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Störungen der Sprache : 34. Capitel : Die beiden spasmodischen Laloneurosen: Stottern und Aphthongie, Wesen, Erscheinungen, Ursachen, Diagnose, Prognose und Behandlung des Stotterns, Beobachtungen von Aphthongie

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Die Sprache bei defectem Balken. Spasmodische Laloneurosen. 223

eine beinahe vollständige Modulation der Stimme zu Gebote steht, und die im Affect verschieden hohe, reine Töne hintereinander her- vorbringen können und in solche, die nur einzelne scharfe und rauhe Töne besitzen. Auf die Stimme übt der Spannungszustand der Stimmmuskeln den grössten Einfluss aus, die heiseren, rauhen Töne sind durch ihre Erschlaffung bedingt. Bei den sprechenden Idioten ist bald mehr die Bildung der Kehllaute, bald mehr der Lippen- und Zungenlaute behindert. •

Zu einem Studium des Einflusses, den die m a n g e l h a f t e B i l - d u n g e i n z e l n e r H i r n t h e i l e auf die Entwicklung der Intelligenz und Sprache ausübt, sind die Anfänge kaum gemacht. — S a n d e r1) u n d K n o x2) stellten in den letzten Jahren die Fälle von d e f e c t e r B i l d u n g d e s C o r p u s c a l l o s u m aus der Literatur zusammen, jener 10, dieser 15. Es ergibt sich aus diesen Arbeiten, dass ein gänzlicher Mangel oder rudimentäre Entwicklung des gesammten Commissuren-Systems, das die beiden Hemisphären des Grosshirns mit einander verbindet, Idiotismus nach sich zieht. Fehlt der Balken allein, sind aber die übrigen Commissuren noch vorhanden, so ist nicht immer Idiotismus vorhanden, doch scheint der Mensch auf einer unentwickelten Stufe der Intelligenz zurückzubleiben. Einige Personen mit defectem Commissuren-System lernten ungeachtet eines verschiedentlich grossen Idiotismus sprechen, bald brachten sie nur wenige Worte fertig; bald lernten sie einfache Fragen beantworten und sogar lesen und schreiben. Einer, der Beides gelernt, war un- fähig zu rechnen.

. VIEBUNDDREISSIGSTES CAPITEL. - Die beiden spasmodischen Laloneurosen: Stottern und Aphthongie.

Wesen, Erscheinungen, Ursachen, Diagnose, Prognose und Behand- lung des Stotterns. Beobachtungen von Aphthongie.

Es gibt zwei Sprachstörungen, die in die Klasse der spasmodi- schen Neurosen gehören, das S t o t t e r n und die A p h t h o n g i e .

— Beim S t o t t e r n i s t d i e A r t i c u l a t i o n d e r S i l b e n u n d d a - m i t d i e R e d e k r a m p f h a f t e r s c h w e r t , n i c h t i m m e r , w e n n

1) Archiv für Psychiatrie 1868—69. S. 128.

2) The London med. Record. 1875. No. 125.

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d e r K r a n k e s p r e c h e n w i l l , s o n d e r n nur zu g e w i s s e n Zei- t e n u n d u n t e r g e w i s s e n U m s t ä n d e n , die freilich leider sehr häufige sind. — B e i d e r A p h t h o n g i e t r e t e n b e i j e d e m V e r - s u c h e zu s p r e c h e n K r ä m p f e im H y p o g l o s s u s a u f , wo- d u r c h d i e S p r a c h e g a n z u n m ö g l i c h g e m a c h t w i r d .

Wir beginnen mit dem Stottern, einem sehr verbreiteten Sprach- fehler, während die Aphthongie äusserst selten beobachtet wird.

I. Das S t o t t e r n ist eine s p a s t i s c h e C o o r d i n a t i o n s - N e u - r o s e , welche die Aussprache der Silben zu Beginn oder mitten in der bis dahin glücklich geführten Rede durch krampfhafte Contrac- tionen an den Verschluss-Stellen des vocalischen und consonantischen Articulations-Rohres behindert. Die Articulation jedes einzelnen Lautes erfolgt richtig, es handelt sich nicht um eine Dysarthria literalis, sondern um eine D y s a r t h r i a s y l l a b a r i s1) . Bei der Verbindung der Consonanten, namentlich der Explosiv-Laute mit den nachfolgen- den Vocalen, seltener beim Aussprechen von Silben, die mit Vocalen beginnen, wird die Rede aufgehalten, der Anfang der Silbe oder die vorhergehende wird gewöhnlich mehrmals wiederholt, bis das Hin- derniss überwunden ist und mit der Rede fortgefahren werden kann.

Diese spastische Hemmung macht sich nicht zu allen Zeiten bemerk- lich, der Stotterer hat Intervalle, wo er ungehindert spricht.

Untersucht man die V o r g ä n g e genauer, die beim Stottern die richtige SilbenfUgung behindern, so finden wir, dass die hierbei zu- sammenwirkenden drei Muskelactionen, die exspiratorische, vocalische und consonantische, nicht harmonisch ineinander greifen. Die regu- lirenden Einrichtungen der nervösen Centra, die das harmonische Spiel dieser Muskeln bei dem T ö n e n d m a c h e n d e r L a u t e in den S i l b e n oder um mit M e r k e l zu sprechen, dem V o c a l i s i - r e n d e r L a u t e vermitteln, werden schon durch geringfügige peri- pherische und noch häufiger centrale Erregungs-Vorgänge aus der Ordnung gebracht. Der Zahnreiz z. B. oder am häufigsten eine ge- mlithliche Befangenheit bringt die coordinirenden Kräfte aus ihrem allzu labilen Gleichgewicht. Die genannten drei bei jeder tönenden Silbenbildung betheiligten Muskelactionen fügen sich weder hinsicht- lich der Contractions-Stärke noch der Contractions-Dauer richtig in- einander. In Folge davon fehlt es dem zum Sprechen erforderlichen Luftstrom an der nöthigen Spannung, die erforderlich ist, um die

1) Syllaba kommt von av'O.außäym, ich fasse zusammen, seil. Consonanten und Vocal.

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Das Stottern. Wesen desselben. Literatur. 225

entgegenstehende vocale und consonantische Muskelspannung zu überwinden. Einestheils geschieht die respiratorische Action bei der Rede in fehlerhafter Weise, anderntheils ist die Spannung der vocalen und consonantischen Muskeln krampfhaft alterirt; statt dass sich die Contractionen der Muskeln ruhig in der gesetzlichen Zeit- dauer vollziehen, geschehen sie in der Form des tonischen oder kloniseh-zuckenden Krampfes.

E r s t im 3. Jahrzehnt dieses J a h r h u n d e r t s wurde die Scheidung der beiden Sprachfehler des Stotterns und Stammeins scharf durch- g e f ü h r t . Das Hauptverdienst erwarb sich hiehei der Schweizer S c h u l t h e s s1) . Ausser ihm förderten in Frankreich damals namentlich S e r r e d ' A I a i s2) und C o l o m b a t3) , in England A r n o t t4) und C o r - m a c k5) , in Deutschland S c h m a l z6) die Kenntnisse des Stotterns und Stammeins. Aus früherer Zeit ist etwa 11 a r d7) zu nennen, der 1817 noch erklärte, die Behandlung des Stotterns sei noch nicht weiter als vor 2000 J a h r e n . Von späteren Schriftstellern auf diesem Gebiete heben wir nament- lich hervor L e e8) , P o e t t9) , L i c h t i n g e r1 0) , K l e n c k e " ) , M e r k e l1 2) , der das Beste geleistet und dem wir in der Hauptsache folgen, H u n t1 3) ,

1) Das Stammeln und Stottern u. s. w. Zürich 1830.

2) Mémoire sur le bégaiement. Journ. des difformités. 1829. No. 2.

3) Du bégaiement et de tous les autres vices de la parole etc. Paris 1830. — D e r s e l b e , Traité médico-cbirurgical des maladies de la voix etc. Paris 1834. — D e r s e l b e , Orthophonie. 2. Aufl. Uebersetzt von F l i e s . Quedlinburg und Leipzig 1840. — D e r s e l b e , Traité de tous les vices de la parole et en parti- culier du bégaiement etc. Paris 1843.

4) A r n o t t in: Elements of Physics or Natural Philosophy 1830. Capitel:

„On Articulation", Anhang.

5) A Treatise on the Cause and Cure of Hesitation of Speek or Stammering etc. London 1828.

6) Ueber Stammeln und Stottern. Claras und Radius, Beiträge. Bd. 1. H. 4.

— D e r s e l b e , Beiträge zu Gehör- und Sprachheilkunde. H. 2. S. 1.

7) Journ. univ. de méd. 1817. T. VII. p. 129.

8) On Stammering and Squinting etc. London 1S41.

9) A practical treatise on nervous impediments of speech, Stammering etc.

5th. edit. London 1842.

10) Med. Zeitung d. Vereins f. Heilkunde in Preussen. 1844. Nr. 33, 34, 35.

11) Die Störungen des menschlichen Stimm- und Sprachorgans u.s.w. Kassel ' 1844. — D e r s e l b e , Die Heilung des Stotterns. Leipzig 1862. 2. Aufl.

12) „Stammeln" und „Stottern" in Schmidt's Encyklopädie der ges. Medicin.

Bd. 6. 1844. 2. Aufl. — D e r s e l b e , Anatomie und Physiologie des menschlichen Sprachorgans (Anthropophonik). 2. Aufl. Leipzig 1863. — D e r s e l b e in Pilz's Zeitschrift Cornelia, Bd. 3. H. 4. Leipzig und Heidelberg 1865. — D e r s e l b e , Physiologie der menschlichen Sprache. Leipzig 1866.

13) Stammering and Stuttering. London 1861. — D e r s e l b e , Philosophy of Voice and Speech. 1859.

Handbuch d. spec. Pathologie u. Therapie. Bd. XII. 2. Anhang. 15

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R o s e n t h a l1) , V i o l e t t e2) , C h e r v i n3) , W y n e k e n ' j , C o S n5) und S c h r a n k0) . Auch die Physiologen Ch. B e l l , M a r s h a l l H a l l , J. M ü l l e r versuchten in das Wesen des Stotterns einzudringen. — Die Literatur über diesen Sprachfehler ist in's Ungeheuere angewachsen, da fast jeder Besitzer einer Heilanstalt für Stotternde es für angezeigt hält, im Interesse derselben als Autor aufzutreten. Diese Abhandlungen haben den Durchschnittswerth der balneologischen Schriften. Ausser- dem theilten eine Menge stotternder Aerzte und Laien ihre Erfahrungen an sich und Anderen mit. B e c q u e r e l , M e r k e l , W y n e k e n , C o e n sind Beispiele von Aerzten, die ihr Gebrechen zum Gegenstande ihres Studiums machten.

Was die T e r m i n o l o g i e betrifft, so scheinen die Alten die Worte: Haesitatio linguae s. vocis, ßuTxuQiatibg, iayfoqmvta oder toyoqiovia ( A r i s t o t e l e s ) hauptsächlich für das S t o t t e r n , dagegen blaesitas, TQu.vhaf.ibg und TQuvbbvqg, rptAhofibg und ipelloT^g mehr für das Stammeln und besondere Arten des S t a m m e i n s angewendet zu haben ( S c h u l t h e s s ) .

Die zur S i l b e n b i l d u n g u n e r l ä s s l i c h e n a r t i c u l a t o r i - s c h e n B e d i n g u n g e n sind nach M e r k e l folgende:

1) H i n r e i c h e n d e r V o r r a t h an L u f t u n d g e h ö r i g e S p a n n u n g d e r e x s p i r a t o r i s c h e n L u f t s ä u l e in d e r L u f t - r ö h r e u n d im A n s a t z r o h r e b i s an d i e A r t i c u l a t i o n s - s t e i l e ; ohne diese Spannung kann die Einengung oder Unterbre- chung des Ausflusses der tönenden Luftsäule, womit die Articulation der Silbe beginnt, nicht mit gehörigem Nachdruck in den tönenden Vocalstrom übergehen oder zurückkehren.

2) U n t e r o r d n u n g d e r c o n s o n a n t i s c h e n M u s k e l a c t i o n u u t e r d i e v o e a l i s c h e , die stets die Oberhand behalten muss.

Dies ist nur möglich, wenn die Spannung der Luftröhre bis zu Be- ginn der neuen Inspiration eine annähernd gleich grosse bleibt.

Der Athmungs-Muskelapparat muss während der ganzen Exspirations- zeit in gleicher Spannung sich befinden, die während des Sprechens

. I ) Beitrag zur Theorie und Heilung des Stotterübels. Wien. med. Wochen-

schrift 1S61. Nr. 35—38. . 2) Etudes sur la parole et ses défauts, et en particulier du bégaiement.

Paris 1862. p. 150 sqq.

3) Du bégaiement. Paris 1867.

4) Henle und Pfeufer's Zeitschr. f. rat. Med. Bd. 3!. S. 1.

5) Anomalien der Sprache. In B. Kraus' Compendium der neueren med.

Wissenschaften. Wien 1875. S. 397.

6) Beitrag zur Lehre des Stotterübels. Allgem. Wiener med. Zeitung 1S75.

Nr. 26-31. "

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Die Störungen der syllabären Articulation beim Stottern. 227

nicht durch falsche, zwischen zwei Silben eingeschobene Pausen, in denen Luft unverbraucht exspirirt wird, noch durch zu langes Aus- halten der consonantischen Geräuschbildung ohne Noth geschwächt werden darf.

3) B e o b a c h t u n g e i n e s g e w i s s e n R h y t h m u s , d. h. der richtigen Aufeinanderfolge der einzelnen Mechanismen nach ihrem zeitlichen Werthe. Denen, die momentan sein müssen, darf also nicht mehr Zeit als durchaus nöthig geopfert werden. ·

Diese Grundbedingungen sind beim Stottern bald mehr, bald weniger g e s t ö r t . ·

1) Viele Stotterer zeigen bei einer in der Regel normalen Be- schaffenheit der Sprachwerkzeuge des Mundes und Kehlkopfes eine mangelhafte Entwicklung des Brustkorbes und der Athmungs-Mus- culatur,.immer aber f e h l t ihnen die für die Rede n ö t h i g e H e r r - s c h a f t ü b e r d i e ° A t h m u n g . Sie athmen zu wenig Luft für die- sen Zweck ein, gehen nicht ökonomisch genug mit ihr um, lassen sie ungebraucht entweichen und sind mitunter gezwungen, mitten im Worte Luft zu schöpfen. ,

C o l o m b a t fand bei mehr als 600 Stotternden k e i n e organischen F e h l e r an den Articulationsorganen.

K l e n c k e hält das Stottern immer „in seinen letzten Wurzel- f a s e r n " f ü r den Ausdruck der S c r o p h u l o s e , die den Boden dafür ,

• a b g e b e , es brauche nur der Gelegenbeitsursaclien, damit das Stottern allmählich daraus hervorwachse. — Er. geht darin viel zu weit. W i r untersuchten erst kürzlich einen herkulisch gebauten M a n n , das Bild blühendster Gesundheit, der von Kindheit an stotterte. W y n e k e n protestirt entschieden gegen die Behauptung K l e n c k e ' s .

2) Die Stotterer b r i n g e n es n i c h t f e r t i g , d i e c o n s o n a n - t i s c h e M u s k e l a c t i o n d e r v o c a l e n u n t e r z u o r d n e n und sie ihr überhaupt gehörig anzupassen. — Bei den C o n t i n u i s pflegt der Stotternde nur mitunter länger auf dem Consonanten zu ver- weilen, als zum fliessenden Sprechen gut ist. Will er aber einen E x p l o s i v l a u t vocalisiren, so treten die das Stottern vorzugs- weise charakterisirenden Erscheinungen auf. Er schliesst je nach der Natur des auszusprechenden Buchstabens diese oder jene Vcr- schluss-Stelle des Mundkanals wie ein wohlsprechender Mensch;

anstatt aber nun den Vocal ohne Verzug folgen zu lassen, presst er die Lippen oder Zunge und Zähne, Zunge und Gaumen fester zu- sammen als nöthig, der explosive Durchbruch der Luft kommt nicht zu, Stande, es tbeilt sich den übrigen Gesichtsmuskeln und der Glottis, ja den Halsmuskeln der krampfhafte Zustand der Articulätions-Musculatur mit, gesticulatorische Bewegungen treten

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hinzu'), der Bauch wird zusammengepresst, das Haupt nach hinten geworfen, der Kehlkopf gewaltsam in die Höhe gezogen, der Stotternde kommt schliesslich in eine furchtbare Aufregung, das Herz klopft stark, der Kopf wird roth und blau, Scbweiss bricht aus, er kann den Eindruck eines Maniacus machen. Zieht sich ein solcher S t o t t e r p a r o x y s m u s in die Länge, so tritt endlich die Nöthigung ein, Luft zu schöpfen, neue Versuche zu articuliren folgen, bis zuletzt die gewünschte Silbe gut oder böse herauskommt, wenn nicht der erschöpfte Kranke ganz davon absteht. — So verhält es sich in den e x t r e m e n Fällen, es kommen aber auch nur l e i c h t e r e Stockungen der Rede mit Wiederholungen einzelner Buchstaben und Silben vor, welche die Rede unschön aber nicht unverständlich machen.

Diese Unfähigkeit, vocalische und consonantische Action richtig zu verbinden, ist jedoch nicht immer gleich gross. Derselbe Mensch spricht das eine Mal längere Sätze leicht und fliessend, während er ein andres Mal, besonders in v e r l e g e n e r , ä n g s t l i c h e r S t i m - m u n g , oder bei E r s c h ö p f u n g , ganz erschrecklich stottert.

W y n e k e n konnte z. B. nach einer durchwachten Nacht kein Wort mehr hervorbringen. Er spricht mit seiner Familie oder vertrauten Freunden gut, mit Fremden schlecht, declamirt, singt, räsonnirt und

° flucht ohne Anstoss.— Uehrigens bemerkt W y n e k e n , der Satz, dass Stotternde ohne Anstand s i n g e n können, habe kaum absolute Giftigkeit. Er selbst könne nicht singend Alles sagen, obwohl er beim Singen eine wesentliche Erleichterung bemerke. — S c h m a l z behauptet auch, dass Stotternde ohne Anstoss f l ü s t e r n könnten.

W y n e k e n widerspricht dem ebenfalls. Er will nicht Alles flüsternd sagen können, bei Andern hat er keine Versuche gemacht. Viel- leicht löst sich dieser Widerspruch durch die Annahme, dass die Flüstersprache nur dann hochgradiges Stottern verhütet, wenn sie bis zur Lispelsprache herabsinkt und der Stotternde, wie es Tracheo- tomirte nach einiger Zeit fertig bringen, die Sprache auf die ton- losen Lautgeräusche zu reduciren lernt. — Nach H u n t sollen Stot- terer n i c h t stottern, wenn man sie zum S t o t t e r n a u f f o r d e r e .

— Im F i n s t e m und in der E i n s a m k e i t hat das Reden in der Regel keinen Anstand.

1) Die sonderbaren und oft lächerlichen Geberden und Grimassen der Stot- ternden wurden noch zu J. F r a n k ' s Zeit von den Italienern für die Bühne benutzt. Sie hatten eine stehende Rolle des Stotternden (ü tartaglia) in ihrer Komödie.

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Gutturo-tetanisches und labio-choreisches Stottern. 229

3) Stotterer kommen schon darum nicht in den rechten R h y t h - m u s der Rede, weil sie den Verschluss der Glottis bei der Vocal - bildung, odér des consonantischen Ansatzrohres bei der Bildung der Explosivae zu fest machen und ihn deshalb über die gebotene Zeit auszudehnen. gezwungen sind. — Ebenso hindert den richtigen Rhyth- mus das länger als nöthige Verweilen hei den Continuis. — Vor allem aber ist es eine g r o s s e g e m ü t h l i c h e E r r e g b a r k e i t u n d A e n g s t l i c h k e i t , die sie der Willensherrschaft über den rhythmischen Gang der Rede, wie sie bei der gewöhnlichen Unter- haltung Brauch ist, beraubt. Schon der Gedanke, sie könnten stot- tern, macht sie stottern. — Wird der Willen durch einen kräftigen R e g u l a t o r unterstützt, wie ihn z. B. das d e e l a m a t o r i s c h e P a t h o s o d e r d i e M e l o d i e des G e s a n g e s gewährt, oder durch das G e f ü h l d e r S i c h e r h e i t , wie sie es im Umgang mit den Ihrigen gewonnen haben, oder wie es ihnen durch eine leichte Nach- hilfe, wenn man ihnen beim Stocken gleich das Wort sagt, gegeben wird, so hat das Reden weiter keinen Anstand.

C o l o m b a t unterschied zwei Arten des Stotterns, d a s g u t t u r o - t e t a n i s c h e und das l a b i o - c h o r e i s c h e .

Beim g u t t u r o - t e t a n i s c h e n Stottern wird der Glottis-Schluss, mit dem ein Vocal eingesetzt wird, ungebührlich verlängert und es entsteht Glottis-Krampf. Solchen Stotterern können die Selbstlaute a, e, i, o, u sogar zu Anfang einer Silbe Schwierigkeiten machen.

Auch bei nicht Stotternden machen mitunter Ueberraschung; Freude, Schreck, dass ihnen der Anfangs-Voeal in der Glottis stecken bleibt.

— Beim g dur wird die Stimmritze durch den normalen Mechanis- mus seiner Bildung ganz geschlossen (Merkel1)). Auch dieser Verschluss wird häufig krampfhaft, ebenso kann es beim Stottern des k und q zum krampfhaften Verschluss der Glottis kommen zu- gleich mit Verschluss des hintern Mundkanals, heim k auch des Nasenkanals. — Bei diesem gutturo-tetanischen Stottern bleibt der Mund offen. B e c q u e r e l2) nannte es deshalb das „ b é g a i e m e n t o u v e r t " .

Beim l a h i o - c h o r e i s c h en Stottern quälen sich die Bedauerns- werthen an den b, p, d, t, w, m u. s. w. ab, ohne den Uebergang zu dem nachfolgenden Vocal zu erzwingen. Sie wiederholen die Consonanten drei- und mehrmals, b b b b , m m m m , pressen die Lippen angestrengt zusammen oder die Zunge gegen die Zähne, ohne Er-

1) Anthropophonik. S. 853. . 2) Traité du bégaiement. Paris 1847.

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folg, bis sie Athem schöpfend ruhiger werden. B e c q u e r e l nannte dieses Stottern . „ b é g a i e m e n t f e r m é " . Der Stotternde pflegt hier stark zu speicheln und beim Oeffnen des Mundes den Speichel zu verspritzen.

Diese Unterscheidung lässt sich jedoch in praxi schwer durch- führen. W y n e k e n behauptet, unter günstigen Bedingungen könne jeder Stotternde jedes Wort ohne Anstoss aussprechen, unter ungün- stigen bei jedem stottern. Richtig aber sei, dass die günstigen Momente beim einen Individuum viel seltener vorkämen als beim andern; der Abstufungen seien viele. Auch seien die Wort- und Silbenverbindungen, bei denen das Stottern auftrete, bei keinem Menschen gleich; was dem Einen schwer erscheine, komme einem Andern leicht vor.

Im Allgemeinen erfolgt das Stottern am ersten bei der Verbin- dung der s t u m m e n C o n s o n a n t e n , der sog. Explosivae durae und mediae (b, p, d, t, g, k), und hierbei eher, wenn die Conso- nanten mit einem kurzen Vocal oder Diphthonge (au, ai, eu) ver- bunden werden. „Bahn", „kam", „Amen" sind leichter auszusprechen als „Bann", „Kamm", „Ammen" ( W y n e k e n ) . — Bei den L i t e r a e c o n t i n u a e, bei deren Aussprache etwas Luft entweicht und die an und für sich schon etwas klingen und so lange gehalten werden können, als der Athem reicht, bei f, ch, 1, r, s u. s. w. hat der Stotternde weniger Schwierigkeit, den Consonanten mit dem nach- folgenden Vocale. zu verbinden. Der Uebergang aus der Einstellung

•des Consonanten in die des Vocals ist da kein so greller. — Die Aspi- rata b, die im Kehlkopf entsteht, und der Zitterlaut r machen am wenigsten Schwierigkeit, auch die Reibungslaute ch, 1, s, j, f, sch und die Résonante n selten, häufiger die Resonante m. Man be- trachtet es schon als einen höhern Grad des Stotterns, wenn.das chi, cho, fi, fo u. s. w. zum Anstossen führen.

Es gibt l e i c h t e G r a d e , in denen sich der Fehler nur noch eben dadurch verrätli, dass länger als n ö t h i g auf dem g, k, w u. s. w. v e r w e i l t w i r d . — Als jungen Leuten machte uns, mehr als sich ziemte, die Sprache einer alten Aufwärterin Spass, die uns z. B. mit den Worten empfing: „K—h—ommen Sie endlich? Der K — h — affee ist schon etw—h — as k — h — a l t . "

Das Stottern tritt morgens mehr hervor als abends. Es nimmt nach Strapazen und Ermüdung zu. Ein mässiger Genuss geistiger Getränke vermindert, übermässiger steigert es und ruft es zuweilen bei Gesunden hervor. Unpässlichkeiten aller Art vergrössern meist das Uebel, ausnahmsweise aber mindert es sich oder setzt ganz

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Ursachen des Stotterns. 2 3 1

aus, wenn andere Krankheiten eintreten ( S c h u l t h e s s ) , oder auch nach einer Verwundung, einer Blutung u. dergl. — W y n e k e n sah das Stottern bei einem Knaben mit dem Eintritt eines Ohrenflusses schwinden und nach der Heilung desselben wiederkehren. — Eine Dame stotterte jedes Mal, wenn ihre Katamenien eintreten sollten. — Alle deprimirenden Einflüsse vermehren es, alle massig excitirenden, die Functionen belebenden mindern es.

. Die H ä u f i g k e i t des Stotterns erhellt am besten aus einer Notiz von C h e r v i n . In Frankreich wurden innerhalb der 10 Jahre

1852 — 62 wegen Stottern 6773 Conscribirte als untauglich befunden.

Er rechnet .auf 1000 Franzosen einen Stotterer. In Deutschland soll es häufiger sein als in Frankreich.

Bei den C h i n e s e n soll das Stottern nicht vorkommen. Es hängt dies wohl damit zusammen, dass ihre Rede durch einen kräf- tigeren Rhythmus zusammengehalten wird, da ein und dasselbe Wort in sechsfach verschiedener Betonung ausgesprochen werden muss, wonach seine Bedeutung sich ändert. Ein Franzose in Cochin- ehina, dessen Mutter eine Eingeborene war, stotterte nur, wenn er französisch sprach, nicht aber in seiner heimathlichen Sprache (C o - l o m b a t ) .

Das Stottern ist in einzelnen F a m i l i e n sehr verbreitet, theils durch V e r e r b u n g d e r A n l a g e , theils in F o l g e s c h l e c h t e n B e i s p i e l s u n d ü b l e r E r z i e h u n g . S c h u l t h e s s , C o l o m b a t u. A. theilen Fälle mit, wo das Stottern durch Verkehr mit Stotte- rern aus Nachahmung durch eine Art psychischer Ansteckung ent- stand. — Frauen stottern seltener als Männer. Nach C o l o m b a t kom- men auf 20 stotternde Personen 18 Männer und 2 Frauen. K l e n c k e zählte auf 97 Männer 51 Weiber. Dies hängt wohl zusammen mit der gleichen Ursache, die alle Bewegungen des Weibes leichter und gefälliger macht, der Frau Anmuth und feineren Takt verleiht und sie befähigt, früher als der Mann sich in der Gesellschaft zu bewe- gen und gewandt zu conversiren.

Stotternde sollen meist von Natur ängstliche und erregbare Personen sein, oftmals flüchtige Sanguiniker oder doch Leute ohne nachhaltige Willenskraft ( M e r k e l ) ; letzteres wird von W y n e k e n bestritten. Es begreift sich übrigens, dass die Stotternden, die in Folge ihres Sprachfehlers geneckt werden und in der Gesellschaft sich zurückgesetzt fühlen, je nach ihrem Temperament bald melancholisch, verdriesslich und widerspenstig sich in das elterliche Haus zurück- ziehen und misstrauisch hier ein stilles Traumleben führen, oder im

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Gegentheil in stummem Leichtsinn flüchtig und unbeständig dahin- leben (Klencke).

Das Stottern tritt öfter v o r ü b e r g e h e n d auf in den Perioden des Zahnens und der Pubertät oder es steigert sich in diesen Zeiten bedeutend. Vorübergehendes Stottern beobachtet man auch bei an- strengenden Geistesarbeiten und Nachtwachen, nach Rauchen von zu starkem Tabak, in der Trunkenheit, nach epileptischen Anfällen ( W y n e k e n ) , in hysterischen Paroxysmen ( H a s s e ) , bei Onanisten, in Folge von Indigestion und Darmreizung durch Würmer und Koth- massen; auch nach acuten Krankheiten, Typhus, Keuchhusten u. s. w.

sah man öfter transitorisches und sogar dauerndes Stottern sich ein- stellen. — Unter allen diesen Umständen kann auch ein schon vor- handenes Stottern sich verschlimmern.

Das Stottern kann als vorübergehendes oder dauerndes Symptom die m a n n i g f a c h s t e n R e i z z u s t ä n d e d e s G e h i r n s u n d R ü c k e n m a r k s begleiten, die einfache Spinalirritation und Hirn- reizung so gut, wie wirkliche organische Veränderungen durch trau- matische Eingriffe, Entzündung u. s. w. — Wir haben hei der Aphasie eine aphatische Form des Stotterns kennen gelernt, die aus einer umschriebenen corticalen Encephalitis hervorging. — L i c h t i n g e r unterschied ein s p i n a l e s und c e r e b r a l e s Stottern; das spinale trennte er wieder in ein c e n t r i s c h e s und e x c e n t r i s c h e s , d^s er R e f l e x s t o t t e r n nannte. R o s e n t h a l kannte einen Officier, bei dem sich im Beginn einer Tabes Stottern einstellte, das jedes Commando unmöglich machte.

Am häufigsten ist wohl das d a u e r n d e Stottern in einer a n - g e b o r e n e n r e i z b a r e n S c h w ä c h e d e r s y l l a b ä r e n C o o r d i - n a t i o n s - A p p a r a t e begründet, eine Gelegenheitsursache ist oft gar nicht nachzuweisen. Es tritt dann schon in der Kindheit auf und nimmt bis zur Pubertätszeit zu, von da an vermindert es sich allmählich und schwindet öfter in den späteren Lebensjahren, oder die Stotterer haben es doch durch viele Uebung dahin gebracht, den Fehler zu verdecken.

Einen furchtbaren Grad von Stottern beobachtete ich vor einem Jahre bei einem jungen Manne, der früher stets gesund und kräftig als ausgezeichneter Schwimmer wiederholt Ertrinkende aus dem Wasser geholt hatte. Die letzte Person, die er rettete, zog ihn in die Tiefe des Züricher Sees; mit Mühe und in schrecklicher Todesangst arbeitete er sich mit der schweren Last empor und a'n's Land. Von da an ent- wickelte sich das Stottern, das durch eine Cur in einer Stotterheil- anstalt nur wenig gebessert wurde. Es bestand schon mehrere Jahre, als ich den Mann untersuchte. Er war auffallend blass und seine

(11)

Theorien des Stotterns. 233 Zunge zitterte beim Hervorstrecken beträchtlich. Andere krankhafte

Symptome waren nicht vorhanden.

Auf die zahlreichen T h e o r i e n des Stotterns ausführlich einzu- gehen , würde zu viel Raum in Anspruch nehmen. Wir wollen nur einige der wichtigeren anführen.

S c h u l t h e s s verglich die Stotterkrämpfe mit den convulsivischen Bewegungen bei der Licht- und Wasserscheu und wollte den Fehler

„ P h o n o p h o b i e " o d e r „ L a l o p h o b i e " genannt wissen. Er erkannte somit die centrale Natur des Leidens gegenüber M a 1 e b o u c h e ' ) und anderen Zeitgenossen, die im Stottern nichts als ein U n g e s c h i c k i m B e w e g e n d e r Z u n g e sahen und darauf eine rein locale Therapie begründeten. — C o l o m b a t hielt es für einen „Mangel an Harmonie zwischen dem nervösen Einflüsse, der dem Gedanken folgt, und den Muskelbewegungen, die ihn ausdrücken sollen." — Er schloss sich offenbar R u l l i e r2) an, der im Stottern „eine Störung zwischen der concipirten Idee und dem geäusserten Worte" fand. Unter eine so weite Kategorie fallen jedoch fast alle Sprachstörungen. — S c h m a l z suchte' das Wesen des· Fehlers in einem" p r i m ä r e n K r a m p f z u - s t a n d e d e r S t i m m b ä n d e r . — L e e erkannte im Stottern richtig eine „ N e u r o s e , die wie alle anderen Neurosen i n t e r m i t t i r t . Die dabei vorkommenden organischen Fehler sind nicht Ursache, sondern nur das Stottern unterstützende Momente." — Ch. B e l l betrachtete das Stottern als eine p a r t i e l l e C h o r e a , begriff demnach die atak- tische Natur der Neurose. — D u S o i t3) bezeichnete es als eine Neu- rose mit bald tonischem, bald choreatischem Krämpfe der Athmungs- organe, durch den die Einwirkung des Willens auf dieselben. gehindert würde. — L i c h t i n g e r sah im Stottern ein U e b e r w i e g e n d e s e x c i t o m o t o r i s c h e n S y s t e m s ü b e r d a s c e r e b r a l e , sei es dass die Spinalthätigkeit normal und der Cerebraleinfluss geschwächt oder vernichtet, oder diese normal und jene geschwächt sei. Diese Auf- fassung des Stotterkrampfes als eines R e f l e x k r a m p f e s fand eine Zeit lang grossen Beifall hei den Chirurgen und verschuldete die opera- tiven Ausschreitungen D i e f f e n b a c h ' s u. A. — M e r k e l sieht im Stottern eine A d y n a m i e i n d e n V o c a l i s a t i o n s - F u n c t i o n e n heim Sprechen, eine Unfähigkeit, die k e i n o r g a n i s c h e r Z u s t a n d ist, kein anatomisch nachweisbarer, sondern einzig und allein in der p s y c h i s c h e n S p h ä r e , zunächst der des W i l l e n s , begründet und nur insoweit von äusseren und physischen Umständen abhängig, als dieselben auf die Psyche seihst von Einfluss sein können. — R o m - b e r g führt das Stottern unter den „ S t i m m k r ä m p f e n " an, ohne sich über die Natur derselben auszulassen. — Die neueren Schriftsteller über Nervenkrankheiten, wie R o s e n t h a l ; B e n e d i k t u. A . , reihen

1) Précis sur les causes du bégaiement et sur les moyens de le guérir. 1841.

2) Dictionnaire des sciences méd. Bruxelles 1828. Art. Bégaiement.

3) Gaz. méd. de Paris 1840. No. 10.

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wie wir das Stottern unter die C o o r d i n a t i o n s - X e u r o s e n . — Nach R o s e n t h a l ist es durch eine a n g e b o r e n e S c h w ä c h e des in der Oblongata befindlichen Athmungs- und Stimmapparates bedingt, der in frühester Jugend durch einen psychischen Reiz erschüttert sich nicht mehr erhole und weiterhin schon durch den blosen "Willensreiz zu uncoordinirten Bewegungen veranlasst werde. Die Bewegung irradiire auf die nachbarlichen Ausläufer der Nervenkerne und habe die krampfhaften Mitbewegungen der Gesichts-, Augen-, Zungen- und selbst Nackenmnskeln zur Folge. — Merkwürdiger Weise sieht C o e n höchst einseitig im Stottern nichts als „die F o l g e n e i n e s m a n g e l - h a f t e n L u f t d r u c k s in den Lungen, verursacht durch I n n e r v a - t i o n s s t ö r u n g e n . — W y n e k e n hält heim Stottern den Willen gegen- über der Sprachmusculatur durch den Z w e i f e l für gebunden. Der Stotternde sei ein „ S p r a c h z w e i f l e r " . — S c h r a n k erklärt das Stottern für ein l o c a l i s i r t e s A n g s t g e f ü h l .

Stammeln und Stottern zu verwechseln, sollte Niemandem mehr begegnen. Die D i a g n o s e ist leicht.

1) Dem Stotterer machen nicht die einzelnen Laute als solche Schwierigkeit, wie dem Stammler, sondern nur das Tönendmachen der Laute in ihrer syllabären Verbindung, überdies stösst der Stot- terer gerade bei einigen Continuae, die dem Stammler meist beson- ders schwer fallen, wie beim r, 1, s, am wenigsten an.

2) Beim Stammeln ist die erschwerte Lautbildung nicht von den eigenthümlichen Stotterkrämpfen begleitet.

3) Die ängstliche Befangenheit, die das Stottern unterhält, fehlt beim Stammeln, wenn nicht Complicationen vorhanden sind. Der Stammler spricht gewöhnlich besser, der Stotterer schlechter, wenn

er auf seinen Fehler untersucht wird. "

4) Der Rhythmus und die Melodie corrigiren das Stottern, aber nicht das Stammeln.

5) Das Stammeln ist nicht von dem eigenthümlichen Missver- hältniss zwischen exspiratorischem Kraftaufwand einerseits und phone- tischem und articulatorischem andererseits hegleitet.

6) Beim Stammeln finden sich häufig Anomalien der Zunge, Lip- pen und der Articulationsorgane überhaupt: Missbildungen, Defecte, Lähmungen u. s. w., beim Stottern nur ausnahmsweise. —

Ebensowenig hat es in der Regel Schwierigkeit, Stottern und Sil b e n s t o l p e r n zu unterscheiden. In beiden Fällen leidet die Silbenbildung durch Fehler der Coordination, aber dort überwiegen die spastischen, hier die paralytischen Erscheinungen; dort handelt es sich nur um eine dysarthrische Störung der Silbenbildung, hier concurriren dysarthrische und dysphatische Störungen in der Silben- und Wortbildung; dort ist ein Missverhältniss zwischen Atli-

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Diagnose. Prognose. Therapie. 235

mung, Phonation und Articulation, worunter das Vermögen, die Laute in der Silbe tönend zu machen, Noth leidet, hier ist davon nichts zu bemerken; dort erzeugt das Sprechen ängstliche Befangenheit, hier nicht; dort werden Laute und Silben wiederholt und wegen der Schliesskrämpfe Silben nicht hervorgebracht, hier fallen Laute und Silben einfach aus oder werden durcheinandergeworfen und am unrechten Orte eingefügt.

Uebrigens vergesse man nicht, dass auch ein Stammler von Stottern oder ein Stotterer von Stammeln befallen werden kann und dass Stolpern und Stottern mit einander auftreten können.

Einen Fall von S i m u l a t i o n des Stotterns beschrieb Coen1).

Die P r o g n o s e richtet sich nach den Ursachen, dem Alter, Temperament und Constitution des Leidenden, nach Form, Grad und Dauer des Uebels.

Erbliche Anlage und Alles, was auf angeborene grosse Reiz- barkeit und Schwäche des Coordinationsapparates hinweist, unheil- bare, irritative Processe der nervösen Centraiapparate, schwere und verjährte Formen, namentlich vorherrschender Glottiskrampf oder weite Ausbreitung der Krämpfe über die Muskelgebiete des Körpers, endlich vorgerücktes Lebensalter sind ungünstig für die Vorhersage.

Leichtere Grade verlieren sich oft in den Jahren der Reife.

K l e n c k e sah das Stottern, das nach längerer schlechter Ernährung eingetreten war, verschwinden, nachdem die Personen ein Jahr lang kräftig genährt worden waren. — Nach R o s e n t h a l sind ceteris paribus herangewachsene junge Leute, die um ihre Existenz und Zukunft besorgt sind, leichter vom Stottern abzubringen, als unreife Knaben oder Mädchen. — Rückfälle kommen nach beseitigtem Uebei nicht selten.

Das Stottern in seinen höheren Graden soll in Folge der ge- waltsamen Anstrengungen beim Reden und der damit, verbundenen Störungen im Kreislauf zu Herzleiden, Aneurysmen der Aorta und Carotis und Lungenleiden disponiren. .

Die B e h a n d l u n g des Stotterns muss als p r o p h y l a k t i s c h e gegen die Wurzeln des Leidens sich richten, gegen die allgemeine Schwäche und die örtliche der Athmungsorgane, den Mangel an Willen und Vertrauen auf die eigene Kraft. Sorgfältige Ernährung,

1) Allgemeine Wiener med. Zeitung 1S75. Nr. 48.

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Kräftigung des Körpers durch kalte Waschungen, Bäder u. dgL, Gymnastik der Lungen, anhaltend strenge Ueberwachung des Aus- drucks in Lauten und Worten, Stärkung des Charakters und Kräf- tigung des ganzen Fühlens und Denkens sind gewiss oft im Stande, die vorhandene Anlage und sogar das Leiden im Beginn seiner Ent- wicklung zu heben. — Es versteht sich von selbst, dass man auch die c a u s a l e n I n d i c a t i o n e n berücksichtigt und die verschiedenen krankhaften Reizzustände in den Nahrungswegen, Geschlechtsorganen, Rückenmark und Gehirn, die das Stottern hervorrufen, nach Kräften zu beseitigen sucht. —

Die B e h a n d l u n g des S t o t t e r n s s e l b s t ist eine g y m n a - s t i s c h e und d i d a k t i s c h e .

Durch die g y m n a s t i s c h e bezweckt man Kräftigung des ganzen Individuums und seiner Athmungsorgane im Besonderen. Passende Diät, Hydrotherapie, Turnen, schwedische Heilgymnastik und viel- leicht elektrische Behandlung erfüllen diese Aufgabe. Die Elektri- eität dürfte übrigens höchstens zur Stärkung der Brustmuskulatur etwas beitragen; von der lange fortgesetzten Anwendung des indu- cirten und galvanischen Stroms am Kopf, Larynx und Hypoglossus sah R o s e n t h a l keine Wirkung.

Die d i d a k t i s c h e Behandlung hat es auf die Herstellung einer richtigen Coordination der Functionen der Athmung, Phonation und Articulation durch p ä d a g o g i s c h e M i t t e l abgesehen. — Um die Einführung und erste Ausbildung der didaktischen Methoden haben sich namentlich C o l o m b a t , S e r r e d ' A l a i s und Co-rmac grosse Verdienste erworben, K l e n c k e u. A. haben sie vervollkommnet. — Am besten wird sie in eigens für Stotterer eingerichteten Anstalten unter Leitung sachverständiger Aerzte ausgeführt. Der Stotterer muss in der Familie eines Arztes Aufnahme finden, der zugleich Pädagog ist und es versteht, sich sein Zutrauen zu erwerben, seinem Gemüth und Willen einen sicheren Halt, seinem Denken logische Festigkeit und seinen Sprachbewegungen KVaft und gemessenen Gang zu gehen.

Man beginnt die Cur mit A t h e m ü b u n g e n1) . — Der Stotterer mnss lernen, die Lunge gehörig mit Luft zu füllen, die Luft zurück- zuhalten und langsam in richtigem Maass auszutreiben. Ueber die

1) Der Lehrer K a t e n k a m p in Delmenhorst lässt diesen Uebungen eine Periode v o l l k o m m e n e n S c h w e i g e n s vorausgehen. W y n e k e n legt nach seinen Erfahrungen in der Delmenhorster Anstalt auf dieses Verfahren grosses Gewicht.

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Gymnastisch-didaktische, mechanische und chirurgische Behandlung. 237

Einzelheiten dieser und aller folgenden Uebungen sind die Abhand- lungen und Schriften der Specialisten nachzulesen, von deutscheu insbesondere die von K i e n c k e , L e h w e s s1) , W y n e k e n und Coen.

Daran knüpft sich die G y m n a s t i k d e r S t i m m e . — Der Stot- terer muss jeden Vocal rein für sich und mit anderen verbunden

aussprechen lernen. Man lässt ihn Vocale, so laut und lang er kann, hiuausrufen und in verschiedener Stärke und Tonhöhe singen, sie tonlos oder betont aussprechen. Jeder Vocal wird so lange gezogen,

• dass eine ganze betonte Ausathmung auf seine Aussprache verwendet wird, und so oft wiederholt, bis der Stotternde die vollkommene Ueberzeugung hat, jeden einzelnen Vocal für sich aussprechen zu können (W y n e k e n).

Nunmehr kommt das dritte Stadium der Behandlung, die U e b u n g e n zur V e r b i n d u n g d e r C o n s o n a n t e n m i t d e n Vo- c a l en, zuerst der Vocale vor den Consonanten, dann hinter ihnen mit einem uud mehreren Consonanten u. s. w.

So gelangt mau, täglich repetirend und die Athmung stets über- wachend, zu den einsilbigen Wörtern, geht zu den mehrsilbigen über, dann zum einfachen Satz und schliesslich zur Periode. Der ganze Satz muss wie ein vielsilbiges Wort gesprochen werden, die Arti- culation möglichst gegen die Vocalisation zurücktreten. Jetzt geht es zum Lesen Uber, zuerst von Gedichten, dann von Prosa, endlich zum freien Vortrag.

Endlich, nach 6—12 Wochen, beginnt die r h y t h m i s c h e U e b u n g . — Der Zögling muss lernen, den Takt einzuhalten, jeden Satz wie ein vielsilbiges Wort ganz langsam auszusprechen, allen Silben die gleiche Länge zu geben und Uberall da, wo man ein Zeichen setzt, einzuathmen. Nach einigen Wochen wird der Zögliug unter Fremde geführt, macht Bestellungen u. s. w. —· Diese taktmässige Sprache muss mindestens einige Monate fortgeführt werden. — R ü c k - f ä l l e sind etwas Gewöhnliches und machen eine neue Cur nöthig.

— Um sie möglichst zu meiden, muss der Genesene gelernt haben, hei gemüthlicher Aufregung zu schweigen oder auch in dieser Ver- fassung die Taktsprache zu beobachten. —

Man hat diese didaktische Methode durch verschiedene m e c h a - n i s c h e M e t h o d e n zu ersetzen gesucht oder sie doch mit solchen verbunden.

Die Alten erzählen von D e m o s t h e n e s , dass er sich Steine' unter die Zunge gelegt habe. — K l e n c k e brachte eine Zeit lang ein

1) Radicale Heilung des Stotterns u. s. w. Braunschweig 1868.

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Holzplättchen von der Gestalt des unteren Kieferbogens unter die Zunge. — Ein gewisser S c h i r m a n n verkaufte 1829 ein kleines rundes Stückchen Holz als Geheimmittel gegen das Stottern um 20000 Fr.

in Paris! — I t a r d ersann eine Zungengabel und C o l o m b a t einen Zungendrücker. — M e r k e l befestigte eine aus Fischbein gefertigte Klammer auf einen Backenzahn der unteren Kinnlade. — Alle diese Mittel verhalfen nie zu einem d a u e r n d e n Erfolg. Sie wirkten mit- unter sogar durch Reizung der Mundtheile s c h ä d l i c h und haben jedenfalls den Nachtheil, dass sie dem Stotternden das Wichtigste, die W i l l e n s ü b u n g , als Nebensache erscheinen lassen. Die schein- baren Erfolge, die sie hatten, verdankten sie wohl in erster Linie dem Umstand, dass sie den Stotterer zwangen, langsam und deshalb gemessen zu sprechen. —

Eine grosse Verirrung liess sich der geniale D i e f f e n b a c h ' ) zu Schulden kommen. Er glaubte dem Stottern auf o p e r a t i v e m Wege beizukommen, wie es mit dem Schielen und den Klumpfüssen gelungen war. Er machte subcutane und nicht subcutane Quer- schnitte durch die Zungenwurzel, schnitt auch Keile quer aus der Zunge. — Viele Andere ahmten ihm nach und ersannen wetteifernd allerlei sog. S t o t t e r - O p e r a t i o n e n . Ihre Erfolge hielten stets nur so lange an, als die Stotterer sich genöthigt sahen, den Articulations- bewegungen Zwang aufzuerlegen. Waren die Wunden geheilt, der Schmerz vorüber, die Zunge wieder leicht beweglich, so ging das Stottern von Neuem an. — Man mag bei K l e n c k e , H u n t oder in den Schmidt'schen Jahrbüchern die Geschichte dieser blutigen Epoche der Stotterbehandlung nachlesen2).

II. Mit dem Namen A p h t h o n g i ' e oder R e f l e x a p h a - s i e be- legte F l e u r y3) K r ä m p f e im H y p o g l o s s u s - G e b i e t , d i e s i c h bei j e d e m V e r s u c h e zu s p r e c h e n e i n s t e l l e n u n d d a s s e l b e u n m ö g l i c h m a c h e n . Sie erinnern zumeist an den Schreibe- krampf. — Beobachtungen dieser Art sind nur wenige veröffentlicht,

1) Die Heilung des Stotterns durch eine neue chirurgische Operation. Ein Sendschreiben an d. Institut von Frankreich. Berlin 1841.

2) Bd. 31, S. 136 und Bd. 32. 1841. S. 82 f. — F r o r i e p durchschnitt einen Muse, genioglossus, B o n n e t beide. A m u s s a t durchschnitt die musculösen und ligamentösen Anheftungen der Zunge am Unterkiefer, P h i l i p p s die Hypoglossi.

J a m e s Y e a r s l e y , der den Grund des Stotterns in einer Verengerung des Isthmus faucium sah, nahm hypertrophische Mandeln fort und schnitt das Zäpf- chen weg.

3) Gaz. hebdom. 1S65. No. 15.

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Aphthongie. 239

die erste wurde von Dr. P a n t h e r ) in Ems mitgetheilt, zwei andere stammen von F l e u r y und V a l i i n2) . Die spastische Erregung der Hypoglossi ging wohl in allen Fällen vom Grosshirn aus, zweimal war das Leiden Folge von grosser Gemilthserregung, einmal trat es unter schweren cerebralen Symptomen nach einem operativen Ein- griff in der hinteren Mundgegend auf. — Man darf diese Aphthongie, bei der die Hypoglossus-Krämpfe, die das Sprechen unmöglich machen, durch die I n t e n t i o n zu s p r e c h e n angeregt werden, nicht ver- wechseln mit den Sprachstörungen, die durch aus beliebigen anderen spastischen Neurosen, z. B. Chorea, hervorgehende Zungenkrämpfe bewirkt sind3).

In dem Falle von P a n t h e l wurde ein 12jähiiger Bauernknabe nach grosser Gemiithserregung durch den plötzlichen Tod seines Vaters hei dessen Beerdigung von Ohnmacht befallen, die eine Viertelstunde dauerte. E r w a r nachher körperlich und geistig gesund, konnte aber 3 T a g e nicht s p r e c h e n , obwohl er Zunge und Lippen frei bewegte, auch schluckte. Beim Versuch zu sprechen bewegten sich Mund, Kiefer und Zunge nicht, wohl aber geriethen die grossen vom Hypo- glossus versorgten Kehlkopfmuskeln (Sternothyreoideus, Hyothyreoideus und Sternohyoideus) in eine sichtbare heftig vibrirende Bewegung. Mit dem A u f h ö r e n zu sprechen hörten auch die Krämpfe auf. D r u c k auf die Muskeln beseitigte für die D a u e r des Drucks die K r ä m p f e und stellte für so lange die Sprache her. 14 T a g e nach der Genesung durch Schreck ein Rückfall von 2 T a g e n ; ein dritter von einigen Stunden nach einer Gemütlishewegung einige Wochen später.

Bei einem Kinde mit chronischer Halsentzündung - entstand nach Schreck bei jedem Versuche zu sprechen ein Krampf in den Zungen- muskeln, der es sprachlos machte ( V a l l i n ) .

In dem Falle von F l e u r y traten bei einem Manne nach einer Tonsillotomie bedeutende Störungen der Empfindung, Verschwinden des Geschmacks, Aphonie, Hirncongestionen und epileptiforme Anfälle auf.

Bei jedem Versuche zu sprechen fixirte sich die Zunge unbeweglich am harten Gaumen. Die Intelligenz war unversehrt, der Kranke schrieb und rechnete.

t) Deutsche Klinik 1855. Nr. 40.

2) Gaz. hebdom. IS65. No. 17.

3) Vgl. E r b in diesem Handbuche Bd. XI. S. 287. — Einen Fall von hef- tigen Zungenträmpfen bei einem vollblütigen Mann, die das Sprechen unmöglich machten, beschrieb H o f f m a n n in Suhl (Schmidt's Jahrb. Bd. 29. S. 50). Heilung erfolgte durch Aderlass und strengeDiät. — R. F r o r i e p (Studien zur operativen Heilung des Stotterns. Weimar 1843) scheint Stotternde beobachtet zu haben, bei denen einseitige Contractur des Genioglossus bestand. · Er empfahl deshalb die einseitige Durchschneidung des Genioglossus als Stotter-Operation.

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