bleibt u n s n u r so lange uner- schlossen, solange w ir sie außer u n s in der äußeren N a tu r suchen. V ertiefen w ir uns jedoch in u ns selbst, so erschließt sich d u rc h unsere Seele auch das G eheim ­ nis des Alls.

Ist nicht Kern der Natur Menschen im Herzen?

D e n n auch in uns w irkt d er ewige Lebenspuls, au ch w ir sind T ro p fen des großen Ozeans u n d somit f ü h rt eben S elbstbetrachtung zu d en tiefsten Tiefen.

Umso m ehr, als das, w as w ir am sichersten erkennen, n u r in u n s selbst e rfa ß b a r ist. D ie festeste Ü berzeugung ab er ric h te t sich a u f das Gute u n d Edle.

Das Centrum findest du da drinnen Woran kein Edler zweifeln mag.

D iesen Weg fin d et jedoch G oethe auch von einem an d ere n B lickpunkte aus. Seiner A uffassung n a c h ist L eben W urzel u n d innerstes W esen der W irklichkeit:

das sich entfaltende Leben ist das allgem einste U rph ä- nomen. Allein am unm ittelb arsten w ird das L eben in

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uns selbst erfaß t, indem w ir es erleben. D ies aber b e­

deutet, sich dem Streben n a c h D ingen hinzugeben, d ie w ir lieben: L eben ist gleichbedeutend m it Lieben. W as dem nach dem Leben n e u e n Puls verleiht, sind jen e G eistesgehalte, — nach u n s e re r heutigen Term inologie:

W erte, — d eren Liebe das Leben selbst zu r E n tfaltu n g bringt.

Nun erst w ird uns d e r vielleicht tie fste A usdruck Goethescher Lebensw eisheit offenbar.

D enn das Leben ist die Liebe D es Lebens Leben Geist.

Dieser „G eist“ ist der ü b e r dem Leben schw ebende, es anziehende u n d n äh ren d e ewige Logos — das, w as w ir Gott nennen. In diesem P unkte tritt die immer tie­

fe r w erdende W eisheit des Meisters z u r G ottesidee in nächste Beziehung. Lange Zeit h atte d ie G ottheit f ü r G oethe nu r pantheistischen Sinn: er sah in ihr eine mit der Welt lediglich identische U rm acht, die das All „von in n en h erau s“ bewegt. H e u te ist bereits bek an n t, daß d er Meister in seinen le tzte n Jah ren sich im m er m ehr dem Theismus, der Idee des persönlichen G ottes näherte.

H an d in H and dam it zeigte sich in seiner Seele zuneh­

m ende E m pfänglichkeit f ü r die aus der ew igen und u n ­ endlichen Liebe Gottes hervorgehende Id ee der christ­

lichen Erlösung.

Dieser tiefste P unkt sein er Lebensw eisheit kom m t zunächst in d e r Lösung des m enschlichen Lebensm y­

sterium s, im F a u s t zum A usdruck. A uch der D ich­

te r selbst sieh t in diesem gew altigsten D aseinsdram a, d as je ein M ensch g eschaffen hat, den Sieg der ch rist­

lichen Idee. In einem G esp räch e mit E ck erm ann stellt er als Schlüssel zum E rfassen der D ich tu n g jene Verse au s dem C hor der Engel h in , in denen es heißt:

Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen;

Wer immer strebend sich bemüht,

(19)

17 Den können wir erlösen,

Und hat an ihm die Liebe gar Von oben teilgenommen,

Begegnet ihm die selige Schar Mit herzlichem Willkommen.

„In diesen Versen — sagt Goethe — ist der Schlüs­

sel zu F au st R ettung en th alte n : in F a u st selber eine im m er höhere u n d reinere T ätig keit bis ans Ende u n d von oben die ihm zu H ilfe kom m ende ewige Liebe. Es steht dies m it unserer religiösen V orstellung d u rc h ­ aus in H arm onie, nach d e r w ir n ic h t bloß d u rc h eigene K raft selig w erden, sondern durch die h in z u ­

kom m ende göttliche G n ad e.“

Goethe w ar bereits vierundvierzig Ja h re alt, als er erstm als P laton las. D och w a r er eigentlich bereits P lato - niker, als er allm ählich entdeckte, d aß das H öchste u n d T iefste nicht du rch die sinnlich e rfaß b are äußere N a ­ tur, sondern n u r durch V ertiefu ng in das eigene Ich zu erkennen ist. A uch G oethe hätte m it dem g rö ß ten Schüler Platons, m it dem heiligen A ugustin, sagen k ö n ­ nen : ab exterioribus ad in terio ra, ab interioribus ad su- periora. D er w ah re L ebensberuf des Menschen ist au ch nach Goethe das E rfassen u n d die N achfolge des E w i­

gen: „das Vergängliche unvergänglich zu m achen.“

A uch d arin folgt er P laton, daß er schließlich das G e­

heim nis des D aseins im εραις, in d er Liebe zum E w i­

gen erkennt u n d ahnt, d aß es hilfreiche G nade G ottes, als der ewigen Liebe ist, in der u n ser L ebenskam pf ausklingt, u n d die in d ie U nsterblichkeit h in ü b e r­

fü h rt, an die Goethe bis a n sein Lebensende u n e r­

schütterlich glaubt. In diesem Sinne ist auch G oethes

„D enken“ nichts anderes, als liebevolles V ertiefen in die ew igen Id een P latons, d ie uns sow ohl in den U rp h ä - nomenen, als auch in dem Urlogos entgegentreten; die­

ses „D enken“ legt den G ru n d zum G lauben an die ew ige G üte, αγαθόν, die beiden d as Leben spendet.

Allein das „D enken“ h a t an der G estaltung unse-

(20)

res D aseins auch einen anderen A n teil: das Leben b e ­ w ußt zu leben. Es ist dem nach nicht bloß in seiner G e- gestandsbezogenheit von W ert, so n dern auch in seiner reflektierenden Art. Ja , D enken als Lebensausdruck erschließt u n s den in n ersten L ebenspuls:

Zierlich denken und süß erinnern Ist das Leben im tiefsten Innern.

D ieser stets sich bildenden, selbstbew achenden, selbstregulierenden R eflexion ist au ch die E ntfaltun g unserer Persönlichkeit zu verdanken, das Höchste, w as w ir erreichen können:

Höchstes Glück der Erdenkinder Sei nur die Persönlichkeit.

D ieses reflek tieren de D enken ko m m t uns in d er A usbildung unseres Ich umso m ehr zugute, als es uns zugleich befreit, indem es uns ü b er den qualvollen Strom der V ergänglichkeit em porhebt. „Bleibt uns n u r das Ew ige je d en A ugenblick gegenw ärtig, so leiden w ir nicht an d er vergänglichen Zeit.“

Somit gelangten w ir bei dem W esenskern der W eis­

heit G oethes an. Er kom m t in dem V erm ögen zum A us­

druck, die Schätzung des flüchtigen A ugenblickes m it dem steten V oraugenhalten jenes niem als vergänglichen Momentes zu v erk nüp fen, der als G leichnis auch in dem flüchtigen A ugenblick en th alten ist: „Alles V er­

gängliche ist n u r ein G leichnis.“ D er w ah re Weise v e r­

mag V ergängliches u n d Ewiges z u g l e i c h zu sehen, in ­ dem er in jedem A ugenblick den ew igen W ert erkennt, da auch d er flüchtige A ugenblick das Ewige versin n ­ bildlicht. D ah er lautet Goethes höchste Lebensregel:

Genieße mäßig Füll und Segen Vernunft sei überall zugegen Wo Leben sich des Lebens freut Dann ist Vergangenheit beständig Das Künftige voraus lebendig Der Augenblick ist Ewigkeit.

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19

Diese eigenartige und geheimnisvolle E in h eit von

"Zeit un d Ew igkeit ist auch nach Goethe d ad u rch mög­

lich, daß in G ott a u c h der A ugenblick ewig ist:

Denn alles Drängen und alles Ringen Ist ewige Ruh’ in Gott dem Herrn.

N un sind w ir bereits a u f dem O lym p: h ier ange­

langt blicken w ir in ruhiger G elassenheit a u f unsere D aseinskäm pfe, a u f die un ab lässig w ogende U n ru h e der E rfah ru ngsw elt hinab; d ah er bekennt sich der D ich ter m it vollem V ertrau en zu dem Satz: „alles gibt sich m it der Zeit.“ U n d somit erreichten w ir, w as bisher von jedem tieferen D en k er erreich t w urde, die Einsicht, daß V ernun fterk en ntnis in die N ähe d er größten M ysterien von W elt u n d Leben führt. G oethe selbst sagt, daß „das K in d Realist, der Jüngling Id ealist, der M ann S k ep tik er, d e r G reis M y stik er“ sei.

D ieser tiefste P u n k t der W eisheit ist eben d er Reife des D enkens zu verd an k en . G oethes Lebensw eisheit 1st

— gleich der von P lato n und Aristoteles — eine große H ym ne des G edank en s: eben das allm ähliche V ertiefen des G edankens erm öglicht es d u rch die E rk en n tn is des Ewigen, auch in u n se r vergängliches Leben einzugreifen u n d auch seinem flüchtigen A ugenblick die W eihe zu geben. Dieses G oethesche „D enken“ ist selbst das Leben des Geistes, w ie es gedeiht, reift, reicher u n d tiefer w ird. U n ersch ü ttert g laub t der D ichter a n die erhe=

bende, gestaltende u n d erziehende M acht des D enkens.

Es d a rf nicht vergessen w erden, daß alle V ern u n ft und W issenschaft v erach ten d e W orte uns aus dem M un­

de des M efistopheles entgegenklingen, der m it den W orten „V erachte n u r V ernunft und W issenschaft — So hab ich dich schon unbedingt“ auch seine eigenen A bsichten verrät. Ist es doch eben das V ertrauen a u f den G edanken, was u n s w ah rh aft zu Menschen m ach t und uns aus den engen S chranken un d der lähm enden Rela­

tiv itä t des Sinnenlebens entführt.

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Allein der Mensch w ü rd e fü r die W irklichk eit ver­

loren gehen, le b te er nu r in B etrachtung. Zeigt doch das überhand nehm en d e D enken die Dinge von so viel Sei­

ten, daß die d a d u rc h en tstand en e Skepsis das H andeln lähm t. „N ur d e r B etrachtende h a t G ew issen, — sagt G oethe — der H andelnde ist im m er gew issenlos.“ Dies bedeutet, daß w ir durch u n seren E ntschluß die V erant­

w ortung auch f ü r etwaige Folge unseres H andelns über­

nehm en, die w ed er zu berechnen noch vorauszusehen sind, was m it d er absoluten G ew issenhaftigkeit nicht in Einklang g eb rach t w erden kann. Aber d ie T a t belebt, d a sie befreit, indem sie die Zweifel, ü b er die sich der Mensch durch rein theoretische B etrachtungen niemals zu erheben verm öchte, als gordischen K noten zerschnei­

det, und somit d as lähm ende un d dad u rch lebensw id­

rige Ü berhandnehm en des D enkens einsch ränkt. „Der S inn erw eitert, ab e r lähm t; die T at belebt, aber be­

schränkt.“ H ierau s ergibt sich der eigenartige Begriff des G oetheschen H andelns, „T uns.“

Das T u n ist fü r Goethe zunächst keine W irkung n ach Außen, son dern O ffen b aru n g und als solche Sym ­ bol unseres tie fste n Innern. „D as Höchste, d as Vorzüg­

lich ste am M enschen ist gestaltlos, und m an soll sich h ü te n es and ers als in edler T a t zu gestalten.“ Ist doch die T at in je d e r Beziehung U roffenbarung, — „der An­

fa n g w ar die T a t“ — da das U rphänom en d u rch sie z u r W irk lic h k e it w ird. D a h e r b e tra c h te t d e r D ich ter a u c h die dem H a n d e ln in n ew o h n en d e eth isch e G ew iß­

h e it als U rgew ifiheit, selbst d an n , w enn sie d u rch die V e rn u n ftein sich t nicht d u rc h h e llt w ird.

Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

Man hüte sich daher den Begriff d er Goetheschen -,Tat“ im Sinne d er m odernen U berbetriebsam keit ge­

schäftlicher A rt, einer in je d e r H insicht b arb arisch en ττολυπραγμασύνη zu deuten. N icht „N ü tzlichk eit“ bestim m t

(23)

21

nach dem D ichter den W ert der T at, sondern d aß sie Sym bol des in unserem Leben zum A usdruck gelangen­

den U rphänom ens ist. D en n der G run dzu g von G oethes reifer Lebenshaltung u n d W eisheit ist eben, daß er die w ahre Tiefe, Schönheit u n d den S inn des Lebens n ic h t in dem S treben nach Außen, in die große W elt sieht, sondern darin, daß w ir n ach Innen leben u nd die Seele in der W ärm e einer intim en U m w elt entfalten. A uch hier gilt, d aß das U nendliche n u r in unserem Ich zu fin d en ist u n d daß sich auch das U nendliche im U r­

g rü n d e des Alls uns n u r du rch dieses Ich erschließt.

D ies e rk lä rt bei G oethe jen e sonderbare Einheit W elten und Aeonen um fassenden kosmischen Lebens und klein­

b ü rgerlichen Rahm ens, die auch and ere große G eister, A ristoteles, Leibniz u n d K ant kennzeichnet. Diese Syn- fese von G enie und K leinbürgertum erscheint als P a r a ­ doxon, u n d doch kom m t in ihr tiefe W eisheit zum A us­

druck. N icht n u r weil d u rch die schlichten und festum - rissenen Form en kleinbürgerlicher Lebensführung jene äu ß e re R uhe gew ährt w ird, ohne die d er Genius nicht zu sch affen vermag, sondern weil das Genie d u rch die W ertschätzung enger R ahm en auch in ihnen die ewige Sym bolik des Lebens erk ennt. A uch Goethe verachtet die k leinen Sorgen bürgerlichen Lebens keineswegs, denen er, zun ächst in seinem H aushalte, die größte A u f­

m erksam keit zuw endet; auch hier erk ennt er im K leinen das Große un d die W ahrheit, daß j e d e r A ugenblick ew igen W ert enth alten kann.

T u n u n d H andeln gehören ab er auch d aru m der F ülle des Lebens an, d a w ir nu r d u rch sie von der aus den tiefsten Tiefen u n serer Seele em porquellenden form ­ losen S ehnsucht b efreit w erden können: „Die S ehnsucht verschw indet im T u n u n d H andeln.“ D urch die m y sti­

sche G ew iß h eit d e r T a t stellen w ir uns fest in die W irklichkeit hinein.

W ir h ab en gesehn, daß der E ntschluß nach G oethes A nsicht d u rch das D enken eher erschw ert, als g efördert

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w ird. A uch dies deutet d a ra u f, d aß die w irkliche, bele­

bende K ra ft des H andelns nicht die Einsicht, sondern jene irratio n elle G ew ißheit ist, die w ir G lauben nennen.

D er in die T iefen dringende Geist steht in seinem Leben dem N ichterkennbaren m it unbegrenztem V ertrauen gegenüber.

Doch fassen Geister, würdig tief zu schauen Zum Unbegrenzten unbegrenzt Vertrauen.

Dies eben ist der W eg des G laubens, den uns auch unsere nie zu befriedigende S ehnsucht weist. „Jed es B edürfnis — sagt G oethe — dessen w irkliche B efriedi­

gung versagt ist, nötigt zum G lauben.“

H ier lie g t das G ru n d stre b e n u n se re s G eistes: das H andeln z u r B efriedigung ihrer B edürfnisse fü h rt die Seele unw iderstehlich der W elt des G laubens zu. D ie grundlegende Ü berzeugung Goethes ist, daß unser Le­

bensgang letzten Endes dad u rch bestim m t w ird, w o ran w ir glauben; er faßt dies in den Satz, d aß der K ern d er W eltgeschichte der K am pf zwischen G laub en u nd U n­

glauben sei. Alles Leben w u rzelt im G lauben: bloßes Wissen v erm ag nicht jen e G ew ißheit zu geben, der w ir bedürfen, um zu leben u n d zu handeln. D aher die w u n ­ derbare M acht und heilende K raft des Glaubens. A uch der D ichter selbst weist tief gerührt a u f den bem erkens­

w erten U m stand hin, d aß d urch das C hristentum v erfal­

lene und bereits versunkene Völker n eu belebt w u rden, und fü gt w eise hinzu, daß dieses m it E insicht u n d P h i­

losophie n ichts zu tu n habe, sondern sich aus irratio n a­

len, geheim nisvollen Q uellen nähre.

In sp äteren Jah ren stan d G oethe dem religiösen Le­

ben, nam entlich den M ysterien des C hristentum s m it w achsendem V erständnis gegenüber. Goethe, d e r

„große H eid e“ kan n h eute füglich als historischer I r r ­ tum b etra ch tet werden. W ie tief sich der a u f dem G ip ­ fel seiner W eisheit angelangte G oethe in die Geheim«

nisse religiösen Em pfindens vertiefte, w ird am b esten

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23

d ad u rc h bezeugt, daß er den historischen U rsp ru n g des religiösen G laubens gegenüber d er oberflächlichen Leh­

re d er A u fk läru n g n ic h t in der F u rc h t, sondern in der D an k b a rk e it erblickte.

In unseres Busens Reine wogt ein Streben Sich einem Höhern, Reinen, Unbekannten Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben Enträtselnd sich den ewig Ungenannten Wir heißen’s: fromm sein.

N ich t die negative und niedrige T rie b k ra ft der F u rc h t ist die psychologische Q uelle der Religion, son­

dern das positive u n d edelste E rlebnis der D an k b ark eit un d Liebe. Religion ist kein vergängliches N ebenpro­

d u k t eines prim itiven Lebens, sondern W urzel und K rone allen Daseins. D aher gilt als Inbegriff d er Weis­

heit:

Besonders keinen Menschen hassen, Und das Übrige Gott überlassen.

A llein der M ensch denkt u n d handelt n ic h t bloß, sondern schafft auch, das heißt, das Leben ist stets zu­

gleich künstlerische Tätigkeit. Ist doch schon die Bil­

d u n g unseres eigenen Ich eine K u nst, und anderseits n ach Goethes A uffassung auch das H andeln schon O ffe n b a ru n g der Selbstgestaltung. „D ie K unst beschäf­

tig t sich m it dem Schw eren u n d G u ten “ — d as heißt, auch d e r K ünstler arb eitet an d er V erw irklichung des Geistes, der Welt der Werte. Seine A ufgabe in sachlicher H in sich t ist nichts anderes, als „d u rch den Schein die T äuschung einer höheren W irklich keit zu geben.“ D a­

h er ist auch K unst die O ffen barun g jenes Eros, die uns dem U nendlichen u n d Ewigen entgegentreibt. O hne Liebe keine D ichtung,

Denn auf dieser Erdenflur Mufi man lieben, um zu dichten.

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N un ist uns k lar, was nach Goethes W eltauffassung letzten Endes uns, im Strome d er Zeit lebende Wesen in D enken, H andeln und S chaffen zum Suchen nach dem E w igen anregt. Es ist nichts anderes, als die Liebe zu allen w ahren unvergänglichen W erten. Diese Liebe lehrt uns im flüchtig en A ugenblick das Ew ige, im V er­

gänglichen das U nvergängliche zu erblicken. D as größte W under der W eisheit erleben w ir in der Liebe:

sie ist das große M ysterium des w ahren Lebens, wie es d u rc h den G ed ank en von P lato und G oethe, durch den religiösen G lau b en von der L ehre C hristi e rfa ß t w urde.

G oethes Lebensw eisheit ist die W eisheit der Liebe; D en ­ k en und T un m üssen in gleicher Weise aus dieser ew i­

g en Q uelle g e n ä h rt w erden.

Als Goethe seinen letzten G eb u rtstag feierte, ü b er­

rasch te n ihn m ehrere seiner hervo rrag enden englischen F reu n d e und V erehrer, u n te r ihnen W alter Scott und T hom as C arlyle, m it G eschenken. In dem Begleitschrei­

b en begrüßt C arly le den G efeierten als d en Menschen, d em w ir zu größtem D an k v erp flich tet sind, d a er uns ü b e r die w ahre W eisheit belehrte. Diese W orte des gro­

ß e n englischen Schriftstellers sind von umso tieferer Be­

deutung, da eben er es w ar, d er es nach eigenem Be­

k en n tn is G oethe zu v erd an k en hatte, daß er dem äuße­

re n u nd inneren Z usam m enbruch seines Lebens e n t­

ging.

U nd hier erh ält G oethes Lebensw eisheit eine schm erzvolle Zeitgem äßheit. A uch w ir erw a rte n die H eilung unserer Seele, sofern sie durch W eisheit a u f ­ g ru n d von E in sichten m öglich ist, in dieser düsteren Zeit des W eltschmerzes, von seinem Geiste. Indem dem G enius bei der h u n d e rtjä h rig e n W iederkehr seines To­

des auch unsere M ärty rern atio n in Liebe u n d D an k h u l­

d ig t, d an k t sie zugleich fü r d en R eichtum a n Glanz, d e r aus seinem G eiste bisher au ch unserer Seele entge-

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g en strah lte. Und w ir g lauben zuversichtlich, daß w ir zu unserer A uferstehung du rch G oethes Geleit a u c h den Weg zu r einzigen w a h re n W eisheit finden müssen, zur E rk en n tn is, daß n u r G laube u n d Liebe zur E w ig k eit fü h ren .

25

(28)

zur Festsitzung des Ungarischen Nationalen Ausschusses für Internationale Geistige Zusammenarbeit.

Von Albert von Berzeviczy, Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.

G eehrte F estv ersam m lu n g !

Die N ationale Commission welche u nsere A kadem ie infolge der A ufforderung der G enfer C en trale für d as geistige Zusam m enw irken d er Völker gebildet hat, bietet uns die erw ün sch te H an d h ab e geistige G rößen des A us­

landes zur M itw irkung heranzuziehen u n d Vorträge ü b e r G egenstände deren Interesse über die Scheidew ände d ie die N ationen voneinander trennen, hinausreicht, entge­

genzunehm en.

D ie C en ten arfeier des Todes G oethe’s erscheint, in ­ folge des W eltruhm es des D ichters, ganz besonders ge­

eignet im R ahm en einer solchen, dem Zusam m enw irken verschiedener N ationen gew idm eten F estsitzun g began­

gen zu w erden, u nd dieses unser U nternehm en erh ält eine besondere Weihe d u rch das E rscheinen des H errn Professor Ju liu s Petersen, des P räsid en ten der d eu t­

schen G oethe-G esellschaft in W eim ar u n d ausw ärtig en Mitgliedes u n serer A kadem ie in unserem Kreise. Indem ich unseren vereh rten G ast unserer Z uhörerschaft v or­

zustellen u n d ih n herzlichst zu begrüßen die Ehre habe, spreche ich ihm zugleich un seren innigen D a n k fü r d ie freundliche B ereitw illigkeit aus, m it w elcher er u n serer E inladung Folge leistete u n d versichere ihn, daß er bei uns einer verständnisvollen, ich k a n n sagen seelenver­

w andten Z uhörerschaft begegnen w ird.

H aben w ir doch schon eine ziemlich lange Reihe von V orträgen u n d V ersam m lungen in diesem J a h re der E rin ­ neru ng an G oethe gew idm et. U nsere A kadem ie selbst ge-

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staltete ihre heurige Festversam m lung zugleich zu einer G oethefeier; zahlreiche literarische G esellschaften, be­

sonders die ganz dem G oethe-C ult gewidmete ungarische G oethe-G esellschaft brachten V orträge ü b e r Goethe- P roblem e; hier im P alaste u n se re r A kadem ie ist ein G oethe-M useum z u r Schau gestellt, S tiftung u n d Ver­

m ächtnis eines ungarischen B ürgers u nd G oethefor­

schers u n d unsere D ichter w etteiferten in d e r Überset­

zung d e r m eisten W erke des D ich terfü rsten , so daß w ir

— um n u r eines zu nennen — F a u s t in viererlei ungari­

schen Ü bertragungen besitzen.

W ir trachteten aber nicht n u r Goethe literarisch uns anzueignen; so w ie sein Lebens w e rk G em eingut der gan­

zen gesitteten M enschheit w urde, so ist G oethe auch bei uns in den w eitesten Kreisen bek an n t, bew un d ert, ge­

liebt, seine W orte haben stets begeisterten W iederhall g efu n d en überall in U ngarn, a u c h in den u n s je tzt ent­

rissenen Teilen unseres tau sen d jäh rig en Landes, im w al­

digen G ebirge u n d in dem von der F ata m organa be- g län zten Tiefland, längs der D o n au und längs d er Theiß, in S täd ten und D örfern, bei d e r m agyarischen Rasse n ich t w eniger als im Kreise d e r u ng arländ ischen D eut­

schen.

T ausende h ab en auch bei u n s aus F aust Lebensweis­

heit geschöpft, w u rd en mit F a u s t von der „M enschheit g anzer Jam m er“ angefaßt, ta u sen d e haben m it W erther g ejau ch zt und gew eint, haben sich an den Tönen der Leier Goethes berauscht, seine lieblichen F rauengestal­

ten in ’s H erz geschlossen. A uch w ir glauben im Bewußt­

sein unseres G oethe-V erständnisses, ohne Anmaßung das D ichterw ort a u f uns anw enden zu können: Du gleichst dem G eist, den du begreifst!

F reilich konnte diese G em einschaft der E m pfindung die un s d urch G oethe an das deutsche Volk k n ü p ft, bei uns dennoch nicht jene B edeutung erlangen, welche die W irk u n g seines größten D ichters a u f D eutsch lan d kenn-

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zeichnet, und w elche im D eu tsch tu m überall, au ch bei d e r jetzigen C entenarfeier zu T age tritt.

Es ist eine seltsam e Schicksalsfügung, d a ß so wie das Erscheinen des I. Teiles von F aust im J a h r e 1808.

in m itten des tiefen N iederganges der deutschen Nation erh eb en d gew irkt h at, so w irk t a u c h jetzt die B edeutung des ganzen Lebensw erkes G o eth e’s erhebend a u f das d u rc h neue Schicksalsschläge schw ergeprüfte Volk des D ichters.

D enn das ist eben die einzigartige B edeutung der G eistesschätze, w elche die rag en d e n Größen d e r Geistes­

u n d Seelenwelt d e r ganzen M enschheit d arg eb rach t ha­

ben, d aß ihnen dem eigenen V olke gegenüber noch über­

dies eine erlösende K raft in new ohnt. D enn siehe da, jen e deutsche N ation, welche im Laufe eines halben Jah rh u n d erts einen der größten T rium fe u n d eine der g rö ßten N iederlagen der W eltgeschichte erleben mußte, w elche heute besiegt und vergew altigt, von Kummer u n d N ot gepeinigt, scheinbar erniedrigt d asteh t, diese deutsche N ation w ird durch die M ahnung d e r gegen­

w ä rtig e n C en ten arfeier zum unbeugsam en, u n ersch ü t­

te rlich e n Stolz beseelt als die h e h re Spenderin, welche die W elt m it dem unerm eßlichen, unvergänglichen R eichtum der geistigen S chöpfungen G oethe’s be­

sch en k t hat.

In diesem niem als erblassenden Ruhm erg län zt sie in m itten ihrer schw ersten P rü fu n g en , in diesen ihrem R uhm , i welchen ih r keine M ach t der Erde entreißen k an n , jubeln ihr die Herzen a u f dem ganzen E rden ru nd entgegen, in dieser seiner strah len d en H errlichkeit wol­

len au ch w ir d u rc h unser bescheidenes Fest dem Volke G oethe's unsere tiefgefühlte H u ldigung darbringen.

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GOETHE ALS GESTALTER.

von Julius Petersen.

Der Vortrag von Prof. Dr. Julius Petersen führt den Gedanken­

gang aus, den er eingehend in der Studie „Goethe als Gestalter“ Ber­

lin, 1932. entwickelt hat. Anschließend an Goethes Gedicht „Die Grenze“, das die Wandlung Klopstocks, des großen Vorläufers in der Erlebnisdichtung, zum Thema hat, besprach er das ein­

zigartige Beispiel dieses Einheitsgefühls der ganzen Welt in dieser zerrissenen chaotischen Zeit anläßlich des 100. Todestages des letz­

ten großen Weltdichfers.

Wie in der Harmonie dieser Weltverehrung die Stimme der Vielheit zu vernehmen ist, so ist auch Goethes Gestalt gespalten in mannigfachen Erscheinungsformen. Der junge Goethe als Stür­

mer und Dränger, der klassische Goethe und der weise Seher im Alter; der nordische Mensch, der griechische Künstler und der uni verseile Weltdichter sind Gegenstand besonderer Verehrung und ge­

legentlich sogar eines Rangstreites geworden. Gleichwohl sind Goethes Leben und Dichtung eine Einheit, die im Begriff der Er­

lebnisdichtung am besten zu fassen ist; Voraussetzung dieses B e- kennertums war das religiöse Gefühlleben und der Offenbarungs­

zwang des Pietismus, dessen Kreise er in jungen Jahren durch­

laufen hat, und die Auffassung seiner Dichtung als großer Kon­

fession und Generalbeichte geht auf die Anschauungsweise dieser Zirkel zurück. An einem Beispiel aus den „Römischen Elegien“

wurde sodann die Bedeutung der Gelegenheit für Goethes Schaf­

fen veranschaulicht.

Ein dreifaches Verhältnis zwischen Wirklichkeit, Erlebnis und Gelegenheit ist möglich: das der Identität in der eigentlichen Gelegenheitsdichtung, deren Anlaß Improvisation und inspirierte Gestaltung des Ichs ist; das der großen zeitlicher Entfernung zw i­

schen Erlebnis und Gelegenheit, wenn erst nach langer Inkubation, die bis zu vier oder fünf Jahrzehnten sich erstreckte, die Gestal­

tung ausreifte; und schließlich das dritte Verhältnis der Antizipa­

tion und Vorwegnahme des Wirklichkeitserlebnisses in der D ich­

tung. Goethe hat dieses Verhältnis als das eigentliche Geheimnis seines Schaffens betrachtet, daß er Urbilder in sich trug, denen er nochmals im Leben begegnete und daß das Leben zur Bestätigung seiner Dichtung wurde. Der Redner gab dafür mehrere Beispiele im Friederike-Erlebnisin der italienischen Reise, im Werther-Roman

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als Vorausnahme der Frau von Stein. Auch Iphigenie lebte als Wunschbild längst im Dichter ehe er Frau von Stein kennen lern­

te. Neben dem Urbild der Reinheit aber war auch das der schick- salsmäfligen leidenschaftlichen Hingabe vorgebildet, und Egmonts Klärchen war eine Antizipation der Christiane. Ebenso begegnet das Bild der aufblickenden Adorantin, das er in Mignon gestaltet hatte, dem Dichter später in Bettina Brentano. Ein vierter Frauen­

typus ist der der ebenbürtigen Partnerin im Liebesduett; der Su- leika des „Westöstlichen D iw an“ war schon Name und Platz be­

reitet, ehe Goethe Marianne von Willemer kennen gelernt hatte.

So war die Vergegenwärtigung des Erlebnisses eine Ver­

schmelzung von Urbild und Realität. Die schönsten Frauengestal­

ten Goethes sind sichtbar gewordene, blutvoll verkörperte Seelen­

zustände ihres Schöpfers; er konnte von Ihnen gleich seinem Tasso sagen: „Ja, sie sind ewig, denn sie sind.“ Die Männergestalten sei­

ner Dichtung aber, die er Bein von seinem Bein, Fleisch von sei­

nem Fleisch nannte, sind gleich ihm Zwiespaltmenschen oder Spal­

tungen seines Ichs in erlebter Gegensätzlichkeit oder Wandlungen seines Ichs in aufnehmender Empfänglichkeit und mit ihnen konn­

te er sprechen gleich seinem Prometheus: „So bin ich ewig, denn ich bin!“. Alle seine Dichtungen sind ein großer Monolog, d em u r deshalb nicht monoton wird, weil der ungeheure Reichtum des Schöpfers alle Gegensätze der Welt in sich fassen konnte. Er hat­

te die Wandelbarkeit eines Proteus, wie die Natur; er ist immer ein anderer und immer er selbst. Wir verstehen ihn in den Versen die er der Einheit Homers widmete:

Ewig wird er euch sein Der eine, der sich in viele Teilt und einer jedoch Ewig der einzige bleibt.

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GOETHE UND DIE NACHWELT

< von Theodor Thienemann.

M eine D am en un d H erren!

D ie G edächtnisfeier, die h eu er in W eimar, a n vielen S tä tte n des E rdballs u nd soeben hier in dieser Stunde G o eth es'G eist in unsere G eg en w art gerufen h at, be­

stä tig t die frohe G ew ißheit, die in feierlichen Stunden g erne ausgesprochen w ird: d er Sinn von Goethes D asein ist n ich t vergangen au s dieser W elt, denn G oethe sp rich t noch heute zu uns, w enn w ir ih n rufen, w en n w ir seiner bedürfen. U n d w ir b ed ü rfen seiner m eh r denn je als H ilfe u n d S tü tze in der N ot d er Zeit.

Z erstreut ist schon längst das freundliche G edränge d er N ächsten un d der N ahen, die den Menschen Goethe gesehn, die seine Stimme gehört, die sein geschriebenes W ort m it dem inneren Sinn noch als gesprochenes Wort vernom m en haben, diese w enigen, G lücklichen, ver­

sch w an d en schon längst aus d er W elt. Wie a b e r diese einstige M itw elt im F luß der Zeit versinkt, w äch st ja h r- au s-jah re in die Zahl der U nb ekannten, deren Summe w ir N a c h w e l t nennen: M enschen, die bei aller Ferne d e r Zeit m it G oethe leben, m it ihm Um gang pflegen, in seinem W erk R atschlag und W egw eisung suchen, die von seinen B riefen u n d T ag eb ü ch ern durch das eigene L eben begleitet w erden, die sich in schw eren Stunden a n seinen W orten aufrichten, M enschen, die ih r In n e r­

stes u n d Persönlichstes v eräu ß erlich t fühlen, w enn sie all zu la u t ü ber Goethes G eist sprechen h ö ren oder selbst gezw ungen sind d arü b er zu sprechen. N achw elt nennen w ir die stum m e Ü berein kun ft der U nbekannten, die einm al in den Zimmern des H auses am F rau en p la n das G efühl erg riffen hat, als h ä tte der H err des H auses diese Zimmer eben verlassen; es sind Menschen, die in

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F r a n k f u r t und Leipzig, in S tra ß b u rg und Sesenheim E r­

in n e ru n g an d en jungen G o eth e gesucht h a b e n ; denen W eim ar und Je n a , Tiefurt u n d Belvedere, Ilm en au und E ttersburg ein S tü ck schöne E rinnerung a n das eigene Leben gew orden ist; die d en H arz oder die Schweiz, K arlsb ad oder T irol in dem ungew issen G efü h l d u rch­

s tre ift haben, als m üßten sie d o rt irgendwo G oethe den W and erer begegnen; es sind M enschen, die s e i n e Sehn­

su ch t nach Ita lie n gekannt haben, die die Italienische R eise nach S ü d en geführt h a t, die vielleicht im G ar­

te n der Villa Borghese dem D ich ter von Egm ont, Ip h i­

genie und F au stfrag m en t F olge geleistet h ab en , die in d en P ark an lagen der Villa G iu lia die tragische Begeg­

n u n g von O dysseus und N a u s ik a a mit dem D ich ter des N ausikaa-F ragm entes d u rc h d a c h t haben, die die P flan ­

zen dieser P ark an la g en b etrach teten , d en n in diesen P flanzen hatte einst Goethe die U rpflanze erschaut — u n d die beglückt gewesen sind, w enn sie a u f dem Monte Pellegrino die Inschrift en td eck ten , die d a ra n erinnert, d a ß dort einst Goethe g ew eilt hat. U nd N achw elt ist w ieder die stum m e Ü b erein k u n ft jener zahllosen U nbe­

kannten, die von allen H im m elsrichtungen n ach W eim ar gepilgert, u n d d o rt einmal ersch ü ttert vor dem Sarg in der F ü rste n g ru ft gestanden sind. N achw elt nennen w ir also nicht das sogenannte große P u blik u m , das so­

ziologisch in teressan t sein m ag, nicht die u n b ek an n te Menge, deren B eifall selbst dem Herzen des D ichters bange m acht: N achw elt n e n n en w ir die Sum m e dei Kreise, die sich wie Jah resrin g e um G oethe legen:

K reise der A userw ählten, d en en Goethe in der G esam t­

h eit seines D aseins gegenw ärtiger, v e rtra u te r gew orden ist, als selbst den v e rtra u te n Zeugen u n d G efährten

seines Lebens.

Was tre ib t ab er den M enschen, die S p u ren eines v er­

gangenen L ebens zu verfolgen? Was d rä n g t den Men­

schen, sieh in ein fremdes L eben einzunisten? Was ist es u m die m agische A n ziehu n gsk raft von all dem, was einst

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Goethe b e rü h rt h at ? W oran liegt es, d a ß uns die M en­

schen, deren Schicksal in Goethes L eben eingeflochten w ar, bis heute lebendig geblieben sin d ? W ir suchen A n t­

w ort a u f all diese F rag en in dem einen Satz:

N ur allein d er Mensch Vermag das U nm ögliche:

E r kan n dem A ugenblick D auer verleihen.

U nsere B etrachtung richtet sich a u f eine D au er des Geistes von ganz o b je k tiv er N atur, sie richtet sich a u f den W illen zu b eh a rre n in der Zeit h ie r au f E rden, a u f die besondere und persönliche A rt, w ie Goethe m it der V ergänglichkeit gerungen hat.

Aus dem Wissen um die V ergänglichkeit des L ebens w ächst die ewig m enschliche Sorge u n d Sehnsucht: das Teuerste un d Beste, w as uns gegeben ist, aus der F lu c h t der Erscheinungen zu retten und in D a u e r und R u h e zu erhalten. Diese Sorge u n d diese S ehnsucht ist ein Vor­

recht des Menschen u n d Goethe ist ein er der A u serw äh l­

ten, die dieses V orrecht des M enschen besonders au szeich ­ net. D as Wissen von d e r Zeit erg riff ih n tiefer als an d e re E rd en k in d er und m eh r als andere M enschen setzte e r restlos seine ganze E xistenz in das eine höchste s tre b e n ­ de B em ühenein, Tod u n d V ergänglichkeit zu ü b e rw in ­ den u n d der Ew igkeit teilh aft zu w erden. Viele su ch ten vor un d nach G oethe dem all zu F lü ch tig en unseres D a ­ seins zu e n trin n e n : H eilige und H elden, diesseitig R u h m ­ süchtige un d jenseitig G ottsuchende, M achtm enschen und D enk ernaturen, je d er a u f seine Weise w u rd e getrieben sich anzuklam m ern a n etw as D auerndem ,

„sich einem R einem , H öhern U n b ek an n te n aus D a n k ­ b ark eit freiw illig h inzugeben“, a lle in n u r w enige d e r großen u n d größten V ergänglichkeitsbew ußten h a b e n wie G oethe um B eständigkeit geru n g en u n d w ir kennen keinen an d ere n faustischen Menschen, d er den flüchtigen A ugenblick in d e r unendlichen Zeit in b rü n stig er ergriffen hätte, der in den einen S a tz :

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„Verweile n o ch “ die ganze F ü lle seines D aseins hin ein ­ zudrängen verm ocht hätte.

E rsch ü ttern d ist dieser W ille zu b e h a rre n in der u n ­ endlichen Zeit erst dann, w e n n sich der M ensch dem A b ­ g ru n d und d e r V ernichtung n ah e weiß, w e n n er das U n ­ überw indliche u n d U nbesiegbare der feindlichen M acht, d er er sich w idersetzt, vollends d urchschaut. Im U r ­ g ru n d von G oethes Dasein leb t eine A ffin itä t mit d er Zeit, ein U rg efü h l für das U nendliche, d as ihn erschau­

e rn läß t u n d d ennoch anlockt, wie d en Fischer d ie unendliche F lu t: ein G efühl, das ebenso religiös wie m e­

taphysisch g e n a n n t w erden kann.

Dieses todesnahe W issen von der Zeit scheint G oethe in der religiösen A tm osphäre des from m -bürgerlichen E lternhauses zugew achsen sein. In den frü h esten D o k u ­ m enten seiner F ra n k fu rte r K indheit fin d en wir d ie m erkw ürdig einstimm igen Zeilen: „Mors ultim a lin ea re ru m “, „E rin n e rt euch a n m einen T od “, „Ich m öcht n ic h t gern vergessen sein“ , dazu die spielerische B e­

gründung, d aß den A utor, w enn er sch reib t, dasselbe bewege, w as a u c h A lexander und alle H eld en der V or­

zeit zu groß en T aten an g etrieben habe: — k nospenhaft u n reif leuchtet in dieser ersten L iteraturtheorie schon die E rk en ntnis au f, die vollendet den sterben d en F a u s t erfüllt.

Diese F u rc h t vor Tod u n d V ergänglichkeit w andelt sich in Rokoko-Leipzig in d as Wissen eines früh E rn ü ch ­ terten, der die U n beständigkeit aller h o h en Dinge h a lb w ehm ütig h a lb zynisch z u r K enntnis nim m t. Der L e ip ­ ziger Goethe durchschaut die F latterh aftig k eit von all dem, was im Moment als absolut und ew ig scheinen m ag: sei es d ie w echselnde L ust, das G lü ck , die F reude, der W unsch eines kleinen Mädchens, die Laune des V erliebten: es sind alles unbeständige Dinge. D ieser ju n g e H edonist weiß, das Schöne ist n u r deshalb schön, weil es w ie die g au keln d dahingleitende W elle, w ie die fla tte rn d e Libelle flü ch tig -u n faß b ar ist, w eil

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