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Robert Aschers Roman Der Schuhmeier

Im Rahmen dieses Artikels wird getreu dem Motto der Konferenz,

„Wissenschaften im Dialog“, ein Beispiel dafür präsentiert, wie Geschichtsschreibung und Dichtung bzw. – um die Musen im Titel zu bemühen – Klio und Kalliope miteinander in Dialog treten.

Dabei wird an dieser Stelle eben nicht die oftmals mit Aristoteles´

Poetik1 als Ausgangspunkt genommene jahrhundertelange Diskussion um die (vermeintliche) Trennung der wissenschaftlichen Historiographie und der künstlerischen Dichtung darzustellen versucht, sondern der Verfasser wendet sich gleich einem Bereich zu, in dem nicht die

„Trennung“, sondern deren bewusste Kombination miteinander erfolgt.

Die literarische Gattung, die dieses erfüllt ist jene des historischen Romans, die deswegen oft auch als „Zwittergattung“ bezeichnet worden ist, da deren Beziehung zur Geschichtswissenschaft durch einen Wechsel von Annäherung und Abstoßung gekennzeichnet ist2, weswegen die Kritiker den Autoren der historischen Romane oftmals vorgeworfen haben, dass sie entweder einfallslose Künstler seien, die sich in Ermangelung eigener Phantasie den Stoff von der Historie entlehnen müssten, oder schlechte Historiker wären, die es mit der Methoden-reinheit und der Quellenkritik nicht so genau nehmen würden.3 Nach-dem sich aber zu den allgemeinen Charakteristika dieses Genres schon wesentlich berufeneren Personen geäußert haben, die im übrigen beim Versuch einer exakten Definition dieser Gattung allesamt mehr oder weniger kläglich gescheitert sind, möchte sich der Verfasser hier auf einen konkreten Vertreter des historisch-biographischen Romantypus konzentrieren, nämlich auf den Schuhmeier-Roman von Robert Ascher, anhand dessen die konkreten Probleme des Autors, die er bei der Erstellung seines Werkes gehabt und die er zum Teil in diesem expressis verbis artikuliert hat, dargestellt und erörtert werden sollen. Da aber weder der Autor noch dessen Roman besonders bekannt sind seien an dieser Stelle zunächst einige diesbezügliche Informationen angeführt.

Robert Maximilian Ascher4 wurde am 9. Juni 1883 als Sohn jüdi-scher Eltern in Wien geboren und arbeitete nach Beendigung der Schulzeit zunächst als Handelsangestellter. Noch während des Ersten Weltkriegs trat er in die Sozialdemokratische Partei ein, von der er in der Zwischenkriegszeit als Delegierter des XVI. Wiener Gemeindebezirkes (Ottakring) in den Bezirksrat entsendet wurde. Ascher, der sich sehr für die Kulturpolitik des Roten Wien engagierte, brachte dies unter anderem dadurch zum Ausdruck, indem er neben seinem „Zivilberuf“ als Beamter in der Buchdruckerei Thalia auch Fortbildungskurse und Vorträge für Arbeiter abhielt. Was seine schriftstellerische Tätigkeit anbelangt so ist zu sagen, dass Ascher bis auf das hier zu behandelnde Werk nur Milieuskizzen und Kurzgeschichten für diverse Zeitungen, wie die Arbeiter-Zeitung5oder Das Kleine Blatt6veröffentlicht hat.

Warum Ascher plötzlich, sozusagen „aus dem Stand“, einen über 460 Seiten langen Roman verfasst hat, lässt sich durch sein persönliches Umfeld erklären: In der Ottakringer Bezirksvertretung, in der Ascher wie erwähnt tätig war, traf er unvermeidlich mit Albert Sever7, dem vormali-gen Landeshauptmann von Niederösterreich und nunmehrivormali-gen Ob-mann dieses Bezirks, zusammen. Sever war seit den letzten Jahren des 19.

Jahrhunderts am Aufbau der sozialdemokratischen Bezirksorganisation Ottakring – einer der Vorzeigeorganisationen der Sozialdemokratie – maßgeblich beteiligt gewesen, wobei sein damaliger prominenter Mit-streiter Franz Schuhmeier war, von dessen Leben und Wirken eben Aschers Roman handelt.

Zur Person Franz Schuhmeiers8, der auch der direkte Amts-vorgänger Severs als Bezirksobmann war, gilt es nämlich anzumerken, dass sich dieser, 1864 in der damaligen Mariahilfer Vorstadt geborene, ursprünglich aus ärmlichen Verhältnissen stammende sogenannte

„Volkstribun von Ottakring“ durch Wissbegierigkeit und Fleiß inner-halb der damals gerade unter Victor Adler geeinten Sozialdemokratie bis in den Parteivorstand emporgearbeitet hatte; nicht zuletzt deshalb, weil er als populistischer Polterer, der „die Sprache des Volkes“ sprach, den Anhängern eine Alternative zu den „Parteiakademikern“ wie z.B. Adler oder Pernerstorfer bot. Schuhmeier, der nicht nur als Herausgeber der auflagenstarken Volkstribüne fungierte9, bekleidete auch verschiedene politische Mandate: unter anderem war er der erste sozialdemokratische Wiener Gemeinderat, später wurde er auch noch Landtags- und Reichs-Harald D. Gröller

ratsabgeordneter und er wurde sogar zum Mitglied der Delegation ge-wählt. In diesen Funktionen entwickelte er sich zu Lebzeiten zum gro-ßen Widerpart eines anderen „Volkstribunen“, nämlich des damaligen Christlichsozialen Parteivorsitzenden und Wiener Bürgermeisters Karl Lueger. Wodurch Schuhmeier allerdings ganz plötzlich überregional einen ungeheuren Bekanntheitsgrad erreichte, war nicht sein Leben, son-dern sein Tod. Er wurde nämlich 1913 von Paul Kunschak, dem Bruder des christlichsozialen Gewerkschaftsführers und nachmaligen Ersten Nationalratspräsidenten Leopold Kunschak, erschossen.10 Nachdem schon der hunderttausende Personen umfassende Trauerzug bei Schuhmeiers Begräbnis den Charakter einer Demonstration des Selbstbewusstseins der Arbeiterbewegung angenommen hatte11, wurde ihm in den Folgejahren eine nahezu mythische Verehrung zuteil. Dies wurde von der Sozialdemokratischen Partei in den Zeiten zunehmender Bedrohung von Seiten der unter christlichsozialer Führung stehenden Bundesregierung und dem erstarkenden Nationalsozialismus vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich dahingehend ausgenutzt, dass Schuhmeier als Ikone des politischen Widerstands und des Durchhaltens etabliert und instrumentalisiert wurde, woran besonders an den Jahrestagen des Attentats öffentlichkeitswirksam in Form von Gedenkfeiern, Kranzniederlegungen etc. gearbeitet wurde.

Der nahenden 20. Todestag seines Weggefährten Schuhmeier war es wohl auch, der Albert Sever im Lauf des Jahres 1932 dazu veranlasst hat, diesem einerseits zu gedenken, dieses Gedenken aber auch angesichts der prekären politischen Lage propagandistisch auszunutzen, indem er mit hoher Wahrscheinlichkeit seinem schriftstellerisch tätigen Parteigenossen aus der Ottakringer Bezirksorganisation Robert Ascher den „Auftrag“

erteilt hat, ein Werk zum Leben und Wirken des ermordeten Arbei-terführers zu erstellen, das aber neben der Biographie Schuhmeiers – im übrigen ganz im Sinne Heinrich von Treitschkes, das große Männer die Geschichte machen12 – nicht nur die glorreichen Siege der Arbeiter-bewegung in der Vergangenheit, sondern auch den Aufruf zum (in der gegenwärtigen Situation dringend benötigten) Widerstand und Durch-halten sowie die Vermittlung wesentlicher Ideale der Sozialdemokratie, wie z.B. das Streben nach Bildung beinhalten sollte.

Das Resultat war dann eben der historisch-biographische Roman Der Schuhmeier13, der sich sehr deutlich in zwei Abschnitte, die durch Klio und Kalliope im Dialog

seine Struktur zusätzlich unterstützt werden, unterteilt: Der erste, über weite Strecken rein fiktive Teil bildet das erste, zwölf Kapitel umfassen-de Buch mit umfassen-dem Titel Das Kind und umfassen-der Jüngling. Das zweite, rund dop-pelt so lange Buch – Der Mann– orientiert sich sehr stark an historischen Belegen bzw. gibt diese – teilweise komplett unkommentiert – wieder.

Dieses Werk erschien im April 1933, im 20. Todesjahr Franz Schuhmeiers14, und ist „selbstverständlich“ auch Albert Sever, „dem Bewahrer und Mehrer des grossen Erbes Franz Schuhmeiers“15 gewid-met. Dass Ascher bei der Erstellung dieses Romans für dessen Verwendung als dringend benötigtes Propagandamaterial wohl unter erheblichem Zeitdruck gestanden haben dürfte zeigen nicht zuletzt die ungenauen Recherchen zu bzw. die vielen Rechtschreib- und Grammatikfehler in diesem.16 Dadurch, dass Ascher durch die Dringlichkeit des Severschen Auftrags das Leben des „Volkstribuns von Ottakring“ Franz Schuhmeier zu beschreiben dermaßen ins kalte Wasser geworfen worden war, dass er offensichtlich kaum Zeit hatte, sich mit den Eigenheiten und Problemen des von ihm nun zu bedienenden Genres des historisch-biographischen Romans auseinander zu setzen, bietet sich die Möglichkeit, die Zerrissenheit, der sich der Autor in sei-ner Rolle als „Mittelding“ zwischen Historiker und Schriftsteller ausge-setzt sah und die er auch im Geleitwort, auf das sich der Verfasser hier fast ausschließlich beschränkt, explizit anspricht, nachzuerleben. Dabei sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, dass hier nicht Positionen wie beispielsweise jene Hayden Whites hinsichtlich der geschichtlichen und literarischen Narrative „übersehen“ worden sind17, sondern Ascher in seinem eigenen Selbstverständnis (!) sich als ein solches „Mittelding“

bzw. die Kunst und die Wissenschaft auch in einem eher subordinieren-den anstelle eines koordinierensubordinieren-den Verhältnisses zueinander sah.18

Eines dieser Probleme, mit dem sich Ascher bei der Abfassung des Schuhmeier-Romans konfrontiert sah, und dass sich für ihn am Beginn der Arbeit nicht voraussehen ließ, lag für ihn darin „eine Persönlichkeit zum Helden eines Romans [gemacht zu haben], die viele der heute Lebenden gekannt und am Werke gesehen haben und eine Anzahl noch lebender Menschen in dem Roman handelnd auftreten zu lassen.“19Dies vermittelt den Eindruck, als wäre sich Ascher nicht bewusst gewesen, dass die Erstellung solch einer Biographie natürlich auch eine Lebensdeutung ist, die natürlich ungleich schwieriger ist, wenn noch Zeitgenossen des Harald D. Gröller

Roman-Protagonisten leben, die einem zwar bei der Materialssuche behilf-lich sind – so bedankt sich Ascher unter anderem bei Sever, dass dieser ihm seinen kostbaren Reliquienschrein, der Persönliches und Persönlichstes von Franz Schuhmeier birgt, überließ und auch sonst wertvolle Winke gab und beim Bezirksrat Philipp Müllner, der aus dem reichen Schatze seiner persönlichen Erinnerungen an Franz Schuhmeier viel Wertvolles beitrug20–, diese „Winke“ bei einer künstleri-schen Darstellung der historikünstleri-schen Person aber sicherlich auch durchaus störend sein können. Unter dem Gesichtspunkt, dass Ascher den Roman nach seinen eigenen Vorstellungen, unabhängig von dem Einfluss von Schuhmeiers Weggefährten verfassen wollte, ist sein Bekenntnis zur gewählten Romanform, zu der er sich im Geleitwort expressis verbis bekennt, zu sehen. Dieses verstärkt er noch, indem er zusätzlich für sein Werk geltend macht, dass ein Roman eine Dichtung ist, die der Phantasie freiesten Spielraum lässt.21 Dass Ascher selbst von der Autonomie der Dichtung und der damit verbundenen Distanz zur historischen Biographik (und damit zu Schuhmeiers Weggefährten) nicht allzu sehr überzeugt ist, zeigt auch seine folgende Aussage, die wie ein Entschuldigungsversuch wirkt: „Der Autor eines solchen Romanes aber läuft Gefahr, daß ihm von den Zeitgenossen seines Helden und von den lebenden Mitakteuren auf die Finger geklopft und er historischer Fälschungen bezichtigt wird.“22In diesem Fall fehlt Ascher definitiv das künstlerische Selbstbewusstsein beispielsweise eines Alfred Döblin, der klar meinte, dass der historische Roman erstens ein Roman und zweitens keine Historie ist.23 Als Begründung (dass er eine solche für notwendig hält, zeigt ebenfalls seine künstlerische Unsicherheit) für die von ihm gewählte Form und der damit einhergehenden Abweichungen von den Referenzquellen gibt Ascher an, dass er sich solcher historischer Fälschungen freilich schuldig machen muss, weil sonst kein Roman, son-dern eine trockene Biographie daraus würde, die der Leser gelangweilt weg-legt, dieser Roman aber gelesen werden soll.24Immerhin bekommt Ascher (natürlich unwissentlich) dahingehend partielle Unterstützung von z.B.

Egon Friedell, der sich auch gegen das ausschließliche Zusammentragen beleg- und überprüfbarer Fakten ausspricht, indem er meint:

Tatsächlich gibt es auch bis zum heutigen Tage kein einziges Geschichtswerk, das in dem geforderten Sinne objektiv wäre. Sollte aber Klio und Kalliope im Dialog

einmal ein Sterblicher die Kraft finden, etwas so Unparteiisches zu schrei-ben, so würde die Konstatierung dieser Tatsache immer noch große Schwierigkeiten machen: denn dazu gehört ein zweiter Sterblicher, der die Kraft fände, etwas so Langweiliges zu lesen.25

Ascher, der der Ansicht war, dass es nicht jedermanns Geschmack sei, sol-che Kenntnisse aus bloß lehrhaften Abhandlungen zu schöpfen und der deswegen den Versuch gewagt hatte, diese Kenntnisse über eine romanhaf-te Lektüre zu verbreiromanhaf-ten26, greift dieses Thema am Ende des Romans noch einmal auf, indem er abermals betont, dass es nicht darum geht,

trockene Biographien unserer Lehrer, Führer, Wegbereiter und Märtyrer zu schreiben, wie die Historiker es tun, nicht darum, Geburtsorte und Tage aufzuzeichnen, Jahreszahlen zum Auswendiglernen hinzusetzen, Aussprüche, irgend einmal getan oder nicht getan, zu zitieren, und wie von einbalsamierten Monarchen Episoden aus dem Leben, wahre oder gut erfundene, auf die Nachwelt zu bringen.27

Dies liest sich (gerade am Ende des Ascherschen Werkes) etwas kurios, da der Autor auf den über 460 Seiten seines Romans genau das, was er in obi-ger Aussage kritisiert, praktiziert hat und somit seine eigene Arbeit gewis-sermaßen in Frage stellt. Um dem ein wenig auszuweichen bzw. die Härte dieser Einschätzung etwas herauszunehmen ergänzt Ascher direkt im Anschluss daran: „Aber was wichtig ist und erzen in die Geschichte des österreichischen Proletariats hineingeschrieben werden muß für immer, das ist, daß die Partei dieses Proletariats, die österreichische Sozial-demokratie mit Franz Schuhmeier und auch durch ihn gewachsen ist.“28

Nachdem sich Ascher zum Zwecke Franz Schuhmeiers Leben und Wirken „erzen in die Geschichte des österreichischen Proletariats hinein-zuschreiben“ mit der Erstellung eines historisch-biographischen Romans bzw. einer fiktionalisierten Biographie in seiner Selbsteinschätzung auf das „dünne Eis“ des Überschneidungsbereiches von Dichtung und Geschichtsschreibung begeben hat, findet sich bereits im Geleitwort der Hinweis, dass eben manches, das strenger historischer Prüfung nicht standhält, in Kauf genommen werden musste.29 Was mit „manches“

gemeint ist, erfährt man umgehend, denn der Autor betont, dass die Schilderungen der Kindheit und der frühen Jugend Franz Schuhmeiers Harald D. Gröller

keinen Anspruch auf Authentizität erheben, da sie ja auch nur die Darstellung der Zeit und Umwelt, aus der Franz Schuhmeier hervorge-gangen und herausgewachsen ist, bezwecken.30 Welchen Zweck Ascher auch immer verfolgen wollte, hinsichtlich des Referenzmaterials blieb ihm wohl keine andere Wahl, als diese Zeit der frühen Jugend seines Protagonisten in der Mariahilfer Vorstadt durch größtenteils fiktive Episoden „aufzufüllen“, sind doch die diesbezüglichen schriftlichen Belege sehr rar.31 Man könnte nun annehmen, dass der positivistisch angehauchte Möchtegern-Historiker Ascher aus dieser Not eine Tugend machen, sich auf seine schriftstellerischen Qualitäten besinnen, und Schuhmeiers Leben komplett in ein literarisches Kunstwerk verpacken würde. Doch leider war er anscheinend von seinen „schriftstellerischen Qualitäten“ (wohl zurecht) nicht sehr überzeugt, weswegen er hinsicht-lich des wenig kreativen und stark von referentialisierbaren Zitaten geprägten zweiten Buches stolz verkündet, dass die Schilderungen des Wirkens und Kämpfens des Mannes Schuhmeier keine Nachprüfung von Zeitgenossen und Forschern zu scheuen brauchen.32

Gerade dieser letzte Satz legt den Schluss nahe bzw. untermauert die zuvor getätigte Vermutung, dass Ascher sein Buch eventuell deshalb als Roman betitelt hat, um sich der Kritik der Historiker respektive Franz Schuhmeiers Weggefährten und Zeitgenossen zu entziehen, er aber den-noch – und eine genaue Lektüre des Romans verstärkt diesen Eindruck – über weite Strecken als Geschichtsschreiber fungieren möchte.

Angesichts dessen kommt Ascher dem Bereich des Professorenromans sehr nahe33, und er befindet sich damit genau in jenem heftig diskutier-ten „Dreiländereck“ der autonomen Poesie, der exakdiskutier-ten Geschichts-wissenschaft und der legitimierenden Didaktik34bzw. trifft hier in unse-rem Fall der Schriftsteller Ascher, der, wie es in einem Nachruf heißt,

„zahlreiche lustige und wehmütige Skizzen veröffentlicht [hat], die immer Zeugnis von seiner Liebe für Wien und seiner Kenntnis des Wiener Lebens und des Wiener Menschen gaben“35, auf den Historiker Ascher, der das größtenteils von Albert Sever stammende Material zum historischen Schuhmeier verarbeiten musste, und auf den sozialdemo-kratischen Bezirksfunktionär Ascher, der ein propagandistisches Werk für die Partei abliefern sollte.

Nach all diesen Problemen, die Ascher durch dieses Auftragswerk aufoktroyiert wurden, klingt es dann fast wie ein Hohn, wenn man in Klio und Kalliope im Dialog

Aschers Nachruf liest, dass er den Schuhmeier-Roman „seinen Freunden [zeigte], stolz, daß er das Leben dieses von ihm über alles verehrten Sozialdemokraten beschreiben durfte36.“

Es sollte im übrigen Aschers letztes schriftstellerisches Werk sein, denn er starb nur zwei Tage nach der Buchpräsentation, am 11. April 1933 an einem Schlaganfall. Der Roman selbst wurde in der Folge aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt aber aufgrund seines geringen lite-rarischen Niveaus kaum gelesen. Aus der ex post Perspektive auf die Geschichte zeigt sich zudem, dass auch Aschers Appell –

Und weil die Arbeiterbewegung, soll sie siegen – und sie will und sie muß siegen – recht viele Menschen braucht, die über solche Kenntnisse verfü-gen, ist diesem Versuch vollstes Gelingen dringend zu wünschen. [...] So geht denn dieses Buch hinaus in die Welt, begleitet von der Hoffnung, daß es seinen Zweck erfülle.37

– diesen besagten Zweck nicht erfüllt hat: Bekanntermaßen wurde nicht einmal ein Jahr später die Sozialdemokratische Partei Österreichs und alle ihre Teilorganisationen verboten und es folgte der Ständestaat, der wiederum von Hitlers NS-Diktatur abgelöst wurde.

Wie versucht wurde darzustellen ist der Schuhmeier-Roman ein Beispiel dafür wie Geschichtsschreibung und Dichtung miteinander in Dialog tre-ten können – ob sie sich dabei immer verstehen ist ein anderes Thema...

Anmerkungen

1 Im vierten vorchristlichen Jahrhundert definierte Aristoteles im neunten Kapitel seiner „Poetik“ folgende Grenze: „Aus dem Gesagten ergibt sich auch, daß es nicht Aufgabe des Dichters ist mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte, d.h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche. Denn der Geschichts-schreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, daß sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt [...]; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, daß der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der ande-re, was geschehen könnte. Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allge-Harald D. Gröller

meine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit.“ Aristoteles:

Poetik. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Manfred Fuhrmann.

Stuttgart: Reclam, 1982. (Universal-Bibliothek, 7828), S. 29.

Zur genaueren Wortbestimmung des griech. historike und poietike vgl. z.B. Harth, Dietrich: Historik und Poetik. Plädoyer für ein gespanntes Verhältnis. In: Eggert, Hartmut – Profitlich, Ulrich – Scherpe, Klaus R. (Hg.): Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Stuttgart: Metzler, 1990, S. 13f.

2 Vgl. Lämmert, Eberhard: „Geschichte ist ein Entwurf.“ Die neue Glaubwürdigkeit des Erzählens in der Geschichtsschreibung und im Roman. The German Quarterly. 63, 1990/1, S. 5.

3„Wo der Historiker die Wissenschaftlichkeit seiner Forschungsergebnisse nicht durch die Fiktion verwässert haben will, will der literaturkritische Purist die ästhetische Autonomie der Fiktion nicht durch den Einbruch des Historisch-Faktischen gestört sehen.“ Borgmeier, Raimund – Reitz, Bernhard (Hg.): Der historische Roman. Bd. 1: 19. Jahrhundert. Heidelberg: Carl Winter, 1984, S. 9.

(Anglistik & Englischunterricht, 22)

U.a. Hanimann entkräftet diesen Vorwurf, indem er ausführt: „Den historischen Roman trifft daher schnell der Vorwurf der Geschichtsverfälschung. Der Vorwurf ist berechtigt, wenn man einen solchen Roman nur mit den Augen des Historikers liest. Aber der Dichter will, wenn er sich der Geschichte zuwendet, nicht der Konkurrent des Historikers sein. Bewusst oder unbewusst vollzieht er in der Gestaltung des geschichtlichen Stoffes eine künstlerische und ideologische Intention. Die Geschichte als solche ist ihm im Gegensatz zum Geschichts-forscher weniger der primäre Zweck, viel eher ist sie ihm ein Mittel für eine para-bolische Aussage.“ Hanimann, Willy A.: Studien zum historischen Roman (1930–1945).Phil. Diss. Basel/Bern: Lang, 1981, S. 17.

4Zur Biographie Robert Aschers vgl. Gröller, Harald Dionys: Im Spannungsfeld von Klio und Kalliope – Der Schuhmeier-Roman von Robert Ascher. Phil. Diss.

Debrecen, 2008, S. 241ff., bzw. vgl. Giebisch, H. – Pichler, L. – Vancsa, K.: Kleines österreichisches Literaturlexikon. Wien: Hollinek, 1948. (Österreichische Heimat, 9), S. 12, bzw. vgl. Wiener Heimatrolle: MA35/V – A 199/06 Ahnenforschung, bzw. vgl.

Arbeiter-Zeitung, 12. 4. 1933, S. 7, bzw. vgl. Das Kleine Blatt, 12. 4. 1933, S. 4, bzw.

vgl. http://histrom.literature.at.

5 Vgl. Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung: Autorenverzeichnis der Arbeiter-Zeitung, Ascher, Robert.

Diese Artikel waren nur selten politischer Natur. Zumeist hatten sie volkstümli-che Begebenheiten zum Inhalt. Anm. d. Verf.

Klio und Kalliope im Dialog

6 So z.B. sein Kurzgeschichten „Rationalisierte Liebe“ (Das Kleine Blatt, 22. 1.

1932, S. 3f.), „Das Kellerfensterln“ (Das Kleine Blatt, 1. 1. 1932, S. 3f.), „Vertauschte Heilige” (Das Kleine Blatt, 5. 12. 1931, S. 3f.). Einerseits wurden zwar Aschers

1932, S. 3f.), „Das Kellerfensterln“ (Das Kleine Blatt, 1. 1. 1932, S. 3f.), „Vertauschte Heilige” (Das Kleine Blatt, 5. 12. 1931, S. 3f.). Einerseits wurden zwar Aschers